29. August 2011

"Im Heavy Metal ist alles erlaubt"

Interview geführt von

Fast drei Jahre lang saßen die britischen Indie-Pop-Rocker von Hard-Fi auf heißen Kohlen in der Hoffnung, dass sich das gewünschte Produzenten-Duo für Album Nummer drei "Killer Sounds" Stuart Price und Greg Kurstin endlich für die ungeduldigen Insulaner freimachen konnte. Irgendwann war es dann soweit, und zwischen den heimatlichen Cherry Lips-Toren, dem Londoner Acton-Studio und dem Sunset Sound in Los Angeles entstand ein feuriger Silberling, der vielseitiger und experimentierfreudiger kaum sein könnte.Wer heutzutage im Musik-Biz fähige Leute in ein Projekt involvieren möchte, der muss mitunter eine Menge Geduld aufbringen. Die britischen Indie-Pop -Rocker von Hard-Fi wissen davon, spätestens seit den Aufnahmen zu ihrem neuesten Longplayer "Killer Sounds", ein Lied zu singen.

In Berlin treffen wir auf redselige Protagonisten, die es kaum mehr abwarten können, bis ihr Drittwerk endlich den Weg in den Handel findet. Ein redseliger Richard Archer und ein nicht minder auskunftsfreudiger Steve Kemp plaudern im Interview über schießende Gitarren, frustrierende Wartezeiten und digitale Revolutionen.

Hallo ihr zwei, habt ihr mittlerweile schon Unterricht beim legendären Ace Frehley genossen?

Richard: Ace Frehley? Nein, wieso?

Steve: Und in was?

Da gibt es doch diesen kreativen Kerl in Columbia, der aus alten Gewehren Gitarren baut, oder?

Richard: (Lacht) Ah, jetzt verstehe ich.

Ihr habt euch, zumindest was den Titel eures neuen Albums "Killer Sounds" angeht, von diesem Typen und seiner Arbeit inspirieren lassen. Und wer sonst könnte euch besser erklären, wie man mit feuersprühenden Gitarren umgeht als Ace Frehley.

Steve: Da hast du natürlich recht.

Richard: Die Geschichte dahinter ist schon sehr beeindruckend. Der Typ kommt aus einer ziemlich kriminellen Ecke von Columbia. Sein Ziel ist es, den alltäglichen Kreislauf von Kalaschnikows und anderen schweren Gewehren zu unterbrechen, um etwas Kreatives daraus zu machen. Das hat mir sehr imponiert. Ich hatte mir überlegt, wie es denn wohl wäre, so eine Gitarre auf der Bühne zu haben, aber irgendwie kam es mir dann doch suspekt vor.

Steve: Ich glaube, es ist schwierig, wenn man sich dabei vor Augen hält, welche Vergangenheit dein "Instrument" vielleicht bereits innehat.

Richard: Dennoch ist der Grundgedanke positiv, und das hat, neben der extrem kreativen Komponente, letztlich dazu geführt, dass wir diese Story mit in unseren Arbeitsprozess haben einfließen lassen.

Steve: Wir sind leider keine Heavy Metal-Band. Da würde das wohl super passen.

Richard: Absolut. Ich meine, wenn du Heavy Metal machst, kannst du dir alles erlauben, und die Leute finden es trotzdem cool. Das hat schon was von künstlerischer Freiheit.

Fühlt ihr euch als Indie-Rock-Band demnach eingeschränkt?

Richard: Also, was die Gitarren angeht, ja (lacht).

"Wenn du fähige Leute involvieren willst, musst du Geduld haben"

Ihr habt zu Beginn ein ziemliches Tempo vorgelegt. Innerhalb von drei Jahren durften sich eure Fans über zwei Alben und eine Live-DVD freuen. Seitdem sind vier Jahre vergangen. Was war los?

Richard: Nun, zunächst waren wir fast eineinhalb Jahre auf Tour, nachdem "Once Upon A Time In The West" im Herbst 2007 erschien. Danach brauchten wir etwas Zeit für uns, um unsere Köpfe wieder frei zu kriegen. Also reisten wir viel und ließen uns inspirieren von Gegenden, die wir bis dahin noch nicht kannten. Wir waren viel im Süden der Staaten unterwegs. Das war eine tolle und aufschlussreiche Zeit für uns, weil sie uns auch wieder auf den Boden brachte. Wir haben uns Studios angesehen, wie das legendäre Sun-Studio in Memphis und waren einfach auf einem sehr entspannten Road-Trip unterwegs.

