23. März 2020

"Rockstars sind tot"

Interview geführt von

Ja, es ist möglich, die Fußstapfen von Bands wie Metallica und Iron Maiden ausfüllen! Als Headliner beim Wacken Open Air 2019 untermauerten Parkway Drive ihre Stellung als Speerspitze des Generationenwechsels im Metal. Warum damit gleichzeitig ein Paradigmenwechsel im Verständnis des Prinzips 'Rockstar' einhergeht, erklärt uns Shouter Winston McCall im Interview.

Berlin, 22. Januar 2020: Winston McCall stellt im großen IMAX-Saal die Dokumentation "Viva The Underdogs" vor, die heute weltweit in den Kinos startet. Parkway Drive, die fünf wellenreitenden Metalcore-Kids aus Byron Bay, bringen Leute also nicht nur in Massen zum Crowdsurfen, sondern auch zum Stillsitzen in plüschigen Sesseln. Man sieht, wie die Band ihre "Reverence"-Tour konzipiert, die Stageshow plant, Anekdoten aus der eigenen Historie zum Besten gibt und unaufhaltsam – mal wieder verletzungsbedingt mit Rollstuhl im Gepäck – auf das bisher größte Konzert ihrer Karriere zurollt: dem Headliner-Gig beim 30. Wacken Open Air.

Einen Mitschnitt dieses Auftritts veröffentlichen Parkway Drive nun als Livealbum "Viva The Underdogs" – und haben noch eine Überraschung in der Hinterhand: Deutsche Versionen von drei ihrer Songs. Bei der Umsetzung half ihnen Casper. Winston McCall erklärte uns am Tag nach der Kinopremiere, wie die Kollaboration mit dem Rapper ablief und blickt zurück auf 15 Jahre Parkway Drive.

Gestern baumelte eine interessante Kette um deinen Hals. Was hat es mit ihr auf sich?

Ah, das war Nick Caves "Red Right Hand". Habe ich auf seiner Tour gekauft – eine für mich, eine für meine Frau. Und da ich so weit weg von meiner Frau war, dachte ich mir, ich trage das für sie bei der Premiere. Vielleicht ein bisschen sentimental, haha.

Nick Cave ist eins deiner Idole oder?

Nummer 1! Ich würde nicht sagen "Idol", aber als jemand, zu dem ich als Künstler aufschaue, ist er definitiv die Nummer 1. Nick Cave und die Bad Seeds als Band. Es ist phänomenal ihnen zuzuschauen. Diese Qualität von Performance und Kunst! Als jemand, der selbst sowas macht, diesen Effekt von dem was sie tun zu spüren, ist wie Magie. Es ist unfassbar, das zu sehen und zu fühlen. Es trifft dich einfach. Und: unglaubliche Texte!

Während der "Skeleton Tree" Tour hatte er einen Steg direkt vor dem Publikum aufgebaut und kam so den Fans während der ganzen Show sehr nah. In eurer Show gibt es inzwischen ein ähnliches Element: Statt normal auf die Bühne zu gehen, startet ihr jedes Konzert im Rücken des Publikums und lauft im Fackelzug einmal quer durchs Venue – bzw. bei Festivals quer über das Infield. Eigentlich total simpel, aber mir enormer Wirkung – trotzdem macht das kaum jemand. Wessen Idee war das?

