laut.de-Kritik

Kharl(ed) der Große lädt zum Tanz mit 30 Gästen.

Review von

Khaled-Alben entstanden aus dem Format des Mixtapes. "Father Of Asahd" (2019) klassifizierte sich dank monotonem Gleichklang wirklich wie ein Mixtape. Der Nachfolger, kein Schreibfehler, heißt tatsächlich "Khaled Khaled". Also nicht Khaled im Quadrat, "Double Khaled" oder "Khaled The Best", vielleicht hebt er sich diese Titel für die nächsten Male auf. Wer jetzt sagt: 'Eh egal, der Inhalt ist immer der gleiche", fällt aufs kongeniale Erwartungsmanagement des DJs rein.

Letztes Mal war Trap bei ihm 'in', dann wäre jetzt eine Wiederholungstat oder (zyklisch akute) UK-Grime-Beimengung zu erwarten. Stattdessen rudert er auf der Zeitachse zwei Dekaden zurück, landet partiell im Neo-Soul und R'n'B der frühen 2000er, was sogar fürs Staraufgebot "Sorry Not Sorry (feat. Nas, Jay-Z, James Fauntleroy)" gilt. Zur anderen Hälfte zieht es den DJ unter den Palmen Floridas zum ganz klassischen Gangsta-Rap der Phase 2003/04. Plus einmal Dancehall, wie er damals modisch war. Nostalgiker*innen treffen die drei Schreckgespenste Bounty, 'Gargamel' Buju und 'Fyaahman' Capleton im selben Track an. Alle drei sind nicht für die frommsten Texte bekannt.

Der Einstieg mit Gospel-Stimmung und markantem 70er-Sample "Thankful (feat. Lil Wayne, Jeremih)" quietscht nur so vor überladenem Kitsch, überamerikanisiert, opulent zuckrig, dass fraglich ist, wie viele Leute es überhaupt bis zur zweiten Tracknummer schaffen. Hinsichtlich biederer Beiträge hilft Justin Timberlake aus. Der lässt einen schon im Intro zu "Just Be" in Sofort-Sekundenschlaf erstarren. "He-ya-eah-ah / alright / uh": Übersteht man den Tune wach, entpuppt er sich sogar als angenehme, melancholische und pathetische Popnummer Richtung Usher und Saadiq, wie man sie in diesem Umfeld nicht erwarten würde.

Cardi entscheidet sich für die salvenartige Silbenwiederholung ("Big Paper (feat. Cardi B)"), "B-bi-big" und schnuckelige Alliterationen wie "broke in the Bronx". Kann man als Highlight in der Tracklist groß zoomen, obwohl das Stück ein Fragment bleibt. Kurzweilige, knackige Passage in einem durchsofteten Tape.

Delay-Effekte auf manchen Stimmen sollen womöglich Soul-Anmut erzeugen. Was die Stil- und Temposprünge betrifft, könnte man den Lounge-R'n'B "Let It Go (feat. Justin Bieber, 21 Savage)" 'retardierendes Moment' nennen. Hochtrabend gesagt: Es lässt sich alles schön verpacken, wenn man ungehemmtes Selbstbewusstsein ausstrahlt. Die Häufigkeit, in der Khaled "We the best music / anotha one!" krähend sein Revier markiert, erzwingt schon formal einen Punktabzug. Wobei "We the best" nicht "Me the best" heißt. Bereitwillig schart sich die 30-köpfige Armada der Superstars um den Producer. Das täten sie wohl kaum, wäre ihnen die Teilnahme peinlich oder ein Schaden fürs Image. "I am super valid / anytime I link Khaled, lobt Cardi den Gastgeber, was so klingt, als habe sie die Kollabo initiiert.

