laut.de-Kritik

Gut gewürzte Poesie einer einst hochgelobten Newcomerin.

Review von

Speech Debelle hatte einiges zu verdauen. Eine zerstrittene Familie etwa, die frühe Erfahrung von Obdachlosigkeit als Teenager. Ihre "Speech Therapy" arbeitete etwa die fragwürdige Rolle ihres Vaters und ihrer Mutter auf, woran jetzt wieder "Come Your Way" anknüpft. Darin schildert sie die Versöhnung mit "my chosen family". Verdaut wird aber auch vegetarische oder gar vegane Kost, "some real food", wie's in "Away From Here", "cooked already" ("11:11"), getaucht in ein feines Curry, siehe "Curry Mutton", Essen das man in ihrer karibisch geprägten Kultur als "Ital" bezeichnet. Ähnlich wie Jessie Ware hatte sich die britische Rapperin auf die Felder Kochrezepte und Podcasts verlegt, aber beides miteinander verknüpft, in ihrem "The Work Brunch" 2017. Es war still um den Londoner Shooting-Star des Jahres 2009 geworden, obwohl sie nach "Speech Therapy" noch das mind-blowing Album "Freedom Of Speech" und die Kochbuch-CD-Kombi "Tantil Before I Breath" nachschob.

Ihre kraftvolle Stimme hat sie sich erhalten. Ihre Vorliebe für Melodie und markante Beats ebenso. Und ihr Faible für die gesamte Palette von Boom-Bap, Jazz-Rap, Spoken Word, R'n'B, Neo-Soul setzt sich auf "Sunday Dinner On A Monday" nun ebenfalls fort. Am meisten nach 2023 klingt "Magic", wo Corynne 'Debelle' Elliot sich an ghanaische Afrobeats anlehnt und damit gut zusammen passt.

Stimmlich am spannendsten gerät die Poetin, wenn sie in eine heisere Stimm-Couleur und in den Gestus der Dringlichkeit wechselt, etwa in "Sweet Dreams". Moderner Urban-Style rekurriert auf '80er Hardcore-Rap und Houserap-Freestyle in "DNA". Das verträumte Spoken Word-Epos "A Reading" schreit nach einer künftigen Kollabo mit Robert Glasper und Jon Batiste. Der R'n'B flirtet mit Dancehall und Azonto in "Come Your Way". Electro macht sich in "Exercise" breit. Motown-Derivate und Badu-Kontemplation treffen Boom-Bap in "Bless Us", wo sie das typisch britische Frühstück Hafer-Porridge zubereitet und dem Babylon-System mit der "superpower" von Vitaminen kräftig eine in die Fresse klatscht. Perfekte Background-Vocals und präzise geschnitzte Beats unterstützen die Fokus-Suche an Sonntagen, an denen der Körper sich nach Erholung verzehrt. Bevor der Speech-Vortrag, der wie ein einziger dreiminütiger Satz wirkt, in eine kleine Jazz-Einlage mündet.

"Atlantis" bewegt sich dicht am G-Funk der early Nineties, ebenso wie an der Blütezeit des Neo-Soul (damals mit D'Angelo, Jaguar Wright und Co.). Ein dritter Nostalgie-Bonus ergibt sich durch den Vortrags-Flow, der an good old MC Lyte erinnert. "Atlantis" steht hier für die Metapher, unter Wasser zu atmen, also von einem Dilemma bedrängt zu sein. Weitere Referenzen an die Geschichte der 'Black' Music knüpfen "Ital" ("sing like Whitney"), der Link zu Thundercat im Text von "Wayward" und "Exercise" mit Verweis auf Solange.

Wieder mal wird der afroamerikanischen, afrokaribischen und afrikanischen "ancestors" gedacht, nicht nur in der Geschichts-Lektion "A Reading" und im lockeren Intro "Curry Mutton" mit Sätzen zur Sklaverei und Debelles jamaikanischer Verwandtschaft. An einer solchen Stelle bekommt die Platte eine recht düstere Note, im herunter pladdernden "10 10 10", musikalisch scratch- und effektverspult im Segment der Swollen Members unterwegs.

Das Hörerlebnis beim "Sunday Dinner" bleibt durchweg spannend, zumal sich sogar die Track-Anordnung nachvollziehbar und in jeder Hinsicht kontrastreich gestaltet. Weiche und harte Tracks wechseln, hymnische Verläufe und eher trockene, gleichmäßige Wortkaskaden wie "Susu", Hip Hop im engeren Sinne mit freieren Fusionen, viel Lyrik-Dichte und freistehende Musikflächen lösen sich im Staffellauf ab. Mit einer hervorragenden Produktion, mit Facettenreichtum, mit Consciousness voller Augenzwinkern und ohne Übertreibung, mit einer guten Mischung aus Nachdruck und Lässigkeit überzeugt die 40-Jährige auf ganzer Linie. Es ist so mitreißend wie entspannend, sich auf ihr Können und souveränes Auftreten in diesen vielen definitiv richtig guten Tracks einzulassen.

Trackliste

  1. 1. Curry Mutton
  2. 2. Away From Here
  3. 3. 11:11
  4. 4. Come Your Way
  5. 5. Bless Us
  6. 6. 10 10 10
  7. 7. Susu
  8. 8. DNA
  9. 9. A Reading
  10. 10. Atlantis
  11. 11. Magic
  12. 12. Ital
  13. 13. Wayward
  14. 14. Exercise
  15. 15. Sweet Dreams

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