28. September 2020

"Wenn du nix zu sagen hast, dann halt die Fresse"

Interview geführt von

Cancel Culture und Körperlichkeit, Wackness und Wimmelbilder, Graffiti und "Gloria & Schwefel", ein Pokemon, das keins ist, und ein Tua-Diss, der gar nicht Tua, sondern Yassin und Tarek abwatscht: An Themen mangelt es mit diesem Gesprächspartner nie.

Anlässlich zur neuesten Veröffentlichung des Düsseldorfer Rappers haben wir uns kurz vor Release zum digitalen Gespräch verabredet. Herausgekommen ist ein Gespräch, in dem Vandalismus einen Einblick in den Entstehungskontext von "Gloria & Schwefel" und den dazugehörigen Single-Auskopplungen liefert, die aktuellen Entwicklungen der Deutschrap-Szene kritisiert und über sein künstlerisches und persönliches Wachstum spricht. Ach, ja: Ein bisschen Nerd-Talk gibts auch noch.

Wie kommt der Titel "Gloria & Schwefel zustande?

Das entstammt zwei Redewendungen, "Pech & Schwefel" und "Glanz & Gloria". Ich find' beides sehr wichtig. Einerseits bin ich sehr wortaffin und mag schöne Wörter, sowohl von der Buchstabenfolge, also von der Ästhetik her, als auch vom Klang. Ich bin wie Sookee ein Wort-Nerd, das hat sie, glaube ich, als Tattoo auf dem Finger. [grinst] "Pech & Schwefel" steht dabei für eine gewisse Bodenständigkeit, Dreckigkeit. Auch Loyalität, also jetzt nicht im Kontra K-Sinne. "Glanz & Gloria" steht aber auch für eine gewisse Pompösigkeit, für ein bewusstes Übertreiben, so Elton John-mäßig. Was natürlich auch einen gewissen Narzissmus in sich birgt.

Die beiden Komponenten fand ich jedenfalls sehr gut und habe dann die jeweils zweiten Wörter genommen, weil ich die Wörter schöner finde. "Glanz" finde ich alleine ein bisschen läppsch, "Pech" auch, "Gloria & Schwefel" finde ich einfach unheimlich schön als Wortabfolge. Außerdem wollte ich ja immer die Zweitbesetzung nehmen, um so die Underdogs zu unterstützen. [grinst]

[Da an dieser Stelle die Aufzeichnung kurzzeitig nicht mehr funktioniert hat, ist ein Geplänkel über Gloria von Thurn und Taxis verloren gegangen. Da das aber vermutlich sowieso niemand lesen will, ist das vielleicht auch gar nicht so schlimm.]

Kann man "Gloria & Schwefel" als Fortsetzung von "Freunde Lügen Nicht" sehen?

[Überlegt] Mhhm ... Diskografie-mäßig schon, fürs Gesamtwerk des Künstlers. Ich finde aber schon, dass es eine Veränderung zu "Freunde Lügen Nicht" war. Ein Weitergehen. Kein Schritt, das klingt zu dramatisch. Aber keine Fortsetzung im dem Sinne, dass Themen weitergeführt wurden. Da ich ja noch nie ein Konzeptalbum gemacht habe, kann ich ja auch kein Folge-Konzeptalbum machen. Ich würde es den nächsten Stolperer nennen.

Es fühlt sich so an, als würde man da weiter machen, wo "Freunde Lügen Nicht" aufgehört hat. Ich finde, dass der Vibe im Vergleich zu "Freunde Lügen Nicht" deutlich pöbeliger ist.

Ach, echt? Musikalisch oder textlich?

Textlich. Und auch ein bisschen von der Attitüde her. Ist das gewollt? Oder wo kommt das her?

Ich fand "Freunde Lügen Nicht" vom Sound generell ein bisschen prolliger, battlerappiger. Ich fand das jetzt soundmäßig wieder weniger gefährlich.

