14. Juni 2016

"Wir sind eine formwandelnde Band, nicht wie AC/DC"

Interview geführt von

Nach fünf Jahren Pause veröffentlichen Peter, Bjorn And John mit "Breakin' Point" ihr siebtes Album. Wer das Trio nur von seinem zehn Jahre alten Hit "Young Folks" kennt, wird sich über elektronische Klänge und Disco-Fieber wundern.

Um 11:30 Uhr am Promotag in Berlin haben Peter Morén, Björn Yttling und John Eriksson schon einen Flug aus Stockholm hinter sich und ein Radio-Interview absolviert. Die Laune der drei Schweden, die seit fast zwei Jahrzehnten zusammen Musik machen, ist vom geschäftigen Morgen aber ungetrübt. Im Gegenteil lachen und erzählen sie während des Interviews viel, sichtlich zufrieden mit ihrer neuen Platte "Breakin' Point".

Für "Breakin' Point" habt ihr mit vielen, ziemlich beschäftigten Produzenten zusammengearbeitet (u. a. Paul Epworth, Emile Haynie oder Pontus Winneberg). Wie seid ihr an sie herangekommen?

Peter: Es gibt verschiedene Geschichten, aber im Grunde haben wir uns einfach an sie gewandt. Die meisten schienen Fans von uns zu sein, also war es gar nicht so hart, wie man denken könnte. Schwerer als der Kontakt war der Teil, in dem es darum ging, der richtigen Person den richtigen Song zu geben.

Wonach habt ihr denn entschieden, welcher Produzent welchen Song macht? Ich stelle mir den Prozess mit so vielen verschiedenen Produzenten und Stilen schwer vor. Wie lief die Arbeit ab?

Björn: Wir machten viel selbst, wir legten ihnen nicht nur eine Fantasievorstellung in den Schoß. Wir fragten uns, was ein Produzent zu einem bestimmten Song beitragen könnte. Das merkt man, wenn man sich ihre früheren Alben anhört. Das funktionierte gut. Es wäre wahrscheinlich schwieriger gewesen, wenn wir ohne etwas in den Händen zu ihnen gekommen wären.

Peter: Die Kompositionen waren zu 95 Prozent fertig, nur die Arrangements und Produktion veränderten sich noch sehr.

John: Peter sagte in einem anderen Interview, dass es wie bei einem fast fertigen Gemälde oder einem Schwarz-Weiß-Foto war.

Peter: Wie bei einem sehr gut gemachten Schwarz-Weiß-Foto. Die Leute fingen dann an, Farbe darauf zu spritzen.

John: Wir suchten sozusagen für jeden Song aus, welche Farbe er benötigte. Das machte den Prozess inspirierend und spaßig. Wir brauchten die Extraportion Farbe, damit jedes Stück heraus sticht.

Peter: Und um Dinge zu tun, die wir normalerweise nicht tun. Wir suchten frische Ideen.

Welcher Produzent hat euch dabei am meisten inspiriert?

Björn: Es war cool in Paul Epworths altes Studio zu gehen, das ein altes Kirchen-Studio war, in dem die Eurythmics aufgenommen hatten. Das war einfach mal etwas ganz anderes. Trotzdem arbeitet er in gewisser Weise so wie wir. Er folgt keinem alten Stil, sondern einem modernen, nur mit dem guten alten Getriebe. Das war cool und inspirierend.

Welche Songs habt ihr mit ihm gemacht?

Peter: Vier Stück: "Dominos", "A Long Goodbye", "Hard Sleep" and "Nostalgic Intellect". Ich mag sie alle sehr gerne, daran ist aber vielleicht nicht nur er Schuld.

Ich muss zugeben, dass ich, als ich "Dominos" zum ersten Mal gehört habe, nicht unbedingt erkannt hätte, dass er von euch ist. Das klingt schon anders als früher.

Peter: Ich schätze, der Song hat mehr von Soul/Disco.

Björn: Echt? Mir haben Leute gesagt, dass es voll unser Song ist, nur sehr cool und modern. (lachen alle)

Peter: Er ist ein bisschen anders - da stimme ich zu - aber auf eine gute Art. Er ist eine Weiterentwicklung.