Meine! Wir hörten die Leute über unsere Shows sagen: "Es war crazy. Was wird wohl nächstes Mal passieren? Werden sie alles wegbrennen?" Wir wollten keine Band sein, die ein Wettrüsten startet und einfach immer größere Bomben auffährt. Wir stehen auf Reinterpretation, Stimulation und Unvorhersehbarkeit. Die Idee war, die Show mit etwas zu beginnen, was man nie erwarten würde. Und das war: Die Band steht hinter mir. (lacht) Und nicht nur das. Wir wussten, sobald die Leute es verstanden haben, würde die Show mit menschlicher Face-to-Face-Interaktion starten. Schön und gut, dass all das verrückte Geballer nachher stattfindet, aber du etablierst so direkt eine Connection. Der Rockstar ist schon tot, bevor irgendwas passiert. Das Konzept erscheint simpel, aber stell dir vor, ich muss in einer 10.000-Leute-Arena oder beim Wacken Open Air an jedem Besucher vorbeilaufen und zur Bühne kommen, ohne dass die Leute wissen, dass ich komme. Jede Nacht hoffe ich inständig, dass wir es nach vorn schaffen! Als ich dem Rest der Band die Idee vorstellte, kam die Antwort: "Unmöglich. Die Leute werden uns stoppen. Wir werden nicht zur Bühne kommen. Das wird ein Albtraum." Nee, habt Vertrauen. Habt Vertrauen, dass die Leute das kapieren. Wir haben coole Fans. Darum solls gehen. Und es ist jeden Abend dasselbe: Du kannst den Leuten ins Gesicht schauen!

Wann habt ihr das zum ersten Mal ausprobiert?

Zum Start der "Reverence"-Tour. Ich glaube das erste Konzert der Tour fand in Hamburg statt und dort haben wir das auch zum ersten mal umgesetzt. Als wir rausgelaufen sind, mit den Fackeln in der Hand, sah ich erstmal nur ein Meer von Telefonen, die in die andere Richtung zeigten. Wir liefen los und die Leute waren genervt: "What the fuck, hör auf, ich versuche gerade... OH SHIT!" (lacht) Das war schon ein cooles Konzept. Am schwierigsten ist immer, rauszufinden, wie man am Besten auf die Bühne kommt, wann und wie man die Show startet. Der Anfang und das Ende sind die wichtigsten Teile des Abends, denn das sind erster und letzter Eindruck.

Der Höhepunkt dieser Tour war euer Auftritt als Headliner beim Wacken Open Air 2019, wo ihr das neue Livealbum aufgenommen habt. Dort hört man dich sagen, es wäre die bisher beste Show deines Lebens. Was machte diesen Gig so besonders für dich?

Es war alles! Wacken war das wichtigste Booking unserer Karriere, weil wir glaube ich die erste Band einer weit jüngeren Generation waren, denen die Gelegenheit geboten wurde, dieses Festival zu headlinen. Schau dir die Legenden an, die bei dieser prestigeträchtigen Veranstaltung schon als Headliner gelistet waren... Wacken hat eine Reputation, eine Historie, eine Kultur! Und dann taucht der Name Parkway Drive auf und wir wussten, wir sind nur fünf Kerle aus einer Kleinstadt in Australien, die jetzt Legenden folgen müssen. Als neue Band in dieser Rolle hast du Druck. Was passiert, wenn etwas schief geht? Du hast ständig im Hinterkopf, dass mehr als je zuvor auf dem Spiel steht.

Wir hatten Schiss bis fünf Minuten vor Konzertbeginn. Und dann schauten wir nach draußen und sahen: Alle sind da! Jeder würde sich das angucken! Keine Wolken, kein Regen, kein Wind. Da waren wir uns sicher: "Okay, das wird fantastisch!" Ab diesem Punkt wurde es besser und besser und besser. Es war einfach die perfekte Show. Es war die größte Show, die prestigeträchtigste Show, die spaßigste Show. Unsere Familien waren da! Alles daran war großartig. Und zum Glück hatten wir davon auch ein sehr gutes Recording.

Welcher Moment des Wacken-Auftritts ist dir besonders im Gedächtnis geblieben?

Der Moment, als sich die Leute bei "Bottom Feeder" bewegt haben. A L L E sind gesprungen. Es ging so weit nach hinten, dass es wegen der Relais-Türme teils zeitversetzt passierte. Es ging nicht nur hoch und runter – es war wie eine Welle, die bis ganz nach hinten schwappte. Sowas hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Wir schauten uns an und dachten bloß: "Oh. Mein. Gott!" Sowas vergisst du nicht.