Wo das herkommt? Blöde, freche Sprüche habe ich ja auch hier und da immer schon gemacht. Ich glaube, das war so 'ne Entwicklung, als ich mich mit "Freunde Lügen Nicht" sehr gut gefühlt habe und ich da einfach weitergemacht habe, in der Art. Statt wie in früheren Werken dreht es sich ja nicht so sehr um meinen eigenen Keks, sondern beschäftigt sich auch ein bisschen mehr mit der Außenwelt. "Freunde Lügen Nicht" war ja erstmal so ein Schritt. Und der Schritt hat sich im Vornherein, Mittendrin und auch danach sehr gut angefühlt, und dementsprechend ist es jetzt "Gloria & Schwefel" geworden. Vielleicht mit ... Selbstsicherheit wäre jetzt übertrieben, aber so, dass ich gemerkt habe: Das fühlt sich gut an, von hier kann ich jetzt weitereiern.

Das ist auch das, was ich mit pöbelig gemeint habe. Das Album projiziert ein Selbstbewusstsein. Wie du gerade selbst schon gesagt hast, hast du dich auf den Degenhardt-Projekten mit dir selbst beschäftigt. Mit Vandalismus richtest du dich mehr nach außen. Welche Einflüsse von außen inspirieren dich?

Genereller Screenplay, generelles Aufnehmen. Das war vorher schon so und ist jetzt auch so. Meine Wahrnehmung war schon immer ähnlich, bloß habe ich es anders verarbeitet. Das, worüber ich gesprochen habe, war das, was mich emotional beschäftigt hat. Und jetzt sehe ich Dinge und denke mir, da kann und will ich auch was zu sagen, da will ich ein bisschen rumdoktern oder auch mal 'nen blöden Spruch bringen.

Die Thematiken, mit denen du dich beschäftigst, sind, was den Rap-Kontext angeht, schon relativ vielseitig. Gegen Loredana fronten und dann zwei, drei Songs weiter gegen Tua - das spricht nicht unbedingt dieselbe Zielgruppe an.

Da bist du schon die Zweite, die das falsch versteht. Das ist kein Front gegen Tua. Das ist ein Diss gegen Yassin. Der hat in 'nem Interview gesagt, dass er sein erstes Soloalbum schreibt (wobei dieses komische, cheesy Pop-Album rausgekommen ist) und dass er sich bei Tua Unterstützung geholt und sich hat beraten lassen, was denn gute Songs sind und über welche Themen man schreibt. Das fand ich einfach so unfassbar scheiße. Du schreibst dein erstes Solo-Album, du machst seit zehn, zwanzig Jahren Musik, und dann musst du dich schon bei deinem ersten Soloalbum beraten lassen, worüber du schreibst? Wenn du nix zu sagen hast, dann halt die Fresse. Was ist das für 'ne Wackness?

Das ist genau wie bei Marteria, der sich dann auch von irgendjemand hat beraten lassen, wie er Alben für mehr Reichweite schreibt: Was ist denn ein Thema, wo sich auch ein Otto-Normal-Bürger für interessiert? Was über Liebe oder über Zerbrochene oder bla, bla. Finde ich künstlerisch so unfassbar wack. Dann doch lieber Data Luv sein, Alter. Du kannst keine Songs machen, wenn du keine Themen hast. Du kannst schlechte Songs machen, okay. Aber wenn das dann so beschissen wird, bin ich mega abgetörnt. Und dann passiert das nochmal. Ich glaube, Tarek war das, der kurz nach Yassin auch gesagt hat, dass er sich mit Tua zusammengesetzt hat. Ist der jetzt der Big Teacher oder was? (lacht) Wie gesagt, nix gegen Tua, der ist sehr cool.

Geht die Kritik an Loredana dahingehend in dieselbe Richtung?

