15. September 2023

"Die Leute zeigten auf die Einwanderer"

Interview geführt von

Richtige Rastafari-Roots-Musik, darunter verstehen hartgesottene ältere Reggae-Fans das andächtige 'Nyabinghi'-Trommeln, das zum Beispiel an Marcus Garvey und seinen Kampf gegen den Kolonialismus erinnert. Ein solcher Trommler und überdies ein Schlagzeuger, der auch bei vielen deutschen Hits der 70er den Takt angab, ist Curvin Merchant.

Bereits 1962 kam Curvin mit 18 Jahren nach Hamburg und blieb bis Anfang der 2000er. Dadurch wurde er eine Zeitlang einer der meistgesehenen Reggae-Acts auf deutschen Bühnen. Für die Kartoffel-Nation ein Botschafter seiner Insel, für die Leute aus der Karibik und Westafrika, die als Gastarbeiter nach Hamburg kamen, eine Art Papa, der sie in seinem 'Culture Center' willkommen hieß und dank guten Deutschkenntnissen bei der Integration zwischen zwei Kulturen unterstützte. Das brachte ihm den Namen Jamaica Papa Curvin ein.

Auf seiner Abschieds-Tour 2015 gab er bekannt, in die Tourismus-Branche zu wechseln und wurde Hotelier. Im ganz kleinen Rahmen. Für seinen 80. Geburtstag, den er am 18. September in der Hansestadt feiert, setzte er nochmal über den Atlantik über und gab ein exklusives Konzert in Norddeutschland beim Reggae Jam in Bersenbrück. "Sheriff" Lagemann, der Veranstalter, hat ein Herz für die ganz alten Acts, die man vielleicht ein letztes Mal sieht, und platzierte den Papa zur Prime Time. In der Wetterzone von Wacken waren die Gummistiefel bereits ausverkauft, und es gab Papa Curvin bei straightem Dauerregen zu sehen. Beim anschließenden Talk mussten der Künstler und ich gegen einigen Bass-Lärm ansprechen und konnten daher nicht jedes Detail vertiefen. Trotzdem war's eine Ehre, a great pleasure und eine lustige Begegnung mit dem Mann, der sogar seine Socken Jamaikaflaggen-farben trägt.

Die Zeit, als du nach Deutschland kamst, 1962, das war die Ära des Wirtschaftswunders, es war immer noch die Nachkriegs-Stimmung zu spüren, es gab im Fernsehen die großen Samstagabend-Shows, die eine enorme Reichweite hatten. Da hast du sogar noch Peter Frankenfeld kennen gelernt, Moderatoren waren Entertainer. Dann kam allmählich Ende der 60er das Farbfernsehen auf. Wie erinnerst du dich an diese Zeit? Im Westen des geteilten Deutschland?

Ja, es war geteilt, und irgendwie 'lost'. Die Leute hatten vor irgendwas große Angst. Jedenfalls vermute ich das. Denn es keimte Rassismus auf, und ich denke, das war, weil die Leute Furcht spürten, und dann zeigten sie auf Einwanderer, nach dem Motto 'schau das ist einer von denen.' - Weil sie nichts wussten über diese Gruppe von Personen und ihre Angst auf sie projizierten und Geschichten dazu erfanden.

Ich versuchte das immer ins Positive zu drehen. Ich erinnere mich an einen Vorfall, wo eine Mama zu ihrem Kind sagte "Hör zu! Schau das ist der schwarze Mann. Wenn du etwas Böses machst, dann kommt dieser schwarze Mann zu dir ins Bett." - Und ich wandte mich an das kleine Mädchen und sagte: "Das ist nicht wahr, auf gar keinen Fall werde ich zu dir ins Bett kommen oder dir irgendwas antun. Das stimmt nicht!" - Und dann fragte das Kind seine Mutter: "Mama lügst du mich an?" - Manchmal war's schmerzhaft, sich mit sowas auseinander zu setzen.

