20. März 2024

"Unsere Überpräsenz hat viele Leute sauer gemacht"

Interview geführt von

Wie geht man am besten mit Hatern um? Taylor Swifts Empfehlung: "Shake it off!" Doch ist das wirklich so einfach? Wir haben jemanden gefragt, der ebenfalls ein Lied von Hatern singen kann: Nickelback-Gitarrist Ryan Peake.

Nickelback ist eines dieser Phänomene, bei denen es als salonfähig und irgendwie cool gilt, wenn man sie scheiße findet. Der internationale Erfolg der Post-Grunge Band brachte den Kanadiern in den früheren 2000ern nicht nur zahlreiche Fans, sondern mindestens ebenso viele Hater ein. Egal, wann oder wo man damals das Radio einschaltete, auf jeder Radiostation spielte Nickelback, allen voran ihr Millionen-Hit "How You Remind Me".

Doch von den Hatern ließen sich Nickelback noch nie aufhalten. Die drei Kroeger-Brüder und Gitarrist Ryan Peake denken auch fast drei Dekaden nach der Band-Gründung nicht ans Aufhören. Die jüngste Platte "Get Rollin" erschien 2022. Letzten September feierte die Band-Doku "Hate To Love: Nickelback" Premiere beim Toronto International Film Festival. Darin reflektieren die vier Bandmitglieder ihren Werdegang. Ende März wird sie in den Kinos zu sehen sein.

Ob Hype oder Shitstorm - Gitarrist Ryan Peake hat alle Höhen und Tiefen der Rockband von Anfang an miterlebt. In einem Zoom-Call sprechen wir mit ihm über Erfolg, die Band-Doku "Hate To Love" und ob er seinen "inneren Hater" selbst immer im Griff hat.

Hi Ryan, auf eurem jüngsten Album "Get Rolling" hast du an zwei Songs mitgeschrieben. Einer davon heißt "Those Days", und darin blickst du liebevoll auf die Zeit deiner Teenagerjahre zurück. Wenn du in diese Zeit zurückgehen könntest, welchen Rat würdest du deinem jüngeren Ich geben?

"Kauf Apple Aktien!" Das wäre wahrscheinlich der erste Ratschlag an mein jüngeres Ich (lacht). Ich wüsste nicht, was ich mir selbst raten würde, außer, dass ich mich ein bisschen entspannen sollte. Die sechste und siebte Klasse war eine wirklich turbulente Zeit für mich. Als ich dreizehn war, zog meine Familie von der Stadt, in der ich aufgewachsen war, nach Hanna. Das war für mich damals das Ende der Welt. Ich musste meine alten Freunde zurücklassen, und ich war verunsichert, wie es weitergehen sollte. Aber dieser Schritt hat mein Leben auf wunderbare Weise verändert, denn dort lernte ich die anderen Jungs der Band kennen. Ich würde also meinem jüngeren Ich sagen: "Mach dir nicht zu viele Sorgen über die Dinge, die passieren. Du wirst schon auf deinen Füßen landen. Die Dinge werden sich regeln." Und: "Kaufe vielleicht auch Microsoft-Aktien."

Ich glaube, als Teenager denkt man meist nicht allzu viel über Business-Themen nach, oder?

Oh, hör mal, ich hatte Sparbriefe! Ich habe mich schon sehr früh für Finanzen interessiert. Mit neun Jahren war ich bereits ein richtiger Geschäftsmann.

Dann hast du dich damals bestimmt auch schon früh um die Geschäfts- und Management-Aspekte der Band gekümmert, oder?

Als wir noch ganz am Anfang standen, haben wir das auf jeden Fall gemacht. Mike und ich waren am meisten damit beschäftigt. Wir mussten eine Zeit lang unsere eigene Plattenfirma sein. Wir lernten also eine Menge über die geschäftlichen Aspekte. Es war wie ein Crashkurs.

Wart ihr euch damals schon sicher, was auf euch zukommt? Manche Künstler berichten davon, dass sie schon früh das Gefühl hatten, dass sie eines Tages ganz groß rauskommen werden. Wie war das bei euch?

