27. Mai 2003

Das Scheißkarnickel wollte nicht aus dem Hut

Interview geführt von

Wie geht's, wie steht's? Schon kräftig im Interview Stress?

Naja, geht so. Sind immer wieder ein paar dabei, die nicht da sind, oder wo die Nummer falsch ist und das zieht einen immer so'n bisschen aus der Bahn. Eben hatte ich aber ein tolles Interview mit einem österreichischen Radiosender das dann auch etwas länger ging, deswegen ruf ich jetzt erst an. Die haben mir einfach die Gelegenheit gegeben mal ordentlich einen vom Leder zu zerren und das hab ich mir dann nicht nehmen lassen. Die Fragenstellung war ganz gut und da mich keiner stoppen wollte, dachte ich mir, erzähl' denen halt mal was.

Wurde das direkt live über den Äther geschickt?

Nö, ich denke, die haben das aufgenommen und schnippeln das dann erst noch zurecht.

Wenn hier jetzt was Anständiges bei rum kommt, kann es sein, dass ich mit dem Band hier ähnlich verfahre und unser Gelaber über den Weltsender Radio Rüsselsheim ausstrahlen werde. Wir senden nur einmal um den Block und wieder zurück, aber auf LAUT erscheint das Interview ja auch noch.

Ja klar, warum nicht. Ich bin auch inzwischen einigermaßen entrostet und fang an aufzutauen. Gestern war das noch anders, da muss meine Zunge wohl noch eingeklemmt gewesen sein, aber nachdem ich heute ein kräftiges Hacksteak zum Frühstück hatte in einem rustikalen Donzdorfer Restaurant, ging's mir echt gut. Ah, da kommt ja auch meine Hawaii Pizza. Die kann da aber auch erst mal liegen bleiben. Leg doch mal los.

Ok, dann gib mir doch mal ein paar Informationen zu eurem CD-Titel "Rabbit Don't Come Easy". Liegt dem irgendein englisches Sprichwort zugrunde, das mir gerade nicht in den Sinn kommt?

Aber natürlich, natürlich. Also, im Englischen gibt es eine Redewendung "pulling rabbits out of a hat", die wird angewendet, wenn du ein kleines Kunststück oder eine kleinen Meisterleistung vollführt hast. Also eine Sache, die nicht unbedingt einfach war und die andere Leute dir nicht zugetraut hätten. Wenn du das dann aber schaffst, hast du den Hasen aus dem Hut gezaubert. Wenn wir jetzt also mit zwei neuen Bandmitgliedern versuchen eine neue Helloween-Platte zu machen, dann ist das auch so ein Versuch. Wenn dann auch noch ständig Dinge passieren, die die Sache beinahe zum Scheitern bringen, dann ist das so ähnlich, als ob das Scheißkarnickel nicht aus dem Hut will. Deswegen eben "Rabbit Don't Come Easy".

Du hast die Problem mit der Neubesetzung ja schon selber angesprochen. Ich habe gehört, dein Wunschgitarrist wäre Henjo Richter von Gamma Ray gewesen.

Ja, das was schon eine Option, von der man Gebrauch machen konnte. Das lag aber auch daran, dass wir Sascha (g) gar nicht kannten. Wir haben dann mal Charlie (Bauerfeind, Produzent der Scheibe) gefragt, ob er nicht jemanden kennt, der gut zu uns passen würde, und der meinte dann: Tja, da würde mit spontan der Sascha Gerstner von Freedom Call einfallen. Wir haben natürlich ach andere Leute kontaktiert, die wir von Touren her kannten oder so was. Aus irgendwelchen Gründen haben die sich dann entweder selbst disqualifiziert oder es hat sonst nicht geklappt, auf jeden Fall blieb Sascha irgendwann einfach übrig. Den wollte ich aber erst belästigen, wenn wir uns absolut sicher waren, dass wir auf ihn zurückgreifen würden. Ich wollte nicht erst sagen, komm zu uns, und später heißt es von uns dann, och, jetzt haben wir doch einen anderen. Deshalb hab ich mir Sascha bis zum Schluss aufgespart. Er war dann ja auch die beste Wahl. Erstens ist er ein sehr netter Mensch, der sehr an sozialem Umgang interessiert ist. Er ist ein klasse Songwriter und Gitarrist, dessen Spielweise meiner sehr ähnelt, und der Kerl findet mich sogar witzig, was auch nicht alle Tage vorkommt. Außerdem kann er auch noch singen und hat enorm viel Einsatz gezeigt. Er hat nämlich noch ne Coverband und da wir ja in Andis (Deris, voc) Studio auf Teneriffa aufgenommen haben, ist der dann immer hin und her gebrettert, da er mit der Band in Deutschland noch Auftritte hatte. Und das über etwas mehr als ein halbes Jahr.

