laut.de-Kritik

Eine Synthie-Nachtmusik im Gedenken an Ian Curtis.

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Aus dem hohen Norden siedeln sich weitere Nachfahren im musikalischen Einzugsgebiet von Joy Division an. Bahnhof kommen aus dem dänischen Århus und veröffentlichen ihr Debütalbum mit gut einjähriger Verspätung nun auch in hiesigen Gefilden. Schon optisch drängt sich ein Querverweis zu Kashmir aus Kopenhagen geradezu auf. "Reverse" liegt in punkto Farbwahl auf derselben Linie wie deren 2005er Opus "No Balance Palace".

Auch beim direkten musikalischen Vergleich wird offenbar, dass die Bands ein Ufer teilen. Wie Kashmir pflegen Bahnhof eine Vorliebe für atmosphärischen Indierock mit Hang zur düster-poppigen, hymnischen Note. Tatsächlich machen sie ihre Sache auf eigene Art überraschend gut. In der Manier von Interpol oder Editors umgarnen die vier unsere Ohren mit unzweideutigen Gitarren- und Synthiemelodien, die ohne Umwege des Hörers Hirn erweichen.

Dabei blasen sie noch offensiver und synthielastiger zur Indiepop-Offensive als die anderen Ian Curtis-Verehrer. Die Dänen verschmelzen die charakteristisch unterkühlte, melancholische Grundstimmung mit hochtonalem Gesang, der von A-ha infiziert zu sein scheint.

Mag diese Mischung auch auf dem Papier zunächst sehr krude anmuten, klingt sie in HiFi durchaus interessant, erfrischend und überzeugend. Gewöhnungsbedürftiger ist da schon das hupende Keyboard, das mir etwas zu häufig aufdringlich wird, indem es längst überwunden geglaubte Erinnerungen an nervenzehrende Liquido-Dudeleien wachruft.

Liebhabern oben genannter Bands dürfte es nichtsdestotrotz äußerst schwerfallen, dieser bewährten Melange aus genialen, interpolesken Gitarrenmelodien, elektronischen Finessen, catchy Keyboardharmonien und vorwärtsdrängender Rhythmusarbeit zu widerstehen. Immer wieder beleben treibende Breitwandparts das Ohrwurmgeschehen, ergo kommt die rockende Komponente nicht zu kurz.

Trotz einem konstitutiven Hang zur Schwermut, der stets unter der Harmonieglasur mitschwingt, kommunizieren Bahnhof unterm Strich ein deutliches Ja zur Tanzfläche. Jeder der zehn Songs elektrisiert die Synapsen, lässt den Wippfuß zucken und die Gedanken in eskapistische Gefilde abdriften. Bei Titeln wie "Speed", "The Eyes Of Ruby", "Ma Cité, La Cité", oder "Call The Police" denkt schließlich niemand an die Steuererklärung oder daran, dass der Müll mal wieder rausgebracht werden könnte.

Trackliste

  1. 1. Call The Police
  2. 2. Reverse
  3. 3. A Brighter Day
  4. 4. Speed
  5. 5. Uniform
  6. 6. The Eyes Of Ruby
  7. 7. Ma Cité, La Cité
  8. 8. Tanktop Girl
  9. 9. Charm
  10. 10. Sweet Catastrophe

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