"Ich habe Freunde, die glauben, wir wären Milliardäre"

Wacken ist auch der Ankerpunkt eurer Dokumentation "Viva The Underdogs", die im Januar weltweit in den Kinos lief. Fühlt man sich als Headliner einiger der größten Festivals der Welt wirklich noch als Underdog?

Es ist schwierig, uns jetzt so zu sehen. Aber ehrlich gesagt, ja: Wir haben noch immer diese Einstellung! Für uns hat sich nichts geändert. Der Erfolg kam und das ist wirklich, wirklich großartig. Aber es ist immer noch Teil unserer Identität. Es ist Teil unseres Arbeitsethos'. Selbst mit all dem Erfolg kommt es im Kern immer noch auf uns an. Niemand sonst wird die Last mit uns tragen. Es ist immer noch höllisch viel Arbeit. Wir sind definitiv eine Erfolgsgeschichte – keine Frage. Und wir sind zweifellos in einer fantastischen Position. Aber der Underdog-Part steckt noch in uns. Darauf kommt es an.

Wir hatten diese Underdog-Mentalität schon immer. Als wir anfingen, den Film zu drehen, hofften wir, dass es in Erfolg münden würde, aber die zentrale Idee war einfach, zu zeigen, wie es ist, Teil dieser Band zu sein und wie viel Arbeit dahinter steckt. Ich glaube niemand hätte vorhersagen können, dass Parkway Drive einmal an den Punkt gelangen könnte, an dem wir heute stehen. Die Reise dieser Band war eine Überraschung für jeden. Den ganzen Weg lang hatten wir das Gefühl, für jeden einzelnen Schritt kämpfen zu müssen – weil niemand uns kommen sah. Wir mussten uns selbst vertrauen. Mit dieser Attitüde fühlst du dich wie der Underdog – von Tag 1 an.

Wir hatten echt Glück, dass das hier zum Erfolg wurde. Der Film hätte auch eine Dokumentation übers Versuchen und Scheitern werden können. Teilweise zeigt er auch Scheitern. Es ist nie einfach. Du siehst, wie einige unserer schlimmsten Albträume auf der Bühne passieren. Und wenn wir scheitern, fehlen wir nicht nur uns, sondern auch all die Leute hinter den Kulissen. Wenn wir was verbocken, kriegen wir vielleicht nie wieder eine Show. Die Leute könnten die Band scheiße finden oder der Booking Agent sagt: "Sie habens versaut, mit denen arbeiten wir nicht mehr." Das spürst du als Verantwortlicher. Aber wir möchten, dass die Leute in diesem Film sehen, dass man auch mal scheitern kann und es okay ist. Letztendlich sind wir alle nur Menschen.

In der Dokumentation geht es nicht nur um Parkway Drive, sondern auch um die Zukunft von Rock und Metal. Wie reagierst du auf die berühmte Phrase 'Rock ist tot'?

Ist er nicht. Ich glaube, Rockstars sind tot. Das Konzept von Rockstars und Rockstartum, das man vor Augen hat, wenn man Filme wie "Rocketman" und "Bohemian Rhapsody" guckt, diese Mythologie von Rock'n'Roll als Exzess, mit Millionen von Dollars, Jets, Goldenen Schallplatten und Drogenproblemen überall – das ist ein Ding der Vergangenheit. Es mag heutzutage noch in einer sehr kleinen Version existieren, aber es ist nicht mehr das gleiche.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Musik tot ist. Das bedeutet nicht, dass der Geist tot ist. Es bedeutet einfach, dass es eine neue Entwicklung des Sounds gibt. Auch deshalb wollten wir den Film rausbringen. Ich habe immer noch Freunde, die nicht verstehen, was ich tue. Sie glauben, Parkway Drive wäre gewaltig und wir wären Milliardäre. "Hä, du fliegst Economy Class mit nur einem winzigen Sitz im Flugzeug? Habt ihr kein Privatjet?" Fuck nein! Die Leute glauben tatsächlich noch, das wäre Realität im Rock. Und dann gibt es die aus der damaligen Ära, die behaupten: "Rock'n'Roll ist tot." Nein, du scherst dich einfach bloß nicht mehr darum. Du scherst dich nicht darum, was neu ist. Was du machst, mag tot sein – aber was ich mache, hat Bedeutung.