Da gab es zwei Seiten: Zu aller erst muss man sagen, dass alle Jungs in der Band voll und ganz dabei waren und es ernsthaft versuchen wollten. Es kam nicht in Frage, nur nebenbei zu üben und vielleicht ab und zu ein paar Gigs zu spielen. Wir haben uns also alle dahinter geklemmt. Aber haben wir erwartet, dass wir damit erfolgreich werden? Niemals. In dieser Hinsicht waren wir immer sehr realistisch. Ich glaube, wir waren sehr mikroskopisch in unserer Herangehensweise. Am Anfang haben wir gesagt: Wir müssen den Durchbruch in Vancouver schaffen. Als wir die Band gründeten, zogen wir dahin und unsere allererste Show war 1996. Vancouver war unser Fokus. Als wir dort eine gewisse Anhängerschaft hatten, dachten wir uns: Toll, mal sehen, ob wir in British Columbia durchstarten können. Danach: Wie wäre es mit Westkanada? Wir haben es in kleinen Häppchen gemacht. Wir hatten nie einen konkreten Plan, um Weltstars zu werden. Überhaupt nicht. Ich glaube, das war schon der Traum von uns allen. Aber keiner von uns hat das jemals laut gesagt oder einen Plan formuliert. Denn wie groß sind die Chancen, dass eine Band es schafft? Das ist keine gute Idee, mit so einer Idee zu pokern. Ich hätte damals keine Nickelback-Aktien gekauft, das kann ich dir sagen (lacht). Aber gewissermaßen sind wir trotzdem eine gewisse Wette eingegangen. Wir haben alles auf eine Karte gesetzt. Gleich zu Beginn des ersten Jahres verloren wir zwar unseren Schlagzeuger, aber der nächste Mann, Ryan Vikedal, blieb dann eine ganze Weile bei uns. Und das hilft einer Band wirklich, wenn alle in dieselbe Richtung schauen. So etwas ist nicht für jeden einfach.

Wart ihr euch von Anfang darüber einig, welche musikalische Richtung ihr einschlagen würdet, oder hattet ihr da einige Differenzen?

Nein, denn wir sind alle mit der gleichen Art von Musik aufgewachsen. Ich vergleiche das immer mit dem Buch "Fargo Rock City" von Chuck Klosterman. Darin geht es darum, wie es ist, in den Achtzigerjahren in einer Kleinstadt zu leben und Metalbands zu hören. So bin ich fast eins zu eins aufgewachsen, das ist verrückt. Wenn man damals an neue Musik kommen wollte, musste man in die nächstgelegene Stadt fahren - die war zwei Stunden entfernt. Wenn jemand von so einem Ausflug zurück kam und zum Beispiel die neueste Kassette von Anthrax mitbrachte, dann hörten wir die uns alle an und machten Kopien davon. Es war eine gemeinsame Erfahrung. Heavy Metal Bands waren damals sehr beliebt, also hörten wir viel Megadeth, Metallica, Anthrax und Testament. Aber bei uns gab es natürlich auch Pop-Radiosender. Dafür hatten Chad und ich eine Schwäche. Ich hörte außerdem auch die kanadische Country-Rock-Band Blue Rodeo. Das hat mich geprägt, als ich in die Band kam: Diese Idee von Gesangs-Harmonien. Ich wollte bei allem, was wir machten, Harmonien singen, weil Blue Rodeo das so machten. In Rockbands ist das nicht immer üblich.

Der Song "High Time" auf eurem aktuellen Album klingt ein bisschen wie ein Country-Song. Hört ihr immer noch Country-Musik?

Ja, das ist ein Song mit Country-Flair. Als Chad ihn schrieb, hörte er viel Countrymusik. Ich habe versucht, ihn etwas vom Country wegzuziehen und ein paar mehr Rockelemente hinzuzufügen. Ich selbst höre auch manchmal Country-Musik, allerdings nicht mehr so viel wie früher. Als ich aufgewachsen bin, hat mich diese Musik sehr geprägt. Mein Vater hat oft diese alten Country-Platten gespielt. Zum Beispiel viel Johnny Cash und Merle Haggard und wie sie alle heißen. Ich habe auch viel Chris Stapleton angehört. Ich glaube, was Country-Musik angeht, ist er einer der Retter des Genres. Aber ehrlich gesagt höre ich mir absolut alles an.

