laut.de-Kritik

Der God MC war wieder Mensch geworden.

Review von

"Isn't it ironic, don't you think?" Ausgerechnet ein Album, veröffentlicht am 11. September 2001 und gespickt mit Niederlagen, suboptimalen Beats und verschmähter Liebe wächst sich zum größten Triumph des wohl erfolgreichsten US-Rappers aller Zeiten aus. Jenes Rappers, für den 'money, cash, hoes' lange Zeit 'ain't a thing' waren, der statt backpackin' lieber big pimpin' ging und der statt Respekt von Szene und Straße lieber die Frauen im Club locker vom Barhocker lockte. Shawn Carter aka Jay-Z erreicht den langersehnten Respekt und die Unsterblichkeit erst mit seinem sechsten Solo-Album, im größtmöglichen Moment der Schwäche.

Zweieinhalb Monate vor dem Release läuft noch alles wie gehabt: Jayhova regiert das Rapgame und zeigt auf dem Summer Jam-Festival am 28. Juni 2001 als Headliner Stärke. Zufrieden schaut er zu, wie Gast Jacko während seines Auftritts steppt und schwitzt. Der Moonwalk sitzt, und als er noch ein paar Breakdance-Moves auspackt, tobt der Madison Square Garden endgültig. Der King Of Pop mit dem selbsternannten God MC auf einer Bühne: ein Hip Hop-Moment für die Ewigkeit. Die begeisterte Crowd ahnt jedoch nicht, dass statt Michaels Cameo-Auftritt etwas anderes Rap-Geschichte schreiben wird, als Jim Morrison wie ein Wahnsinniger "Come On" durch den Garden schreit ...

Jay-Z schenkt seinen Heimfans zwei Verse seines kommenden Albums, genauer gesagt von Track zwei, "Takeover". Ein junger Nachwuchs-Producer aus dem The Roc-Camp namens Kanye West lässt den Beat mit dem hypnotischen "Five To One"-Sample der Doors unaufhaltsam nach vorne poltern, während Jay selbst den Track in Hook und Auftakt-Strophe dazu nutzt, um klarzustellen: "R.O.C., we running this rap shit." So weit, so gut. Als er jedoch live auf dem Summer Jam die zweite Strophe ins Mic feuert, ist der Garden wie elektrisiert.

"I don't care if you Mobb Deep, I hold triggers to crews / You little fuck, I got money stacks bigger than you / When I was pushing weight, back in '88 / You was a ballerina, I got the pictures, I seen ya / Then you dropped 'Shook Ones' switched your demeanour / Well - we don't believe you, you need more people / Roc-A-Fella, students of the game, we passed the class cause / Nobody can read you dudes like we do / Don't let em gas you, like 'Jigga is ass and won't clap you' / Trust me on this one, I'll detach you / Mind from spirit, body from soul / They'll have to hold a mass, put your body in a hole / No, you're not on my level get your brakes tweaked / I sold what your whole album sold in my first week / You guys don't want it with Hov / Ask Nas, he don't want it with Hov, no!" - und explodiert mit der letzten Line.

Wir befinden uns in New York, und der kommerziell erfolgreichste Rapper aus Harlem disst nach Biggies Tod die größten Emcees des Big Apples in deren eigener Stadt. Die Zeilen zu Mobb Deep unterlegt er zudem mit den beschriebenen Ballerina-Szenen auf großen Leinwänden, um Prodigy vollends der Lächerlichkeit preiszugeben. Der Beef mit dem Duo aus Queensbridge wabert schon einige Zeit durch die Straßen, während der Zwist mit Nas jedoch so deutlich von keinem der beiden vorher auch nur erwähnt worden war.

Drei Wochen später folgt die erste offizielle Single von "Blueprint" und überrascht. Auf "Izzo (H.O.V.A)" sampelt wieder dieser Kanye West The Jackson 5 und "I Want You Back". Nicht wenige Kritiker bemängeln zurecht die ausgelutschte und etwas käsig anmutende Idee. So bedankt sich Nas kurz nach dem Release der Single mit dem "Stillmatic"-Diss (über den Coldcut Remix von Eric B and Rakims "Paid In Full") für seine Erwähnung auf dem Summer Jam. "H to the Izzo, you rap version of Sisqo."

Doch die Kritik an "Izzo (H.O.V.A)" bleibt oberflächlich. Kanye gelingt, wie auch später mit geschickten Loops und Anpassungen, ein sommerlich-souliger Tune, auf dem sich Jay-Z soundtechnisch immer weiter von den Synthie-Sounds eines Swizz Beatz oder Timbaland entfernt. Ebenso auf der lyrischen Ebene. Er erzählt dort seine Geschichte von der Kindheit in Marcy über die Drogentickerei bis hin zum Wirken in der Musikindustrie.

