laut.de-Kritik

Porcupine Tree sind tot, es lebe The Pineapple Thief.

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Der Vorgänger "Magnolia" strotzte nur so vor populären Einflüssen und weltumspannenden Melodien. Ein Versuch, bei einem breiteren Publikum Fuß zu fassen? Möglich, dass darin Bruce Soords Intention bestand. Doch wenn es eine Konstante im Werdegang von The Pineapple Thief gibt, dann heißt diese: Veränderung. Was von dem eingeschlagenen Weg auf "All The Wars" und "Magnolia" bleibt, sind die klaren Songstrukturen. Das Klangbild könnte jedoch unterschiedlicher kaum ausfallen.

Ein häufig genannter Kritikpunkt lautet,
dass es der Band an Eigenständigkeit mangele und der Sound eben nicht mehr als die Summe der einzelnen Teile bestehend aus Radiohead, Porcupine Tree oder Muse darstellt. So setzt Soord mit seiner nach dem Ausstieg von Drummer Jon Osborne zu einem Trio geschrumpften Band auf die Kunstmusik-Karte, auf der Prog, Ambient, Artrock und Minimal Music tonangebend sind. Mit dem Longtrack "The Final Thing On My Mind" emanzipiert sich die Band endgültig und stellt ihre Klasse unter Beweis.

Weiterhin lässt das Trio auf dem mittlerweile elften Album seine Connections spielen, was zahlreiche Gastbeiträge zur Folge hat. Diese fallen bei vielen Bands belanglos aus und sind nicht mehr als ein weiterer Sticker auf der Platte, um Werbung zu betreiben. Doch weit gefehlt. Wer hier einen Beitrag leistet, hinterlässt auch deutliche Spuren. Allen voran Gavin Harrison (Porcupine Tree, King Crimson, Storm Corrosion), der dem Album seinen Stempel aufdrückt und über die gesamte Spielzeit mit seinem unverkennbaren Drumming punktet. Unverkennbar, weil er stets songdienlich agiert. Jeder Versuch, die Stücke nachzuspielen, würde in verknoteten Extremitäten enden.

Eine eindeutige Parallele zur seit 2009 auf Eis liegenden Ex-Bausstelle von Steven Wilson: Porcupine Tree sind tot, es lebe The Pineapple Thief. Und es gibt weitere deutliche Verweise, wie der eruptive Mittelteil von "Tear You Up", dessen Riffing an "Fear Of A Blank Planet" angelehnt ist. Soords Timbre erinnert ein ums andere Mal an den Träger des schwarzen Prog-Gürtels, toppt diesen jedoch aufgrund der unglaublichen Satzgesänge. Das Sample-lastige, wie einem Science-Fiction-Film auf den Leib geschneiderte "That Shore" ist vertonte Melancholie und genau das, was das zu schwülstige und aufgesetzte "Perfect Life" von Wilsons letzter Platte sein wollte.

Des Weiteren tritt Geoffrey Richardson (Caravan) als Arrangeur von Chor und Streichern in Erscheinung. Darran Charles (Godsticks) spielt ein paar äußerst eindringliche Gitarrenparts. Dennoch sorgt ein anderer für DEN Gänsehautmoment auf dem Album. John Helliwells (Supertramp) Klarinetten-Solo in "Fend For Yourself" markiert den absoluten Höhepunkt in einem an Melodien, tollen Ideen und prächtigen Soundkulissen nicht armen Album.

Themen wie Isolation, Abschied und Ängste bergen trotzdem den Wunsch nach einem Neuanfang. Das gelungene Cover bringt die Ehrfurcht vor dem
Platz in der Natur und der verschwindend geringen Zeit, die menschlichem Leben in all seinen schrecklich-schönen Facetten bleibt, gekonnt auf den Punkt. Die Wildheit, die der Albumtitel suggeriert, ist keine rohe, ungezügelte Form, sondern eine subtile Art des Ungehorsams, über Grenzen hinaus zu denken und seine Veränderungen mit Langzeitwirkung auszustatten.

Das in Deutschland besonders ausgeprägte Geiz-Männchen im Kopf führt bereits bei einem Blick auf die Fakten der neuen Pineapple Thief-Platte seinen
Rumpelstilzchen-Tanz auf. 40 Minuten, acht Lieder, von denen beim ersten Durchlauf wenig hängenbleibt. Und das soll Progrock sein?