Habt ihr eine musikalische Vorliebe, die eure Fans überraschen würde? Etwas, das sie nicht mit Nickelback in Verbindung bringen würden?

Chad und ich hören ein breites Spektrum an Musik und eine Menge Stile. Als Heavy-Metal-Band ist es schwer, unsere weiche Seite zu zeigen und zuzugeben, dass man zum Beispiel Phoebe Bridgers hört. Aber wir sind da ziemlich ungeniert. Ich höre viel Folk und Americana, Metal natürlich auch, und ich mag klassische Musik. In unserem Album "Feed The Machine" ist der Song "The Betrayal (Act One)" ein Instrumentalstück. Es besteht klingt ganz anders als alles, was wir davor gemacht haben. Ich glaube, wenn einige Leute das hören, wüssten sie nicht sofort, dass wir das sind.

"Es gibt einige Bands, die ich nicht mehr hören kann."

Taylor Swift hat einmal gesungen "The haters gonna hate but I'm just gonna shake it off". Letztes Jahr habt ihr euren Dokumentarfilm "Love To Hate" uraufgeführt. Darin sprecht ihr über die überdimensional negativen Reaktionen, die euer Erfolg hervorgerufen hat. Ist es wirklich so einfach wie in Taylors Song? Lässt sich die Negativität so leicht abschütteln?

Manchmal ist es das. Es kommt wirklich darauf an, worum es sich handelt. Ich denke, wir leben in einem Zeitalter, in dem jeder seine Meinung äußern kann. Und wenn du etwas Schlechtes über dich lesen willst, ist das ziemlich einfach. Es ist lustig, denn andere Bands, mit denen wir sprechen, denken manchmal, dass alle das Gleiche durchmachen. Ein Musikerkollege von mir, dessen Namen ich nicht nennen will, sagte: "Ich glaube, wir werden von allen Bands am meisten gehasst". Und da musste ich doch stark protestieren. Aber wenn man in seiner eigenen Welt lebt und sich auf die schlechten Kommentare konzentriert, dann kann dieser Eindruck schnell entstehen. Ich glaube nicht, dass das immer richtig ist. Ich denke, wenn jemand eine berechtigte Kritik an unserer Band hat, dann schrecke ich nie davor zurück. Wir veröffentlichen unsere Musik, wir geben Interviews. Wir sind so etwas wie ein gefundenes Fressen für Leute, die uns hinterfragen oder auf uns herumhacken wollen. Ich denke, wir haben uns selbst in diese Lage gebracht. Aber im gleichen Atemzug denke ich, dass es wichtig ist, bei aller Kritik fair zu bleiben. Ich denke, dass es nicht fair ist, wenn man nur grundlos über Dinge herzieht und Schikane betreibt. Und ich glaube, das ist in der Gesellschaft weit verbreitet, und in den sozialen Medien noch viel mehr. Die Leute beschämen gerne Leute für das, was sie mögen. Das muss nicht unbedingt Musik sein, es kann alles sein. Das ist so einfach, weil im Internet alles anonym abläuft. Ich denke, man muss einfach aufhören, sich auf diese Dinge zu konzentrieren. Also zurück zu dem, was du mit "abschütteln" gesagt hast: Ja, man muss es unbedingt abschütteln. Einiges davon lässt sich nur schwer abschütteln, und da kann man auch ehrlich sein.

Könnt ihr euch mit Künstlern wie Taylor Swift identifizieren, die für ihren Erfolg kritisiert werden?

In gewisser Hinsicht können wir das sicher nachvollziehen. Sie ist heutzutage zu einer ziemlichen Zielscheibe geworden, was sehr bedauerlich ist. Ich denke, wenn du so populär bist wie sie, wirst du zu einem Hassobjekt für die Leute. Und sie können sagen, was sie wollen. Ich denke, es ist völlig unbedeutend, so etwas zu tun. Ich meine, sie macht großartige Musik. Wenn du sie nicht magst, hör sie dir einfach nicht an. Manche Leute haben das Bedürfnis, jeden wissen zu lassen, dass sie etwas nicht mögen, und dann gehen sie oft noch einen Schritt weiter und fangen an, über jemanden persönlich herzuziehen. Ich finde sowas absolut unfair, und ich weiß nicht, wie man dagegen vorgehen kann, außer Kommentare in sozialen Medien zu deaktivieren oder sie einfach nicht zu lesen. Aber ich denke, es liegt in der menschlichen Natur, nach etwas Negativem zu suchen.