Was ist denn jetzt mit Freedom Call? Ist er da noch weiter dabei?

Nö, aber er ist ja nicht direkt von denen zu uns gewechselt, sondern war bei denen schon freiwillig ausgestiegen, ehe er zu uns kam. Die haben da aber auch einen sehr guten Ersatz gefunden, deswegen muss man sich um die auch keine Sorgen machen.

Woran ist die Sache mit Henjo gescheitert?

Der konnte sich einfach nicht dazu entscheiden, Gamma Ray zu verlassen. Das ist aber auch vollkommen ok, denn das war bestimmt keine einfache Entscheidung. Es war irgendwo auch gemein, ihn vor diese Wahl zu stellen und ich hatte mich bei den Gamma Ray Jungs gleichzeitig mit meiner Anfrage entschuldigt. Nur wenn man eine personelle Umbesetzung in der Band vornimmt, dann kann man nicht kleckern, sondern sollte klotzen und deshalb habe ich Henjo gefragt. Auch wenn ich mich selbst dabei etwas unwohl gefühlt habe.

Naja, fragen kostet ja nichts.

Eben, was geht der auch zu Gamma Ray, haha. Ich muss dazu sagen, dass Henjo uns ursprünglich, also 1981, schon Demos von sich geschickt hat, und sich bei uns beworben hat. Nur gab es zu der Zeit einen Poststreik, was zur Folge hatte, dass sein Material gar nicht bei uns ankam. Wir haben ihn aber dann auch so kennen gelernt und er ist inzwischen ein alter Kumpel von uns allen. Somit lag es nahe, ihn zu fragen. Er ist weiter bei Gamma Ray, wir haben den Sascha und alle sind glücklich.

Sascha hat sich ja wirklich perfekt bei euch eingewöhnt, immerhin hat er mit "Open Your Life", "Sun For The World" und "Listen To The Flies" schon drei Tracks auf eurem Album.

Er hat innerhalb kürzester Zeit schon fast mehr gemacht, als Roland (Grapow, ehemaliger Gitarrist, jetzt bei Masterplan, d.Verf.). Das ehrt ihn.

Hatte er die Stücke schon in der Hinterhand, oder sind die extra für Helloween geschrieben?

Teils, teils. Das Riff für "Sun For The World" ist komplett neu, ich glaube der ganze Titel ebenfalls. Er hatte aber auch ein paar Fragmente, die er dann aber auch entsprechend verarbeiten konnte, was man ja auch erst mal schaffen muss. Es gibt ja auch Leute, die packen einfach alle möglichen Riffs, die sie mal geschrieben haben zusammen und bringen dann ne CD raus, so was gibt's ja auch.

Einen neuen Drummer zu finden, erwies sich ja als noch schwieriger.

