Porträt

laut.de-Biographie

Natacha Atlas

Die kulturelle Vielfalt, die ihr musikalisches Schaffen ausmacht, scheint Natacha Atlas in die Wiege gelegt zu sein. In ihrem Stammbaum finden sich marokkanische, ägyptische und palästinensische Vorfahren. Deren Spuren spiegeln sich in der Fusion traditioneller nordafrikanischer und orientalischer Musikstile mit westlichen Clubtrends, mit der sich Natacha Atlas zum Aushängeschild der europäischen Ethno-Disco-Szene aufschwingt und es auch in Afrika und dem Mittleren Osten zu einiger Bekanntheit bringt.

Natacha kommt am 20. März 1964 als Tochter eines marokkanischen Vaters jüdischen Glaubens und einer englischen Muslima in Belgien zur Welt. Ihre Kinderzeit verbringt sie in einem arabisch geprägten Vorort von Brüssel; moderne ägyptische Popmusik gehört hier ebenso zum Alltag wie indisches Bollywood-Kino. Natacha erlernt bereits als kleines Mädchen den traditionellen orientalischen Bauchtanz Raqs Sharqi; sie spricht Arabisch, Englisch, Französisch und Spanisch. Nach der Trennung der Eltern zieht Natacha gemeinsam mit ihrer Mutter für eine Weile nach Northampton, sie beginnt, zwischen Großbritannien, Belgien und Nordafrika (Kairo soll zu ihrer Wahlheimat werden) zu pendeln.

Ihre musikalische Karriere startet ähnlich vielfältig wie Natachas kultureller Hintergrund. So gilt sie als erste Rocksängerin, die in arabischer Sprache röhrt, sie singt in arabischen und türkischen Nachtclubs und gibt für eine Weile die Frontfrau der belgischen Salsaformation Mandanga, bei der sie neben ihrer Stimme ihr Bauchtanz-Talent unter Beweis stellt. Mit der Balearic-Beat-Crew ¡Loca! landet sie 1991 mit "Timbal" einen Treffer, der in der Londoner Ethno-Club-Szene nahezu Kultstatus erreicht.

Im selben Jahr ist der britische Bassist, Komponist und Sänger Jah Wobble (der nebenbei bemerkt als Ersatz für Sex Pistols-Bassist Glen Matlock im Gespräch war und seinen Durchbruch mit John Lydons Public Image Ltd erlebte) für sein Projekt "Invaders Of The Heart" auf der Suche nach Musikern. Er wird auf Natacha aufmerksam und engagiert sie als orientalische Background-Stimme, was den Beginn einer langandauernden Zusammenarbeit markiert. Für Jah Wobbles Album "Rising Above Bedlam" komponiert und singt Natacha Atlas fünf Tracks.

Über das Label Nation kommt sie schließlich mit Tim Whelan und Hamid Mantu vom Londoner Multi-Kulti-Projekt Transglobal Underground in Kontakt. Transglobal Underground gilt als Synonym für die Verschmelzung von Electronica, Trip Hop, Dub, Hip Hop und Funk mit musikalischen Einflüssen aus Indien, Afrika und dem Mittleren Osten. Natacha Atlas ist ab 1991 Dauergast und Backgroundsängerin. 1993 baut sie ihre Position zum Vollmitglied und zur Leadsängerin aus. Die Single "Templehead" schafft den Sprung in die britischen Top-40. Transglobal Underground spielen weltweit auf Konzerten und Festivals. Mit "Dream Of 100 Nations" und "International Times" bringen sie zwei künstlerisch wie kommerziell recht erfolgreiche Alben auf den Markt. Obwohl Natacha 1995 ihre Solokarriere startet, bleibt sie parallel dazu noch lange bei Transglobal Underground involviert, die Verbundenheit bleibt auch nach ihrem letzten gemeinsamen Auftritt 1998 (Transglobal Underground haben mittlerweile den Leadsänger gewechselt und ihren musikalischen Schwerpunkt weg von orientalischen Klängen mehr Richtung Afrika verschoben) ungebrochen bestehen: Mitglieder von Transglobal Underground produzieren nach wie vor Songs für Natacha Atlas und sind bei deren Soloaktivitäten gern gesehene Gäste.

Für ihr Engagement bei Transglobal Underground erntet Natacha weithin reichlich Respekt. Sie arbeitet daraufhin mit verschiedenen Musikern, darunter Peter Gabriel, Sinéad O'Connor und Sarah Brightman, zusammen. Für Apache Indian singt sie "Arranged Marriage", das in Großbritannien unter die ersten 20 kommt und Natacha zu einem Liveauftritt bei "Top Of The Pops" verhilft.

1994 schreibt und singt sie drei Lieder für "Take Me To God", das neue Album ihres alten Weggefährten Jah Wobble. Sie ist in die Produktion diverser Filmsoundtracks eingebunden, darunter die zu Kurt Russels "Stargate", "Judge Dredd", Danny Elfmans "Hulk" sowie des James-Bond-Streifens "Die Another Day" - häufig kollaboriert sie hier mit dem Filmmusik-Komponisten David Arnold. Natacha Atlas arbeitet des weiteren mit so unterschiedlichen Künstlern wie Nigel Kennedy, den Indigo Girls, Nitin Sawhney und Peter Maffay - um nur einige zu nennen.

