15. Februar 2022

"Stille ertragen ist nicht einfach"

Interview geführt von

Keimzeit blicken auf 40 Jahre Bandgeschichte zurück. Zur Feier des Jubiläums gibt es mit "Kein Fiasko" ein neues Album.

"Kein Fiasko" bietet zwischen Leichtfüßigem, Rockigem und Nachdenklichem alles, wofür man die Band liebt. Dabei vereinen die Lyrics Tiefgang, Poesie und persönliche Alltagsbeobachtungen. Eine ausgiebige Tournee soll im Laufe dieses Jahres folgen, sofern Omikron mitspielt.

Keimzeit gingen im brandenburgischen Lütte bei Belzig aus der Familienband Jogger hervor und erspielten sich im Laufe der 80er-Jahre mit typischem Blues-Rock mit spezieller Note und oftmals poetischen Texten abseits vom staatlich gelenkten Musikgeschäft der DDR eine treue Fangemeinde. Größere Bekanntheit erlangte die Formation 1993 mit dem Hit "Kling Klang". Seitdem hat sich eine Menge getan. Zeit also, Sänger und Liedtexter Norbert Leisegang per Mail ein paar Fragen über die neue Platte, wichtige Keimzeit-Stationen und weitere Projekte zu stellen.

Hallo Norbert. Erstmal alles Gute zum 40. Jubiläumsjahr von Keimzeit. Wie geht es dir?

Danke, sehr gut.

Während der Pandemie habt ihr einige Konzerte spielen dürfen. Trotzdem mussten immer wieder Termine verschoben werden. Wie geht ihr als Band mit der Situation um? Spätestens im Sommer soll eine ausgiebige Tournee euer Jubiläum begleiten. Kannst du darüber etwas erzählen?

Eigentlich planten wir bereits ab März Jubiläumskonzerte mit Gästen. Doch da wir bislang nicht wissen, wann es verlässlich wieder auf die Bühne geht, sind wir diesbezüglich eher zurückhaltend.

„Lars Kutschkes Handschrift wird man sowohl auf dem Album als auch bei den Konzerten beglückend heraushören“

Das letzte Album "Das Schloss" habt ihr von Moses Schneider produzieren lassen. Für "Kein Fiasko" saß - wie auch schon für "Auf einem Esel ins All" - Keyboarder Andreas Sperling hinter den Reglern. Warum habt ihr euch dafür entschieden, wieder eine Platte in Eigenregie zu realisieren?

Moses Schneider als auch Andreas Sperling sind sehr gute Produzenten und arbeiten, was die Keimzeit-Alben angeht, ähnlich. Zumal beide die Aufnahmen von Peter Schmidt mixen und von Michael Schwabe mastern lassen. Insofern man sich für einen Bandmusiker, in unserem Fall Keyboarder Andreas Sperling, für eine Albumproduktion entscheidet, muss man bei Auseinandersetzungen im Studio darauf achten, dass man nach dieser Arbeit wieder gemeinsam auf der Bühne steht. Gewöhnlich werden Produzenten nach einer Studioproduktion geteert und gefedert. Doch glücklicherweise traf und trifft das nicht auf Moses Schneider und Andreas Sperling zu.

Gitarrist Martin Weigel hat Ende 2019 die Band verlassen. Dafür hat Lars Kutschke, der schon 2012 bei einigen Konzerten mit der Band spielte und auf "Auf einem Esel ins All" auch als Gastmusiker zu hören war, seinen Part übernommen. Wie war das Arbeiten mit ihm?

Lars Kutschke als auch Martin Weigel sind brilliante Gitarristen. Wir befinden uns in der komfortablen Lage, mit beiden arbeiten zu dürfen. Lars Kutschkes Handschrift wird man sowohl auf dem Album als auch bei den Konzerten beglückend heraushören.

Auf der Platte begegnet man einer Garderobendame, einem Hausmeister oder einem exzessiven Plastiktütensammler aus einem "Siebzigerjahre Plattenbau", also größtenteils ganz normalen Menschen. Haben die etwas gemeinsam? Liegt der Scheibe eine bestimmte übergeordnete Idee zugrunde?

Die besagten Personen sind, wie ich finde, Helden in der zweiten Reihe. Man kann sie nicht oft genug hervorheben.

In "Zweig" heißt es: "Wie lässt sich die Stille ertragen?" Hast du den Text in Bezug auf die Pandemie geschrieben?

Der Text im Song "Zweig" ist pure Poesie. Stille zu ertragen ist generell gar nicht so einfach. Dann melden sich nämlich die persönlichen Dämonen. Wir alle kennen sie.

"Clowns folgen den Erwartungen nicht", singst du in "Clowns". Wie gehst du persönlich mit Erwartungen um?