"Label owners hate me, I'm raising the status quo up / I'm overcharging niggas for what they did to the Cold Crush / Pay us like you owe us for all the years that you hoed us."

Verrückterweise gelingt ihm trotz "Hard Knock Life" erst mit jenem "Izzo (H.O.V.A)" in den USA sein erster Top-Ten-Hit. Mehr Momentum für das kommende Album geht nicht. Am 11. September mit dem Fall der Twin Towers steigt Jay-Z wie Phoenix aus der 'Ain't no nigga who, nigga what'-Asche.

Als Rapper am Puls der Zeit und kluger Geschäftsmann, hat er wieder einmal den richtigen Riecher gehabt und wusste, dass viele der besten Alben - wie Commons "Like Water For Chocolate", Ghostface Killahs "Supreme Clientele", "Reflection Eternals "Train Of Thought" oder J Dillas Slum Village-Produktionen – zu Anfang des noch jungen Jahrtausend tief im Soul alter Tage diggten und den 'real hip hop' zurück brachten. Allein der "The Blueprint"-Opener "The Ruler's Back" legt von diesem Wandel noch eindrucksvoller Zeugnis ab als die beiden bereits bekannten Songs.

Über ein mächtig-funkendes "If"-Sample von Jackie Moore erweist Jay der Oldschool-Legende Slick Rick und dessen Klassiker-Track "The Ruler's Back" seinen Respekt. Zwar sampelt Producer Bink das Original nur am Rande, doch der Jiggaman baut sein ganzes Reimschema, seinen Flow auf Ricks auf und gibt ihm ohne wirklichen Gastauftritt die Feature-Credits. "Es war nicht fair, dass er keine Chance hatte, wirklich im Studio zu recorden (...). Sein Album 'Great Adventures Of Slick Rick' ist eines der besten aller Zeiten. Ich liebe die Kultur (...) und man muss ihr Respekt zollen", so Jay-Z im XXL Mag.

Kopfnicker-Beat, Funk-Sample und Liebe für die Kultur - ein Song genügt Jay-Z, um alle Realkeeper und Hater des Planeten zu Fans zu machen. Nach dem überraschenden Einstieg folgt "Takeover". Mit vier Versen. Zusätzlich zu den zwei vom Summer Jam erweitert Jay den Song zum brutalen Frontalangriff auf Nasir Jones und erschafft damit einen der besten Diss-Tracks aller Zeiten. Ein kleiner Ausschnitt:

"You said you've been in this 10, I've been in it 5 - smarten up, Nas / 4 albums in 10 years, nigga? I could divide / That's one every ... let's say 2 / 2 of them shits was due / 1 was 'nah', the other was Illmatic / That's a one-hot-album-every-10-year average / And that's so (lame)."

Kanye soll sich nach dem Massaker im Studio etwas ängstlich gefragt haben, ob er sich nicht später dafür umbringen werde, wenn Künstler wie Nas in Zukunft seine Beats deswegen ablehnen werden. Doch Kanye ist damals noch ein kleines Licht, und Jay hat die Baggys an. Der Roc-Chef scheint bei Album-Release wie immer großspurig auf der Gewinnerstraße.

Doch mit dem nächsten Track "Girls, Girls, Girls" bekommt das Gottbildnis erste Risse. Zum Glück. Just Blaze, neben Kanye der zweite Roc-Producer, der mit "Blueprint" seinen Durchbruch feiert, legt Big Jay zwar ein weiteres vocal-gepitchtes Beat-Schmankerl ins Nest, auf dem Jay neben Hookmonster Biz Markie auch noch Slick Rick und Q-Tip featurt, doch eigentlich hatte Just den ultra-zurückgelehnten Tune für Ghostface zusammengeschustert. Ein anderer Emcee als der Rap-Jesus persönlich soll die superben Sounds bekommen? Skandal.

Überhaupt Ghostface. Auch Kanye West gab unter anderem im laut.de-Interview von 2004 zu, bei seinen Produktionen dank "Supreme Clientele" nicht seinen Förderer sondern den Wu-Tang-Member im Kopf gehabt zu haben. "Ja, eigentlich habe ich sie für Ghostface gemacht. Aber Jay-Z hat sie gehört und gleich angefragt, ob er sie haben kann." Ein besseres Beispiel für Shawn Carters Ohr auf der Straße, für sein Gefühl für die richtigen Beats gibt es nicht. Wie Madonna in den 90ern spürt er die Trends, weiß, wie er die Musik zu seiner eigenen machen muss. P. Diddy und Notorious B.I.G. in einer Person. Rap ist Soul-Musik, erkennt im Herbst 2001 neben Curse eben auch Jay-Z, und so knistert und zündelt das ganze Album zwischen Ehrlichkeit und Energie, zwischen Verlust und Lust.