Aber: Auch wenn jemand mit Negativität auf uns – ich war damals immer in einer kleinen Gruppe von Leuten unterwegs – wenn jemand mit Negativität auf uns zu kam, dann drehte ich das in Positivität um. Wir ließen uns davon nicht stören oder beeindrucken. Wir atmeten tief durch, und ich sagte zu mir: 'Ok die wissen nix von uns, bring ihnen was bei.' So war das damals. Ich hab eine Familie hier in Deutschland, und ich lernte Deutsch in meiner Gruppe recht schnell und war bald in der Lage es zu sprechen.

In der Musik war's Anfang der 60er noch sehr deutschlastig und deutschsprachig. Du hast in der Zeit Michael Holm kennen gelernt, der kürzlich auch 80 wurde, und du hast mit seinem Kumpel Drafi Deutscher im Studio gearbeitet. Zu der Zeit dominierte Schlager die hiesige Musikindustrie.

Ja, das war Schlager. Ich bin Schlagzeuger und spielte als Drummer eine Menge Zeug im Studio ein. Da gab's ein Studio am Stadtrand von Hamburg, erinnere ich mich, das Studio hieß 'Maschine'. Dort wurde Schlager produziert. Einer dieser Produzenten von da, der sah mich in einem Club auftreten, als ich an einem Sonntagvormittag bei einem 'Frühschoppen' spielte, für Leute, die brunchten. Die Band spielte eher auf Zuruf, "Pick Up Band" nannte man sowas damals, und ich wusste dann nicht, was die als nächstes im Programm vorhatten. Da gab es so grobe Absprachen, 'spiel das in G-Dur und im Tempo Duggu-duggu-dagga-dagga', und dann jammten wir vor Publikum.

Da war also ein Schlager-Produzent, der kam dann zu mir und meinte: "Boy, ich hab Respekt vor dem was du da machst. Du bist ein sehr guter Schlagzeuger, du hast ein gutes Timing drauf. Hier ist meine Karte, ruf mich an, ich hab eine Session, und da möchte ich dich drauf haben, auf den Aufnahmen." - Ich verabredete mich also, dahin zu gehen, spielte dort einen Song, und von da ab arbeitete ich fast zwei Jahre lang in diesen Studios und spielte alle möglichen Sorten von deutschem Schlager. Von Leuten, die ich nicht mal kannte.

Man bekam da schnell Cash in die Hand gedrückt, deshalb hab ich's gemacht. Man spielte, erhielt das Bargeld, und war raus aus der Tür. Witziger Weise liefen etliche dieser Aufnahmen dann im Radio. Und ich hörte das, "woa, hey, das bin ich, der da spielt". (Anm. d. Red.: zum Beispiel bei "Rivers Of Babylon" von Boney M.) Das kann man auch leicht raus hören. Ich hab bestimmte Rolls und Licks, die ungewöhnlich sind. Ich hinterließ also immer meine akustische Duftmarke.

Deine Ausbildung zum Schneider war somit ganz schnell Geschichte….

Tja, meine Mutter wollte, dass ich was anderes mache als Musik. Meine Karriere als Schneider bestand in einem Paar Hosen. Das war's. Nachdem ich die Ausbildung abschloss, ging ich sofort zurück an meine Drums. (lacht)

Deine Familie war also nicht sehr musikalisch?

Ich war der einzige Musiker. Das lag am Schulsystem in Jamaika, und zwar daran, dass man mich in eine Schule steckte, wo eher so die bösen Jungs drin waren. Du wurdest da in eine bestimmte Schule ausgeklammert. Und eine ganze Reihe von Musikern ging von dort ab. Da war ich drei Jahre, und dort lernte ich Schlagzeug spielen.

Du hast nicht nur getrommelt, sondern dich als Singer-Songwriter für Südafrika engagiert, zum Beispiel mit "Free Mandela – Why?". In den 80ern machten das ja etliche, ob in Rock, Pop oder Reggae. Wie schaust du heute auf politisches Engagement in der Musik, was ja eine große Chance für diese Kunstform ist?

Musik kann zur Bildung von Menschen beitragen, und kann sie mit der Nase drauf stoßen, was die Politik mit ihnen macht. Weißt du. Da wählen wir Persönlichkeiten aus der Politik, und dann werden die immer wieder unkritisch gesehen und ein bisschen vergöttert. Mit "South Africa, stand up and fight for your rights", da spielte ich mit einem Bassisten aus Simbabwe, sein Name war Temba. Seine Ehefrau stammte aus Südafrika. Ich lebte zu der Zeit in Hamburg. Dieser Bassist erzählte mir immer wieder über Südafrika, und ich las auch darüber. Erkannte, was da vor sich ging. Und dann brachten wir den Song raus.

