Porträt

laut.de-Biographie

Coldcut

Die Geduld von Coldcut-Fans muss endlos sein: Ganze sieben Jahre nach "Let Us Replay" legen Matt Black und Jonathan More mit "Sound Mirrors" nach. Die Erfinder des Techno-House, die der Kunstform "Remix" zu neuem Stellenwert verhalfen, beweisen, dass sie, obwohl Veteranen im Geschäft, nach wie vor in der Lage sind, Grenzen zu überschreiten.

Coldcut - Sound Mirrors Aktuelles Album
Coldcut Sound Mirrors
Die Ninja Tunes mit Roots Manuva und Jon Spencer im Gepäck.

Plattenläden erweisen sich immer wieder als Keimzellen musikalischer Karrieren. Jonathan More, ehemaliger Kunstlehrer, arbeitet bei Reckless Records im Londoner Westend und hostet nebenbei eine eigene Show beim einstigen Piratensender Kiss FM. Einige Lorbeeren verdient er sich bereits als DJ in der Rare Groove-Szene.

Genauso wie Programmierer Matthew Cohen, dem er irgendwann Mitte der 80er ein Bootleg von "Across The River" von Maceo & The Macks verkauft. Cohen, der sich den Bühnennamen Matt Black zulegt, steht bereits am nächsten Tag wieder auf der Matte. Er hat die Rohfassung von "Say Kids, What Time Is It?" im Gepäck und schlägt Jon vor, man könne ja gemeinsam ein wenig daran feilen.

So entsteht Mitte der 80er ein nahezu unschlagbares Doppel. Jonathan bringt Matt ebenfalls bei Kiss FM unter. Gemeinsam starten sie 1988 "Solid Steel", eine Radioshow, die sich auch nahezu zwei Jahrzehnte später noch ungebrochener Popularität erfreut. Unter den Gästen finden sich (neben vielen anderen) Mr. Scruff, Alec Empire, Company Flow und DJ Shadow.

1997 wird das Samstag für Samstag laufende Programm mit dem Sony Award der Kategorie "Best Specialist Show" gewürdigt. Drei Jahre später wechselt "Solid Steel" den Standort und zieht zu BBC London Live um. 2001 veröffentlichen DJ Food und DK das erste Solid Steel-Album. Etliche andere folgen, darunter Ausgaben mit The Herbaliser und Mr. Scruff.

Doch zurück ins Jahr 1987. Das Duo Coldcut veröffentlicht mit "Say Kids, What Time Is It?" den ersten, rein auf Samples beruhenden Track in Großbritannien. Die gleichnamige EP verbindet in bisher nie dagewesener Art und Weise Hip Hop mit Acid-Grooves. Die Coldcut-Version von Eric B. und Rakims "Paid In Full" aus demselben Jahr gerät nicht nur zum "Remix des Jahres", sondern gleich zum Klassiker. Er verleiht der Bezeichnung "Remix" eine neue Dimension und steigt in die britischen Top 40 ein. Die Herren von Coldcut werden hierfür 1990 als Produzenten des Jahres geehrt.

Ihr Album-Debüt "What's That Noise" erscheint 1989. Als Gäste geben sich die Ehre: Oldschool-Hip Hop-Königin Queen Latifah, Black Uhurus Junior Reid ("Stop That Crazy Thing") und Mark E. Smith von The Fall. Auch der erste größere Hit, "People Hold On" mit Lisa Stansfield, findet sich auf dem mittlerweile versilberten Longplayer.

Während einer gemeinsamen Japan-Reise reift in Mark und Jonathan ein folgenreicher Entschluss (Inspiration für den Namen und die Logogestaltung bringen sie ebenfalls gleich mit). Nach der Rückkehr gründen sie 1991 in London ihr Label Ninja Tune. Über die Jahre mausert sich Ninja Tune zu einer wahren Fundgrube für Breakbeat, Easy Listening, Elektro und (mit dem Sub-Label Big Dada) alternativen Hip Hop. Acts wie Cinematic Orchestra, Mr. Scruff, Kid Koala, The Herbaliser, Roots Manuva und Ty finden hier eine Heimat.

