laut.de-Kritik
Retro-Pop-Perle zwischen Cardigans, Creedence und den Beatles.
Review von Michael SchuhWenn alte weiße Männer ins Schwärmen geraten, muss man heutzutage ja höllisch aufpassen. Weiß ich selbst am besten, meine jungen Redaktionskolleg*innen kennen die 90er ja auch nur vom Hörensagen und grinsen (manchmal andächtig), wenn ich von Festivalerlebnissen aus dem Jahr 1995 erzähle. Bei so reflektierten Individuen wie Andreas Dorau und Christoph Dallach (no ageism intended) muss man aber nichts befürchten. Der eine lernte Gitarre bei Holger Hiller, der andere schreibt kenntnisreich über Krautrock, in meiner kleinen Welt sind solche Menschen über jeden Zweifel erhaben.
Objekt ihrer Schwärmerei ist ein gewisser Schlagzeuger namens Zwanie Jonson, den wiederum ich nicht kenne. "Oha! Fehler! Unfasslicher Tüp, dieser Jonson" ist nur eine Reaktion, die mich auf dieses unpopuläre Bekenntnis hin erreicht, ist doch eine Standard-Antwort aus dem Musikjournalisten-Vokabular, wenn man fehlendes Know-How kaschieren will: "Ja, find ich interessant, vor allem die erste Platte mag ich."
Tatsächlich ist die (wahn-) witzige wie übersteigerte D&D-Lobhudelei, die als Labelinfo für "We Like It" dient, einfach nur gerechtfertigt. Dallach findet, die Stimmung der Platte ähnele "dem ersten Bier, zu früh getrunken, ab 17 Uhr", um danach "gut gelaunt über wehmütige Dinge nachdenken." Dorau, der bereits mit Jonson zusammen spielte, verrät: "Die meisten Leute, mit denen man Musik macht, haben sofort ein Role Model im Kopf. Aber mit Zwanie macht man einfach Musik. Dann kommen unbekannte Einflüsse aus allen Ecken, alle möglichen Genres fließen in die einzelnen Stücke mit ein. Pop, Rock, Soul, Folk und Beatles aber letztlich immer eine eigenständige Musik, die nie zum Klischee erstarrt."
Arg viel hinzuzufügen gibt es hier nicht. Es spielt wirklich weder eine Rolle, ob man Jonson nun kennt, ob man 22 ist oder 55. Eine gewisse Vorliebe für melancholische, interessant arrangierte und die 60er Jahre zitierende Popmusik schadet nicht. Seine tiefe Stimme schlägt gleich auf dem eröffnenden "We Like It" in den Bann, Lebensfreude und Lebenserfahrung springen einen aus den vermeintlich lässig so dahin geklimperten Barhocker-Melodien an. Aber wir alle wissen, wie viel furchtbare Musik es im so genannten Easy-Listening/Retro-Pop-Genre gibt, und dann kommt einer daher und man spürt sofort: Hier hat jemand viel Ahnung von Marvin Gaye und den Beatles gleichzeitig, von Timing sowieso und doch klingt am Ende nichts abgekupfert. Für die Playlist-Skipper: Die Hits heißen "We Like It", "The Hook" und "It's Our DNA".
Die Koop mit Dorau deutet es an, Jonson ist Hamburger, man spricht seinen Namen also nicht englisch aus. Wenn es die Zeit erlaubt, tobt er sich solo aus, ansonsten saß er schon am Drum-Kit bei den Fantastischen Vier, Fink, Wolf Maahn und Helen Schneider, um nur einige zu nennen.
Dass so einer nun auftrumpft mit der Melodieseligkeit der frühen Cardigans, hier und da einen lässigen Creedence Clearwater Revival-Groove auffährt und offenbar auch mit der samtenen Eleganz der Pet Shop Boys ("My Appartment") vertraut ist, macht "We Like It" zu einem unerwarteten Glücksfall.
Wer Jonson bereits von den Alben "I'm A Sunshine" oder "Eleven Songs For A Girl" kannte, wusste laut Dallach und Dorau sowieso, wie gut das hier würde. Oder um es mit einem Song des aktuellen Albums der Liga der gewöhnlichen Gentlemen zu sagen: "Yo Zwanie!".
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Hilft über einen schlechten Tag hinweg, schöne laid-back-grooves
Von anderen so beschriebene "schöne laid-back grooves" sind in der Top 5 persönlicher Hauptgründe, warum ein bis dahin uneingeschränkt guter Tag plötzlich schlecht wurde.