Deutscher Pop will cooler werden, dabei wird er bloß einförmiger. LEA, Capi, Montez, Samra, Elif, Sero, Mero, Loredana & Co. singen ein und denselben Song.

Berlin (ynk) - Deutscher Pop hat sich selten mit Abenteuerlust oder Experimenten hervorgetan. Erfolgreiche Songs klangen in den letzten zwanzig Jahren oft berechenbar, die Künstlerinnen und Künstler hatten nicht wahnsinnig viel zu erzählen, und eine große Fan-Kultur findet sich auch nicht. Dabei leben wir in einer Ära, in der gerade internationale Popstars zeigen, wie vielseitig und spannend das Genre sein kann.

Ich will niemandem vorwerfen, kein The Weeknd, keine Taylor Swift oder keine Ariana Grande zu sein, aber irgendwie ist es schon seltsam, dass wir nicht nur keine Event-Alben, heiß diskutierten Popsongs oder große Pop-Ikonen haben. Wir haben hierzulande ja quasi aufgegeben, überhaupt an die Möglichkeit ihrer Existenz zu glauben. Guckt man in die Charts, findet sich vor allem ein Typus: der bodenständige, "relateable" Musiker. Texte aus dem "echten Leben", Fokus auf das "Nahbare" und "Persönliche" und der immer gleiche Mid-Tempo-Balladen-Sound mit den immer gleichen Melodien und den immer gleichen "Hip Hop-Einflüssen". Seht euch das an:

15 noch gleichere Songs

Diese Songs sind mir immer wieder begegnet, aber erst, als ich sie aktiv zusammengetragen habe, ist mir aufgefallen, wie absurd die Parallelen zwischen ihnen allen sind. Ich kann sogar Namen nennen: Beatzarre und Djorkaeff. Ihr beide. Ich hasse euch. Ihr tragt die Schuld daran, dass der deutsche Mainstream zu so großen Teilen aus Musik besteht, die wie eingeschlafene Füße klingt. Ich habe 15 Hits aus den vergangenen Jahren herausgesucht, die zumeist aus ihrem Camp stammen, und werde zeigen: Es ist alles der verdammtnochmal haargenau gleiche Song, und er suckt. Eine Pop-Rap-Ballade mit:

  • ernsten, gefühlvollen Rap-Verses
  • einem melodramatischem Refrain
  • elendig deprimierten Lyrics ohne Details, Charakter oder Storytelling
  • einem völlig generischem Instrumental

Die Hit-Formel

Ich glaube übrigens, der Aufstieg dieser Songs kommt aus zwei Richtungen. Zum einen basieren sie offensichtlich auf der Formel des 2000er-Rap-Crossover-Hits. Ihr wisst schon, die Ja Rule mit Ashanti-, Eminem mit Skylar Grey-, Jay-Z mit Beyonce-Songs, die sich sehr lange als Patentrezept für Rap-Crossover gehalten haben. Savas und Sido lieben dieses Schema, aber auch international haben es mittelmäßige MCs wie G-Eazy, Macklemore und Machine Gun Kelly bis 2016 für eine Menge Chart-Erfolg für Fans von langweiliger Musik ausschlachten können.

Das Rezept ist also wohlbekannt. Aber es gibt auch eine spezifische Deutschpop-Komponente daran. Spätestens seit der Trump-Wahl und dem europäischen Rechtsruck ging der globale Zeitgeist ja in eine wesentlich pessimistischere Richtung. Deutschpop war darauf nicht eingestellt. Der lebte in der ewig fröhlichen, ehern optimistischen Schlager-Peripherie, der "Ein Jahr nach Australien fahren"-Core fiel also sowieso schon aus der Zeit. Aber als 2017 Jan Böhmermann sein "MenschenLebenTanzenWelt" darauf losließ, mussten die Max Giesinger-Type-Grinsebacken das Feld räumen.

Dramatisches Gesülze schlägt authentische Emotion

Machte das Raum für Verbesserungen? Nein. Es hinterließ nur die Angst, ja nicht zu schamlos uncool zu wirken. Stattdessen entstand dieses neue Genre, das sich mit Rap schmückt, weil der ja irgendwie modern ist, und auf einmal sind sie alle so deprimiert! Man sollte ja meinen, all dieses dramatische Gesülze öffne immerhin Raum für authentische Emotionen, aber überhaupt nicht: Man könnte diese generischen Liebeskummer-Zeilen von einem Song in den anderen schieben, und nicht einmal die Performerinnen und Performer würden es merken.

Es sind die immer gleichen Texte über abstrakt gescheiterte Beziehungen und schlechte Stimmung, als hörte Deutschland sich nichts lieber an als Gejammer über das seelenzehrend mittelmäßige Liebesleben irgendwelcher Promis. Dabei fesseln die nicht einmal die Fantasie der Hörerinnen und Hörer, denn im Grunde läuft der ganze Erfolg eh nur noch über Streaming-Playlisten und Radio-Spots. In einem Zeitalter, in dem das Internet und TikTok überall auf der Welt Anarchie in die Charts gebracht haben, leben wir im Deutschland unter eiserner Kalkulation der Major-Labels. Die können wirklich Hinz und Kunz (nein, nicht die!) mit ihren Songwritern und Promo-Taktiken ausstatten und werden einen Hit haben.