Nachdem sie der Easy Listening-Bewegung mit ihrer Ambient-Coverversion von "Autumn Leaves" ein Bonbon liefern, folgt 1993 das nächste Album, "Philosophy". Matt und Jonathan beschränken sich allerdings bei weitem nicht auf das Feld der Musik. Nebenbei stellen sie mit der Stealth Club Night eine überaus beliebte Partyreihe auf die Beine (NME, Mixmag und The Face votieren einstimmig für den "Club of the Year 1996").

Daneben entwickelt das Duo Computerspiele und Installationen. Matt Black gilt sogar als einer der führenden Köpfe unter den Audio/Video-Künstlern. Als Gründungsmitglieder der VJ-Gruppen Hex (und später auch VJamm Allstars) lassen sie sich auf Multimedia-Experimente ein und entwickeln VJamm, eine Software zur Live-Bearbeitung von Video-Material, die der Öffentlichkeit 1997 vorgestellt wird. Visuals stellen seit jeher einen unverzichtbaren Bestandteil jedes Coldcut-DJ-Sets.

Ihre "CCTV" betitelte Show ist vom Sonar in Barcelona über Montreux bis nach Roskilde und Glastonbury auf den bedeutenden europäischen Festivalbühnen zu Gast. John Peel, zu seinen Lebzeiten selbst ein großer Coldcut-Fan, lädt das Duo zu drei Sessions. Bei der John Peel Memorial BBC Concert Night 2005 sind die beiden ebenfalls beteiligt.

Erst 1997 veröffentlichen Coldcut mit "Let Us Play" ihr erstes eigenes Album auf Ninja Tune. Die Tradition der hochkarätigen Gäste wird fortgesetzt. Diesmal sind Funk-Drummer Bernard Purdie, der legendäre Steinski sowie Ex-Dead Kennedy Jello Biafra zu hören. Sowohl das Album als auch die Single "More Beats And Pieces" schaffen den Sprung in die britischen Charts. Mit "Timber" und "Atomic Moog 3000" gelingt der Schritt weg von den smarten Pop-Liedchen der 80er hin zu (auch politisch) gehaltvollen Tracks.

Unter den Samplern, die Coldcut im gleichen Jahr unters Volk bringen, sticht einer besonders heraus. Es existieren Kritikerstimmen, die das Mix-Album "Journeys By DJ: 70 Minutes Of Madness" zur besten Compilation aller Zeiten erheben. Doch auch die von Coldcut, DJ Food und DJ Krush zusammengestellten "ColdKrushCuts", unter anderem mit Tracks von The Herbaliser, DJ Vadim und Mark B, haben es in sich.

Auf dem Remix-Album "Let Us Replay" von 1999 mischen Ryuchi Sakamoto, Carl Craig und Shut Up And Dance mit. Für Nachwuchskünstler liegt außerdem eine Version von VJamm bei - Selbermachen ist Trumpf. Das empfiehlt sich auch: Die nächste Coldcut-Veröffentlichung lässt nämlich gehörig auf sich warten.

Zwar erscheint 2001 mit "Re:Volution" noch eine 12", diverse Mix-CDs und ein Best-Of-Album ("People On Hold", 2004), ein neuer Longplayer ist allerdings nicht in Sicht. Denn Coldcut sind ausgelastet: diverse Kunst- und Kurzfilmprojekte, Live-Shows sowie Produktions- und Remix-Tätigkeiten (unter anderem Stücke von Herbie Hancock) füllen die Zeit problemlos aus.

Erst sieben Jahre später, Anfang 2006, werden die Geduldigen unter den Fans mit einem weiteren Album belohnt. "Sound Mirrors" wird von den Singles "Everything Is Under Control" mit Jon Spencer und Mike Ladd (November 2005) sowie "Man In A Garage" (Januar 2006) angekündigt.

Daneben helfen Saul Williams und Roots Manuva. Schon die Auswahl der Feature-Parts lässt richtig vermuten: Wieder einmal grasen Coldcut von Hip Hop über Electronica und Jazz eine ganze Bandbreite vorhandener Stilrichtungen ab. Von Februar bis Mai 2006 touren die beiden Briten mit ihrem neuem Programm durch Europa, die USA und Kanada.

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