Porträt

laut.de-Biographie

Screaming Trees

Wenn es ein Ranking der unterschätztesten Bands des Planeten gäbe, wären die Screaming Trees locker in den Top Ten. Wie viele andere Musikerkollegen konnten sie die Früchte ihrer Arbeit nie ernten, über den Status eines Geheimtipps kamen sie zu keiner Zeit hinaus, selbst wenn Mark Lanegan nach dem Ende der Band eine kommerziell erfolgreichere Karriere einschlug.

Screaming Trees: Bassist Van Conner ist tot
Screaming Trees Bassist Van Conner ist tot
Der Bassist des ewigen Grunge-Geheimtipps aus Seattle wurde 55 Jahre alt.
Alle News anzeigen

Im Kaff Ellensburg im Staate Washington unweit der Metropole Seattle treffen sich die Gebrüder Van (Bass) und Gary Lee Conner (Gitarre) sowie Sänger Lanegan in der elterlichen Videothek der Conners. Alle drei sind als Punk-Fans absolute Außenseiter. Gary Lee startet unter seinem Kampfnamen The Butcher eine kurze Karriere als Wrestler. Bruder Van schnappt sich 1983 den Sänger Mark Pickerel und setzt Lanegan hinter die Schießbude. Gary Lee schließt sich den dreien nach kurzem Hin und Her an. Nachdem die beiden Marks die Instrumente tauschen, steht auch schon das Line Up der Screaming Trees; den Bandnamen klauen sie sich von einem Gitarren-Effektgerät.

Schon zu Beginn der Bandgeschichte sorgen sie mit ihrem eigenwilligen stilistischen Cocktail aus Folk-Versatzstücken, Punk und 60s-Psychedelica für Aufsehen in der Szene. Bereits damals entsteht ein weiteres Markenzeichen der Gruppe: Vor den Augen ihres Publikums tragen sie ihre Zwistigkeiten lautstark und handfest untereinander aus. Eigentlich komisch, ruft man sich vor Augen, dass speziell Lanegan gegenüber seinen Bandmates einem Hungerhaken gleicht. Diesen vermeintlichen Nachteil macht er mit Agilität wieder wett.

Zwei Jahre streichen ins Land, ehe die Trees ihr erstes Demo aufnehmen. Auf Initiative ihres Produzenten Steve Frisk erhalten sie einen Deal mit dem kleinen Label Velvetone Records, wo das Album-Debüt "Clairvoyance" 1986 erscheint. Im Vergleich zu späteren Werken klingt alles noch recht unausgereift und roh. Lanegans unverwechselbare Stimme hat noch nicht ihren vollen Umfang, was die Scheibe zwar nicht uninteressant macht, aber auch nicht allzu großartig. Ein Erstlingswerk eben.

Mit einem Album und Frisks Unterstützung im Rücken ergattern sie einen Vertrag beim renommierten SST-Label, das "Even If And Especially When" auf den Markt wirft. Mit diesem Release beginnen Screaming Trees ihre Ochsentour durch die Clubs. Der nächste Labelwechsel zu Sub Pop drängt die Band in die Nähe von Bands der nahenden Grunge-Explosion. Mit der EP "Change Has Come" geben sie dort ihr Debüt. Mit Grunge haben sie insofern weniger gemein, als dass ihr Sound deutlich psychedelischer ausfällt als bei Soundgarden oder Nirvana. Die Hype um harten Alternative-Rock aus Seattle spült sie dennoch kurzzeitig ins Blickfeld der Industrie.

Das Verhältnis der Bandmitglieder entwickelt sich jedoch umgekehrt proportional zum wachsenden Bekanntheitsgrad. Prügeleien - oft unter heftigstem Drogeneinfluss seitens Lanegan - nehmen zu und belasten das Gefüge bis an den Rand der Auflösung. Um sich nicht der Gefahr auszusetzen, den anderen den Schädel einzuschlagen, legen sie längere Pausen zwischen Alben ein. So nimmt Mark Lanegan schon 1990 sein erstes Soloalbum ("The Winding Sheet") auf, bei dem ihn Krist Novoselic und Kurt Cobain unterstützen, während die Conner-Brüder jeweils eigene Bands an den Start bringen (Solomon Grundy, Purple Outside). Die Zukunft der Screaming Trees bleibt weiter im Dunkeln, bis schließlich ein Angebot des Majors und Sony-Ablegers Epic ins Haus flattert und die Entscheidung etwas erleichtert, ob man zusammen noch weitermachen soll.

