Unglaubliche zwei Millionen US-Dollar lässt es sich das britische Kultlabel Ministry Of Sound im Jahr 2002 kosten, um das Debütalbum der Band Fischerspooner zu lizenzieren. Die New Yorker haben zwar außer einem Clubhit ("Emerge") und Auftritten vor maximal hundert Zuschauern wenig vorzuweisen, gehören aber untrennbar zu den Protagonisten einer neuen Hipster-Szene-Bewegung: Electroclash.

In zahlreichen europäischen Metropolen ist das Phänomen längst kein unbekanntes mehr und erobert die Lieblingsclubs und Kleiderschränke der Kids im Sturm. Musik und Mode sind die zu gleichen Teilen stilbildenden Ingredienzien des neuen Genres, das ursprünglich im Herbst 2001 von DJ und Clubbetreiber Larry Tee als Slogan für eine Festivalreihe in New York ersonnen wurde. Renommierte Printmedien wie Rolling Stone, The Face und der Village Voice tragen die neue Wortkreation jedoch ungefragt in die weite Welt hinaus, wo sie als neuer Jugend-Lifestyle zur Landung ansetzt.

Flugs gelten die Namen der auf dem "Electroclash"-Festival 2001 neben Fischerspooner aufgetretenen Bands wie Chicks On Speed, Peaches, Adult oder Crossover als Pioniere des neu entdeckten Genres. Allen gemeinsam ist ein ausgeprägtes, alten Glamrock-Tagen nicht fernes Style-Interesse, das Mode sowie Kunst beinhaltet und sich in teilweise bizarren Live-Performances widerspiegelt.

Auf musikalischem Gebiet verrät bereits der Name, dass Elektronik die Grundlage allen Tuns ist: 80er Jahre Synthie Pop und Italo Disco, aber auch Elemente des New Wave sind unter dem Banner Electroclash willkommen, solange es nur auf eine moderne Weise rockt. Auffällig dabei ist die respektlose, nicht selten amateurhafte und minimalistische Annäherung an die Klangerzeugung, die Ähnlichkeiten mit dem Do-It-Yourself-Geist des Punk herauf beschwört. Statt steriler Perfektion ist denn auch die Trash-Attitüde König: Glamour, Posing, Haarspray, Schminke, Sonnenbrille, Nietengürtel, Sex meets C64, Vocoder, Neonlicht und Roboter-Romantik. Je schriller, desto besser - Ohne den richtigen Look geht nichts.

Dazu gehört in hohem Maße die Kunst: Während Fischerspooner ihre Liveauftritte statt in verrauchten Clubs in sauberen New Yorker Galerien absolvieren, hat sich das Münchner Trio Chicks On Speed gleich auf der Kunstakademie kennen gelernt. Bei ihren Liveauftritten tragen die drei Girls ausschließlich selbst angefertigte Bühnen-Outfits, zu ihren spektakulärsten Kunstentwürfen zählt das "Boob Monster", eine Gummipuppe aus lauter Brüsten. Auftritte bei den Weimarer Kulturhauptstadttagen 1999 und das Engagement Karl Lagerfelds als Cover-Fotograf unterstreichen die gewachsene Szene-Relevanz der Chicks. Der Modezar selbst ist dem neuen Trend ebenfalls nicht abgeneigt und holt sich das belgische Synthie-Duo Vive La Fête als Live-Act zu seiner Chanel-Präsentation.

Referenzen an alte Helden sind im Coolness-Koordinatensystem natürlich willkommen: So behaupten My Robot Friend in einem ihrer Songs ganz frech "We Are The Pet Shop Boys", Miss Kittins "1982" huldigt in Wort und Ton einigen Elektro-Kapellen des besagten Jahrgangs und Ladytron benennen ihre Band nach einem Song von Roxy Music, den offensiv dekadenten Style-Ikonen der 70er Jahre. Das mit Electroclash einhergehende 80er Jahre-Revival holt mit Soft Cell, The Human League, Fad Gadget und DAF auch einige Heroen von damals ins Aufnahmestudio und auf die Bühnen zurück.

Wichtige Alben:

Fischerspooner - "#1"
Ladytron - "604"
Chicks On Speed - "Will Save Us All"
Crossover - "Fantasmo"
Zoot Woman - "Living In A Magazine"
Miss Kittin - "First Album"
Peaches - "The Teaches of Peaches"