laut.de-Kritik

Neue Räuberpistolen vom Halunkenrapper.

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Er beherrscht es noch immer. Weniger Tage vor Veröffentlichung seines zweiten Albums regte sich Aufregung im Boulevardblatt Express. "Interpol-Fahndung in Köln: Plakat sorgt für Verwirrung - der Mann darf nicht nach Deutschland einreisen", titelte die Regionalzeitung erregt. Darunter prangte ein vermeintliches Fahndungsfoto von Interpol, das Kolja Goldstein zeigt. "Für sachdienliche Hinweise bitte hier scannen", lautet die dazugehörige Anweisung neben einem QR-Code, der natürlich nur zu einer Auswahl von Online-Shops führt, wo sich "Interpol" käuflich erwerben lässt.

In einer Gesellschaft, die seit Jahrzehnten an ihrer Liebe für den "Tatort" und "Aktenzeichen XY ... ungelöst" festhält, scheinen die Räuberpistolen des Halunkenrappers ein Selbstläufer zu sein. Dabei ist Kolja Goldstein leider kein besonders guter Storyteller, wie schon das "Intro (Interpol)" verdeutlicht. Nach wie vor rappt er so leidenschaftlich wie nur wenige seiner Zunft, doch seine Geschichten aus der Halbwelt bilden ein einziges Sammelsurium. Er tischt grobe Skizzen auf, die er zu einer Art Missetäter-Mindmapping ohne innere Dramaturgie anordnet.

Kolja Goldstein rappt in "Intro (Interpol)" mit der gleichen Passion über Obdachlosigkeit wie über schnelle Wagen und seine eigene Verzweiflung. Interessante sprachliche Bilder wie die "Henker, die in Zellen schlafen", bekommen nie den nötigen Raum, um eine Wirkung zu entfalten. Für "Burj Khalifa" eröffnet Produzent Kavo einen andächtigen Raum zur Reflexion, den der Rapper nutzt, um unzählige Themen einzustreuen, die von Vertrauensproblemen, der Krebserkrankung seines Vaters, geplatzten Karriereträumen bis zur Abkehr von der Religion und der Stütze durch seine Ehefrau reichen.

"Eure Herkunft und Nachnamen langweilt mich. Ich find' das alles langweilig", eröffnet er "Urla & Gaia", um kurz darauf über Trips nach Antwerpen und "Somalis aus Schweden" zu schwadronieren, die sich treffen, um ein bisschen zu "tratschen". Dann schimpft er auch noch auf Bushido für dessen Zeugenaussagen und Omik K., der ihm wiederum vor zwei Jahren vorgeworfen hat, seine "ganze Rap-Gangster-Schwuchtel-Welt" sei "nur Hollywood". Anschließend drohte der Leipziger dem "Global"-Rapper mit Enthauptung. So weit, so zivilisiert. Oder mit anderen Worten: "Ich find' das alles langweilig."

Den Tiefpunkt erreicht er frühzeitig mit "Gestern". Schon Silla hat neulich in "Würdest Du?!" auf "Silla Instinkt 3" mit einer Adaption von Jennifer Lopez' "If You Had My Love" irritiert. Kolja Goldstein wiederholt den Kunstgriff nun noch viel grausiger. Dazu zeichnet Dú Maroc, entlang welcher Linien die gesellschaftliche Spaltung verläuft: "Von dein' Freunden hat jeder Abitur, meine Freunde zählen Jahre." An ökonomischen Faktoren lassen sich die Unterschiede also nicht festmachen, wie die schief gekrähte Hook weiß: "Heute hab' ich Kohle, Rolls-Royce, die neuste Mode."

Neben Dú Maroc empfängt er einen ganzen Schwarm an Gastrappern, die ihm abgesehen von Celo & Abdi schon deswegen keinen Benefit bieten, weil sie ihn aus dem Schatten ins Glitzerlicht zu rücken drohen. Da gesellt sich in "Milieu24" Eno dazu, dem eine gewisse Nähe zum Söder-Clan nachgesagt wird. Capo zählt seine Scheine zum heiteren Gaming-Instrumental von Kavo. Und in "Schwarz" übernimmt rätselhafterweise Kolja Goldstein die Autotune-Hook anstelle des anwesenden Hit-Lieferanten Sido, der wiederum klingt, als hätte er sich vorher einen doppelten Whisky ohne Eis gegönnt.