In der Mitte vom "Blueprint" zieht Jay das Tempo merklich an. Energie und Lust an der eigenen Geilheit stehen im Zentrum. "Jigga That Nigga" der Trackmasters klingt mit seinem Club-Appeal inklusive Flöten und sexy Hook-Gepiepse etwas out of place, während Timbaland wohl noch nie einen straighteren, rockigeren Track als das unaufhaltsam nach vorne preschende "Hola' Hovito" durch den Mix gejagt hat. Zum Soul gehört eben auch der Schweiß, nicht nur beim Sex.

Der dritte Song im Bunde dagegen, "U Don't Know", geht als Inbegriff des Just Blaze-Sounds in die Annalen ein. Hart schlagende Drums, energetische Vocal-Loops und pulsierende Bässe finden sich später auch auf Tracks von Ghostface, Saigon oder Fabolous. Just Blaze jedoch – und hier kommen die anfangs erwähnten suboptimalen Beats ins Spiel – war niemals hundertprozentig glücklich mit der Produktion. Sein Remix für Jays "Blueprint"-Sequel mit den Jungs von M.O.P. gehört zu den härtesten, kraftvollsten Songs überhaupt. Die erste Version kann da nicht mithalten. Wer beide Tracks hintereinander abspielt, weiß Bescheid.

"Heart Of The City (Ain't No Love)" läutet dann als Track acht die stärkste Phase des Albums, ja, vielleicht Jay-Zs stärkste Phase ever ein. Wieder einmal ist es Kanye West, der den Klassiker von Bobby Blue Bland mit Clap-Snares ausstattet und geschickt loopt. Wie sich die Zeiten ändern. Skandierte Jay 1997 auf "Vol. 1" noch "The City Is Mine", leidet er nun. Ja, auch Gotteskinder leiden. Auf ihre Art. Jay hinterfragt den für Amerika untypischen Neid, der ihm von Kollegen und alten Weggefährten entgegen schlägt.

"First the Fat Boys break up, now every day I wake up / Somebody got a problem with Hov' / What's up? You niggas all fed up cause I got a little cheddar / And my record's movin' out the store?"

Warum neidet man Ihm den Erfolg? Ihm, der sich ja eigentlich nie geändert hat?

"I'm still fucking with crime cause crime pays / Out hustling, same clothes for days / I'll never change, I'm too stuck in my ways / I never change."

Die Hook im wie gehabt soulig-pathetischen "Never Change", unerkannt gerappt vom Kollegen Kanye, richtet sich wie der gesamte Text an seine OG-Homies aus Harlem. Die Botschaft: Der Erfolg hat mich nicht verändert, ich bin eigentlich immer noch einer von euch. Auch Binks "All I Need" zelebriert über Next Level-Loops und verschachtelten Drums inklusive Bongo-Sound den einfachen Mann in Shawn Carter. Doch egal, wie erfolgreich oder normal, fast jeder wurde schon einmal von einer Frau verlassen. So mixt Jay auf "Song Cry", dem dank Bobby Glenn-Sample immer am Schmalz kratzenden Soul-Höhepunkt des Albums, drei Beziehungserfahrungen in einen Track und lässt den Tränen musikalisch freien Lauf.

Männer können seine Gefühle doch zeigen. Die Superstars werden menschlich, verletzlich und kassieren Niederlagen. Fragt man in Frankreich, wer bei der Tour de France geliebt statt respektiert wird, dann fallen nicht die Namen von Merckx oder Armstrong. Nein, Poulidor und Ulrich, die ewigen, die immer fairen Zweiten, heißen die Sieger der Herzen.

Jay-Z verliert beim "Blueprint" gleich zweimal. Direkt auf dem Album dreht der sich gerade auf dem MM-Höhepunkt befindende Eminem bei "Renegades" komplett durch und vernichtet Jay auf seinem eigenen Werk. (Wer sich eine ähnliche Abreibung geben möchte, checke den oben erwähnten Ghostface bei seinem Feature für Cormegas "Tony Montana" ab.) Selbst Jay gibt das indirekt auf "A Star Is Born" acht Jahre später zu.

"Wayne did A Milli, 50 did a milli / Ye too, but what Em did was silly / The white boy blossomed after Dre endorsed him / His flow on Renegade, fucking awesome."