Man muss diese Platte in Ruhe genießen. Stundenlang auf eine weiße Wand starren, die Birne zur Ruhe betten und dazu den Soundtrack für das eigene Leben von Bruce Soord und Co. laufen lassen. Danach fühlt man sich wie geläutert und denkt sich bei einem Blick aufs Weltgeschehen oder nur auf die eigene Straße: Was für eine scheiß Hektik. Welch Ungerechtigkeit herrscht auf dieser Welt. Friede den Hütten, Krieg den Palästen.

Trackliste

  1. 1. In Exile
  2. 2. No Man's Land
  3. 3. Tear Your Up
  4. 4. That Shore
  5. 5. Take Your Shot
  6. 6. Fend For Yourself
  7. 7. The Final Thing On My Mind
  8. 8. Where We Stood

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7 Kommentare mit 14 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Tolles Album, das beste seit "Someone Here ist Missing". Gavin Harrison bereichert die Band an den Drums, es sind ein paar echte Perlen dabei. Dazu gefällt mir das Artwork sehr gut, ich bin äußerst zufrieden über Soord's Rückkehr zum progressiveren Stil. Ich würde ne Wertung um die 4-4,5 / 5 geben.

    "Soords Timbre erinnert ein ums andere Mal an den Träger des schwarzen Prog-Gürtels" sehr schöner Satz :-D, danke für die Rezension!

  • Vor 7 Jahren

    Das Album wandelt sich von Hördurchgang zu Hördurchgang. Beim ersten Hördurchgang fand ichs wirklich wunderbar, tolle Melodien, tolles Album. Beim zweiten Mal hab ich dann gemerkt, wie wenig eigentlich beim ersten Mal hängengeblieben ist und irgendwie war es mir dann im Gesamten etwas zu ruhig. Beim dritten Hördurchgang fühlte sich alles nach Tear you up wie ein einziges gleichförmiges Lied an und ich fing echt schon an es zu bereuen mir das Album gekauft zu haben. Danach ging es jedoch sowas von bergauf und mit jedem Hördurchgang habe ich neue Dinge entdeckt und mit jedem Detail gefiel es mir noch besser.
    Mittlerweile bin ich bei sehr guten 4/5 Punkten angekommen.
    Die Highlights sind für mich No Man's Land, das für mich der Kaufgrund war, hatte die Band davor immer weitestgehend ignoriert, und natürlich Fend for yourself wegen des grandiosen Klarinettensolos. Es lässt sich jedoch sagen, dass keiner der Titel wirklich schlecht ist.
    Die Bonus CD der Earbook Edition "8 Years Later" finde ich im Übrigen sogar noch besser als das Album selbst. Geniales Teil, hätte man locker als eigenes Album releasen können. Ehrlich gesagt sogar sollen! Die 50€ für die Version sind zwar echt ne Menge (der Preis ist jetzt nach Release sogar nochmal um einen 10er gestiegen), aber es ist das Geld wert! Im Gesamtpaket also eine 5/5.
    Den 5.1 Surround Mix, der für mich der Hauptkaufgrund diese Edition war ist übrigens einer der Kategorie "OK, aber reicht locker in Stereo" und bietet leider nicht so viel Mehrwert. Da hätte man mal lieber den Herren mit dem schwarzen Prog-Gürtel ranlassen sollen :D Der kann das nämlich sehr gut wie er mit seinen Remixen und Mixen seiner eigenen Platte bewiesen hat.

  • Vor 7 Jahren

    Offtopic: Lohnt es eigentlich, sich Steven Wilson (insbesondere mit PT) "schönzuhören"? Also findet mensch seinen Gesang irgendwann gut? Seine Musik finde ich interessant, der Gesang hat aber selten Mehrwert und steht für mich eher im Weg. Er bringt mir einfach keine Emotion rüber (außer vielleicht Melancholie) :(

    • Vor 7 Jahren

      Also sich ein Album oder Künstler "schönzuhören" gelingt nach meiner Erfahrung nicht. Entweder es zündet sofort oder nicht. Vielleicht im Abstand von ein paar Jahren also wenn man ein Künstler jahrelang links liegen lässt und dann (vielleicht sogar zufällig) wieder hört.

    • Vor 7 Jahren

      Ich nehme schon seit Jahren immer mal wieder Anlauf mit PT, aber es zündet nicht schnell genug, sodass ich es schnell wieder aufgebe. Hauptgrund dafür ist imo sein Gesang.