Spätestens mit Manuellsen schlägt "Interpol" die obligatorische Reue-Richtung ein. Tränenreich bemängelt der Mühlheimer in "Kopfsteinpflaster", "tiefe Narben" aufzuweisen, während Kolja Goldstein auf sein "Löwenherz und Pferdelungen" pocht. Mit dem nunmehr dritten Langspieler scheint die Geschichte des True-Crime-Rappers bereits auserzählt zu sein, ohne je wirklich in die Gänge gekommen zu sein. Das ändert natürlich nichts daran, dass sowohl seine Anhänger als auch der Boulevard weiterhin nach jedem Hinweis-Fitzelchen aus dem kriminellen Milieu lechzen werden.

Trackliste

  1. 1. Intro (Interpol)
  2. 2. Gestern (mit Dú Maroc)
  3. 3. Heimweh (mit Mozzik)
  4. 4. Urla & Gaia
  5. 5. Nie Allein
  6. 6. Milieu24 (mit Eno)
  7. 7. Burj Khalifa
  8. 8. Tagueule24 (mit Celo & Abdi)
  9. 9. 22H
  10. 10. Schwarz (mit Sido)
  11. 11. Hundertzehn (mit Capo)
  12. 12. BDN
  13. 13. Kopfsteinpflaster (mit Manuellsen)
  14. 14. Abu Dhabi 2 (Interlude)
  15. 15. Rotana Freestyle (Outro)

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9 Kommentare mit 15 Antworten

  • Vor 11 Tagen

    Fußballspieler werden / Burj Khalifa Serben übrigens Line des Jahres

    • Vor 11 Tagen

      Ist keine Line, nur ein (Zweck-)Reim.

    • Vor 11 Tagen

      Reim des Jahres

    • Vor 11 Tagen

      Lass mich raten: Du bist/warst Kolle-Ventilator?

    • Vor 11 Tagen

      Eigentlich höre ich sonst nur Dieter Thomas Kuhn und Hans Hartz

    • Vor 10 Tagen

      @capslockwtf es handelt sich wohl um ne Line auch ohne Reim. Ich zitiere an dieser Stelle „verreister Nutzer“ aus dem Wissenschaftlich Forum Gutefrage.net: „Eine line ist eine Zeile/Bar. Ein Part in nem Song besteht aus 16 bars, den Begriff hast du bestimmt schon mal gehört, dann kommt die hook mit 4 oder 8 Bars, dann der nächste 16er. Außer du meinst ne line beim pep ziehen, das ist was anderes, aber wenn du dich nur mit der Musik beschäftigst: line = textzeile“. Damit sollte das ein für alle mal geklärt sein.

    • Vor 10 Tagen

      Nein. Es ist keine Line, weil es die Enden zweier Lines sind oder ein Teil aus der Mitte und das Ende einer Line, je nach dem, ob du es so siehst, dass eine Line sich über mehrere Bars erstrecken kann oder nicht. Außerdem ist da offensichtlich ein Reim, aber halt nur der Reim.

      #Lesekompetenz

      GuteFrage ist übrigens als Quelle gänzlich ungeeignet, da da jede Wurst nach Belieben ihren Senf da lassen kann und niemand den Müll überprüft. Es ist quasi die Dulli-Variante von stack overflow und selbst das ist schon Grütze.

      #Recherchekompetenz

  • Vor 10 Tagen

    "Dazu zeichnet Dú Maroc, entlang welcher Linien die gesellschaftliche Spaltung verläuft: "Von dein' Freunden hat jeder Abitur, meine Freunde zählen Jahre." An ökonomischen Faktoren lassen sich die Unterschiede also nicht festmachen, wie die schief gekrähte Hook weiß: "Heute hab' ich Kohle, Rolls-Royce, die neuste Mode.""

    Bitte die neoliberale Propaganda einstellen.

  • Vor 9 Tagen

    Ist das der von den zugezogenen Antilopen? Ich check es nicht mehr.