Manche zählen fast zum internen Kreis, Jay-Z ganz sicher. We The Best als Label gliedert sich an des Rappers Roc Nation an. Jay-Z zieht wiederum die Seinen mit sich, beispielsweise Buju Banton. Die hochgradig feingesponnene Vernetzung führt zum Ohnsorg-Theater-Effekt, den wir hierzulande in "Sing Meinen Song" bestaunen dürfen. Alle kennen einander. Jede*r hat jede*n und jeden x-beliebigen Ton super lieb. Auch Realsatire und ausgeglittenen Trash. Man kommt bei Khaled gar nicht dazu, beim Hören Luft zu holen, weil alle berauscht vom eigenen Dasein wirken.

Beispiel "This Is The Year": Warum ist es das Jahr? Antwort: Weil "I like good girls (...) I like bad bitches (...) ooh na na na baby / she really like me ooh" Aha aha. Aus dem Aufgebot mit Rick Ross, Puff Daddy, Big Sean und Boogie Wit Da Hoodie war an verbaler Kreativität wirklich nur das rauszuholen? Bizarr. Dann ist es vielleicht nicht deren Jahr? Oder ein einzelner Ausrutscher? Immerhin, ihren Grandmaster Flash haben sie gut gelernt, wenn sie die Wortrhythmik dem "don't push me / close to the edge" angleichen.

Klar darf Drake nicht fehlen. Der Jojo-Schnapp-Schlag unter ihm treibt zugegeben gut in "Popstar (feat. Drake)", aber ein Beitrag hätte gereicht. Zu lyrischen Höhenflügen könnte des Khaleds Beatmaking hier durchaus verleiten. Wie schon in seinen jüngeren Solowerken herrscht bei Drake aber auch im erlesenen Mixtape Stagnation, erstens, weil er zu erwähnen vergisst, dass we the best sind, und zweitens weil er mit Verlegenheitspausen, lautmalerischen Silben und sehr vielen Fucks - Bitch - Drugs die Leerstellen seines Ideenreichtums auffüllt. Seine Kollegen erzählen in "Body In Motion (feat. Bryson Tiller, Roddy Ricch, ...)" wenigstens eine anschauliche Story von Pfannkuchen, Kreditkarten und sehr viel Sex.

Bevor man Khaled disst, muss man fairerweise ein paar Sachen erwähnen: Nur manche Stücke versiebt der DJ selbst. Weil die Untermalungsmusik allzu standardisiert ist und zwischen Real Dirty Street-Rap-Shit und edlem Hochglanz-Hotel-Lobby-R'n'B im Indifferenten zerfasert. "Let It Go" und "Every Chance I Get" mit hypnotisch-stupiden Stolper- und Stomp-Beats vertun eben every chance he gets.

Und ob man wirklich Claptons "Layla" mit Crossover-Riff sampeln muss? Für Khaled, Post Malone, Megan Thee Stallion, Lil Baby und Da Baby gilt: "I Did It". Gut für Spotify, wenn der Song über so viele Namen verlinkt ist, das steigert die maschinelle Stream-Reichweite.

Der scheppernde und krampfig performte Totalausfall presst und lutscht das Slowhand-Riff bis zum Überdruss aus. Aus irgendeinem unbekannten Grund sollen wir alle unsere "hands in the air" werfen, als Basis dafür liefern die Lyrics eine Key Word-Kaskade aus "haters", "counting my money", "bitch", "shit", lit", "city" und "pictures". Wie straßenauthentisch. Wäre das alles acapella, besäße das gegenseitige Überbieten an Shout-Tempo einen Restreiz gegenüber dem schauerlichen Beat- und Interpolations-Gewitter.

Manche anderen Instrumentals legt unser Bester eigentlich gut vor, aber die Gäste quatschen nur die Zeit voll, statt etwas mitzuteilen. Bounty, Capleton, Buju absorbieren rohe Dancehallenergie. Nur leider ist ihnen textlich nichts Innovatives dafür eingefallen. "Where You Come From" reitet den Authentizitäts-coming-from-the-ghetto-hood-'n'-show-you-da-realness-Ritt. Das Pferd, auf dem sie sich austoben, heißt "Answer Riddim" und wurde durch den großartigen Barrington Levy populär, den melodiösesten aller Dancehaller. Musikalisch belegt die Verhackstückung somit nur, dass alle Zitate aus der Musikgeschichte an der Oberfläche kleben und die jeweiligen bekanntesten Hits jeden Genres abdudeln.