Angetrieben und unterstützt von ihren Bandkollegen bei Transglobal Underground veröffentlicht Natacha 1995 ihr Solodebüt. Ihre erste Single "Dub Yalil / Yalla Chant" entsteht aus einer Kollaboration mit dem tunesischen Singer/Songwriter Walid Rouissi. Dieser ist, neben Natachas Onkel, dem ägyptischen Komponist Essam Rashad, diversen arabischen Musikern sowie einigen Mitgliedern der Transglobal Underground, an der Produktion von Natachas erstem Album beteiligt. "Diaspora" verbindet klassische arabische Einflüsse mit Dance- und Dub-Rhythmen; besonders die traditionelle Gnawa-Musik hat Natacha stark beeinflusst. Gesungen wird - zur Freude von Natachas Vater - vorwiegend auf Arabisch, aber auch Spanisch und Französisch.

Natacha lebt mittlerweile abwechselnd in London und Kairo. An diesen Orten entsteht, mit britischen und arabischen Musikern (darunter wie gehabt Essam Rachids Arabic Orchestra), ihr zweites Soloalbum "Halim" (1997). Der Titel stellt eine Hommage an Abdel Halim Hafez dar, einen ägyptischen Sänger der 30er Jahre, der als "Nachtigall vom Nil" zu den größten Stars seiner Zeit zählt. Entsprechend steht dieses Album eher in der Tradition ägyptisch-arabischer Popmusik. "Halim" verschafft Natacha Atlas besonders in Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten einen hohen Bekanntheitsgrad.

1998 nimmt Natacha mit der französischen Ethno-Pop-Band Les Negresses Vertes den Titel "L'Égyptienne" auf, der den Auftakt für ihre steigende Popularität in Frankreich bildet. Den Durchbruch auf dem westlichen Markt erreicht sie mit ihrem dritten Album "Gedida", das mit einer (französisch gesungenen) Coverversion des Françoise-Hardy-Klassikers "Mon Amie La Rose" die Herzen des französischen Publikums im Sturm nimmt. Natacha erhält hierfür den französischen Musikpreis als beste Sängerin des Jahres 1999. "Gedida" wird, ebenso wie das Vorgänger-Album, in Ägypten und England eingespielt, ist verwurzelt in arabisch/orientalischen Traditionen, und sucht den Anschluss an westliche Strömungen wie Dub, Ambient und Dancefloor-Beats. Mit "One Brief Moment" enthält das Album den ersten englischsprachigen Song. Natacha Atlas tourt mit Robert Plant und Jimmy Page, und beschließt ein überaus erfolgreiches 1999 mit einem Auftritt bei Jean Michel Jarres Millennium-Spektakel bei den Pyramiden von Gizeh.

Um sich vom Stress der vergangenen Monate zu erholen, verbringt Natacha 2000 zum großen Teil in Ägypten. Sie veröffentlicht mit "The Remix Collection" Material ihrer drei Alben, das zuvor durch die Hände verschiedener Remixer ging - darunter Talvin Singh, Banco de Gaia sowie verschiedene Mitglieder von Transglobal Underground. Auch verwendet sie Zeit auf die Produktion von "Ayeshtemi", das 2001 auf den Markt gebracht wird. Auch hierbei sind wieder Tim Whelan und Hamid Mantu von Transglobal Underground mit von der Partie, daneben Tims Keyboard spielender Bruder Larry, Onkel Essam Rashad sowie diverse ägyptische Musiker. "Ayeshtemi" zeigt die Vorliebe Natachas für den Shaabi, die bluesige Variante der arabischen Popmusik, die zu der Zeit die verbreitetste musikalische Strömung in Ägypten bildet. Sie arbeitet mit den Raï-Sänger Cheb Mami und der Gruppe Sawt El Atlas zusammen. Daneben enthält "Ayeshtemi" eine weitere Coverversion eines französischen Chansonklassikers (diesmal Jacques Brels "Ne Me Quitte Pas") sowie eine Version von Screamin Jay Hawkins' "I Put A Spell On You".

Ihr 2002 in Gemeinschaft mit Marc Eagleton entstandenes Album "Foretold In The Language Of Dreams" überrascht Natachas Fans mit sehr ruhiger, getragener Ambient-Stimmung. Auf Beats wird weitgehend verzichtet, Natacha präsentiert hier, wie sie selbst sagt, "the philosophical and poetical heart of Arabic music".

"Something Dangerous" von 2003 sucht aber bereits wieder den Anschluss an UK Pop, Rap, R'n'B, Dub und Drum'n'Bass. Unter anderem findet sich auf "Something Dangerous" eine durch Natachas Sichtweise als in Ägypten lebende Frau nicht unironische Version von James Browns "Man's World". 2005 erscheint "The Best Of Natacha Atlas"; neben neuem Material wie der hier erstmals veröffentlichten Variante des James-Bond-Titelthemas "You Only Live Twice" bietet die Compilation Natacha-Atlas-Klassiker in neuem Gewand. Bis auf "I Put A Spell On You" werden sämtliche Songs neu bearbeitet und abgemischt.

"Mish Maoul" (2006) greift auf Klänge und Traditionen der Musik zurück, mit der Natascha im marokkanischen Viertel von Brüssel aufgewachsen ist. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Golden Sound Studio Orchestra Of Cairo und die erneute Zusammarbeit mit Nick Page von Temple Of Sound, der bereits ihr erstes Soloalbum "Diaspora" produzierte. 2008 widmet sich Atlas mit "Ana Hina" abermals den vielfältigen Verbindungen zwischen Orient und Okzident. Mit "Ana Hina, welches der westlichen Öffentlichkeit zeigt, dass arabische Künstler verschiedene Musik, Ost und West, schon viel länger miteinander verschmolzen haben, als ich es tue", deckt Atlas die reiche Geschichte musikalischer Verflechtungen auf. Gemeinsam mit ihrem Mazeeka Ensemble, das sich aus herausragenden Musikern der ganzen Welt rekrutiert, zementiert sie beeindruckend ihren Kultstatus.

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