Bei der Produktion von "Uncle Anesthesia" steht ein gewisser Chris Cornell hinter den Reglern und kitzelt zum ersten Mal in der Bandhistorie alle Stärken der Trees heraus. Lanegan versucht nicht mehr, stimmliche Höhen zu erklimmen, sondern spielt gekonnt die Stärken seines heiseren und bluesigen Organs aus und verfeinert beatleske Harmonien, Punk-Elemente und Metalriffs der Instrumentalfraktion. Trotz des hervorragenden Materials, der Hit-Single "Nearly Lost You" und Majorlabel-Power gelingt ihnen der Durchbruch nicht. Geheimtipp Number One - auf diesem Status scheinen sie sich einzupendeln, auch wenn sich die Platte besser verkauft als alle vorangegangenen Veröffentlichungen. Van nimmt sich eine Auszeit und geht mit J. Mascis' Dinosaur Jr. auf Tournee.

Das Quartett rauft sich zwar wieder zusammen, um an einem Nachfolger zu basteln, Mark Pickerel hat die Schnauze aber voll und gibt den anderen den Laufpass. An seiner Stelle setzt sich Barrett Martin hinter die Schießbude. Mittlerweile mutiert Seattle zum Nabel der Musikwelt. Nach Nirvanas "Nevermind" scheint jede Band der Region - und sei sie noch so untalentiert - einen Plattenvertrag zu erhalten. Der dazugehörige Szene-Film "Singles" mit Matt Dillon in der Hauptrolle folgt auf dem Fuße, Soundtrack inklusive. Auf ebenjenem ist auch die Nummer "Nearly Lost You" zu hören, die im Schlepptau des Films zu einem veritablen Hit heranreift. "Sweet Oblivion", aus dem der Track stammt, schwingt sich zwar zu einem mittelschweren Seller auf, aber auch die über ein Jahr andauernde Tour bringt Screaming Trees nicht den entscheidenden Schritt vorwärts.

Screaming Trees - Uncle Anesthesia Aktuelles Album
Screaming Trees Uncle Anesthesia
Das rauschhafte Meisterwerk vom Vorabend der Revolution.

Erneut nehmen sie eine Auszeit. Lanegan konzentriert sich auf sein zweites Soloalbum "Whiskey For The Holy Ghost" und zelebriert sein Lonesome Cowboy-Image mit ruhigen, balladesken Kompositionen. Drummer Barrett schlagwerkelt ein Jahr später auf dem Allstar-Album von Mad Season, einem Zusammenschluss von Seattle-Musikern ähnlich dem Temple Of The Dog-Projekt von 1991.

Erst drei Jahre nach Erscheinen des letzten Albums scheint die Zeit für neue Songs im Screaming Trees-Kontext reif zu sein. 1996 erscheint "Dust", aber auch diesem Album ist dasselbe Schicksal beschieden wie seinen Vorgängern. Trotz hervorragender Kritiken und Lob von allen Seiten will der Großteil der Käuferschaft dem Vierer kein Gehör schenken. Daran ändert auch "All I Know" kaum etwas. Die Single läuft auf diversen Radiosendern hoch und runter, kurbelt die schleppenden Verkäufe jedoch nicht an.

Somit markiert "Dust" den Schlusspunkt der Screaming Trees-Historie. Im Juni 2000 geben sie auf einem Konzert das Ende der Band bekannt. Posthum erscheinen noch zwei Sampler, von denen jedoch nur "Ocean Of Confusion" mit zwei unveröffentlichten Songs erwähnenswert ist. Lanegan tüftelt weiter an seiner Solo-Karriere, macht einen Entzug und kommt als loses Mitglied bei den Queens Of The Stone Age unter. Pickerel nimmt mit der Band The Dark Fantastic zwei Alben auf ("The Dark Fantastic", "Goodbye Crooked Scrap"), die Conners verschwinden aus dem Rampenlicht.

Ins Gespräch kommt die Band erst wieder im Zuge von Mark Lanegans Autobiographie "Sing Backwards And Weep", die 2020 gehörig Staub aufwirbelt. Die Grunge-Memoiren zeichnen nicht nur den Weg der Trees in aller Ausführlichkeit nach, sondern beleuchten auch die interne Bandchemie, um die es nach Lanegan von Beginn an übel bestellt ist. Schon nach der Hälfte des Buches fragt man sich, wie es Lanegan überhaupt bis zum Jahr 2000 in der Band ausgehalten hat.

An den Conner-Brüdern lässt er kein gutes Haar - mehr noch: Besonders Gary Lee bekommt vom Sänger sein Fett ab und wird als durchgeknallter Soziopath beschrieben. Nach Lanegans Tod erzählt Gary Lee, dass sich der Sänger bei ihm und seinem Bruder für die teilweise unflätige Wortwahl entschuldigt habe. Es sei ein gutes Gespräch gewesen und er habe Lanegan auf dessen Wunsch hin auch die Erlaubnis gegeben, für sein nächstes Projekt alte Trees-Songs neu zu interpretieren, so Gary Lee. Doch dazu kommt es nicht mehr. Im Januar 2023 stirbt dann Gary Lees Bruder Van Conner nach langer Krankheit.

News

Alben

Surftipps

  • Facebook

    Like 'em!

    https://www.facebook.com/Screaming-Trees-142648115752658/

1 Kommentar