Bitte!

Ich bitte euch: Können wir nicht wieder etwas mehr von Popmusik erwarten?

Fotos

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SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) SDP,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof)

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22 Kommentare mit 16 Antworten, davon 10 auf Unterseiten

  • Vor einem Jahr

    Musik ist mittlerweile zum Produkt verkommen. Und neben Chinaschrott made in Germania, USandA und Co, gibt es eben wenig Qualität. Denn wenn man „jeden Tag“ produzieren/abliefern muss und die Anzahl der Künstler und ihrer Werke geringer als die Nachfrage ist, dann kommt Fast Food Mukke raus. Konsumnachfrage ist eben kein Qualitätspusher.

    • Vor einem Jahr

      mittlerweile, soso.

    • Vor einem Jahr

      Willst du mir etwa sagen, dass Ende der 80er/Anfang der 90er - bis auf ein paar Boygroups - fast Food Musik das Ding der Stunde war? Heute gilt ein Releasezyklus von 3 Jahren als Comeback - wie soll bei überschaubarem Talent und der Taktung eines Kaninchenficks irgendwas mit mehr Substanz als Chickenshitnuggets entstehen können? Ja, Musik war immer schon kommerziell, aber zu 90% billig Schrott ist es erst in den letzten Jahren verkommen.

  • Vor einem Jahr

    Gut gewähltes themenspektrum. Exakt dasgleiche fällt mit auch seit Jahren auf. Hab neulich im Hintergrund eine nicht selbst gewählte tracklist mit halben Ohr verfolgt und das ist stets das absolut gleich affig negative klangkonstrukt mit dem moralinsauren vorschlagshammer in eine ewig keimende gussform des selbstmitleids geschlagen

    All dieser rauchgeschwängerte depri-schmu. Herz Schmerz reimt sich auf Haus Maus. Gestelzte Charaktere wie elif oder Lea verströmen akute todessehnsucht, die Welt ist grau und schuld ist die lühübä, also bewährte Flucht in kippen, dunkle Kleidung und gin. Borderline forever. Die männlichen Protagonisten sind vor lauter Kiff und Koks zu emotionslosen hüllen mit müden blicken verkommen, die nichts zu sagen und melden haben, Entwicklung gleich Null. Und das viele Geld ist ja auch eine schwere Bürde neben den ach so mühsamen Beziehungskämpfen, schnief.

    Je mehr pseudoemotion, desto egaler wird es. Ab und an sind solche thementracks aber nicht unwillkommem in etwaigen individuellen lebensphasen. Nicht aber die bloße Darbietung ist das Problem, sondern die schiere Überlastung, Flut und ausschlachtung

    Somit: Gute Punkte ynk

  • Vor einem Jahr

    Leider geht der ganze musikalische Kulturpessimismus auch an mir nicht spurlos vorbei - insbesondere in den letzten 5-10 Jahren. Man mag sich das ja immer wieder schön reden oder sich emotional von den Mark Forsters dieses Landes entfernen und den Hörern einfach Gutes gönnen wollen. So wirklich klappt es aber einfach nicht. Zu absichtlich Seicht und Nichtssagend ist mir das alles einfach geworden. Da ist so viel Berechnung und dummdreiste Absicht dahinter, dass mich deutsche Popmusik dann doch einfach frustriert. Es ist so schrecklich traurig, dass der eigene Geist und die eigene Seele so gar nicht stimuliert werden von der ganzen Scheiße, die irgendwie doch wieder auf Platz 1 landet.

    Das ist jetzt kein direkter Vergleich oder ein "der Typ ist einfach besser als alles andere"-Denken, aber ganz exemplarisch hab ich gerade in den letzten Tagen wieder beim Hören von Mark Knopfler gedacht, "Man, was für schöne Texte. Was für schöne Geschichten, die er da erzählt." Also wirklich Geschichten mit ausgedachten Charakteren, teils in irgendwelchen historischen Kontexten verankert. Ich hab mich selbst mal wieder darin wahrgenommen, wie sehr ich es genieße, einfach auch durch Lyrics bereichert und stimuliert zu werden, weils schlicht Musik mit Inhalt war.

    Das kann's doch echt nicht sein, dass sich die letzten Jahre eine derartige Inhaltsleere über uns auskotzt! Diese völlige Anspruchslosigkeit beim Komponieren von Musik ist mir völlig unbegreiflich! Grad vor ner Stunde mal wieder "Karat" in der Liste gehabt mit "Der blaue Planet" oder "Über sieben Brücken musst du gehn" - kann man sicher seine Witze drüber machen, aber diese jahrzehntealten Songs wischen doch mit Deutschpop 2022 den Boden auf!

    Naja, im größeren Kontext spiegelt das einfach die generelle Entwicklung in den allermeisten gesellschaftlichen Bereichen wider. Was freue ich mich auf die nächste, echte Gegenkultur dessen! Ich bin mir sicher, irgendwo brodelts grad richtig und ist drauf und dran, dieser ganzen Konsensscheiße überall mal so richtig den Spiegel vorzuhalten... :)