laut.de-Kritik

Dagegen wirkt Lady Gaga wie eine einfallslose Langweilerin.

Review von

So viel Aufregung um ein paar rockende Mädels mit Gitarren gab es schon lang nicht mehr. Babymetal polarisieren gewaltig, mischen die Hartwurstszene ordentlich auf und fördern sogar bei metallischen Urgesteinen nicht unbedingt die feinfühligsten, dafür aber recht degradierende Kommentare zu Tage. Als "kranken Scheiß" kanzelt Kollege Edele etwa die Band im Metalsplitter gnadenlos ab. Jetzt lassen die Japanerinnen einfach Taten sprechen und veröffentlichen in Europa ihr gleichnamiges Debüt.

13 Songs lang plus zwei Bonustracks (ein Livetrack sowie ein Lied mit Dragonforce) geben Su-Metal, Yuimetal und Moametal die Antwort auf dem Platz. Das knackige Hörerlebnis entpuppt sich als hochmoderner Crossover-Cocktail der abgefahrenen Art und entlarvt die schnöde Diskussion als genau jene selektive Bigotterie, die sie in Wahrheit ist.

Denn sind wir ehrlich: Die Hardrock-Girlgroup The Runaways (u.a. Joan Jett und Lita Ford) waren teilweise noch keine 16 Jahre alt, als es losging. Die Grunge-Kultkapelle Silverchair und der popkulturelle Straßenfeger Tokio Hotel ebenfalls. Es geht mithin um den Inhalt der gelieferten Musik.

Viel spannender ist dementsprechend die Frage, wie man es von null auf hundert schafft, so unterschiedliche Leute wie Lady Gaga oder die Grannymetalkollegen Metallica und Slash samt ihrer komplett unterschiedlichen Fanlager gleichermaßen zu überzeugen? Die Antwort ist einfach: Fast alle Tracks der Platte verbinden Stile und Genres so zwanglos und unangestrengt miteinander, dass die anfängliche Irritation recht schnell in Verzückung umschlägt.

Große Teile des Reizes dieser Platte bestehen darin, zu hören, wie Babymetal gleich mehrere Käfige sprengen. Einerseits befreien sie sich mit den derben Metal-Elementen - von Death über Metalcore bis zu klassischem Heavy - aus den engen Grenzen des japanischen Idol-Pop (Aidoru) und bürsten die in Japan traditionell erwartete reine Niedlichkeit damit räudig gegen den Strich. Andererseits nutzen sie hochmoderne Pop-Elemente - plus Hiphop bis Crunk plus allerlei Elektro-Getüdel - um den traditionellen Metalhead zu irritieren. Letzterem fällt dabei entweder das Brett vom Kopf, oder die Musik verhagelt ihm gehörig das Bier. Beides ist gut.

Sowohl handwerklich als auch in puncto Kreativität steckt das Trio samt Begleitband auch gestandene Rocker aus der Heimat locker in den Schatten. Superstars wie Hyde (Takarai Hideto) und K.A.Z. (Iwaike Kazuhito) bieten mit ihrer in Ostasien hochverehrten Kapelle Vamps auf dem aktuellen Album "Bloodsuckers" miesen Gesang und ideenlosen Brei. Ausgerechnet diese Teenager haben auf "Babymetal" in jedem Song mehr Melodien und bessere Vocals zu bieten.

Letztere transportieren inmitten dieser Orgie aus Elektrobeats, fetten Drums und Stakkato-Gitarren zwischendurch perfekt gesungene Poprefrains. Manche schlagen hie etwas in Richtung des typischen 60ies Bubblegum-Pops aus und dort ein wenig gen traditionell japanische J-Pop-Struktur ("Megitsume", "Gimme Chocolate!!"). Die entstehende wilde Stilmixtur samt eingebauter Catchyness entwertet sogar derzeitige Popgöttinnen wie Lady Gaga zu einfallslosen Langweilern. Sogar Madonna sieht mit ihrem bemüht auf bitchy getrimmten "Rebel Heart" haargenau so alt aus, wie sie tatsächlich auch ist.