John: Man kann Referenzen auf unsere Vergangenheit heraushören. Es gibt zum Beispiel Bongos, ein paar geheime Hinweise, die du als Peter-Bjorn-And-John-Nerd erkennst.

Im Pressetext sagt ihr, dass ihr u. a. durch die Produzenten versuchen wolltet, Popmusik zu machen, die aktuell relevant ist und nicht nur in eurer Fantasie. Das ist mal eine andere Ansage im Vergleich zu Musikern, die sagen, sie machen, was auch immer sie wollen, solange es ihnen gefällt. Seid ihr da mittlerweile desillusioniert und habt es deswegen so probiert?

Björn: Wir haben schon Dinge gemacht, die eine Bedeutung hatten und gleichzeitig genau das waren, was wir machen wollten. Ich denke nicht, dass die zwei Dinge sich bei uns ausschließen.

John: Unsere letzte Platte war ein "Bandalbum" mit Bass, Gitarre und Schlagzeug. Wenn man sie mit einem Film vergleicht, wäre sie eher eine Dokumentation. Man konzentriert sich auf die Charaktere und ihre Umwelt. Wenn das jetzt aber wie ein großer Blockbuster sein soll, braucht man ein paar Cameo-Auftritte. Es ist wichtig, dass der Kerl, der nur für eine Szene reinkommt, genauso wichtig ist wie die Hauptbesetzung. Wir wollten ein größeres Album produzieren. Weil das schwer ist, mussten wir quasi Schauspieler, also die Produzenten, hinzunehmen.

"Wir wollten gut geschriebene, gut strukturierte Midtempo-Popsongs unter vier Minuten."

Hattet ihr nicht Angst, dass ihr euren eigenen Stil verlieren könntet, wenn ihr so viele Produzenten einbezieht?

Peter: Wir waren ja immer noch an allem beteiligt, nur eben – mit Ausnahme von ein paar Fällen – sehr offen für Ideen.

Björn: Als wir anfingen, machten wir mehr mit unseren schwedischen Freunden. Das entwickelte sich weiter, wir hatten die Idee mit den Produzenten nicht von Anfang an. Wir hatten also gar keine Zeit, Angst zu haben.

Peter: Wir mixten die Platte außerdem in Schweden. Das war gut, weil wir mit unserem Mischer Lasse Mårtén arbeiteten, den wir immer zu Hilfe holen. Sonst hätten wir sechs verschiedene Mixer in verschiedenen Städten der Welt gehabt. Das hätte sich wahrscheinlich weniger nach einem Album angefühlt.

John: Seit der letzten Platte sind fünf Jahre vergangen. Für mich ist aufregend, dass wir eine formwandelnde Band sind, nicht wie AC/DC: Du kaufst ein neues Album und du weißt, dass du ein Gitarrenriff hören wirst, sobald es losgeht. Ich liebe das Gefühl, dass du den Knopf am Computer oder CD-Player drückst und überrascht feststellst: "Whoa, das sind Peter, Bjorn and John?". Das sollten Leute immer fühlen, wenn wir etwas veröffentlichen. Es macht Spaß eine Band zu sein, die die Möglichkeit hat, damit zu spielen. Das geht klar, solange die Songs gut sind.

"Breakin' Point" ist dadurch tanzbarer und produktionslastiger geworden als eure Vorgänger. Ihr seid jetzt ja schon seit einiger Zeit in der schwedischen Musikszene dabei, die sich in den letzten 15 Jahren ganz schön verändert hat. Zuerst gab es den Riesenhype um Mando Diao, The Hives usw. Jetzt waren Avicii, Alesso etc. groß. Haben euch die Veränderungen beeinflusst?

Peter: Ja, oder vielleicht haben wir sie beeinflusst. (lacht) Ich denke es war uns wichtig, dass das Album auf Schwung, einen guten Beat usw. baut. Wir wollten gut geschriebene, gut strukturierte Midtempo-Popsongs unter vier Minuten. Also verzichteten wir auf schnellen Punk oder lange experimentelle Lieder. Es ging um Popsongs, wir sprachen über Disco. Disco heißt für uns aber eher 70s/80s, da finden sich viele Referenzen. Wir setzten uns nicht so sehr mit House oder EDM auseinander.