Das war eine sehr traurige Angelegenheit mit Marks Erkrankung (nach seinem Einstieg in die Band erkrankte Mark Cross an dem Epstein Barr-Virus). Glücklicherweise geht's ihm jetzt wieder gut und er könnte auch in irgendwelchen Bands spielen, die nicht ein so hohes Energielevel erfordern wie Helloween. Das Dumme bei uns ist einfach, wenn er während einer Tour irgendwann zusammenbrechen würde und wir canceln müssten, würde uns das keine Versicherung bezahlen, da uns und ihnen das Risiko ja bekannt war. Er ist ja so weit wieder hergestellt und ist gerade am checken, was er als Nächstes machen kann. Dabei wünschen wir ihm natürlich alles Beste, denn das war unglaublich hart für ihn.

Stefan Schwarzmann ist jetzt also definitiv euer neuer Drummer?

Ja, auf ihn kam ich letztendlich, da ich ihn mal bei Running Wild im Proberaum kennen lernte. Wir haben uns da fantastisch verstanden und uns den ganzen Abend über weggelacht. Daran hab ich mich erinnert, als wir auf der Suche nach jemandem waren, der die B-Seiten und Bonus Tracks einspielt. Mikkey Dee konnte nicht, da er bei seiner eigentlichen Band Motörhead eingespannt war, und Mark war einfach noch zu schwach dazu. Er sagte dann auch, dass er gern für's Video posen würde und hat dann noch weitere sieben Tage bei uns auf Teneriffa verbracht. Nach dieser Zeit haben wir uns menschlich und musikalisch so gut verstanden, dass wir ihn kurzerhand gefragt haben, ob er nicht fest bei uns einsteigen will. Er hat das dann mit Freuden angenommen.

Er hat in letzter Zeit eigentlich weniger durch Bandaktivitäten als durch seine Schlagzeugschule und andere Sachen geglänzt.

Ja, der hat auch für Trachtenkapellen und ähnlichen Kram getrommelt. Das schadet aber bestimmt nicht, denn damit kann er einfach aus vielen musikalischen Bereichen Erfahrungen und Können mitbringen. Das kann sich eigentlich nur positiv auswirken.

Das ist aber schon ne feste Sache, oder?

Also mir wäre das schon recht, wenn wir jetzt mal die nächsten 20 Jahre in dieser Besetzung unterwegs wären. Mir wäre es auch lieb gewesen, wenn die Besetzung mit Kiske und Hansen von Dauer gewesen wäre und sich da keine Schwulitäten entwickelt hätten. Aber das hat einfach nicht mehr funktioniert und daran kann man einfach nichts machen.

Wie waren die Arbeiten mit Mikkey eigentlich?

Super, wir hatten den ja schon ein paar Mal gesehen und kannten ihn schon von seiner Zeit noch bei King Diamond. Auch bei Motörhead haben wir ihn das ein oder andere Mal gesehen, und ich erinnere mich da noch ein einen Gig, bei dem er entweder mit Gipsarm oder mit Gipsbein gespielt hat, das war einfach unglaublich. Es war eigentlich wieder Charlies Idee, der meinte, dass Mikkey wohl der richtige Mann wäre und das wohl auch machen würde. Wir fragten ihn und glücklicherweise hatte er die Zeit und die Lust es zu machen. Er hat dann innerhalb von sieben Tagen zehn Titel eingetrommelt, was schon eine ganz schöne Leistung ist, da er die Songs ja nicht kannte. Die Studiokompressoren dürften wohl für immer seinen Stempel tragen.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich eure Karriere nach Kiskes Ausstieg etwas aus den Augen bzw. Ohren verloren habe.

Schande über dich.

Ich sitze hier auch schon bis zum Hals in Asche, die ich auf mein Haupt rieseln lasse. Was denkst du macht Helloween heutzutage denn aus.

Wir machen vieles aus. Das Licht, den Computer, die Stereoanlage ...

Und so jagt ein Scherz den nächsten.

Ja, ich hatte neulich ein Interview in Griechenland und hatte eine mächtige Migräne. Die hatten da dann so riesige Halogenscheinwerfer ....

Die hast du dann ausgemacht und ihr habt bei Kerzenschein Sirtaki getanzt.