Nene, das ist was anderes. Der Loredana-Diss ist auch kein direkter Loredana-Diss, sondern eher: Ich disse Loredana, weil Loredana nicht genug gedisst wird. Was, wie ich finde, sein sollte.
Es sollte eine stärkere Kritik an Menschen stattfinden. Eine Diskurskritik. Mir fehlt, dass Hiphop.de bei einem Interview mit Loredana vorher sagt: "Sach mal, was geht eigentlich bei dir? Erklär' mir das jetzt bitte." Oder Majoe. Es gibt inzwischen sehr viele gute Artikel über Sexismus im Rap oder über Judenfeindlichkeit. Das ist jetzt nicht abwertend gemeint, aber das ist immer 'ne gute Hausarbeit von 'nem Rap-Journalisten, die findet einmalig statt. Das passiert einmal im Jahr oder einmal in drei Jahren oder überhaupt zum ersten Mal. Dann legt man das beiseite und dann kommt die nächste Rin-Headline, die nächste Majoe-Headline, die nächste Farid Bang-Headline oder 187. Das finde ich zum Kotzen.

Ich bin aber auch etwas kritisch mit dieser Cancel-Culture. Ich finde teilweise kritisch, dass gecancelt wird. Da müssen wir gut aufpassen, damit wir nicht auch Rassisten werden. Das sind nämlich auch rassistische Strukturen, zu sagen, du hast das und das gesagt, du bist raus, und zwar für immer. Erstmal hat jeder das Recht auf 'nen Fehler-Quotienten. Wie beispielsweise bei Retrogott, der sagt, früher gehörte das dazu, "schwul" als Beleidigung zu sagen, jetzt sehe ich das anders. Jeder Mensch darf sich entwickeln. Jeder Mensch darf auch mal Scheiße bauen, in 'nem gewissen Rahmen. Man muss auch mit kontroversen Menschen erstmal versuchen zu reden. Wenn dann aber keine Auseinandersetzung stattfindet, wenn ich dann 'ne Loredana oder 'n scheiß Bonez MC im Gespräch habe, und ich frag' die nicht: "Was soll das?" Das finde ich scheiße. Den Versuch würde ich wenigstens starten. Man kann auch 'nen Sinan-G mal einladen und es versuchen.

Ich verstehe den Punkt, den du rüberbringen willst. Man könnte auf der anderen Seite aber auch kritisieren, dass du dir für deine Kritik die einzige Frau rausgepickt hast.

Ne, ich mach' das gegen alle. Ich hab' Farid gedisst, ich hab' das Rin-Cover mit nem Galgen gepostet, ich hab' Ewa-CDs zerbrochen und gepostet. Ich sprech' mich gegen jede Scheiße aus, die ich als Scheiße empfinde. Ich bin Prezident sehr kritisch gegenüber getreten in 'nem Interview. Ich versteh' die Schwierigkeit mit #boykottloredana. Ich persönlich zieh' mir den Schuh aber nicht an, weil ich mich auch gegen andere Leute positioniere. Im Rahmen meines Dissens ist das gleichberechtigt. Sie wird genauso kritisiert, wie ich andere Leute kritisiert habe.

"Ich bin im Rap härter geworden und im Graffiti weicher"

Lass' uns mal übers Cover reden. Du hast gemeinsam mit deinem Grafik-Designer Fabian von Ungleich im Grafik-Magazin "Page" ein Interview übers Cover geführt. Wie kams denn dazu?

Erstmal hab ich den Fabian über Instagram kennengelernt. Er hat auch ein Asia-Faible, das war mir direkt sympathisch. Er hatte sich früher schon mal angeboten, da stand aber gerade nix zur Debatte. Für "Gloria & Schwefel" hatte ich ihn einfach nochmal angeschrieben. Er war mega nice, sowohl nett als auch ein richtig guter Zusammenarbeiter, der mich dann auch erträgt. Ich kann schon auch ein bisschen nervig sein. Fabian macht automatisch immer Videos zu den Artworks, und dann sind meine Managerin und Audiolith mit dem Video ein bisschen hausieren gegangen. Dann hat Page das aufgenommen, die ja auch relativ renommiert sind. Naja, und dann haben wir da noch 'ne Single druntergepackt, weil ich das Video zu schade für einfach nur Instafeed fand.

Es gab ja zum "Handbuch des Giftmischers" bereits ein Wimmelbild-Cover. Gibt es da eine Verbindung?

Der einfachste Grund: Weil ichs mag. Ich mag Cover, auf denen es was zu entdecken gibt. Ich mag aber auch simple Sachen. Welches ist denn eigentlich dein Lieblingscover?