Steve: Manchmal bleibt von einer langen Tour mental nicht viel übrig und du brauchst einfach Neues. Das wollten wir damit bezwecken, und es hat wunderbar funktioniert.

Richard: Diese Phase war auch sehr wichtig für mein Songwriting. Ende 2008, Anfang 2009 habe ich erste Ideen für neue Songs festgehalten. Wir haben unsere beiden ersten beiden Alben komplett selbst produziert. Das war auch gut so, aber diesmal wollten wir unbedingt mit verschiedenen Produzenten arbeiten. Es war uns einfach wichtig zu erfahren, was aus vermeintlich fertigem Material noch entstehen kann, wenn man äußere Einflüsse zulässt. Wir wollten aber nicht mit irgendjemandem arbeiten, sondern mit Stuart Price und Greg Kurstin, deren Arbeiten wir sehr schätzen. Das Problem ist einfach, dass solche Leute sehr beschäftigt sind und es ewig dauert, bis du sie an der Angel hast. Letztlich haben wir fast ein Jahr nur damit verbracht, den nötigen Kontakt herzustellen. Das war schon sehr frustrierend. Das Album zu mixen hat alleine sechs Monate gedauert. Wenn du fähige Leute involvieren willst, musst du Geduld haben. Das war ein Lernprozess für uns.

Mit "Killer Sounds" habt ihr nahezu auf allen Ebenen Veränderungen angestrebt, die ihr schließlich auch umgesetzt habt. Nicht nur der Aufnahme-Prozess wurde runderneuert, sondern auch die "Außendarstellung". Vergleicht man nämlich das Artwork eurer beiden ersten Alben mit dem von "Killer Sounds", liegen auch hier Welten dazwischen.

Richard: Ja, das stimmt, wobei die ersten beiden Cover einfach nur eine andere künstlerische Form haben und dadurch nicht zwingend einfacher oder gar liebloser sind. Uns wurde für das neue Album nahegelegt, das Art-Thema der ersten beiden Alben fortzuführen, aber wir dachten uns, warum? Wir haben viele Prozesse, die zur Entstehung von "Killer Sounds" beigetragen haben, im Vergleich zur Vergangenheit, verändert. Warum also nicht auch das Artwork?

Steve: Die Idee war einfach die, das Artwork in Einklang mit dem Inhalt des Albums zu bringen. Der Sound auf "Killer Sounds" ist sehr kontrastreich und vielschichtig. Kein Song klingt wie der andere und es werden Klänge miteinander gepaart, die vermeintlich nicht passen, es aber, unserer Meinung nach, dann doch tun. Genauso verhält es sich mit den Totenköpfen auf dem Cover. Du hast dieses morbide Grund-Thema und verbindest es mit dem vielleicht größten Kontrast, der sich anbietet, nämlich lebendigen Farben und Formen. Dadurch entsteht etwas Neues, etwas Faszinierendes. Dieser Kontrast spiegelt exakt das wieder, was auf dem Album zu hören ist.

Auch textlich seit ihr diesmal einen Schritt weiter gegangen, oder?

Richard: Ja, absolut. Auf unserem Debut haben wir unser Leben in Staines als thematischen Mittelpunkt besungen, während wir auf "Once Upon A Time In The West" den Blick nach außen gewagt haben. "Killer Sounds" ist lyrisch mit Sicherheit das vielfältigste Album bisher. Es geht um sehr unterschiedliche Dinge. Wir haben versucht viel aufzusaugen und uns als Protagonisten darzustellen. Es geht um Dinge, die du siehst und hörst. Alltägliche Situationen, in die du versuchst dich hineinzuversetzen, auch wenn du sie vielleicht selber noch nicht wirklich erlebt hast. "Sweat" ist zum Beispiel ein Song über die Ängste, die man hat, wenn man sich mit seinem Job befasst. Man arbeitet und arbeitet und hat dennoch keine Garantie, ob am Ende des Monats pünktlich Geld überwiesen wird. Es geht um diese Drucksituation. "Feels Good" beschreibt das ultimative Verlangen. Sei es Sex oder sonst irgendetwas. Auf "Love Song" geht es darum, wie man sich fühlt, wenn man in einem Club ein Mädchen sieht, das einem den Atem raubt. Die Bandbreite auf dem Album ist sehr groß. Der Titeltrack wurde inspiriert durch die Tatsache, dass viele Soldaten nicht in, sondern nach einem Krieg ihr Leben verlieren. Sie sind verzweifelt, weil sie das Erlebte nicht verarbeiten können. Niemand steht ihnen zur Seite. Sie werden drogenabhängig oder begehen Selbstmord. Wie gesagt, wir haben auf "Killer Sounds" viel zugelassen. Sei es textlich oder musikalisch.

