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Hard-Fi

Es gibt drei herrlich amüsante Ratschläge, die einem englischen Journalisten zur West-Londoner Trabantenstadt Staines (Middlesex) einfielen, aus dem die Dance-Rockband Hard-Fi stammt: 1. Lass dort niemals dein Auto unbeaufsichtigt stehen. 2. Lass dort niemals dein Auto beaufsichtigt stehen. 3. Fahre niemals dort hin.

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Richard Archer (Gesang, Gitarre), Ross Phillips (Gitarre) und Kai Stephens (Bass) können diese Ratschläge nicht beherzigen, sie sind dort aufgewachsen. Sacha Baron-Cohen scheint das ähnlich zu sehen, bescherte dem Städtchen als Ali G und besonders mit dem Film "Indahouse" die bislang größte Gratis-Promo.

Das ändert sich mit dem Erfolg von Hard-Fi. Musikalischer Chef der Truppe ist Sänger Archer, der vor Hard-Fi bereits eine erfloglose Band namens Contempo in London hatte. Nach dem Tod seines Vaters gründet der wieder nach Staines zurückgekehrte Archer 2002 Hard-Fi.

Zunächst spielt er auf der Gitarre ein paar Songs ein, die er in einem Hi-Fi-Laden der Stadt über eine gute Anlage abspielen lässt. Irgendwann dämmert dem Angestellten Ross Phillips, dass sich Archers Interess e für die Stereoanlagen in Grenzen hält - undkritisiert sein Gitarrenspiel. Als Phillips behauptet, es selbst viel besser zu können, ist er Bandmitglied. Mit Jahrgang 1982 ist er nun der Jungspund der Truppe, die ansonsten fünf Jahre älter ist.

Basser Kai Stephens lässt seinen Job beim Autoverleih Rentokil sausen, als ihn Archers Angebot erreicht (bringt aber einen VW Bus mit), während der aus Lancaster stammende Drummer Steve Kemp als langjähriger Bekannter Archers eine naheliegende Wahl darstellt. Aus Mangel an Studios in der Umgebung verkriecht sich das Quartett in eine ehemalige Taxizentrale, das sie in ihr Homestudio Cherry Lips umbauen. Den erste Gig geht 2003 in Manchester über die Bühne.

Der Hard Fi-Sound lässt von Beginn an ein natürliches Selbstverständnis durchscheinen. Wie so viele große britische Bands will auch die Staines Gang nicht nur als Rockband gelten, sondern sämtliche Styles schön open-minded durchmischen. So kann man The Clash, The Jam, The Specials, New Order oder Daft Punk aus dem Soundgebräu heraushören. Die Heimat Staines ist für Songwriter Archer das, was Camden für Madness war: Hauptinspirationsquelle für Texte, die kurz darauf Jugendlichen aus ähnlichen sozialen Verhältnissen aus der Seele sprechen werden.

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Staines hat keinerlei alternative Ausgehmöglichkeiten, es gibt nur einen Nachtclub und jede Menge Dönerbuden, Gewalt, schlechte Jobs und ungewollte Schwangerschaften - Themen, die Archer begierig für die Hard-Fi-Texte aufsaugt. Lächerliche 300 britische Pfund (knapp 400 Euro) kostet die Band das Minialbum "Stars Of CCTV", das sie auf geliehenem Equipment einspielen und auf ihrem selbst gegründeten Label Necessary Records veröffentlichen. Nachdem 500 Exemplare in Umlauf sind, mausern sich Hard-Fi-Gigs zu A&R-Treffen. Jeder will die Band signen. Die Mund zu Mund-Propaganda erreicht Zustände, die Eingeweihte an den Wirbel vor Suedes Debütalbum 1992 erinnern.

Schließlich meldet sich sogar Uncle Sam alias Rick Rubin aus dem fernen Amerika, um der Band zum Songmaterial zu gratulieren und seine Dienste anzubieten. Die Band behält derweil einen kühlen Kopf, sagt dem Maestro ab, entscheidet sich für das Atlantic/Warner-Angebot und lehnt auch deren Vorschlag, die Songs noch mal in den teuren Abbey Road-Studios aufzunehmen, höflich aber entschieden ab.

Der Kompromiss ist, dass man das Minialbum im eigenen Studio um ein paar Songs ergänzt, das schließlich als "Stars Of CCTV"-Album, wie wir es kennen, 2005 in England auf den Markt kommt. Als Produzent fungierte der Manager Wolsey White, den der Kerrang! als Phil Spector des Lo-Fi kürt.