Bei etlichen Tunes versagen beide Seiten, DJ und Wortlieferanten. Wobei das gar nicht so oft vorkommt. Umgekehrt bleibt sogar manches Wunderwerk übrig, bei dem beide Parts zusammenspielen. Die geneigten User im Kommentarbereich, die schon mit dem Zeigefinger zittern, dürften ein Album nicht an zwei, drei guten Treffern messen. Trotzdem Lob, wem's gebühret: Im Cardi B-Track bereitet pseudodramatischer Brennpunkt-Polizeisirenen-Sound das Setting. Unterstreicht die Diskriminierung der 'niggaz'. Zehntausend Mal gehört, hier gut gemacht. Cardi zieht gerade durch, rundherum schöpferischer Minimalismus, der immerhin nicht stört. Khaled ist immer dann gut, wenn er nichts kaputt macht. Wozu ein DJ hier?, stellt sich gerade dann die Kernfrage der ganzen Veranstaltung.

Ein talentierter Disc-Jockey würde dünne Stimmen austarieren, Tempo-Übergänge smoothen und richtige Bremser und Failes aussortieren sowie Stakkato-Rap ohne Betonungen und Mitteilungsbedürfnis aufpeppen oder die Songs dramaturgisch sinnvoll anordnen. Technisch grenzwertig wummern die Bässe bei manchen Tracks so hemmungslos, dass sie das fetteste SUV erschüttern können (z.B. "Every Chance I Get (feat. Lil Baby, Lil Durk)"), während viele Nummern unter akuter Resonanzschwäche leiden oder die Bassbeimischung künstlich klingt wie in "Greece (feat. Drake)".

Es gibt etwas Positives, und zwar dass H.E.R. hier in den Fokus rückt; zwei Mal vertreten, zwei Mal sehr gut. "I Can Have It All (feat. Bryson Tiller, H.E.R., Meek Mill)" ist das einzige Lied, das wirklich rundum Substanz aufbietet, eine dramatische Nervenentladung. Eingebettet in eine schöne Melodie wird hier über Existenzängste, Träume, Überforderung, Zuversicht, Selbstwertgefühl, Geld, Stress, Eifersucht und Alleinerziehende referiert, aus Sicht der Frau, aus Sicht des Mannes. Urban-Hip-Pop im Brandy-Stil. "We Going Crazy (feat. H.E.R., Migos)", mit seltsamem, aber lustigem Latin-Touch lebt ebenfalls von H.E.R.s lüsterner und durchdringender Stimme, die gut in die Kombi mit Migos passt.

H.E.R. verdient, die nächste Rihanna zu werden. Dass sie hier mitmacht könnte ihren algorithmischen Wert steigern. Zumindest damit hätte das so-called-Album, das ein krude heterogener Sampler ist, schon einen Nutzen.

Trackliste

  1. 1. Thankful (feat. Lil Wayne, Jeremih)
  2. 2. Every Chance I Get (feat. Lil Baby, Lil Durk)
  3. 3. Big Paper (feat. Cardi B)
  4. 4. We Going Crazy (feat. H.E.R., Migos)
  5. 5. I Did It (feat. Post Malone, Megan Th. St., Da Baby, ...)
  6. 6. Let It Go (feat. Justin Bieber, 21 Savage)
  7. 7. Body In Motion (feat. Bryson Tiller, Roddy Ricch, ...)
  8. 8. Popstar (feat. Drake)
  9. 9. This Is My Year (A Boogie Wit, Big Sean, R. Ross, P. Daddy)
  10. 10. Sorry Not Sorry (feat. Nas, Jay-Z, James Fauntleroy)
  11. 11. Just Be (feat. Justin Timberlake)
  12. 12. I Can Have It All (feat. Bryson Tiller, H.E.R., Meek Mill)
  13. 13. Greece (feat. Drake)
  14. 14. Where You Come From (B. Banton, Capleton, Bounty K.)

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