"Das individuelle Einkaufen wird es nicht mehr geben"

Das sehe ich ähnlich. Musikalisch kann man schon fast von einem experimentellen Album sprechen, oder?

Steve: Ich würde nicht sagen, dass es experimenteller ist als die anderen, eher offener und vielschichtiger. Experimentell klingt mir persönlich zu gewollt. Wir "wollten" auf dem Album weniger, vielmehr ging es uns darum uns zu öffnen. Wir sind derzeit etwas gelangweilt von der Tatsache, dass eine klassisch besetzte Band auch klassisch klingen muss. Es gibt so viele geniale House-, Reggae- oder Dub-Songs da draußen. Warum sollte man sich dem verwehren? Wir haben diesmal versucht, alles einzubinden, was uns persönlich gefällt.

Richard: Wichtig ist doch nur, dass du deine Glaubwürdigkeit behältst und die verschiedenen Songs trotzdem nach einer Band klingen.

Steve: Schau dir David Bowie an. Der hat nun wirklich alles schon einmal ausprobiert und dennoch klingt alles, und sei es noch so abstrakt, wie David Bowie. So sollte es sein.

War David Bowie demnach eine Inspirationsquelle für "Killer Sounds"?

Steve: Ja, definitiv. Wir lassen uns generell von Künstlern inspirieren, die keine Angst haben, Dinge auszuprobieren.

Ist diese Form von "künstlerischer Freiheit" ein Luxus den man sich erst erlauben kann, wenn man sich etabliert hat?

Steve: Nun, ich denke, dass unsere beiden ersten Alben auch schon Ansätze davon hatten. Aber es war natürlich eine ganz andere Ausgangssituation. Als wir das erste Album aufgenommen haben, hatten wir keinerlei Erwartungen. Wir haben uns gesagt, wenn wir vielleicht 60.000 Kopien im ersten Jahr verkaufen, dann können wir auf jeden Fall ein zweites Album machen. Diese Zahl stand aber bereits zwei Wochen nach der Veröffentlichung von "Stars Of CCTV" zu Buche. Plötzlich steckst du mittendrin in einer Maschinerie, von der du dir vorher keine Vorstellung gemacht hast. Du gehst auf große Tour, kommst irgendwann wieder und merkst, dass sich auf einmal eine Hundertschaft von Leuten um deine Belange kümmert. Da entsteht natürlich Druck, der dich auch künstlerisch einengt, ob du es willst oder nicht. Diesmal war es wesentlich relaxter, auch weil unser letztes Album sehr erfolgreich war. Insofern konnten wir auf "Killer Sounds" exakt das umsetzen, was wir wollten.

Diesen "Luxus" haben in den vergangenen Jahren einige Bands genutzt, um ihre Vermarktung zu perfektionieren. Ich spreche hier von Radiohead oder Kaiser Chiefs, die das Internet als Plattform nutzen, um sich und ihre Musik zu präsentieren. Seht ihr das ähnlich?

Richard: Das ist schwierig. Ich glaube, dass beide Bands verschiedene Motive verfolgt haben. Natürlich war der Prozess bei Radiohead ein innovativer, und ich will mir nicht anmaßen zu beurteilen, welche Beweggründe wirklich dahintersteckten. Letztlich hat es funktioniert und das Bewusstsein für digitale Musik verändert. Solch ein revolutionäres Unterfangen lässt sich natürlich einfacher bewerkstelligen, wenn du bereits zwanzig oder dreißig Millionen Platten verkauft hast. Den Kaiser Chiefs ging es, meiner Meinung nach, um wahre Überzeugung für einen neuen Markt. Sie haben es sehr kreativ angepackt und umgesetzt. Ich fand das toll.

Ist das ein realistisches Zukunfts-Modell für euch?

Steve: Ich werde dir sagen, wie die Zukunft aussehen wird. Vielleicht liege ich komplett falsch, aber ich bin überzeugt davon, dass die gesamte Unterhaltungs-Branche demnächst verschmilzt.

Wie sähe das genau aus?

Steve: Ganz egal, ob Fernsehen, Musik, Filme oder was auch immer: Du bezahlst vielleicht pro Monat eine feste Summe und kannst dir dafür aus jeder Branche aussuchen was du willst. Das individuelle Einkaufen wird es nicht mehr geben. Alles kommt auf einen Teller.

Ok, die Zeit ist leider um, habt vielen Dank für das Gespräch.

Steve: Sehr gerne.

Richard: Wir haben zu danken.

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