Dass die Jungs ihren Streetstyle nicht nur als Image vorschieben, belegt spätestens Mitte des Jahres die Anekdote, dass Kai Stephens nicht mit der Band auf US-Tour gehen kann. Grund: Der über einem Pub aufgewachsene Hard-Fi-Basser ist bei britischen Behören noch aktenkundig, da er sich in Staines mit Koks hat erwischen lassen.

Dem Erfolg der Band tut dieser Zwischenfall natürlich keinen Abbruch. Nach der Record Release Party im Cheekies (Juli 2005), dem einzigen Nachtclub am Ort (wo man auch das Video zu "Hard To Beat" dreht), muss nur noch ein Rückschlag verkraftet werden. Sänger Archers Mutter stirbt nach längerer Krankheit - der geplante Hard-Fi-Auftritt auf dem Glastonbury Festival platzt.

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Dafür eröffnen sie zwei Mal in der riesigen Milton Keynes Bowl für Green Day und freuen sich über die Nominierung für den renommierten Mercury Music Prize, den letztlich Antony & The Johnsons einheimsen. Dennoch steigt "Stars Of CCTV" in der ersten Januar-Woche 2006 erneut in die britischen Charts ein und klettert zunächst bis auf Rang vier, schließlich aber auf eins. Die Single "Cash Machine" sorgt für einen weiteren Schub.

Im Februar sind Hard-Fi für Brit Awards in den Kategorien Best Rock Group und Best British Group nominiert, die beide die Kaiser Chiefs absahnen. Archer und Kollegen nehmens locker, reisen ein weiteres Mal erfolgreich durch die USA, wo das Debüt erst im März erscheint und starten auch in Europa noch mal durch. Nachdem die England-Tournee bereits nach fünfzehn Minuten ausverkauft ist, buchen Hard-Fi im Mai fünf Nächte hintereinander Londons Brixton Academy. Dies schafften bisher nur The Clash, Bob Dylan, Massive Attack und The Prodigy.

Das Jahr 2006 gerät für die Jungs zu einer beeindruckenden Erfolgsstory: Fünf Singles landen in den britischen Top 20 und von "Stars Of CCTV" verkaufen sie weltweit über eine Million Einheiten, in der Heimat hagelts Doppelplatin. In der Verschnaufpause vor dem nächsten Album erscheint noch die DVD "In Operation", die mit amtlichem Zusatzmaterial aufwartet.

Der lange angedachte Albumnachfolger "Once Upon A Time In The West" entsteht im Jahr 2007 wieder in demselben Industriegebiet in Staines. Etwas mehr Luxus gönnen sich die Vier dann aber doch und ziehen aus dem alten Taxi-Büro eine Tür weiter in größere Industrieräume. Konsequenterweise ändert sich auch am bekannten Hard-Fi-Stilmix nichts Wesentliches: Schwer rollende Bassläufe und krachende Gitarrenchords treffen auf tanzbare Beats.

Danach bleibt es lange ruhig um den Staines-Vierer, von Facebook/Twitter-Meldungen ab und an abgesehen. Zudem finden Hard-Fi-Songs längst in Kinofilmen und Werbeclips statt. Erst 2011 melden sich Hard-Fi mit "Killer Sounds" zurück, das den gewohnt funkelnden Stilmix auffährt: Von House, Blues über Funk bis Disco ist alles dabei. Ging der Vorgänger ebenfalls noch auf eins, schafft es "Killer Sounds" in den Charts nur noch auf Rang neun.

Sicher, insgesamt betrachtet ein Luxusproblem, dennoch: Als Archer und Co. die vom Label initiierte Retospektive "Best Of 2004-2014" vorlegen, geht gut die Hälfte der bis dato weltweit 2,6 Millionen verkaufter Platten allein aufs legendäre 300 Euro-Debüt zurück. Ein neuer Song zeugt auch von den Arbeiten am seit 2012 in Aussicht gestellten vierten Album. Gleichwohl steigt Gitarrist Ross im Mai aus, er wolle sich fortan anderen Dingen zuwenden - den Londoner Gig zur Best Of spielt er dennoch im folgenden Februar mit.

Wer ihn ersetzen wird - oder ob - steht noch aus. Für die kommende Platte dürfte aber wieder gelten, was Archer einst übers Debüt sagte, als er das Soundverständnis in einem übertragenen Sinn so zusammenfasste: Hard-fi spielen Rock, hören dabei aber alles, was ihnen in die Finger kommt. Ob Dub, Reggae, Soul, Hip Hop oder Dance.

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