Da gab's ja diese künstliche Trennung in Territorien, homelands...

Ja. Naja, heute ist es sehr viel besser dort, denke ich. Ich hab einen Mann getroffen, der aus Südafrika zurück kam, der begegnete mir hier heute, er war neulich eine Zeitlang dort. Dinge wandeln sich.

Computer-Musik wird nie so gefühlshaft sein wie akustische.

Das tun sie ja auch in der Musikindustrie. Wie würdest du einem sehr jungen Menschen denn erklären, was einen Percussionspieler zu einem 'Nyabinghi'-Drummer macht. Heute gibt’s ja weit verbreiteten Einsatz von Drum Machines, die sich nicht besonders elastisch anhören. Das Material in den Streaming-Dienst-Playlists klingt entsprechend geklont.

Ich würde zu einem jungen Menschen sagen: Versuch mal, mehr akustische Musik auszuprobieren. Denn bei einem Großteil der Musik, die mit Hilfe von Technologie gespielt wird, sind die Leute, die das programmieren, überhaupt keine Musiker. Sie sind einfach gute Programmierer. Im Reggae programmieren sie manche Riddims. Aber das sind eben keine Musiker, die zusätzlich zur Musik, die sie mit Instrumenten spielen können, Beats programmieren. Nein, viele sind Programmierer, und sie geben einfach Daten ein.

Ihr könnt ja was programmieren. Da spricht ja nichts dagegen. Aber junge Leute sollten sich außerdem akustische Musik anhören, weil da mehr Gefühle rein gelegt wurden. Und was aus dem Computer kommt, dafür spielt es keine Rolle, ob man dem Ganzen noch einen menschlichen Touch nachträglich hinzu fügt, da wird's nie dieses Gefühlshafte geben.

Im Frühling starb Harry Belafonte, ein berühmter Jamaikaner. Was vielen ja heute nicht so bewusst ist, glaub ich: Jamaika war ja nicht schon immer mit Reggae gesegnet, das kam auch nach dem Ende des Kolonialstatus erst nach und nach. Und die Band, mit der du anfangs gespielt hast, die Bamboos, die machten ja auch wie Belafonte erst mal Calypso...

Belafonte, ja, der war ein großer Einfluss auf uns, mit Calypso und übrigens auch mit Folkmusic. Wir hatten damals auf Jamaika den Calypso, den Mento, dann den Merengue, der uns aus Kuba beeinflusste. All das war, bevor wir dazu übergingen, das amerikanische Zeug zu übernehmen. Es war eine großartige Zeit… Als Musiker hast du damals aber von allem etwas gelernt. Ich lernte Jazz zu spielen. Schon in der Schule. Ich hab in einer Big Band angefangen.

Als ich nach Deutschland auswanderte, spielte ich Calypso, und schon ein kleines bisschen Ska, das war da gerade dabei aufzukommen. Genauso konnte wir aber auch zu Count Basie und dem Sound einer Big Band wechseln, wir konnten Jazz von Art Blakey aufführen. Wir waren also 'multi'-beeinflusst.

Erinnerst du dich, wann du den ersten Reggae-Song in Deutschland gehört hast?

Oh ... Den ersten Reggae-Song ... Wann hab ich den gehört? - Mh, vielleicht hab ich den nicht hier gehört, sondern in Jamaika, denn ich war viel am Ein- und Ausreisen. Deutschland – Jamaika - Deutschland usw. Ich hatte zu der Zeit einen Plattenladen, und wir hörten uns da vieles an. In England war ich dann auch oft. Um Freunde zu besuchen. England hatte eine Verbindung zu Jamaika, wie es sie nirgendwo sonst damals in Europa ab.

Dort war "Israelites" von Desmond Dekker Nummer Eins, 1968 ...

Siehst du ... Ja, diese ganze Musik hörten wir. Wir lebten hier, aber wir lebten mit der ausländischen Musik hier. Aber um ehrlich zu sein, kann ich mich nicht erinnern, welches der erste Reggae-Song war, den ich gehört hab.