Ich glaube tatsächlich "Freunde Lügen Nicht". Ich bin großer Fan von der Frau und dem Eisbär.

Cool. Mein Lieblingscover of alltime ist das von "Harmonie Hurensohn III", mit dem Imitat-Elvis. Ich mag Fotos sehr gerne und ich finde, das hat so viel Deepness und so viel Geilheit und Schönheit und Traurigkeit in einem.

Jedenfalls hab' ich ja meistens entweder ein Foto-Cover oder ein mega Artwork-Cover. Ich mags auch einfach sehr knatschig, sehr bunt. Das "Giftmischer"-Cover war ja eigentlich eher düster, hatte aber auch Gemütlichkeit. Als ich beim neuen Cover gemerkt habe, dass wir zu nah ans "Giftmischer"-Cover kommen, habe ich das Farbkonzept nochmal komplett umgeschmissen. Anfangs haben wir einfach Elemente genommen, die ich gut fand. Mit der Vogelscheuche fing das an. Mit der Zeit wurde es doch etwas wimmeliger, weil ich es natürlich auch feier', da möglichst viel reinzustopfen. Bin ja ein großer Easter Egg-Fan, also, dass man immer Sachen entdecken kann, sowohl im Sound als auch in den Bildern. Da bin ich dann ein bisschen zurückgerudert und wir haben mehr Freiflächen gelassen. Der Himmel ist ein jetzt größer und das Farbkonzept auch richtig knatschig. Es passt einfach auch zu meinem Konsumverhalten: Asia, Toy-Collector, so ein bisschen wie eine mega überpsychte Spielzeug-Verpackung.

Hast du ihm Schritt für Schritt Elemente zugeschickt oder hast du vorher schon gesammelt und ihm dann dein fertiges Konzept hingelegt?

Ich habe 'ne grobe Skizze für den Aufbau gemacht. Ich habe ja auch mal Mediengestalter gelernt und habe ein Faible für den Aufbau und Struktur. Das habe ich ein bisschen vorgegeben, mega dilettantisch skizziert. Und dann habe ich ihm einfach nur random Schlagworte und Elemente gegeben. Teile hat er auch selber hinzugefügt. Das hat auch meistens ganz gut gepasst.

Ich habe in dem Interview auch gelesen, dass eigentlich alles eine Bedeutung hat, was da drauf ist. Bei ein paar Sachen habe ich mich schon gefragt: Was könnte da jetzt dahinter stecken? Zum Beispiel bei dem Schwan.

Es gab schon mal ein Artwork mit so 'nem mega geilen Schwan, mit Ketten und Kronen. [Auf dem Giftmischer-Cover, Anm. d. Red.] Ein Schwan steht für 'nen gewissen Oldschool-Edel, eine Schönheit und Ästhetik und Romantik, ohne voll überdreht zu sein.

Vorne links ist dann noch etwas drauf, das sieht aus wie das Glöckchen der Lindt-Schokolade. Was hat es damit auf sich?

Ich glaube, das gehört zu 'ner Katze dazu. Jetzt muss ich mir das Cover selber nochmal angucken. [...] Achso, da oben die Glocke. Die ist, glaube ich, bei Studio Ghibli bei so 'ner Katze mit dran. Hier gehört die zu der Marionette dazu und steht ein bisschen für das Narren-Ding.

Ah, okay. Dann fand ich diese Nebulak-Figur noch merkwürdig, hinten links.

Das ist kein Nebulak, das ist aus 'nem heiß geliebten Comic von mir adaptiert. Das ist ein Isz, von "The Maxx" von Image. Ich bin mega "The Maxx"-Fan, kennst du das? Das lief auch mal auf MTV, das sind einfach die besten Comics der Welt. Das sind so kleine, weiße Viecher, die überall rumgepsycht sind und alles gefressen haben.

Ich hätte schwören können, dass das ein Pokemon ist. Und ich habe mich schon gefragt, warum du dich ausgerechnet für ein Nebulak entschieden hast?