Mit den Jahren, ich bin mittlerweile 61, habe ich gelernt meine Erwartungen niederschwellig zu halten. Werden sie nicht erfüllt, so bleibt die Enttäuschung im Rahmen. Werden sie übertroffen, dann jubel ich wie jeder andere.

„Selten, dass man es allen recht macht“

Blicken wir auf 40 Jahre Keimzeit zurück. 1987 habt ihr aufgrund einer sogenannten Einstufung die Spielerlaubnis für Konzerte mit professionellem Charakter erlangt. Trotzdem hattet ihr danach vorübergehendes Auftrittsverbot. Wie kam es dazu?

Uns erteilte das damalige Kulturamt in Belzig ein Auftrittsverbot, da wir ein selbstgeschriebenes Lied, welches Kriegsspielzeug für Kinder kritisiert, nicht aus unserer Playlist strichen.

1989 habt ihr dann in den Studios der Berliner Nalepastraße mit "Irrenhaus" euer erstes professionelles Album aufgenommen. Mit dem Titelstück hattet ihr einen Hit, der in der Umbruchszeit der Wende vielen Menschen aus dem Herzen sprach. Hast du diesen Umbruch erahnt, als du den Text geschrieben hast?

Nein, nicht im entferntesten. Ich schrieb den Song bereits 1987. 1989 nahmen wir ihn auf.

Mit "So" findet sich auch ein recht ruhiges, trauriges Lied auf der Platte. Kannst du mir mehr über dieses Stück erzählen?

Hin und wieder entwickeln Songs ein Eigenleben. Ich schaue dann einfach nur zu.

Nach eurem zweiten Album "Kapitel Elf" ging es 1993 mit "Bunte Scherben" in die Charts. Der darauf enthaltene Song "Kling Klang" entwickelte sich in Diskotheken und auf Partys in Ostdeutschland zum Dauerbrenner. Wie hast du die Zeit damals erlebt?

Zum einen lief "Kling Klang" auf Diskotheken und Partys, zum anderen betrachteten eingefleischte Keimzeit Fans ihn als Verrat. Selten, dass man es allen recht macht. Diese Erkenntnis kam mir zu dieser Zeit.

Auf "Im Elektromagnetischen Feld" fand 1998 ein musikalisch großer Bruch mit eurer Vergangenheit statt. Elektronik, dubbige Rhythmen, Nu Jazz-Klänge und laute Indie-Akkorde standen auf dem Programm. Wie kam es zu diesem Bruch?

Für viele war das Album ein Bruch. Für uns war es lediglich eine Weiterentwicklung.

Über die Nuller und Zehner stiegen einige Bandmitglieder aus, neue kamen hinzu. Als einziges Gründungsmitglied ist neben dir nur noch dein Bruder Hartmut dabei. Welche Gründe führten zu diesen personellen Veränderungen?

Tatsächlich gab es in der Keimzeit Geschichte diverse personelle Veränderungen. Die Gründe dafür waren mannigfaltig. Nur sind Ausstiege in der Regel ungeschmeidiger als Einstiege. Das wissen wir seither.

Mit deinem Bruder hast du auch seit 2009 mit Comic Helden ein eigenes Label mitsamt Verlag. Was war seinerzeit die Triebfeder, eine eigene Plattenfirma zu gründen?

Hier muss ich korrigieren. Seit 2009 betreiben wir unser eigenes Label gemeinsam mit Hartmut Leisegang, Dirk Tscherner, Andreas Sperling und meiner Person. Unser Netzwerk war bis zu dieser Zeit so weit entwickelt, dass wir die Aufgaben eines Labels selbst bewerkstelligen konnten.

Seit 2009 bist du auch mit dem Keimzeit Akustik Quintett unterwegs, dem auch unter anderem Martin Weigel und Hartmut angehören. Auf dem Album "Albertine" von 2017 greift ihr Motive aus Marcel Prousts Roman-Klassiker "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" auf. Euer Live-Programm hat neben Keimzeit-Klassikern und Nummern aus "Albertine" auch sechs bisher unveröffentlichte Songs zu bieten. Kannst du mir etwas über die neuen Stücke erzählen?

Seit etwa zehn Jahren beschäftige ich mich mit dem Proust Roman. Protagonisten und Romanorte gaben mir den Stoff für ein Konzeptalbum, welches wir noch in diesem Jahr mit dem Akustik Quintett aufnehmen werden. Das wird dann ein Veröffentlichungsthema für 2023.

Plant ihr auch, die Songs physisch zu veröffentlichen?

Zunächst veröffentlichen wir "Kein Fiasko", unser 13. Studioalbum, auf CD, Vinyl und digital. Ab dem 18.02.2022 die CD und digital. Das Vinyl gibt es dann ab dem 29.04.2022. Sei noch gesagt: Antje Warnecke und Francisca Drechsler sind verantwortlich für das Layout der Platte.

Danke, dass du dir Zeit für uns genommen hast.

Sehr gerne!

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