laut.de-Kritik

K-OS pulverisiert die Grenzen von Hip Hop.

Review von

"I'm really sick and tired of complaints of hip hop this, rap that and what it ain't." Wie oft sich ein Künstler, der ein Album wie "Atlantis" auf den Tisch legt, die Frage "Ist das noch Hip Hop?" gefallen lassen muss, kann man nur ahnen. Vergleichende Studien zu dieser Thematik dürften schwer anzustellen sein: Allzu häufig bekommt man Demonstrationen von derart atemberaubender Musikalität schließlich nicht geboten. Zum Glück. Anderenfalls würde ich noch mehr Zeit damit zubringen, paralysiert meine Boxen anzustaunen.

In schöner Tradition seiner beiden Vorgänger-Alben pulverisiert "Atlantis" die Grenzen von Hip Hop. Dieser Platte den Stempel Rap aufzudrücken gleicht dem Versuch, ein ganzes Universum in einen Fingerhut stopfen zu wollen. In jeder einzelnen seiner Disco-Hymnen verbrät K-OS Ideen im Dutzend. Vergleichbare Vielschichtigkeit habe ich in letzter Zeit (mit dem Abstrich, dass deren Vocals lange nicht so abwechslungsreich gerieten) nur von Gnarls Barkley gehört. Ich kenne ganze Alben, davon nicht gerade wenige, die nicht ansatzweise so viel zu bieten haben, wie hier jeder einzelne Song enthält.

In der Tat handelt es sich um "Songs": Mehr als viele andere verdient K-OS den Titel MC, Master Of Ceremony. Er rappt nicht nur, er schmachtet, rockt oder präsentiert sich sensibel im Singer/Songwriter-Style zur Akustikgitarre. Okay, wir haben es nicht mit dem nächsten R'n'B-Wunder zu tun, dafür mangelt es K-OS' Stimme dann doch etwas an Tragkraft, und doch liefert er beispielsweise mit seiner Performance in "The Rain" einen non-stop Gänsehaut generierenden Beweis für die These, Rap sei Soulmusik. (Das für die, die sie lieben und sie ehren, vergesst es nie!)

Der Versuch, K-OS' musikalische Welten in Worte zu fassen, scheint mir weitgehend zum Scheitern verurteilt. Schon unmittelbar nach dem Einzählen zu "Electrik Heat" kombiniert er munter klassische Hip Hop-Zitate mit zwar dezent im Hintergrund befindlichen, deswegen aber nicht minder üppigen Orgelsounds. James Brown, die Jungle Brothers und Public Enemy nicken einträchtig mit den Köpfen: "It's the return, burn like a supernova."

In "The Rain" fordert der Blues K-OS' Gesang zum Walzertanz auf, der flott gezupfte Bass aus "Fly Paper" scheint, genau wie die Drums, direkt von der Bühne eines Jazzkellers entliehen zu sein. Was Outkast mit "Idlewild" fertig brachten: K-OS kreiert ein ähnlich schwungvolles Retro-Gefühl, das er in "Mirror In The Sky" zusätzlich mit Claps, Gospelelementen sowie Reggae- und Dub-Vibes garniert.

Vor Bo Diddley, Bob Dylan, Chuck Berry und Jimi Hendrix zieht K-OS den Hut: Jeder der Herren hinterlässt Spuren. "Equalizer" startet wie eine traditionelle Rock'n'Roll-Nummer und erblüht zu einem wahren Feuerwerk aus Gitarren, staubtrockenen Raps, Scratches, Gesang, ausufernden Instrumentalbreaks und einem satten, treibenden Rhythmus.

Unüberhörbare Dylan-Anleihen stecken in "Valhalla". Auch die Mundharmonika aus "Ballad Of Noah", das exzellent in Szene gesetzte Drums zum funkeln bringen, wurzelt tief in einer Folk-Tradition. Ganz nebenher beweist K-OS hier enorme Storyteller-Qualitäten. Nicht einmal die country-esken Zwischenrufe in "Aqua City Boy" vermögen aber zu verschleiern: Hier bleibt jemand "Hip Hop head forever", anders würden die blechernen scheppernden Reime aus "Cat Diesel" auch verwundern.

Die an sich simple Struktur von "Sunday Morning" bietet Raum für zahllose Details. In all der Hektik platziert K-OS selbstreferenzielle, sehnsuchtsvolle Zeilen, wie er sie später zu klimpernder Akustikgitarre in "Highway 7" noch verfeinert und zu einer zauberhaften Popballade ausbreitet. Gerockt wird in "Born To Run". "If you can't dance to this, it doesn't matter": Wir haben schließlich noch "Black Ice" inklusive pompöser Streicher, einsamer Trompete und im Ausgleich einen recht tanzbaren Disco-Beat im Angebot.

"We fell from the stars and universe when we fall in love with the sound." Ich wusste es: Um aus einem solchen Salat ein in sich stimmiges Album zu kreieren, kann man einfach nicht von dieser Welt sein. Ist das also noch Hip Hop? Gegenfrage: Wen zum Teufel interessiert das? K-OS jedenfalls nicht. Der wagt lieber ein Tänzchen, denn er hat längst erkannt: "Instead of tryin' to be what I was, I be what I is which makes us the wizard of Oz."

Trackliste

  1. 1. Electrik Heat - The Seekwill
  2. 2. The Rain
  3. 3. Fly Paper
  4. 4. Equalizer
  5. 5. Sunday Morning
  6. 6. Mirror In The Sky
  7. 7. Born To Run
  8. 8. Valhalla
  9. 9. Cat Diesel
  10. 10. Black Ice - Hymn For Disco
  11. 11. Aqua City Boy
  12. 12. Highway 7
  13. 13. Ballad Of Noah

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