[Lacht] Ne, wenn dann wärs 'n Relaxo.

Ich tippe mal, dass der Bolzenschneider vorne rechts auf deine zweite Leidenschaft anspielt?

Ja, der kommt auch textlich mindestens zweimal vor, wenn nicht sogar öfter. Zum Beispiel bei "Schrottplatz der Kuscheltiere" sage ich: "Bolzenschneider steht für mein platonisches Gewissen". Es flirtet auch ein bisschen mit dem Anarchie-Ding. Also, es spielt jetzt nicht nur rein aufs Graffiti-Ding an, aber klar, dafür liegt er halt in meinem Auto. [lacht]

Das Malen war ja schon früher präsent bei dir, es bekommt jetzt allerdings mehr Raum. Unter anderem ja auch im Video zu "Rapmusik im Straßengraben". Wie ist das so, wenn man sich beim Malen filmen lässt?

Das ist okay. Ich bin ja sonst eher gewohnt, alleine unterwegs zu sein. Aber ich habs auch einfach ein bisschen ausgenutzt und bin an so ein paar Stellen gefahren, wo ich eh hinwollte und wo es mal ganz gut ist, wenn jemand dabei ist. Ich hab an dem Abend ja nur etwas ausgebessert oder Sachen angefangen. Ich glaube, ich habe an dem Abend nur einmal ein richtiges Bild gemalt. Sonst hätte der arme Maxim [Maxim Dean, Anm. d. Red.] ja immer 'ne Stunde pro Szene warten müssen, das wäre dann vielleicht ein bisschen viel gewesen.

Aber wir haben direkt noch Bullen-Stress bekommen an dem Abend. Kaum mache ich mal was Halbseriöses, kriegen wir direkt Bullenalarm. [lacht]

Oha. Mit Konsequenzen?

Nene, gar nicht. Wir waren ja halbwegs seriös unterwegs. Aber wir waren wohl in der Seriösität so auffällig, dass in so 'nem kleinen Scheisskaff rund um Düsseldorf um zwei Uhr nachts irgendein besorgter Anwohner die Bullen gerufen hat. Wir mussten dann mega lange mit denen diskutieren warum ich denn 'ne Tasche mit 28 Dosen dabei habe und 'ne Kamera und das ganze Auto voller Dosen, Bolzenschneider und Farbe. Da waren die ersten zwei Stunden vom Videodreh schon mal verballert. Früher hab ich das ja eher bewusst rausgehalten. Hätte ich gar nicht so gesehen, dass das da schon aufgetaucht ist.

Zumindest haben wir im letzten Interview schon mal drüber gesprochen. Genau darauf wollte ich aber hinaus: Deine Künstlerpersonas verschmelzen mehr miteinander, als das noch bei Degenhardt der Fall war.

Ich habs jetzt ein bisschen mehr zugelassen. Früher wollte ich da 'ne klare Trennung.

Ist diese Trennung jetzt nicht mehr vonnöten oder nicht mehr gewollt?

Früher hats nicht so reingepasst. Was ich in der Mucke rausgelassen hab', hat nicht zu der Person gepasst, die nachts doch sehr aggressiv unterwegs gewesen ist. Jetzt hat sich aber meine Herangehensweise ans Malen verändert. Es ist komplett gegenläufig, ich bin im Rap härter geworden, und im Graffiti weicher, und vorher wars genau andersrum. Also weicher, im Sinne von dass da nicht mehr so diese hooliganmäßige Attitüde ist. Deswegen ist das nicht mehr so toxisch für mich, und mein Rap dafür jetzt ein bisschen prolliger. Das trifft sich jetzt also genau in der Mitte.

"Ich weiß nicht, ob man über das Thema sprechen kann, ohne die Gender-Bubble aufzumachen"

Du hast auf dem Album auch einen schönen Kontrast zu der Pöbel-Proll-Attitüde, die unter anderem in "Maskulina" rauskommt. Ich persönlich finde, dass das das stärkste Video ist. Ich habe mich allerdings gefragt: Warum zur Hölle dreht ihr in einem Muskel-Pulver-Shop?

