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Tocotronic

Sie sind die Lieblinge des Feuilletons, die Institution des Indie-Pop, die einstigen Musterknaben der sogenannten Hamburger Schule - Tocotronic zählen schlichtweg zu den wichtigsten deutschen Bands.

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Ende 1993 gründen die Hamburger Punk-Musiker Jan Müller (Baßgitarre), Arne Zank (Schlagzeug) und der aus Freiburg zugezogene Gitarrist und Sänger Dirk von Lowtzow Tocotronic (benannt nach einem Gameboy-Vorläufer) und starten damit ein Pop-Phänomen nahezu britischen Ausmaßes. Die seinerzeit in Selbstreferenz erstarrte Hamburger Musikszene feiert erste Konzerte der Band wie eine Offenbarung: Die eigenwilligen Frisuren, der Cordhosen-Werbe-T-Shirt-Trainingsjacken-Stil, die Höflichkeit der Ansagen werden gewürdigt und bewundert. Der Fanclub Megatronic gründet sich, noch bevor ein einziger Tocotronic-Ton auf Platte verewigt ist.

Die Band veröffentlicht im Selbstverlag Rock-O-Tronic eine Single, deren Titelzeile "Ich Möchte Teil Einer Jugendbewegung Sein" sich kurze Zeit später auf Häuserwänden und in einem Blumfeld-Song wieder findet. Über Blumfeld-Kopf Jochen Distelmeyer entsteht der Kontakt zum Label L'Age D'Or, das den Vertrieb der Single und zugehöriger T-Shirts übernimmt.

Anfang '95 erscheint das Debüt-Album "Digital Ist Besser" und setzt einen Meilenstein in der deutschsprachigen Indie-Pop-Geschichte: Trashiger Post-Grunge à la Dinosaur Jr., versehen mit identifikationsstiftenden Texten, teils punkiges Sloganeering, teils rührend-melancholische Momentaufnahmen vom Jugendalltag. Die popintellektuelle Presse bejubelt den Ausdruck einer neuen Generation und dieses Mal sieht das auch die Generation so: Eine zweiwöchige Club-Tour trägt den Namen Tocotronic über die Stadtgrenzen Hamburgs ins Bewusstsein junger, wütender Menschen.

Ganz Indie-Deutschland kann sich auf diese Platte einigen und reibt sich verwundert die Augen, als bereits im Juli ein weiteres (Mini-)Album erscheint. Um das Stück "Michael Ende, Du Hast Mein Leben Zerstört" entwickelt sich eine skurile Geschichte: Die TAZ druckt den Text als Nachruf auf den im August '95 verstorbenen Schriftsteller. Daraufhin geht im Labelbüro ein mysteriöses Droh-Fax ein. Die Band beschließt, das Lied nie wieder zu spielen.

Mit dem dritten Album "Wir Kommen Um Uns Zu Beschweren" steigen Tocotronic im Frühjahr '96 als erste Lado-Band in die deutschen Charts ein. Ermöglicht wird dieser Verkaufserfolg durch einen Vertriebsdeal mit dem Majorlabel Motor. Melancholischer und selbstreflexiver als auf den Vorgängern gelingt es den Tocos, dem Fluch der dritten Platte, die für viele Hamburger Bands zuvor das Aus bedeutete, zu entgehen. Die Konzerttour führt jetzt durch größere Hallen und Theater. Der Musiksender Viva will Tocotronic den "Comet" verleihen. Die Band bedankt sich auf der Preisverleihung gewohnt artig und lehnt ab.

Für die Aufnahmen zu "Es Ist Egal, Aber" geht es erstmals raus aus Hamburg in ein westfranzösisches Kaff. Das Album markiert einen Wendepunkt: Die Texte nehmen mehr Abstand, die Musik wird differenzierter, sogar Streicher finden ihren Platz.

Danach folgt eine für Tocotronic-Verhältnisse ungewöhnlich lange Veröffentlichungspause. Geschlagene eineinhalb Jahre dauert die Arbeit an "K.O.O.K.", unterbrochen von einer kleinen US-Tour und Produzententätigkeiten für die Band Jonas.

Im Juli '99 erscheint das fünfte Toco-Album, der deutlichste Bruch bis dahin. Die Songs verharren jetzt im Midtempo, entfernen sich von der klassischen Strophe-Refrain-Songstruktur, die Texte gewinnen an Abstraktion. Und auch der Look ist erwachsener geworden, die Werbe-T-Shirts sind eher Suede-artigen Hemden und schwarzen Kunstlederjacken gewichen. Im folgenden Jahr geht man sogar noch einen Schritt weiter: ein Remixalbum "K.O.O.K. - Variationen" erscheint, auf welchem hauptsächlich elektronische Versionen der K.O.O.K. Stücke enthalten sind.