Ja so in etwa. Nein, was willst du jetzt denn hören? Was Helloween über die Jahre ausgemacht hat, kannst du dir ja an den Platten anhören, die wir gemacht haben. Genauso ist es mit der neuen Scheibe. Es sollte eigentlich klar sein, wer wir sind und für was wir stehen. Ich habe deswegen auch wenig Verständnis für Leute in der Band, die versuchen, querzutreiben und unsere musikalische Richtung zu verändern. Wenn man so was machen will, dann soll man's auch richtig machen. Wenn man's nicht kann, dann raus!

Das sind deutliche Worte, die wohl auf Roland und "The Dark Ride" anspielen.

Auch, ich hatte aber auch an Michael Kiske und die "Chameleon"-Scheibe höhere Erwartungen. Von dem Endresultat war ich wirklich schwer enttäuscht. Dem Roland kann ich eigentlich nicht so viele Vorwürfe machen. "The Dark Ride" hätte in Bandarbeit einfach ein gelungenes Werk werden müssen, was wir mit "Rabbit Don't Come Easy" meiner Meinung nach geschafft haben.

Würdest du also sagen, dass die Kommunikation innerhalb der Band bei den entsprechenden Alben nicht so war, wie du sie dir vorgestellt hast?

Exakt, es ist einfach so, dass nur Scheiße dabei heraus kommt, wenn die Kommunikation erst gar nicht stattfindet. Grundvoraussetzung bei einer Band wie Helloween ist einfach, dass man miteinander redet.

Hast du Michas neues Projekt Supared mal gehört?

Ja, ich hab auf der Noise-Seite mal in den ersten Titel gehört. Das ist ja so schlecht nicht und klingt auch etwas frischer, da er ja offensichtlich wieder eine richtige Band am Start hat. Leute, welche die ganze Platte gehört habe, teilten mir dann aber mit, dass der Rest sich von seinen Soloscheiben nicht wirklich unterscheiden würde. Das scheint dann wohl tatsächlich das zu sein, was er an die Öffentlichkeit bringen will.

Ich muss sagen, dass ich von dem Album relativ enttäuscht war.

Man muss sich immer vor Augen führen, dass er mit Helloween in exakt diese Richtung gehen wollte. Da mussten wir ihn einfach entfernen, denn dadurch ergaben sich für uns keine Gemeinsamkeiten mehr.

Warum erinnert mich die Bridge von "The Tune" immer an eine Weihnachtsmelodie?

Keine Ahnung, eigentlich ist das ein bavarischer Trachtenplattler. Das ist ein kleiner Wink an Freedom Call.

Wie ist eigentlich der Text von "Never Be A Star" zu verstehen?

Das ist so gemeint, dass man auf der Bühne zwar seine Show abliefert und sich entsprechend verhält, man aber abseits der Bühne auch nur ein Mensch ist und sich von den anderen nicht wirklich unterscheidet.

Hast du eigentlich ab und zu mal bei 'Deutschland sucht den Superstar' reingeschaut?

Ok, ich muss gestehen, dass ich die ganze Sache so schlecht nicht fand, da es eben nicht um Hip Hop oder Techno ging, sondern um echten Gesang mit echten Menschen. Außerdem saß da jemand dahinter, von dem ich persönlich sehr viel halte, nämlich Dieter Bohlen. Der Herr Bohlen ist bestimmt noch lange nicht weg vom Fenster, der wird uns bestimmt noch mit einigen lustigen Sachen unterhalten. Ich kann's eigentlich nicht abwarten, was der nächste Klopfer wird, den er bringen wird, ich wünsche ihm weiterhin viel Erfolg.

Fehlt eigentlich nur noch, dass uns Dieter die nächste Helloween-Scheibe produziert ... Als was beeindruckt er dich denn? Als Mensch, als Musiker oder als Produzent?

Als alles, auch als Musiker. Der Kerl ist einfach der beste deutsche Star, den wir zur Zeit haben und ich hätte es an seiner Stelle wohl auch nicht anders gemacht ...

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