Um eine schöne visuelle Umsetzung des Themas zu haben. Es war gar nicht so leicht, dazu eine Video-Idee umzusetzen. Mir war schon klar, dass ich das gerne als Single haben wollte. Nicht als erste Single, damit das nicht instrumentalisiert rüberkommt, aber es war mir schon wichtig. Es hat halt sehr schöne Bilder geliefert und natürlich thematisch auch gut gepasst.

Warum war es schwer für das Thema eine passende Umsetzung zu finden?

Wie setzt man das Thema gut visuell um? Ist klar, dass das jetzt kein Video sein würde, wo man irgendwo steht und einfach in die Kamera rappt. Eigentlich hätte ich gerne ein richtiges Story-Video zu "Maskulina" gehabt. Aber erstmal ist das in Corona-Zeiten sehr schwierig. Dann hatte ich so ein paar Ideen-Ansätze, aber die habe ich nicht abgerundet bekommen. Ich wollte eigentlich erst nur mit Frauen arbeiten, damit im Video dann nur eine Frauengeschichte erzählt wird. Da hat mir dann meine Frau von abgeraten: Warum soll ich 'ne Frauengeschichte erzählen, wenn ich doch selber 'nen Song mache, der um Männlichkeit geht? Das habe ich dann auch verstanden. Und dann war das das einzige, was ganz gut gepasst hat und was übrig geblieben ist.

Du hast ja schon angedeutet, dass "Maskulina" das alles beherrschende Thema in deinen Interviews bisher war. Das verstehe ich. Ich finde aber auch, dass die Thematisierung deiner weiblichen Seite auch früher schon vorgekommen ist, vielleicht aber auch durch diesen etwas pöbeligen Kontrast nochmal stärker rausgekehrt wird. Dazu ist die Line "Ich hab' mich weder als Mann noch als Frau gefühlt" durchaus gesellschaftlich aufgeladen. Hast du das bewusst nochmal stärker betont?

Ne. Ich hab eigentlich auch versucht, zu vermeiden, gängiges Vokabular zu benutzen, um da nicht dilettantisch oder übergriffig zu wirken und auch wirklich nur aus meiner Sicht zu schreiben. Am Anfang hatte ich da noch was mit queer drin, aber das habe ich danach bewusst rausgestrichen.

Du wolltest also nicht die Gender-Bubble aufmachen?

Das war schon klar, dass das die Gender-Bubble ein bisschen aufmacht. Ich weiß nicht, ob man auch über das Thema sprechen kann, ohne die Gender-Bubble aufzumachen, weil der Song ja um Gender-Rollen geht. Das war schon gewollt, spricht aber eben nicht auf die aktuelle Szene und Entwicklungen an.

Sondern halt auf deine subjektive Wahrnehmung.

Genau. Es war einfach nur aus meiner Sicht, genauso hätte ich den Song auch auf dem ersten Album schon schreiben können. Aber - naja, trauen ist jetzt das falsche Wort, das klingt so, als ob ich vorher nicht wollte. Ich hatte früher Angst, dass so ein Song berechnend oder instrumentalisiert rüberkommt. Ich habe auch früher nie politische Sachen geteilt oder mich positioniert. Da war 'ne große Hemmschwelle. Und jetzt ist es mir scheißegal. Ich denk' mir: Vielleicht ist das was Gutes, vielleicht hilft es irgendjemandem. Auch im Social Media-Ding, ist das jetzt cool für mich. Ich war auf Black Lives Matter- und Fridays for Future-Demos und hab' auch was von da gepostet. Ich hadere normalerweise sehr stark, und jetzt zu sagen: Ich zieh' auch 'nen Trans-Rights-Pulli an, weil ich mir den gekauft hab', weil ich das vertreten will, ist ein schönes Gefühl. Also, einfach auf die eigenen, knechtenden Zweifel sich selbst gegenüber mal komplett scheißen zu können. Ist mir kackegal, ob das jemand falsch versteht oder meine Einstellung in Frage stellt. Mir gehts sehr gut.