Das nächste reguläre Studioalbum lässt bis zum Juni 2002 auf sich warten. Der Titel: "Tocotronic". So nennen Bands entweder ihre Debut-Scheiben oder Meisterwerke. Die Kritiker vollführen Freudensprünge und jubeln das ausgereiften Werk in die Höhe, während die alten Fans sich endgültig von der Band verabschieden, da kein Song mit "Ich" anfängt und noch weniger rumgeheult wird als auf dem Vorgänger. Der Band kann das egal sein, verfolgt sie doch einen straigten Weg zur etablierten und kunstvollen deutschen Rock-Band, die sich vor allem über die letzten drei Jahre hinweg ständig weiterentwickelt: weg vom Rock hin zum Pop, scheint an der Elbe das neue Motto zu sein.

Kurz nach der Veröffentlichung der Jubliäums-DVD-Box "10th Anniversary" im Dezember 2003 müssen sich die Ur-Fans der Hamburger endgültig von ihrem angestammten Band-Bild verabschieden. Der US-Amerikaner Rick McPhail, der die Band seit 2000 bei ihren Live-Auftritten an der Gitarre und am Keyboard unterstützt, wird offiziell vierter Tocotronic. Auf dem siebten Album der Hamburger ist sein Einfluss den auch gleich deutlich zu hören.

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Im Januar 2005 erscheint "Pure Vernunft Darf Niemals Siegen" und steigt prompt auf Platz 3 der Charts ein und kann sich dort insgesamt neun Wochen halten. Das lyrische "Ich" kehrt zurück in einen Songtitel ("Ich habe Stimmen Gehört") und auch die verloren geglaubte Wut kommt zum Ausdruck. Mit "Aber Hier Leben, Nein Danke" entsagen die nunmehr vier Tocos der Deutschtümelei und stellen sich gegen schick gewordene Diskussion von Radio-Quoten oder "Wir sind wieder wer"-Gefühlen. Das Album-Arrangement fällt weit weniger ausschweifend aus, als beim weißen Vorgänger, die Poesie hält weiter Einzug.

Im November des gleichen Jahres veröffentlichen Tocotronic mit "The Best Of Tocotronic" einen Querschnitt durch alle sieben Alben. In limitierter Auflage erscheint die Best Of im Doppelpack mit längst verschollen geglaubten Raritäten aus der Vergangenheit, etwa der ersten Proberaumaufnahme von 1993 ("Die Idee Ist Gut, Doch Die Welt Noch Nicht Bereit"). Des weiteren enthält die Bonus-CD Lieder der ersten vergriffenen 7"-EP ("Meine Freundin Und Ihr Freund", "Wir Sind Hier Nicht In Seattle, Dirk", "Letztes Jahr Im Sommer", "Hamburg Rockt"), Beiträge für andere nie veröffentlichte Compilations ("Weiter") sowie Demo- und Liveaufnahmen.

Schon Ende 2006 rumort es in der Gerüchteküche, zuerst heißt es, die Tocos würden schon Anfang 2007 ein neues Album herausbringen. Ganz so schnell geht es dann doch nicht. Im Juli erscheint das neue Album "Kapitulation". L'Age D'Or ist mittlerweile pleite, das Quartett Anfang des Jahres bei Universal untergekommen.

Dort erscheint 2010 "Schall Und Wahn" als dritter Teil der Berlin-Trilogie, die mit "Pure Vernunft ..." ihren Anfang nahm. Zum ersten Mal in der zu diesem Zeitpunkt 17-jährigen Bandgeschichte gelingt Tocotronic mit dem Album der Sprung an die Spitze der deutschen Albumcharts.

Anfang 2013 stellt das Video zum Song "Auf Dem Pfad Der Dämmerung" den ersten Vorboten der neuen Platte "Wie Wir Leben Wollen". Die Band bleibt ihrem Sound weitestgehend treu, nur von Lowtzows Texte machen sich auf den Weg zu neuen Ufern.

Erst mit dem unbetitelten Nachfolger, allgemein als "Das Rote Album" bekannt, findet eine neue Ausrichtung statt. Tocotronic setzen auf die Liebe, auf Eingängigkeit und den Sound von New Order, The Cure und The Smiths. Der Beginn eines weiteren Neustarts, der wieder einmal manch alteingesessenen Fan verwirrt zurück lässt.