Wo siehst du persönlich die Zukunft des Metals? Bist du ein Teil davon?

Ich wäre liebend gern Teil davon. Ich glaube auch, dass wir Teil davon sind. Man kann nicht abstreiten, dass diese Band weiter wächst. Das Wachstum ist schon jetzt beträchtlich. Die Menschenmenge, die hinter uns steht, die zu unseren Shows kommt und unsere Musik hört – das kann uns keiner nehmen. Man kann menschliche Interaktion nicht fälschen. Das ist klasse. Wo ich die Zukunft sehe? Ich finde, es kommt eine ganze Menge großartiger neuer Musik nach. Die Zukunft liegt immer in Authentizität. Wir befinden uns in einer spannenden Zeit, wo die Bands dank Technologie, sich ändernder Einstellungen und Experimentierfreude anfangen, Sachen zu entwickeln, die klingen wie nichts anderes vorher, und es gibt Bands, die alte Konzepte schnappen und erneuern. Wir stehen an einem Punkt, an dem die Leute offen für neuen Sound sind. Vor ein paar Jahren fiel das schwer. Die größten Bands, die nachkamen, machten etwas Altes. Man sagte: "Oh, du klingst wie Led Zeppelin. Toll." Aber ist das wirklich die Zukunft? Soll es wirklich eine Band sein, die das Gleiche macht wie jemand anderer? Ich glaube, neuer Sound ist die Zukunft. Doch was das genau sein wird, werden wir erst wissen, wenn es bei allen anschlägt. Dann passiert Magie. Dann passiert Fortschritt.

Die Reise von lokalen Clubs zur Spitze internationaler Festivalbühnen dauerte 15 Jahre für euch – für eine Metalband heutzutage recht schnell. Was war deiner Meinung nach der Schlüssel dafür?

Ist das schnell? Ich bin mir nicht sicher. Wenn du es lebst, klingen 15 Jahre nach einer recht langen Zeitspanne. Gleichzeitig sehe ich keinen Punkt, an dem alles hätte beschleunigt werden können. Aber was mich an Metal schon immer fasziniert hat hat: Wenn wir schnell an diesen Punkt gekommen sind und es 15 Jahre gedauert hat, dann waren das 15 Jahre ganz im Zeichen unserer Kunstform. Und wenn andere Bands in der Vergangenheit genauso lange gebraucht haben, wird es genauso gewesen sein. Nach einer solchen Zeitspanne musst du Leidenschaft haben. Du kannst nicht auf einen Hype, einen Viralerfolg oder eine Pop-Explosion vertraut haben. Es ist harte Arbeit und Hingabe und eine echte Connection mit den Fans. Ich feiere es immer, wenn ich Bands sehe, die so etwas haben. Nimm Metallica und Iron Maiden: Sie sind noch immer aktiv, sie produzieren noch immer tolle Kunst, sie sind sehr gut in dem was sie tun und brennen offensichtlich dafür. Als Metallica heranwuchsen, gab es Popstars, die ein Jahr lang groß waren und danach verschwunden sind. Sie existieren nicht mehr und ihre Kunstform ist total irrelevant. Dann schaust du zum Metal und die Hingabe der Leute an Qualität – sie werden immer daran festhalten. Diese Kultur macht uns im Metal so stark, denke ich.

Trotz Parkway Drives enormen Wachstums managet ihr euch noch immer selbst. Ist das eins eurer Erfolgsgeheimnisse?

