Porträt

laut.de-Biographie

Vince Staples

"As a kid all I wanted was to kill a man / Be like my daddy's friends, hopping out that minivan", gesteht Vince Staples im goldenen Boom Bap-Kopfnickertrack "Nate" im Frühjahr 2014.

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Aufgewachsen in L.A. – unter anderem in Compton und Long Beach – interessiert sich Vince wenig für Musik und Hip Hop. Im Gegensatz zu Bushido und seiner "Ich war nie ein Rapper"-Attitüde war es Staples tatsächlich lange Zeit nicht. Die ganze Familie, ja das ganze Umfeld dealt und verübt Verbrechen.

"Alle, wirklich alle, waren in Gangs aktiv. Selbst die anständigen, spießigen Typen. Das ist das große Missverständnis. Leute denken immer, du musst ein Baggy-Pants-Hoodie-Banger sein, aber Menschen werden oft von jenen ruhigen Vögeln erschossen, denn die haben bekanntlich am meisten Angst. Also drehten alle ihre Gang-Dinger. Ich tat es, mein Vater tat es, meine Mutter tat es und alle meine Brüder auch", erzählt er im Interview mit dem Complex-Magazin.

Im Juli 1993 im kalifornischen Long Beach geboren, wechselt Vince die Schulen, schlägt sich, doch entkommt im Gegensatz zu Bruder und Vater immer wieder der Hood. Ein Ritt auf der Rasierklinge. Aus Spaß beginnt er, zu rappen - und auch, um nicht zu tief im Drogenstrudel zu versinken. Mit Erfolg, wie sich später herausstellt. Er macht nicht nur das Rappen zu seiner Profession, auch von den Drogen lässt er die Finger. Kein Nikotin, kein Alkohol: Staples lebt Straight-Edge. Nur eine der vielen Besonderheiten, die ihn von einer Szene abheben, die sich schon seit jeher dem Exzess verschrieben hat.

Er lernt über Mike G und Earl Sweatshirt die Odd Future-Posse kennen. Als ihn seine Eltern auf die Straße setzen, zieht er bei Produzent Syd Tha Kyd aus dem Umfeld eben jener Truppe ein. Trotz einiger Gastauftritte im Umfeld der Wolf Gang wird Vince mit dem Crew-Gedanken nie so richtig warm. "Ich bin seit jeher auf mich alleine gestellt und hatte nie das Gefühl, unbedingt zu Odd Future gehören zu müssen. Ich bin auch kein Fan von Gruppen, denn es geht dann immer nur darum, wer der Anführer ist", stellt er klar.

Es verwundert daher nicht, dass er des Öfteren mit Tyler – eben dem Anführer - aneinander gerät und 2011 mit dem Mixtape-Debüt "Shyne Coldchain Vol. 1" folgerichtig den Alleingang wählt. Es folgen weitere Tapes, darunter "Winter In Prague" und "Stolen Youth". Der Durchbruch gelingt aber erst im Februar 2014 mit dem zweiten Teil von "Shyne Coldchain" und besagtem "Nate"-Track.

Das prägende Motiv der Bandenkriminalität und seiner Adoleszenz inmitten dieser wirft er mit der neu gewonnenen Bekanntheit allerdings nicht über Bord. Im Gegenteil: Auf seinem 2015 erscheinenden Debüt-Doppel-Album "Summertime '06" dreht sich alles einmal mehr um tote Freunde und falsche Farben. Mit den Worten "Love tore us all apart", kündigt er die Platte auf Instagram an, und zollt folgerichtig auch mit dem Artwork dem ikonischen "Unknown Pleasures"-Cover Tribut. Auch inhaltlich hat Vinces Debüt erstaunlich viel mit der Tristesse der Poesie eines Ian Curtis gemein. Denn "Summertime '06" erzählt nur oberflächlich die bekannten Gangster-Tales von der Westküste. Der weiche, trostlose Kern liegt nur eben unter einer ganzen Menge bitterem Sarkasmus und einer zum Selbstschutz erschaffenen Tough-Guy Persona begraben.