Dabei ist das Problem hausgemacht. Sympathisch sehenden Auges reitet er in seinen Untergang. "Renegades" ist ein klassischer Eminem-Beat, das Thema ausgedacht von Eminem, also eigentlich ein Eminem-Song. So weit hat sich Jay mittlerweile geöffnet für das einzige, offizielle Rap-Feature auf dem gesamten Album.

Diese erste Niederlage wirkt wie eine knappe Entscheidung bei einem Freundschaftsspiel. Die zweite trifft ihn dafür jedoch drei Monate später um so härter. Nas veröffentlicht mit "Ether" die richtige, ernste Antwort auf "Takeover".

"I still whip your ass, you thirty-six in a karate class / You Tae-bo hoe, tryna' work it out, you tryna' get brolic? / Ask me if I'm tryna' kick knowledge / Nah, I'm tryna' kick the shit you need to learn though / That ether, that shit that make your soul burn slow / Is he Dame Diddy, Dame Daddy or Dame Dummy? / Oh, I get it, you Biggie and he's Puffy / Rockefeller died of AIDS, that was the end of his chapter / And that's the guy y'all chose to name your company after?"

Zwar bleibt "Takeover" der bessere Track, doch Nas steigt nach mehreren Flops wieder so wortgewandt aus dem "Nastradamus- und "Oochie Wally Wally"-Grab, dass auch Jay selbst seine Niederlage später auf dem Track "Blueprint 2" zugab.

"But I will not lose, for even in defeat / There's a valuable lesson learned, so it evens up for me / When the grass is cut, the snakes will show / I gotta thank the little homie Nas for that though / Saving me the hassle of speaking to half of these assholes."

Das alles fällt jedoch zu dem späten Zeitpunkt nicht mehr ins Gewicht. Das Album stößt trotz fehlender Club-Tracks wieder an die Spitze der Charts und für Jay-Z die Türen zu neuen Käuferschichten mit Rucksack weit auf. Noch vor seinem 96er "Reasonable Doubt"-Debüt und der vorübergehenden Rücktrittsplatte ist "The Blueprint" der erste seiner drei Klassiker. Es läutete die musikalisch beste und emotionalste Phase in seiner Karriere ein, die nach der MTV-Unplugged-Scheibe mit The Roots, der größenwahnsinnigen Doppel-CD und der vollkommen unterschätzten Best Of Both Worlds-Kollabo mit R.Kelly mit dem erwähnten "Black Album" 2003 endete.

Mit "The Blueprint" war der God MC wieder Mensch geworden, und die Fans liebten ihn dafür zum ersten Mal. Oder wie Jay-Z selbst 2004 auf "Never Let Me Down" von Kanye West rappt:

"First I snatched the street then I snatched the charts / First I had they ear now I have their hearts."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. The Ruler's Back
  2. 2. Takeover
  3. 3. Izzo (H.O.V.A)
  4. 4. Girls, Girls, Girls
  5. 5. Jigga That Nigga
  6. 6. U Don't Know
  7. 7. Hola' Hovito
  8. 8. Heart Of The City (Ain't No Love)
  9. 9. Never Change
  10. 10. Song Cry
  11. 11. All I Need
  12. 12. Renagade
  13. 13. Blueprint (Momma Loves Me)

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38 Kommentare mit 26 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 5 Jahren

    für mich immer noch ein ziemlich überschätztes album. ich teile die ursprüngliche wertung, nämlich 3 punkte. jay z will man auf biegen und brechen klassikeralben zuschustern, obwohl er eig keinen richtigen klassiker hat. klar, er hat nen lässigen flow und hat immer gute beats gepickt, aber inhaltlich hat er mich nie überzeugt. er war auch nie ein grosser innovator. vielmehr steht er im verdacht, zu biten, was eig unverzeihlich ist. eig ist jayz nichts weiter als ein weiterer guter new york mc. von seiner sorte gabs zu seiner zeit nicht wenige in nyc. jayz ist dafür ein meisterhafter geschäftsmann und jemand, der ein gutes nässchen für trends hat. eig muss er auf ewig seiner ehefrau danken. sie hat ihn wieder relevant gemacht und relevant gehalten.
    er ist wie der helmut kohl des raps. andere waren besser, aber irgendwie hat er sich durchgesetzt. jetzt, mit fast 1 mrd auf dem konto, macht er einen auf erwachsen und real keeper, ist sich aber trotzdem weiterhin nicht zu schade dafür, sich mit trapflows der jugend anzubiedern. eigentlich ein peinlicher typ.

  • Vor 3 Jahren

    Rotiert gerade wieder, einfach ein Genuss! Auch wenn Nas Jay-Z mit Ether zerstört hat - Blueprint > Stillmatic, hands down!