Es ist definitiv Teil davon. Vielleicht hat es uns auch ein Stück weit aufgehalten, aber insgesamt gesehen wohl eher nicht. So funktionieren wir einfach als Band. Vieles von dem, was wir tun, können wir einfach deshalb tun, weil wir die finanziellen Mittel dafür haben. Und der einzige Weg, das zu bewerkstelligen ist, indem wir Jobs selbst übernehmen, die uns andernfalls Geld kosten würden. Wir engagieren keine Set-Design-Company, um unsere Show zu produzieren. Es gibt kein Show Production Team – das ist einfach die Band. Es gibt kein Management Team – das ist die Band. Das Produktionsteam sind unsere Leute, unsere Ingenieure und die Band. Das bedeutet, wir investieren in das, von dem wir glauben, das wir es stemmen können. Was wir gespart haben, stecken wir dann in eine größere Realisierung dessen, verbringen mehr Zeit im Studio und basteln eine verrücktere Bühnenshow. Lass deiner Vorstellungskraft freien Lauf.

Also ja, es könnte sehr gut Teil des Erfolgsgeheimnisses sein. Aber zugleich ist es natürlich nicht einfach. Wenn das Geheimnis lautet: "Arbeite dir jeden einzelnen Tag deines Lebens den Arsch ab", braucht es Leidenschaft. Das hier ist jeden Tag des Jahres Arbeit. Ich lebe Parkway Drive und ich tue etwas dafür. Ich wache zwar nicht auf und denke: "Oh mein Gott, schon wieder arbeiten", aber die Realität ist Folgendes: Du kannst nicht locker lassen, du musst die ganze Zeit hellwach sein. Die Leidenschaft hält dich hellwach. Wenn du mit Leidenschaft aufwachst und rangehst, fühlt es sich nicht wie Arbeit an.

Ihr habt eine sehr klare Rollenverteilung innerhalb der Band. Du bist der Sprecher, stehst nicht nur auf der Bühne, sondern generell im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung. Was ist für dich die größte Herausforderung dabei?

Es ist viel Arbeit. Ich fliege zum Beispiel eine Woche allein nach Europa, nur für Interviews. Ich bin quasi allein auf Tour. Das ist hart. Seine Familie zu verlassen, ist immer das härteste. Aber ich glaube die größte Herausforderung ist: Wenn ich das Gesicht der Band bin, kommen die Leute zuerst zu mir – auch um irgendwelche Scheiße zu labern. (lacht) Und je größer du bist, desto mehr Leute haben Scheiße zu sagen. Ich habe mich komplett von Social Media abgekoppelt, weil es einfach zu schwer ist, damit umzugehen. Man sagt immer so: "Ignorier es einfach. Schau dir die Kommentare nicht an." Es berührt dich trotzdem. Und es lastet mental schwer auf dir. Du kannst Dinge nicht ungesehen und ungehört machen. Aber die Realität ist: Wir stehen auf der Bühne und die Liebe dieser Verbindung dort ist unbeschreiblich. Das stützt dich und ist dein Realitätscheck. Du merkst: Da ist was Besonderes. Aber immer das Gesicht und der erste Identifikationspunkt zu sein, ist hart. Du musst ständig dein Schild hochhalten.

Wird es manchmal schwierig, den Gemeinschaftssinn in der Band aufrecht zu erhalten, wenn du in der Öffentlichkeit ständig im Zentrum stehst?

Teils teils. Was wirklich hart war, war festzustellen, welche Opfer es als Band erfordert, wenn du die Kontrolle über alles hast und 15 Jahre deines Lebens vorbeiziehen. Jeder in der Band arbeitet so hart und wir dachten immer es gilt: Hör nicht auf, zeig keine Schwäche – wenn du zerbrichst und ein Teil stoppt, ist das große Ganze gefickt. Aber wenn du dabei nicht miteinander sprichst, sondern nur aufs Überleben fokussiert bist, vergisst du leicht, zu checken, ob jeder okay ist. Ich mach das, was ich mache, weil keiner der anderen es wirklich machen möchte. (lacht) Die anderen waren früher bei Interviews immer eher schüchtern. Und wenn jetzt Interviews anstehen, bin ich einfach gut im Reden. Ich schreibe alle Texte, rede gern und ich glaube inzwischen bin ich recht gut bei Interviews geworden. Das kann schon eine Herausforderung sein. Wenn du im Spotlight stehst und dir jemand eine Frage stellt, kannst du nicht mit "äh, hm, yep" vor dich hin stottern...