Qualitätsdichte und Unterhaltungswert beeindrucken - ein paar Tracks stechen dennoch heraus. "Akatsuki" bedeutet in etwa Blutmond. Schon das Durutti Column ähnliche Gitarrengeklingel zu Beginn macht Laune. Dazu gesellt sich zunächst ein fettes Riff und später als heimlicher Hauptdarsteller ein Piano, so perlend wie man es von Savatages "Gutter Ballet" kennt. Die Gesangslinie kommt eingängig und komplex zugleich. Es klingt ein wenig und sehr angenehm wie manch japanischer "Kill Bill"-Soundtrack-Moment im Hardrock-Kontext.

"Song 4" kombiniert allen Unernstes tatsächlich typisch amerikanischen Cheerleader-Pop mit Growls, bevor ein überraschender Reggae-Part den Hörer endgültig zum Lachen bringt. Im Gegensatz zu vielen Klischeemetalcombos kommt das Gelächter hier jedoch freiwillig. Man lacht gern mit Babymetal - und nicht über sie.

Auch das atmosphärische "Rondo Of Nightmare" gelingt bärenstark. Evil Geballer trifft auf ein nahezu puristisch japanisches Gesangsthema, bei dem die Stimme Su-Metals glänzt. Dazu bieten sie einen dramaturgisch perfekt gezirkelten Spannungsbogen mit effektiv eingesetztem Piano. Zum Abschluss gibts auf "Ijime, Dame, Zettai" ("Kein Terror Mehr") noch die volle Powermetalbedienung. Ein Song so energetisch und frisch wie ihn Urväter à la Helloween seit gefühlten Jahrhunderten nicht mehr zustande kriegen.

Mit typisch japanischer Unbekümmertheit in Darbietung und Stilmischmasch gewinnen Babymetal somit auch popkulturell auf ganzer Linie als Samurai-Metal. Bodycount vereinte Metal und Hiphop, Boa versöhnte Metal mit den Indieheads, Tenacious D holte die Komik ins Boot und Scott Walker brachte dem Genre die große Avantgarde-Splatter-Oper.

Mit dem wiederbelebenden "Babymetal" kommt nun endlich noch das fehlende Puzzleteil Pop ins Haus der alten, harten Tante. Wenn eine Platte auf dem knochigen Sonisphere-Festival genauso gut funktioniert wie als Provokation im Kinderzimmer, haben die Beteiligten alles richtig gemacht. Babymetal: "Wir haben viel von Metallica gelernt!". Saubere Leistung.

Trackliste

  1. 1. BABYMETAL DEATH
  2. 2. Megitsune
  3. 3. Gimme Chocolate!!
  4. 4. Iine!
  5. 5. Akatsuki
  6. 6. Doki Doki Morning
  7. 7. Onedari Daisakusen
  8. 8. Song 4
  9. 9. Uki Uki Midnight
  10. 10. Catch Me If You Can
  11. 11. Rondo of Nightmare
  12. 12. Head Bangeeeeerrrrr!!!!!
  13. 13. Ijime, Dame, Zettai
  14. 14. Road of Resistance (feat. Dragonforce) (BONUS TRACK)(CD)
  15. 15. Gimme Chocolate!! (Live at O2 Academy Brixton, London) (BONUS TRACK)

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25 Kommentare mit 82 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    Vielen Dank für die Rezension, da sie größtenteils auf die Musik eingeht! Hätte ich nach den unpassenden Formulierungen im Metallsplitter von laut.de nicht erwartet,bin positiv überraschst, weiter so!

  • Vor 3 Jahren

    Sehr schöne Rezension eines wirklich erstaunlich unterhaltsamen Albums. Und ziemlich traurig, wenn man einige der verbiestert und fast schon verbittert klingenden Haterstimmen hier liest. Dafür wäre mir meine Zeit und Energie zu schade, mich über Musik, die ich nicht mag, zu echauffieren. Man muss natürlich sagen, dass die Studioaufnahmen von Babymetal im Vergleich zu ihren Liveauftritten verblassen, die wirklich phänomenal, energiegeladen und maximal unterhaltsam sind (man schaue sich mal Headbanger in der Version "Legend 1997" an). Kein Wunder, dass sie inzwischen weltweit erfolgreich sind und ja auch viele Metalheads (und andere Metalbands) längst überzeugt haben. Da sind ihnen ein paar olle Meckerpötte in Deutschland sicher egal. ;-)