John: Wenn wir unseren Disco-Dance machen, arbeiten wir wie ABBA, indem wir im Studio mit echten Instrumenten spielen. Wir nutzen wenig Software am Computer. Und wir nehmen in unserem selbst-gebauten Studio in Stockholm auf.

Das habt ihr ja sogar an einem Ort aufgebaut, an dem schon ABBA aufgenommen hatten. Darüber hinaus gründetet ihr mit anderen schwedischen Musikern ein Kunstkollektiv namens INGRID. Warum hattet ihr jetzt das Gefühl, das tun zu müssen?

Björn: Wir kamen vom langen Touren zurück und hingen sowieso viel in Stockholm ab. Als wir den Ort für das Studio bekamen, machte es Sinn, zu erkunden, ob man etwas mehr zusammen auf die Beine stellen könnte. Also gründeten wir INGRID unter anderem mit Teddybears, Miike Snow und Lykke Li. Es entwickelte sich weiter: Wir veranstalteten Shows und Partys, druckten Shirts, machten einfach ganz viele verschieden Dinge, die jeder machen wollte. Der Antrieb dahinter war, etwas Neues in der Szene zu starten und kreativer zu sein, indem wir Platten veröffentlichen können, wann immer wir wollen.

"Breakin' Point" ist euer siebtes Album. Warum haltet ihr es für wichtig immer noch Alben aufzunehmen? Durch Plattformen wie Spotify wird das Konzept in der Popmusik ja gelegentlich in Frage gestellt.

Peter: Wir sind da anders, denke ich. Wenn ich einen neuen Künstler finde, der mir gefällt, höre ich immer das Album, selbst wenn es bei Spotify ist. Ich bin einfach kein Playlist-Typ. Zuhause höre ich Vinyls oder CDs. Ich mag die Präsentation, die Ordnung und das Gefühl von etwas Größerem. Auf der anderen Seite sollte der einzelne Song natürlich für sich selbst stehen. Das ist das Gute an den Produzenten. Es fühlt sich nicht so an, als wäre ein Song vernachlässigt worden. Wenn man nur einen Produzenten hat und zehn bis zwölf Lieder macht, gibt es vielleicht welche, die übersehen werden.

Björn: Wir wuchsen mit Alben auf, aber auch mit Kassetten, mit Mix-Tapes oder gebrannten CDs. Das gab es schon immer. Ich schätze, es ist jetzt nur leichter geworden. Das Zusammenstellen geht schneller und man kann die Playlists mit Leuten teilen. Aber so anders ist das für uns auch nicht.

Fassen wir mal zusammen: Ihr habt in eurem eigenen Studio aufgenommen, über euer eigenes Label veröffentlicht und viel bei der Produktion verändert. Inwiefern ist "Breakin' Point" für euch ein Bruch, ein Neuanfang?

Peter: In gewisser Weise ist es genau das. Es ist versierter, aber auf der anderen Seite gibt es noch viele Elemente von unserem früheren Zeug.

John: Wir haben jetzt alle Kinder. Elternsein verändert einen. Du machst andere Musik als zuvor. Man hört das nicht unbedingt. Ich finde es seltsam, weil die Leute sagen, dass Kinder alles andere weniger wichtig erscheinen lassen. Ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Man will seinem Kind zeigen, dass man etwas Bedeutendes tut, mit der Arbeit als Musiker. Wir haben die Messlatte höher gelegt. Wir dachten uns: Wenn wir weiter Alben aufnehmen wollen, müssen sie so relevant und gut wie möglich werden.

"Wir sind ziemlich semi-glücklich."

Auf "Breakin' Point" geht es um klassische Themen: mit Freunden Spaß haben, um die Häuser ziehen, schlechte und gute Tage haben, sich ver- und entlieben. Das sind Themen, die in der Popmusik immer wiederkehren, auch wenn in letzter Zeit ein Trend zum Einmischen und Kommentieren entsteht. Was reizt euch daran, bei klassischen Themen zu bleiben?

