Porträt

laut.de-Biographie

Anohni

Ein wenig ist es so, als bringe sich Antony Hegarty als Künstler selbst neu zur Welt. Nach Abschluss eines bis dahin beeindruckenden Erfolgsdauerlaufs mit vier Studiowerken, einem Mercury Prize für das beste Album sowie Freunden wie Boy George, Björk oder Marina Abramovic schließt er 2012 das Kapitel seiner Band Antony And The Johnsons. Nach dem symphonischen Veröffentlichungsabschluss "Cut The World" verschwindet der stets androgyne, stets beinahe transzendent wirkende Kammerpop-Kritikerliebling von Piano und Bühne.

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Eine Zeit der Verpuppung in jeglicher Hinsicht folgt. Der Jahrgang 1971 nutzt den Rückzugsraum seiner Wahlheimat New York zum einen, um die Frage seiner sozialen Geschlechterrolle zu erörtern. Zum anderen erfindet sich Hegarty auch künstlerisch weitestgehend neu. Am Ende ist der Künstler Antony Hegarty tot. An seine Stelle tritt Ende 2015 seine sich weiblich verortende Nachfolgerin Anohni.

"Ich habe mich schon immer als transgender bezeichnet", erläutert die Sängerin mit der überweltlichen Falsettstimme. "Es war deshalb immer etwas merkwürdig, dass ich diesen so eindeutig männlichen Namen trage. Ich kam also irgendwann an den Punkt, an dem ich einen Namen annehmen wollte, der mein Selbst besser beschreibt."

Musikalisch entfernt sich die erklärte Feministin beim Anohni-Debütalbum "Hopelessness" 2016 weit vom Kammerpop. Anstelle brüchig-anrührender Balladen über eigene Befindlichkeiten und emotionale Wandlungen rückt anspruchsvoller Dancepop. Mithilfe der Kollaborateure und Produzenten Hudson Mohawke und Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never - mit beiden hat Anohni bereits zuvor in Featuretracks gearbeitet - wagt sie den Sprung in elektronische Gefilde.

"Dies ist das bei Weitem intensivste Album, das ich je gemacht habe", sagt die Künstlerin selbst. Erstmals schreibt sie die Songs nicht selbst am Klavier, sondern baut die Stücke auf der Grundlage von Fragmenten, die ihr Mohawke und Lopatin zusenden. Diese neue Herangehensweise sei sehr befreiend gewesen. So sucht das kreative Gespann Anschluss zum einen an Anohnis 2008er-Gesangsbeitrag für den Alternative Dance-Act Hercules And Love Affair, zum anderen prägen experimentelle Dubstep-Beats den Sound.

Auch inhaltlich betritt Anohni Neuland. Im Kontrast zum mitunter tanzbaren Klang wendet sie die Lyrics ins Politische. Die Single "4 Degrees" etwa erscheint während des Pariser Weltklimagipfels 2015 und zeichnet ein dystopisches Bild einer konsumsüchtigen, die Umwelt missachtenden Menschheit.

Die folgende Auskopplung "Drone Bomb Me" wiederum zeigt im abgründigen Video Model Naomi Campbell als Verkörperung eines Mädchens, deren Familie im Krieg mittels Drohnen getötet wurde und die sich nun vor lauter Schmerz selbst die Auslöschung durch eine Drone herbeiwünscht. Das mediale Aufsehen ist dem schockierenden Inhalt entsprechend riesig.

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Insbesondere die eigene kapitalistische Verstrickung in die staatliche Mitverantwortung am Elend in der Welt thematisiert Anohni dabei. "Als Steuerzahlerin habe ich Kriegsunternehmungen und Drohnenbombenkampagnen mitfinanziert. Das widert mich an. Außerdem gibt es diesen Mythos, dass die Hochzeit von Popmusik mit politischem Gehalt lange vorbei sei. Ich habe mir gedacht: 'Oh, was für eine interessante Herausforderung - am besten mache ich genau das, und zwar mit Dance Music.'"

Konsequenz demonstriert die New Yorkerin, die Mitte 2016 erstmals ihre zahlreichen Gemälde in einer Ausstellung in Berlin präsentiert, bei allem weltpolitischen Engagement auch weiterhin im ganz persönlichen Rahmen. Stichwort: Identitätspolitik. Als Anohni 2016 als erste Transgender-Person überhaupt für den Oscar für den besten Song ("Manta Ray") nominiert wird, freut sie sich zunächst sehr, doch folgt auf die Nominierung keine Bitte um eine Performance bei der Preisverleihung - im Gegensatz zu allen anderen Nominierten.

Anohni bleibt den Oscars daher fern und verfasst einen ausführlichen Essay, in dem sie ihre Entscheidung begründet. "Ich wurde nicht eingeladen, weil ich in den USA relativ unbekannt bin, einen Song über Umweltzerstörung singe und sich mein Auftritt nicht gut an Werbekunden verkaufen lässt." Letztlich sei das Ausdruck eines größeren Systems sozialer Unterdrückung, dem sich Transmenschen bis heute ausgesetzt sähen. Rock-Superstar Dave Grohl widmet ihr daraufhin seinen Song bei der Oscar-Verleihung.

2017 erscheint die EP "Paradise". Zum Titeltrack lässt Anohni wieder ein sehr aufwendiges Video drehen. In einem Statement vor der Veröffentlichung dieser EP fordert sie die Frauen weltweit dazu auf, Einfluss auf die Politik auszuüben. Ob Geschlechter-, Klima- oder Kriegspolitik: Anohnis Aufbegehren gegen die Mechanismen des Pop-Mainstreams besitzt mindestens die gleiche Durchschlagskraft wie die gefeierten Auftritte als Antony. Überhaupt: Allein sich in der zweiten Lebenshälfte derartig neu zu erfinden, dürfte jeder und jedem enormen Respekt abverlangen.

Auf "My Back Was A Bridge For You To Cross" verwendet sie 2023 erstmals nach neun Jahren ("Turning") wieder das Bandsuffix "And The Johnsons" und zollt Marsha P. Johnson inhaltlich und mit einer Cover-Fotografie Tribut. Sie gehörte zu den einflussreichsten und wichtigsten Wortführern für die Rechte von Trans-Personen und Homosexuellen und kam 1992 aus ungeklärten Gründen zu Tode.

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Anohni - Paradise: Album-Cover
  • Leserwertung: 2 Punkt
  • Redaktionswertung: 4 Punkte

2017 Paradise

Kritik von Toni Hennig

Aktionismus, Pop und eine Ausnahmestimme. (0 Kommentare)

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10 Kommentare, davon 8 auf Unterseiten

  • Vor 7 Jahren

    Hallo everybody!

    I was yesterday at E-Werk, in Cologne. I have to say that the concert was really bad, just the same to listening the album at home. Antony Hegarty, ANOHNI (she) didn´t say a single word apart from the lyrics of her songs. She didn´t even say "Hello" or "Thanks", NOTHING. In addition, there was no possibility to see her face and, to be honest, i doubt that she sung the whole time. Finally, i want to mention that there was a Naomi Campbell´s video at the beginning of the concert, which was more that 15 minutes long. I didn´t like it, but that is just my opinion, the rest i mentioned was just a lack of respect.

    P.S: i really love the music she makes, but the yesterday´s show was really disappointing, almost a rip off.

  • Vor 7 Jahren

    Digger, was erwartest du von so einer Tunte? Goenn' dir einfach mal hart und bleib' ganz geschmeidig.