Und du musst das den ganzen Tag durchhalten können.

Auch das. Und wenn wir zu fünft in einem Interview sitzen, schwafle trotzdem bloß ich. Wenn dann jemand die anderen fragt: "Und was denkst du?", kommt zurück: "What Winston said..." (lacht) Wir sind trotzdem immer noch eine sehr starke Einheit. Bei allem was passiert, lernst du, wie du dennoch Mensch, Freund und Familie zugleich sein kannst. Es ist nicht immer das gleiche, aber du musst clever genug sein, zu wachsen. Wir alle in der Band mussten wachsen.

Hat sich über die Zeit deine Vorstellung davon, was es bedeutet Künstler und Musiker zu sein, geändert?

Hundertprozentig! Das ist auch der Grund, warum sich die Musik verändert. Jede Rolle, die wir einnehmen, bedeutet auf gewisse Weise persönliches Wachstum. Und das überträgt sich auf die Kunst. Jeff (Ling; A.d.R.) wurde der primäre Gitarren-Songwriter und übernimmt Produktionspflichten. Er hat sein Wissen über die Funktionsweisen von Musik erweitert, was er auf einer Gitarre anstellen kann und alles, was damit zu tun hat. Das gleiche gilt für mich als primärer Texter. Meine Lyrics haben sich total verändert. Meine Vocal-Performance ändert sich. Was ich den Leuten über die Musik in Interviews verständlich machen möchte, ändert sich. Was wir in diese Rollen stecken, wirkt sich direkt darauf aus, was wir kreieren wollen. Wären wir nicht glücklich damit, würden wir es nicht tun, sondern hätten etwas anders gemacht. Aber all das erlaubt so viel Wachstum und Genuss.

Wir haben diese Band nicht gestartet, um etwas zu machen, das uninspirierend und langweilig ist, sondern weil es Spaß machte und neu war. Wenn du einen Song tausendmal spielst, ist er nicht mehr neu und macht auch keinen Spaß mehr – er wird zur Routine. Sich weiterzuentwickeln und stetig zu lernen steckt im Kern dieser Band. Es geht einfach immer weiter und weiter und weiter, weil wir nach wie vor dafür brennen. Wir suchen immer noch nach neuem Sound, neuen Rollen, neuer Bedeutung. Der Tag, an dem die Inspiration fehlt, wird der Tag sein, an dem wir aufhören zu spielen. Ich bezeichne es zwar oft als Job, aber es ist genauso sehr eine Leidenschaft. Es ist eine Leidenschaft, die zu einer Karriere wurde. Aber diese wäre nichts ohne die Leidenschaft.

Mit wachsender Reichweite wächst auch die Verantwortung. Das wurde im Zuge der Buschbrände in Australien kürzlich sehr deutlich, als ihr eure Reichweite aktiv genutzt habt, um die Menschen zur Mithilfe zu animieren. Fühlst du dich wohl in dieser Rolle?

Das ist eine harte Rolle, aber ja – tue ich. Ich fühle mich geehrt, dazu in der Lage zu sein. Aber es ist schwer, rausfinden, wie man diese Verantwortung bestmöglich nutzt. Es freute mich wahnsinnig, wie die Leute darauf reagiert haben. An alle, die gegeben haben oder dem Ganzen einfach Aufmerksamkeit geschenkt haben: Wisst, dass eure Gesten an Australien uns Hoffnung in einer sehr schweren Zeit gegeben haben. Mit Vergleichbarem hatten wir vorher noch nie zu tun. Zu sehen, dass die Leute, die uns folgen und unterstützen nicht nur für uns, sondern auch für alle anderen in diesem Land da waren, als es verletzt war, ist das Kraftvollste, was wir mit dieser Band erreichen können. Ich kann gar nicht beschreiben, wie es sich anfühlte, als die Leute begannen, zu spenden und uns die Hand zu reichen – sei es nur mit ein paar ermutigenden Worten. Das war unglaublich.