Gänzlich vollzieht sich der abermalige Bruch, als Anfang 2018 "Die Unendlichkeit" erscheint. Musikalisch bewegt sich die Band noch weiter von dem geradlinigen Sound weg, der sie einst prägte. Dafür wird es deutlich vielschichtiger: Der Titeltrack des Albums setzt auf Dub-Bassline und Drone-Sounds, im weiteren Verlauf der Platte bekommt man gar minutenlange Xylophon- und Holzbläser-Arrangements zu hören. Auch textlich verlässt das Quartett ihr gewohntes Terrain der doppelten Böden und philosophischen Anspielungen.

Dirk von Lowtzow meint jetzt wieder genau das, was er singt. So, wie es bereits bis 1999 der Fall war - nur ohne Songs mit "Ich" im Titel. Das liegt vor allem daran, dass sich die Platte konzeptuell mit Dirks Biografie befasst, die man eben nur "mit ganz einfachen Worten, offen und ungepanzert" erzählen könne. Ein Rückblick auf das bisherige Leben? Die Rückkehr zur einfachen Sprache? Wer nach "Die Unendlichkeit" darüber rätselt, ob sich damit auch ein Kreis für die Band schließen und dies das letzte Album gewesen sein könnte, den lässt von Lowtzow grinsend in der Ungewissheit: "Man sollte jedes Album so machen, als sei es das letzte.".

Betrachtet man mittlerweile die vielen Brüche und Widersprüche in der Karriere der Band, bleibt vor allen Dingen eines zu konstatieren: Man kann Tocotronic einiges vorwerfen, doch sie bleiben aufgeschlossen und versuchen, sich immer wieder neu zu entdecken. Insofern gilt für die Granden des deutschen Diskurs-Pop wohl noch immer, was von Lowtzow einst im Interview mit motor.de verriet: "Bei unserer 1997 erschienen Platte 'Es Ist Egal, Aber' merkten wir, dass die Luft ein wenig raus war. Es kam uns vor, als gäbe es einen Tocotronic-Steckkasten aus dem wir die Songs nur zusammenbasteln müssen. Ganz ehrlich, so darf keine Band am Leben bleiben. Niemand kann von uns verlangen, dass wir auf Knopfdruck immer die gleichen Protestsongs aus dem Ärmel schütteln. Das geht zwei, drei Platten gut und dann musst du umdenken, oder du spielst in zehn Jahren noch den gleichen Stiefel runter."

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Maifeld Derby, 2019 Die Tocos bei der vorerst letzten Ausgabe des sympathische Festivals im Südwesten.

Die Tocos bei der vorerst letzten Ausgabe des sympathische Festivals im Südwesten., Maifeld Derby, 2019 | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Die Tocos bei der vorerst letzten Ausgabe des sympathische Festivals im Südwesten., Maifeld Derby, 2019 | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Die Tocos bei der vorerst letzten Ausgabe des sympathische Festivals im Südwesten., Maifeld Derby, 2019 | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Die Tocos bei der vorerst letzten Ausgabe des sympathische Festivals im Südwesten., Maifeld Derby, 2019 | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann)

Bitte Oszillieren Sie! Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk.

Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk., Bitte Oszillieren Sie! | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk., Bitte Oszillieren Sie! | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk., Bitte Oszillieren Sie! | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk., Bitte Oszillieren Sie! | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk., Bitte Oszillieren Sie! | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk., Bitte Oszillieren Sie! | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk., Bitte Oszillieren Sie! | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk., Bitte Oszillieren Sie! | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk., Bitte Oszillieren Sie! | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk., Bitte Oszillieren Sie! | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk., Bitte Oszillieren Sie! | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Tocotronic im März 2010 live im Kölner E-Werk., Bitte Oszillieren Sie! | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig)

Live in Köln 2007 Endlich wieder in Köln: Keine Kapitulation im E-Werk.

Endlich wieder in Köln: Keine Kapitulation im E-Werk., Live in Köln 2007 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Endlich wieder in Köln: Keine Kapitulation im E-Werk., Live in Köln 2007 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Endlich wieder in Köln: Keine Kapitulation im E-Werk., Live in Köln 2007 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Endlich wieder in Köln: Keine Kapitulation im E-Werk., Live in Köln 2007 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Endlich wieder in Köln: Keine Kapitulation im E-Werk., Live in Köln 2007 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Endlich wieder in Köln: Keine Kapitulation im E-Werk., Live in Köln 2007 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Endlich wieder in Köln: Keine Kapitulation im E-Werk., Live in Köln 2007 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Endlich wieder in Köln: Keine Kapitulation im E-Werk., Live in Köln 2007 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Endlich wieder in Köln: Keine Kapitulation im E-Werk., Live in Köln 2007 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Endlich wieder in Köln: Keine Kapitulation im E-Werk., Live in Köln 2007 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig)

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