Peter: Das ist eine gute Frage. (lange Pause) Ich denke, es gibt in unseren Songs interessante Wendungen, die zuerst nicht so offensichtlich sind. Ich habe in der Vergangenheit gemerkt, dass viele Leute davon ausgehen, dass alle Songs, die wir schreiben, von Liebesbeziehungen handeln, obwohl es vielleicht um Politik, unsere Freunde, Eltern oder die Schule geht. Die Leute vermuten einfach immer, dass es um Liebe geht. Oft stimmt das nicht oder es geht zumindest um eine andere Art von Liebe. Auf diesem Album ist es genauso. Es existieren eine Handvoll Trennungs- oder Liebeslieder. Aber wie John sagt, handeln viele Songs auch vom Kinderhaben. "Pretty Dumb, Pretty Lame" basiert auf der Liebes-/Hassbeziehung mit der Musikindustrie.

John: Ich glaube, das Album als Ganzes ist sehr aussagekräftig für die Art, wie viele Menschen sich heutzutage fühlen, ein bisschen verloren, unsicher, was wichtig ist. Man lebt in einer Stadt, die viel Input und Stress liefert. Das löst Reaktionen und Zweifel in deinem Selbstbild aus. Ich denke, dem Album unterliegt ein Thema. "Breakin' Point" ist ein guter Titel, weil jeder innerlich etwas Zerbrechliches besitzt. Die Spannung kann man in jedem Song spüren. Wenn du es nicht fühlst, ist es auch in Ordnung.

Ich wollte damit auch nicht sagen, dass alles Liebeslieder sind. Der Song "Between The Lines" klingt für mich so, als wärt ihr genervt von Leuten, die nur noch auf Metalevels streiten und kommentieren, statt einfach zu sagen, was sie denken. Habt ihr diesen Eindruck?

John: Das ist vielleicht ein typisch schwedisches Verhalten. (lacht) Aber das bringt es auf den Punkt. Man sieht Leute, die sich so verhalten. Paare, die nicht reden, sondern durch Schweigen kommunizieren und wollen, dass etwas passiert. In Wirklichkeit meinen sie aber etwas ganz anderes. Wir machen das alle viel zu oft.

Peter: Nicht nur in der Liebe, sondern auch in der Band.

Wenn ihr mir das alles so erzählt: Ich denke, die meisten kennen euch durch "Young Folks" und halten euch deshalb für eine eingängige Band. So ein Hit ist sicher super, aber habt ihr auch ein ambivalentes Verhältnis dazu? Fühlt ihr euch missverstanden als Band mit catchy Melodien und Liedern?

Peter: Wir mochten schon immer catchy Melodien und klassische Popsongs. Natürlich denken wir andererseits, dass sie mehr Melancholie beinhalten als, die meisten denken. Es gibt kaum Songs von uns mit fröhlichen Lyrics. Bei "Young Folks" ist es ein bisschen der Fall, obwohl es um Menschen geht, die durch frühere Erfahrungen mit der Liebe ausgebrannt und abgestumpft sind. Aber sie treffen jemand Neuen und sehen das Licht. Wie einige Songs auf "Writer's Block" ist das positiv. Aber unsere meisten Platten drehen sich um negative Dinge. Das neue Album liegt irgendwo dazwischen. Man sollte sich aber nicht zu viel beschweren. Wir haben ein tolles Leben. Wir sind ziemlich semi-glücklich.

Björn: Man kann auch nicht wirklich kontrollieren, welcher Song der große Hit wird. In der Regel sind es die, die Menschen glücklich machen oder ein Lied wie "Happy" (von Pharrell Williams) wird zum Hit. So läuft das eben in der Popmusik.

John: Vielleicht wäre "Happy" ja auch nie so ein Hit geworden, wenn er "Angry" geheißen hätte.

Was macht Peter, Bjorn And John so besonders, dass ihr nach fast 20 Jahren immer noch zusammenarbeitet?

Björn: Uns gefällt es mit neuen Bands, neuen Leuten oder solo zu arbeiten. Aber man kann dabei keiner Sache nacheifern, die schon so lange läuft. Die Chemie zwischen uns, wenn wir zusammenspielen, der Stilmix, das macht Peter, Bjorn And John aus. Mit jemand Neuem kriegst du das nicht umsonst. Daran musst du fast ein Leben lang arbeiten. Das kannst du nicht mit dem Bade ausschütten, auch wenn dir manchmal danach wäre.

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