Ich finde "Gloria & Schwefel" ist thematisch kontrastreich. Einerseits natürlich wegen der Auseinandersetzung mit dir selbst, die ein bisschen sanfter wirkt (im Vergleich zu früher), andererseits wegen der Auseinandersetzung mit dem Außen, die hart und aggressiv ist. Ich finde aber trotzdem, dass die Songs, auch im Vergleich zu vorherigen Alben, in sich stringenter wirken und ein bisschen strukturierter. Was man vielleicht auch an den gesungenen Hooks erkennt.

Macht das 'ne Stringenz aus? Das interessiert mich jetzt sehr. Was bedeutet für dich Stringenz?

Es wirkt strukturiert, klar im Aufbau. Erstens ist es keine bloße Ansammlung von Songs, es fühlt sich an, als gäbe es einen roten Faden. Ohne dass es gleich um ein Konzeptalbum handelt. Es wirkt einfach stimmig, und ich finde schon, dass die Songs klarer in ihrer Aussagekraft wirken und dadurch auch klarer im Konzept. Hast du dir darüber Gedanken gemacht?

Ne, das ist, glaube ich, eher eine Entwicklung. Ich hätte mich früher nie getraut, 'ne Hook zu singen. Beziehungsweise ist es ja eher so 'ne Art Singen.

Ich wollte gerade sagen: Es gab noch keine gesungene Hook von dir, oder?

Doch, es gab eine, die ist aber irgendwie untergegangen. Die war auf "Otaku Shore" auf dem "Giftmischer"-Album. Früher habe ich für Hooks sanfte Musik gesamplet, Alanis Morissette und andere Damen, zum Beispiel. Auch über Adlibs. Ich hab' früher beim Rekorden immer mal die Parts ganz normal aufgenommen und hab' dann irgendwann versucht, so Harmonien hinzubekommen, oder einfach bisschen rumprobiert. Vorne 'ne aggressive Stimme und drunter 'ne ganz dunkle Stimme oder was Verqueres, oder hab' das nur gesprochen, so dass das dann ganz sanft ist. Dann hab' ich auch immer mal probiert, bei den Hooks ein bisschen drunter zu singen. Und jetzt trau' ich mich langsam und merk': So scheiße klingts gar nicht.

Auf jeden Fall, steht dir sehr gut zu Gesicht und trägt auch dazu bei, dass die Songs richtig gut ins Ohr gehen.

Naja, rumprobieren halt, es soll ja Spaß machen. Und 200 Mal das Gleiche zu machen, ist auch lahm. Das heißt aber nicht, dass ich 'ne ruhige, harmonische Hook besser finde als 'ne hart gerappte Hook, die voll nach vorne geht. Abwechslung und abgehen.

Noch ein First, oder zumindest glaube ich, dass es noch ein First ist, ist der Instrumental-Track von den Kamikazes, "Plan B".

Ja, der hat sich ergeben. Ich fang' so seit vier Alben immer über die Auswahl der Beats an. Ich sammel' erst Beats und pick' mir dann die sieben bis zwölf raus, die mir am besten gefallen. Dann fange ich an, die Texte zuzuordnen und das auszuarbeiten. Und den Beat von Kamikazes hatte ich die ganze Zeit dabei, aber ich bin auf den nicht klargekommen. Da ich das auch so als Hip Hop-Head total gut finde Instrumental-Sachen zu haben, habe ich gesagt, machen wir den einfach so drauf.

Ich finde, man kann das durchaus als Statement werten, dass du auf deinem Album den Platz dafür lässt, damit auch deine Producer Raum bekommen.

Ist auch genauso als Statement mit dabei. Auch früher schon, mit meinem Haus- und Hof-Producer [Hiro MA/Mr. Nagatomi, Anm. d. Red.], hab' ich gesagt: "Ey, geil, mach' den hier nochmal länger und lass' den einfach mal laufen. Bei alten Sachen läuft hinten auch mal noch 'ne Minute Instrumental. Der Kamikaze-Beat ist Killer, warum also hier nicht auch mal den Produzenten den Spotlight geben? Da bin ich Fan, und Supporten ist auch immer wichtig.

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