"Es war schwer, uns zu entkommen"

Hat die öffentliche Kritik zu irgendeinem Zeitpunkt eure Motivation und kreative Vision beeinträchtigt?

Ich glaube nicht. Wir lassen die Kritik einfach nicht so nah an uns heran. Manchmal haben wir uns schon gefragt, ob an der Kontroverse überhaupt etwas dran ist. Denn die Leute kamen zu unseren Shows und füllten die Arenen und schienen es zu genießen. Aber ich denke, wir waren ein bisschen zu allgegenwärtig. Auf dem Höhepunkt unserer Radio-Single-Karriere hat unsere Überpräsenz viele Leute sauer auf uns gemacht. Denn es war einfach schwer, uns zu entkommen. Wir wurden auf fast allen Radiosendern gespielt. Wenn du in den Charts erfolgreich bist, wirst du ständig gespielt. Und wenn man dem nicht entkommen kann, wird man es hassen. Und das verstehe ich.

Hast du das selbst auch schon mal erlebt, dass du eine Band einfach nicht mehr hören konntest?

Oh ja, einhundert Prozent. Es gibt einige Künstler, die ich nicht mag. Aber ich werde sie dir nicht nennen. Das behalte ich für mich, denn niemand muss wissen, was ich hasse. Es gibt auch viele großartige Künstler, die ich mir nicht mehr anhören kann, weil sie zu oft gespielt wurden. Ich verstehe, wie es ist, einer Band überdrüssig zu sein. Aber ich habe nicht das Bedürfnis, das jeden wissen zu lassen, sondern höre sie mir dann einfach nicht an.

Als Gründungsmitglied von Nickelback hast du viele Höhen und Tiefen und Veränderungen in der Band miterlebt. Und doch gibt es Nickelback nach fast dreißig Jahren immer noch. Was hat euch über all die Jahre hinweg verbunden und dazu gebracht weiterzumachen?

Musik ist das, was ich schon mein ganzes Leben lang gemacht habe. Ich hatte schon viele Jobs. Was mir immer am meisten Spaß gemacht hat, war die Musik, und jetzt ist die Musik gewissermaßen zu meinem Job geworden, und an manchen Tagen fühlt es sich auch wie ein Job an. Wie du sagtest: Da gibt es Höhen und Tiefen, aber die gibt es in jedem Beruf. Aber wir versuchen immer, einen Atmosphäre des gegenseitigen Respekts zu schaffen und zur gemeinsamen Freude an der Musik zurück zu finden. Wir sind uns nicht immer einig, aber wir inspirieren uns gegenseitig und können uns für neue Ideen begeistern. Die Tatsache, dass wir immer noch solche Momente finden können, ist der Grund, warum wir das alles immer noch tun. Andernfalls wäre es Zeitverschwendung und würde niemanden glücklich machen. Was ich meinen Kindern mitzugeben versuche, ist der Mut, etwas zu versuchen. Nicht immer gelingt ein Vorhaben. Doch man tut das Beste, was man kann. Und auch das alles hier wäre vielleicht nie passiert. Es hätte sein können, dass uns der Durchbruch nie gelungen wäre. Dann würde ich immer noch in meinem früheren Job arbeiten, in dem ich acht Stunden am Tag arbeitete und abends noch in den Clubs bis in die Puppen auftrat. Aber ich bin froh, dass wir es damals wenigstens versucht haben. Man kann nicht erfolgreich sein, wenn man nicht am Rennen teilnimmt. Ich denke, dieser Einstellung sind wir treu geblieben.

Leuten, die nicht im Rennen sind, fällt es auch wesentlich einfacher, Kritik zu üben.

Ja, das stimmt. Aber das war schon immer so und wird auch immer so bleiben. Manchmal muss man das einfach ignorieren, aber manchmal sind es auch gerade diese Stimmen, die mich anspornen und dazu bringen, zu sagen: "Ich werde es trotzdem tun".

"Hate To Love: Nickelback" spielt am 27.03. und am 30.03. im Kino.

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