"Casper versteht die Musik"

Für "Viva The Underdogs" habt ihr als Bonus drei eurer Songs mit deutschen Texten aufgenommen. Wie kam das zustande?

Das war eher ein Unfall. Der Großteil unserer Roadcrew sind Deutsche. Unser Tourmanager Oise (Ronsberger; A.d.R.) ist Deutscher. Oise singt gerne Parkway Drive Songs, wenn er backstage rumläuft und arbeitet. Eines Tages sang er "Vice Grip" und streute eine deutsche Zeile ein. Wir fanden das ziemlich cool und wollten wissen, wie die nächste Zeile geht. Er sang auch das und es funktionierte. So war die Idee geboren. Wir waren neugierig, einen kompletten Song in dem Stil zu hören. Oise meinte: "Okay, wenn ihr darüber nachdenkt, kann ich Casper mal anhauen. Er kann euch die Lyrics übersetzen." Denn ich spreche natürlich immer noch kein Deutsch. Wir sind immer noch ignorante Australier.

Die Idee war, damit die Verbindung zu unseren Fans weiter zu stärken. Seit 13 Jahren touren wir durch Deutschland. Nirgendwo spielen wir größer. Ich hege großen Respekt für die Menschen und die Sprache – und während ich diese Sprache immer noch nicht gelernt habe, singen die Leute trotzdem mit uns auf Englisch. Vielleicht können wir das jetzt also als Geschenk zurückgeben. Jetzt habt ihr eure eigenen Versionen dieser Songs. So billig das klingen mag: Die Songs haben wir wegen ihrer schon bestehenden Verbindung zum Publikum ausgewählt. Diese Songs singen die Leute ohnehin schon mit – aber natürlich auf Englisch. Jetzt wollen wir Folgendes ausdrücken: „Wenn ihr singt, könnt ihr eine noch tiefere Connection aufbauen, wenn ihr in eurer Sprache singt.“ Die Songs mussten auch übersetzbar sein. Wir haben einige andere ausprobiert, wo es schlicht aufgrund von Silbenzahl und Klang nicht funktioniert hat, das ursprüngliche Konzept aufrecht zu erhalten.

Wie war es für dich, auf Deutsch zu singen und zu shouten?

Ich gab alles dafür, dass es nicht einfach bloß eine australische Bastard-Version von Deutsch wird. Mein Ansatz war, die Aussprache so korrekt wie möglich hinzubekommen. Mit "Würgegriff" begann das Projekt für uns. Ich musste meine ignorante englische Zunge über Deutsch stülpen und die Nuancen der Sprache lernen. Es existieren einige Klänge und gewisse Aussprachen, die es im Englischen einfach nicht gibt. Das war eine echte Herausforderung, besonders fürs Gedächtnis. Es ist eh schon schwer, sich Songtexte zu merken, aber Zeilen in einer dir unbekannten Sprache zu erinnern und zu singen, mit der du eben nicht ein Leben lang vertraut bist und bei der du keine Bilder zu den Worten im Kopf hast, ist echt schwer. Ich sang drei Tage lang täglich eine Stunde lang bloß eine Zeile. Nach drei Tagen konnte ich sie auswendig, dann ging es an die zweite Zeile und so weiter. Du kannst dir vorstellen, wie lange der komplette Song gedauert hat. Aber als sich alles langsam zusammenfügte, war das schon cool. Wir merkten, dass das funktionieren kann. Als das Gedächtnis sich dran gewöhnt hatte, war es auch okay, wirklich Deutsch zu lernen. Das Gedächtnis war das Schwierigste.

Du hast schon erwähnt, dass Casper die Lyrics für euch übersetzt hat. Bei "Schattenboxen" wirkt er auch als Gastrapper mit. Wie habt ihr ihn eigentlich kennengelernt?