      Habe mir damals fast blind seine erste Solo-Scheibe geholt und bin bis heute recht zufrieden mit dem Teil (vor allem dem Titelsong - ein völlig untypisches Stück von ihm), da seine Stimme dort für mich funktioniert/er sie für den Song nutzt. Bei PT wirkt es für mich eher "drangeklatscht".

      Sollte ich mir lieber sein anderes Solomaterial vornehmen?

    • Vor 7 Jahren

      Hm, denke eher nicht. Er ist kein erstklassiger Sänger (aber auch kein schlechter), aber ich höre ihn sehr sehr gerne singen und finde auch nicht, dass er emotionslos singt. überhaupt nicht. Melancholisch auf jeden Fall, aber das schätze ich auch sehr. Ich lege aber auch weniger Wert auf Qualität der Stimme als auf die Originalität der Art zu singen und da brauche ich mir bei ihm nichts schönhören.
      Musikalisch ist SW natürlich oberklasse insgesamt ein abslouter Lieblingskünstler von mir und zurecht Prog-König.
      Schön hören funktioniert aber mMn eher nicht.

    • Vor 7 Jahren

      "Sollte ich mir lieber sein anderes Solomaterial vornehmen?"

      Im Prinzip ist auch alles von Porcupine Tree mehr oder weniger Solo Material. Seine Gesangsqualitäten sind mit der Zeit auf jeden Fall besser geworden, aber eingängiger sind sicher einige Porcupine Tree Alben. Man kann das schlecht über einen Kamm scheren. Seine Solo Alben gehen teilweise in eine völlig andere Richtung, insbesondere Insurgentes. Wenn du mit der Stimme nciht klarkommst (nicht klarkommen willst) solltest du es eher lassen, Steven Wilson klingt überall wie Steven Wilson, musikalisch verpasst man ohne sein schaffen aber einiges wenn man Progressive Musik schätzt.

    • Vor 7 Jahren

      Immer noch total off-Topic, aber egal: War SW nicht ein absoluter Gegner dieser (angeblich) schlecht klingenden Streaminganbieter. Neuerdings gibt es 6 Soloaben von ihm bei Spotify, lediglich bei "Raven" fehlt ein Song.

    • Vor 7 Jahren

      Zu Wilson solo: doch, ist nochmal ne andere Baustelle als Porcupine Tree. Sein Stimmchen hat zwar immer noch die eine Oktave Umfang wie immer, aber er bettet das schon wesentlich besser ein im Gesamtwerk - zumal ein Grossteil der Platte eh instrumental ist. Kann man mögen, muss man nicht, sollte man aber nicht gegeneinander vergleichen.

      Zu Wilson und Streaming: hat er neulich auf Facebook (glaube Mitte Juni) einen ewig langen Text geschrieben, primär ging's darum "mir ist's mittlerweile wurst, wo die Leute meine Mucke hören/entdecken solange sie sie hören/entdecken"

    • Vor 7 Jahren

      Ich weiß nicht, ob das der gleiche Text wie auf Facebook ist, aber dort habe ichs gelesen: http://stevenwilsonhq.com/sw/steven-wilson…
      Der erste Schritt in diese Richtung war ja, dass er damals angefangen hat seine Sachen auch über iTunes zu verkaufen (ich erinnere an die iPods, die er mit Hämmern zugerichtet hat). Und recht hat er mit dem Punkt, dass Leute, die es dort hören entweder reinhören und sich dann die Platte kaufen oder, was meistens der Fall ist, sowieso keine CD gekauft hätten und so seine Musik gar nicht gehört, wenn er nicht auf dem Streamingservice wäre. Dass die Qualität schlecht ist, ist für ihn ja weiterhin der Fall.

    • Vor 7 Jahren

      Probiers mal mit Hand.Cannot.Erase . Das wirkt für mich sehr aus einem Guss und hat einige eingängigere Songs, in denen seine Stimme ganz gut zur Geltung kommt. Namentlich der Titeltrack und 3 Years Older. Für die Melancholiedröhnung geht dann auf jeden Fall noch Routine, am besten mit Video^^ https://www.youtube.com/watch?v=sh5mWzKlhQY

    • Vor 7 Jahren

      So gut gemacht und schön das Video auch ist. Für mich funktioniert der Song ohne Video besser.