Jamaika ist trotz seiner Gangster ein Safe Place!

Seit du 2015 mit deinen Tourneen aufgehört hast, machst du 'Slow Tourism' und vermietest eine Handvoll Ferienhäuser, kleine Hütten, genannt Cottages, verbunden mit jamaikanischer Landeskunde. Wie läuft das bisher?

Das läuft sehr gut. Der Standort heißt 'Real Jamaica'.

Du wohnst dort auch selbst?

Ja, da wohn ich. Dort hab ich vier Ferienwohnungen, und eine fünfte bauen wir gerade.

Für Einzel-Reisende?

Nein, in jeder können zwei Personen übernachten. Manchmal, wenn jemand das möchte, stellen wir ein drittes Bett dazu. Aber der Standard ist für zwei Personen.

Kommen da speziell deutsche Tourist*innen?

Nein, jeder. Sogar Leute aus China! Schau, heutzutage, also... Okay, um ehrlich zu sein: Der Großteil, der größte Anteil an Leuten, ist aus Deutschland. Das stimmt. Aber ich hab Leute aus den USA, aus Holland, Dänemark, Schweden, querbeet, all over.

Das liegt daran, wenn Leute schauen, wo sie unterkommen könnten und ein gutes Gefühl dabei haben, dann kommen sie. Ich denke, davon hängt das ab.

Zeigst du ihnen dann Teile Jamaikas, die sie sonst nicht finden würden?

Ich hab einen Chauffeur dafür. Ich persönlich hab nicht die Zeit dafür, die Touristen an viele Stellen zu bringen. Ich führe sie an ein paar Plätze, die nicht so weit weg sind. Aber: Wir kennen sehr gute Spots, schöne Ecken. Außerdem: Wenn man uns sagt, was man machen will, suchen wir die passenden Plätze dazu. Und mein Fahrer ist sehr gut: Der kennt jeden noch so verborgenen Winkel auf Jamaika. Der bringt Leute an unglaubliche Orte, von denen selbst ich nicht mal wusste, dass sie existieren.

Ja, also wir gehen diese Art von Service den Leuten, die etwas über Kultur wissen wollen - nicht dieses Tourismus-Ding, wo du nur den Strand kennen lernst, Sonnenbrand kriegst und so Geschichten erzählt bekommst wie 'Don't go out! Überall gefährlich! Don't go out!' undsoweiter.

Du kannst überall gefahrlos hin gehen in Jamaika. Als Tourist*in bist du sicherer als ich in Jamaika, sag ich dir.

Kannst du das erklären?

Ich meinte, als Tourist, der nach Jamaika kommt, bist du sicherer als ich, der als Jamaikaner in Jamaika ist. Weil dort die Gangster unter sich kämpfen. Es mag sein, wenn du dort bist, dass Einheimische umgebracht werden, dass Tötungsdelikte statt finden. Dabei bringen sich die Gangster untereinander um. Warum, weiß ich nicht.

Aber als Tourist*in kannst du überall hin gehen, jeder wird hilfsbereit sein. Keiner wird dich ausrauben, weißt du. Recherchier dazu online, und du wirst sehen: Es werden keine Reisenden in Jamaika getötet, es passiert nichts. Jamaika ist ein sicheres Gebiet.

Wenn du mal kommen willst, gib mir Bescheid! (lacht) Du bist willkommen.

Eines von deinen Häuschen hat den niedlichen Namen 'Umbrella Hut'.

(lacht) Ja, das ist das 'berühmteste' - erklär ich dir. Wir hatten eine Hütte, die war sehr klein, und hatte keine Veranda. Also konstruierte ich einen kleinen Platz direkt neben diesem Haus, den jeder Gast als Veranda nutzen konnte.

Was dann passierte, war, dass Fledermäuse dort anfingen zu wohnen und alles durcheinander brachten. Dann gestaltete ich diese Plattform wieder um, baute aus dieser Überdachung eine richtige Hütte und nannte sie 'Umbrella Hut'. Und ich brachte eine Veranda an der kleinen Hütte ohne Veranda an. Die Fledermäuse mochten diesen Umbau gar nicht und verzogen sich. (lacht)

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