Wir kennen Casper schon seit ein paar Jahren. Unser Tourmanager Oise war auch mal sein Tourmanager. Außerdem war er selbst ein Hardcore-Kid, er versteht also die Musik. Wir hatten immer ein wenig Kontakt zu ihm. Er mochte die Idee, also probierten wir Demos mit ihm aus. Es begann mit "Vice Grip" – "Würgegriff". Aber dann kam er mal zu einer Show und fing an, "The Void" auf Deutsch zu singen und meinte: "Das erinnert mich an Metallica!" Okay, vielleicht können wir auch zwei Songs machen. Und dann dachten wir uns – auch noch auf dieser Tour: "Warum holen wir Casper nicht noch als Gast auf 'Shadow Boxing' und machen eine komplette Kollaboration?"

"Schattenboxen" war der ambitionierteste, aber auch interessanteste Teil des Projekts – die erste Parkway Drive-Kollabo überhaupt! Es ging nicht bloß darum, einen Gastsänger etwas singen zu lassen, das wir geschrieben hatten. Wir mischten das englische Original mit einigen deutschen Zeilen von mir und dann gaben wir das Songkonzept an Casper und sagten: "Dreh frei! Du brauchst nicht singen, was im Originaltext stand. Gib uns, was dir der Song bedeutet. Mach, was du am besten kannst." Und was er macht, macht er nunmal sehr, sehr gut. Wir hatten keine Ahnung, was dabei rauskommen würde. Es war eh schon ein sehr dynamischer Song, aber jetzt gibts noch mehr Schichten – eine totale Achterbahnfahrt!

So entstanden drei Songs. Wenn es jemals einen richtigen Zeitpunkt dafür gab, dann jetzt, nachdem wir eine hauptsächlich in Deutschland spielende Dokumentation abgedreht haben. Wir hatten das erst gar nicht auf dem Schirm, aber so ist es nun. Jetzt kriegt ihr auch eure eigenen Songs!

Wo siehst du dich und Parkway Drive in weiteren 15 Jahren?

Wie alt bin ich denn in 15 Jahren? Jesus, 53 oder 52! Ich sag dir mal was Verrücktes: Ich glaube, wir werden das in 15 Jahren immer noch machen. Und ich frage mich, wie dann wohl meine Stimme klingen wird... Das Tolle ist, dass ich gerade riesiges Verlangen und Hunger darauf verspüre, weiterzumachen und weiter kreativ zu sein. Es fühlt sich an, als würden wir gerade erst anfangen. Nach 15 Jahren mittendrin ist das ein krankes Gefühl! Ich hoffe, dass ich diesen Hunger, diesen Antrieb füttern kann. Es fühlt sich großartig an, eine Leidenschaft zu haben und Kunst mit diesen Menschen zu schaffen. Als Gruppe sind wir so viel stärker. Ich kann das hier nicht allein machen. Ich kann keine Musik schreiben, ich kann nichts spielen. Ich baue bei all diesen Dinge in meiner Vorstellung auf die Menschen, denen ich vertraue und mit denen ich so gerne zusammenarbeite. Zusammen machen wir alle das gleiche: Wir sammeln unsere Ideen und Vorstellungen, verbinden sie und schaffen daraus etwas Besonderes. Ich hoffe, wir können das solange fortführen, wie wir physisch dazu in der Lage sind. Das hier erfüllt mich. Es ist Teil von mir. Ich weiß nicht, ob wir eine größere oder eine kleinere Band sein werden, ob wir mehr oder weniger touren werden. Ich hoffe einfach, dass wir weitermachen können – denn jetzt gerade ist das alles, was ich machen möchte.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Parkway Drive

Australien hat so Einiges zu bieten - gerade im Musikbereich. Zum Beispiel die im Jahr 2003 gegründete Band Parkway Drive, die sich dem Hard- und Metalcore …

1 Kommentar