laut.de-Kritik

Linkin Park für Hardcore-Fans.

Review von

Phil Collins tat es. Bassist Hansi Kürsch tat es – und Brandon Saller tat es 2020 auch. Der Atreyu-Bandleader hängte im Zuge des achten Studioalbums "Baptize" seine Sticks an den Nagel und ergriff das Mic mit beiden Händen. Parallel stieg Scream-Growl-Shouter Alex V. nach Jahrzehnten aus der Band aus, Bassist Marc McKnight übernahm die harten Shouts, und Atreyu spielen im Spätherbst ihrer zwanzigjährigen Karriere entfesselter denn je. Den neuen Sound von "Baptize" entwickeln sie auf dem zur Acht-Track-EP ausgebauten "The Moment You Find Your Flame" konsequent weiter, wieder top produziert von John Feldmann.

Der Opener "Good Enough" wandert zwischen Linkin Parkigen Strophen, einem kirchlichen Sermon, Breakdown, Klargesang im Refrain, kurzen Screams und Hardcore-Shouts atemlos hin und her, ohne jedoch den Fokus zu verlieren oder chaotisch zu klingen. Beides waren noch Kritikpunkte bei "Baptize", auf dem nicht jeder Song stimmig zündete.

Auch im folgenden "Immortal" spürt man den poppig-melancholischen Touch. Brandon Saller lässt endlich seiner wunderschönen Stimme freien Lauf, statt nebenbei noch das Drumbein zu schwingen. Wieder dringt der Name Linkin Park in die Gehirnzellen – Linkin Park für Hardcore-Fans eben. Doch Atreyu wären eben nicht Atreyu, wenn sie jetzt auf allen acht Songs im selben Gang fahren würden. Der Hang zur großen Geste und eingängigen Melodien ist zwar allgegenwärtig, doch gerade die drei stärksten Stücke auf der EP setzen andere Schwerpunkte.

"Gone" kommt als Melodic Hardcore-Tune, der Blink 182s Mainstreamtauglichkeit ganz cool findet, der aber mit passenden Breaks, fein gesetzten Breakdowns, einem Gitarrensolo und Emo-Shouts Suchtpotential hat. Der Stadionklopfer "I Don't Wanna Die" holt David Coverdale ins Haus und versprüht "Here I Go Again"-Vibes. Schuld an diesem Überhit ist wohl Gitarrist Dan Jacobs: "Ich liebe die 80er und denke, dass die Generation damals den richtigen Zugang zur Musik hatte."

Alle Metalcore-AnhängerInnen der härteren Gangart, die jetzt angewidert zum Skip-Button sliden, sollten noch einmal kurz innehalten. Atreyu erhöhen auf "Capital F" und "Watch Me Burn" den Growl- und Scream-Schlagzahl, während "Drowning" die moderne Emo-Core-Hymne par Exellence ist. No filler, only killer.

Das Einzige, das Atreyu wieder einmal von der Höchstpunktzahl abhält, sind die Lyrics. Natürlich geht es um klassische Genrethemen wie innere Kämpfe, Selbstzweifel, Hoffnung und den Kampf zurück ans Licht. Die lyrische Darbietung stört zwar den Genuss der Lieder nicht, bleibt aber auf Glückskeks- und Insta-Meme-Niveau. Trotzdem gilt: Die "The Moment You Find Your Flame"-EP ist stärker als ganze Alben.

Trackliste

  1. 1. Good Enough
  2. 2. Immortal
  3. 3. Gone
  4. 4. I Don't Wanna Die
  5. 5. Drowning
  6. 6. God/Devil
  7. 7. Capital F
  8. 8. Watch Me Burn

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Atreyu

Südkalifornien, genauer gesagt Orange County, tut sich in der Musikszene lange mit guten Melodic Hardcore-Bands hervor. Mit Atreyu, benannt natürlich …

1 Kommentar mit 6 Antworten