"I'm a gangsta crip, fuck gangsta rap", rappt er schnippisch auf der Lead-Single "Norf Norf", die ihn endgültig im Mainstream ankommen lässt und ihm sogar wenig später einen Werbedeal mit Sprite beschert. Doch vom Scheinwerferlicht will Vince nichts wissen. Trotz des Publicity-Schubes den er auch durch seine Nominierung zum XXL Freshman erhält, hält sich der Rapper aus Long Beach bedeckt. "Don't go diamond and you'll be fine. You'll have a regular life" antwortet er Jahre später in einem Interview auf die Frage, welche Ziele er sich zu dieser Zeit setzte. In einem Genre, dass förmlich davon besessen ist den eigenen Erfolg nach außen zu tragen, ist Staples der bodenständige Außenseiter, der, so scheint es zumindest, den kommerziellen Erfolg seines Debüts (#39 in den Billboard-Chart) als Herausforderung sieht, wie sehr er Hörer*innen zukünftig vor den Kopf stoßen kann.

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Wo die "Prima Donna"-EP 2016 noch bekannte Wege beschreitet, erfindet sich der Kalifornier bereits ein Jahr später mit seinem zweiten Studio-Album von Grund auf neu. "Big Fish Theory" ist ein Konglomerat aus Avantgarde-Sounds, die man in dieser Radikalität noch nicht im Hip Hop-Mainstream zu hören bekam. Am Prominentesten orientieren sich Staples und Produzent Zack Sekoff an der Detroiter Techno-Szene, doch auch Einflüsse aus Übersee, aus Londons Garagen oder Berlins Darkrooms finden ihren Weg in die vor kreativer Energie strotzenden Instrumentals. So sind neben offensichtlichen Gästen wie Techno-Produzent Jimmy Edgar, auch Zukunftsmusiker*innen wie Sophie oder Flume geladen. Das Endprodukt ist eine dystopische, nihilistische G-Funk Party, die den Materialismus dieser Szene unter klirrenden Drums und bedrohlich-knurrenden Synth-Lines begräbt. "Big Fish Theory" klingt nicht so, als würde der Mainstream dafür Verwendung finden, doch neben unzähligen Lorbeeren und Album des Jahres-Auszeichnungen seitens der Kritiker, steigt die LP sogar noch höher in die Billboard-Charts ein als Staples' Debüt.

Seinen wenigen Hatern, die mit dieser harschen Neuorientierung nichts anfangen können, wirft er wenig später den Track "Get The Fuck Off My Dick" entgegen, mit dem eine GoFundMe-Crowdfunding Kampagne einhergeht. Zwei Millionen sollen seine Neider zusammenkratzen, wenn sie wollen, dass Vince frühzeitig das Mikrofon an den Nagel hängt. Das Ziel wird selbstverständlich nicht erreicht, das gesammelte Geld spendet Staples an eine Bibliothek in seiner Heimatstadt. Die hat er nämlich trotz seiner musikalischen Weltreise auf "Big Fish Theory" nicht vergessen. Mit "FM!", seinem nächsten Projekt, beweist er das auch wieder in Form eines Langspielers. Wobei Langspieler vielleicht das falsche Wort für das gerade einmal 22-minütige Projekt ist. In Kollaboration mit Kenny Beats übernimmt Vince darauf eine Radio-Show, die seinen verschobenen Westküsten-Sound wieder etwas entschärft und zurück zu ihren lässigen Wurzeln führt. "We just wanna have fun, we don't wanna fuck up nothing!": Vollgestopft mit Gästen und Abgründen, die wieder zunehmend hinter infektiösen Grooves und Ohrwurm-Hooks verschwinden, komprimiert Vince mit seinem dritten Album die konzeptuelle Dichte seiner Vorgänger auf die kleinstmögliche Spielzeit.

Ein Unterfangen, an dem er zunehmend Gefallen zu finden scheint. Sein selbstbetiteltes viertes Studio-Album folgt zwei Jahre später nach losen Single-Releases und traut sich ebenfalls nicht über die 22 Minuten-Marke hinaus. Dieses Mal wird es der LP allerdings zum Verhängnis. Denn "Vince Staples" ist bis dato Staples' persönlichstes Album, kehrt den Sarkasmus, die Ironie und die aufregende und ablenkende Instrumentierung beiseite. Was bleibt ist ein Liebesbrief an Long Beach, geschrieben in blutrot, der berührt und verstört, aber eben gefühlt zu Ende ist, bevor er überhaupt erst richtig begonnen hat. Das Trostpflaster? Eine weitere LP im gleichen Jahr soll folgen, die das Konzept zum Doppelalbum aufbläst und (hoffentlich) zufriedenstellend zu Ende bringt.

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