laut.de-Kritik

Wider die Genre- und Migranten-Klischees.

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"Ihr hasst mich so richtig, denn diese Kanackin hier, macht sich zu wichtig, ist zu gebildet, sieht zu gut aus, zersprengt eure Kästen muslimischer Frauen." Ebow kommt mit einer umfassenden Agenda daher. Dass Rap femininer und queerer werden solle, rief sie bereits in Interviews aus.

Ihre bildungsbürgerlichen Querverweise in Richtung Frida Kahlo und Caravaggio lassen jedoch erkennen, dass sie dem Genre auch eine ordentliche Bildungsspritze verordnet. Grundsympathisch gibt sich Ebow kulturell vernarrt und ernennt sich und ihresgleichen zu "Fassbinders Kindern, Rio Reisers Schulbank". Ihr selbstbewusstes Statement lautet: "Ich bin Kunst, häng' ab im MOMA."

"Weiß, was ich will, ich wusste es immer. Tupacs Poster hing groß in meinem Zimmer." Im Vergleich zu den Kunstbezügen sind die Hip-Hop-Verweise eher die Ausnahme. Gelegentlich fallen die Stichworte Tupac Shakur und Westcoast-Hip-Hop. 50 Cents "Many Men (Wish Death)" aus seinem Klassiker "Get rich or die tryin'" textet Ebow kurzerhand in "Mini Mes" um. Und auch das obligatorische Savas-Zitat darf nicht fehlen: "Du bist jung und alles in Hektik um dich herum."

Aber mit der Videoauskopplung "Asyl" stellte Ebow Anfang des Jahres ohnehin unter Beweis, dass ihr der Sinn nach größeren Dingen steht. Mit dem im Zuge der Flüchtlingsbewegungen seit zwei Jahren omnipräsenten Thema Integration beschäftigt sich Ebow seit ihren ersten Aufnahmen: "Viele können nicht hier sein im weiten, weiten Westen. Der Antrag ging verloren, der Antrag kam nie an. Ein Kind ist gestrandet, ohne Namen, ohne Land."

Wem die Flucht zu den erwarteten Fleischtöpfen des Westens gelingt, sieht sich einem überheblichen System gegenüber, das völlige Assimilation einfordert: "Lern endlich die Sprache, werd' endlich ein Sklave, vergiss deine Werte, mach Geld oder sterbe." Dabei empfindet sie den kannibalistischen Kapitalismus nicht als allein seligmachend: "Pac-Man frisst das letzte Hemd, also warum die Welt verwestlichen?"

"Punanis machen harte Jungs zu zarten Flowers." Der Feminismus kommt als Ebows zweites großes Thema in "Punani Power" zum Tragen. Im Kopftuchstreit nimmt sie eine Außenseiterposition ein: "Ich trag' ein Kopftuch. Wenn ich will, trage ich zehn übereinander. Wenn ich will, lauf' ich im Mini 'rum, zeig' jedem den Tanga." In den medialen Debatten des Westens neigen die Teilnehmer dazu, das Kopftuch vereinfachend als Symbol der Unterdrückung abzutun. Dabei findet die Diskussion in der Regel politisch motiviert über den Köpfen der Frauen hinweg statt, die somit von beiden Positionen aus bevormundet werden.

Um "Komplexität" nicht vollends verkopft erscheinen zu lassen, reguliert die Münchenerin auf "Das Wetter" oder "1000 Elefanten" die inhaltliche Strenge deutlich herunter: "Es ist Zeit zum Relaxen." Als Rapperin mit Oldschool-Einschlag gibt es dafür ein altbewährtes Rezept, das nicht erst in einer Apotheke gegen ein Hustenmittel eingetauscht werden muss: "Ein paar Spliffs rauchen, ein bisschen dicht saufen. Einen sitzen haben und an nichts glauben." Zurücklehnen, das Wetter genießen sowie "Raum und Zeit" vergessen.

Die entspannte Haltung dieser Songs überträgt sich auch angenehm auf die Produktionen von "Live Aus Dubai", "Das Wetter" und "Deine Straßen". Wenn Ebow dann noch in gelöster Stimmung über einen sphärischen Beat von "1000 Elefanten" träumt, sieht sich der Hörer komplett von Kiffermusik umnebelt. Weniger positiv bleibt "Im Moment" hängen, dessen spartanisches Instrumental einen unfertigen Eindruck hinterlässt. "Baba Bak" geht dagegen mit seinem Bläser-Einsatz in Kombination mit der Haltung Ebows als Bewerbungssong für die Jazzkantine durch. Auch "Ghetto Rave" überzeugt mit hörbarem türkischen Einschlag.

"Sie liken meinen Style und sie liken den Flow", gibt Ebow in "Live Aus Dubai" zu Protokoll. Vielmehr liegt genau hier das Hauptproblem von "Komplexität". Zwar trägt die Wahlwienerin ihre Verse mit angenehmer Stimme vor, ihr Flow jedoch vermittelt einen irritierend unzeitgemäßen Eindruck. Ihr Vortrag wäre vor 20 Jahren neben Cora E. sicherlich nicht negativ aufgefallen, aber den heutigen Standards genügt er leider nicht. Wenn sich Ebow in "Im Moment" auch noch an Flowvariationen wagt, geht das Unterfangen völlig daneben.

"Eure Masterarbeit fängt mit mir als These an." Ebow steht auf einem festen Bildungsfundament. Da kann Hustensaft Jüngling, der selbsternannte "erste Rapper mit Abitur", nur zuschauen. Die Rapperin spielt die Bildungskarte voll aus und widerspricht damit nicht nur Genre-Klischees, sondern vor allem gängigen Vorurteilen über die angeblich bildungsfernen Migrantenkinder.

Trackliste

  1. 1. Ghetto Rave
  2. 2. Das Wetter
  3. 3. Live aus Dubai (mit Burak Dirik)
  4. 4. 1000 Elefanten
  5. 5. Deine Straßen (mit Esrap)
  6. 6. Paradise (mit Pennedhaus)
  7. 7. Bad Lan
  8. 8. Punani Power
  9. 9. Baba Bak
  10. 10. Im Moment
  11. 11. Casual Dating
  12. 12. Vogel & Meer
  13. 13. Asyl

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