laut.de-Kritik

Trotz erwartbarer Klischee-Erfüllung ein immenser Schritt nach vorne.

Review von

"Was habt ihr eigentlich gegen Aggro Berlin, Alter?" Nun, prinzipiell erst mal gar nichts. Die Feinheiten entnimmt, wer des Lesens kundig ist, mühelos unseren Beurteilungen zu den entsprechenden Machwerken. Aber mit dem Lesen scheint das so eine Sache zu sein: Im Verlauf des 15-minütigen Telefonats, in dem Fler im vergangenen September der Redaktion seinen Unmut kundtat, stellte sich jedenfalls heraus, dass er sich vorher nicht die Mühe gemacht hatte, den beanstandeten Text - es drehte sich wohl um die Kritik am "Totalschaden" seines Kumpels Tony D - überhaupt anzuschauen.

"Meinst du, ich les' die Scheiße, die du schreibst?" Neben "Mit einer Frau sprech' ich doch gar nicht, gib mir einen Kollegen, der nicht schwul ist!" und "Ey, ich bin nicht der Typ, der euch E-Mails schreibt, Alter!" (Was der offensichtlich ausreichend maskuline und heterosexuelle Kollege Michael Schuh verehrungswürdig mit einem "Und ich bin nicht der Typ, der sich mit dir im Hinterhof trifft!" konterte) einer der vielen lustigen gefallenen Sätze, um die es mir bitter leid tut. Was für Trailer für laut.fm hätten sich daraus basteln lassen, hätte man schnell genug geschaltet und das Gespräch für die Nachwelt mitgeschnitten!

"Du arrogante Lesbenfotze wirst ja auch immer gleich beleidigend." Großartig! Im Grunde hätte sich Fler mit diesem Knaller eine schicke Vorab-News zum Album wirklich verdient gehabt. "Aggro-Rapper bedroht Online-Redaktion" hätte sich sicher exzellent gemacht, im Nachrichtenteil. Wir haben uns dann doch dagegen entschieden, uns mit einem gar so durchsichtigen Manöver vor den Promo-Karren von Aggro Berlin spannen zu lassen. "Im Oktober kommt mein Album, Alter, und wenn du dann wieder so 'ne Scheiße schreibst, dann komm ich vorbei. Dann zeigen wir euch mal, wie wir die Dinge hier in Berlin regeln." Wir schmieren schon mal Schnittchen.

Vorerst hieß es aber, sich in Demut und Geduld zu üben: Bis das vollmundig angekündigte "Fremd Im Eigenen Land" tatsächlich ins Haus flattert, schreiben wir schon beinahe Februar. Macht ja nix, gut Ding will schließlich Weile haben, und Vorfreude ist die schönste Freude. Schade eigentlich, dass Flers dritter Longplayer schlicht zu gut geworden ist, um ihn (wie seinen unvergessen grottigen Erstling) in der Luft zu zerreißen. Der Hund gönnt unsereinem einfach keinen Spaß.

Das ganze Theater im Vorfeld wäre gar nicht nötig gewesen: Ich hätte Fler auch ganz ohne dümmliche Drohungen einen immensen Schritt nach vorne attestiert. Nicht nur, dass man tatsächlich einmal nicht zwischen mitleidigem Gelächter und Brechreiz hin- und hergerissen zurück bleibt: Stellenweise liefert der Aggroberlina, der sich reim- wie flowtechnisch im Vergleich zu früherem Geholpere enorm gesteigert hat, diesmal sogar solide Unterhaltung.

So habe ich mich über die Idee, in "Fler Vs. Frank White" den Mainstream-Rapper in von Djorkaeff konstruierter aggressionsgeladener Battleatmosphäre auf den Underground-MC treffen zu lassen, wie Bolle amüsiert. "Ich mach' alles ganz alleine, dich hat Sido gepusht" kontert das Alter Ego mit einem "Auf deinem ersten Tape steht noch 'von Bushido präsentiert'". Sieh an! Wenn sie den Bierernst einmal beiseite lassen, sich selbst mit ironischer Brechung betrachten und ein bisschen selber auf die Schippe nehmen, sind sie plötzlich ausgesprochen witzig, die grimmigen Jungs.

In "Mein Jahr" läuft mir die von Nadja Benaissa beigesteuerte, vor 08/15-R'n'B triefende Hook zwar ebenso wenig rein wie der gar zu kitschig auf Piano und Streicher bauende Desue-Beat. Dennoch gibt Fler hier mit seinem trotzigen "Ich bin es leid"-Statement eine ordentliche Figur ab.

Mit "Warum Bist Du So?" gelingt zu von den Goofiesmackerz arrangierten Gitarren und dunklen Streichern ein durchaus berührendes Abschiedslied. "Alles Was Ich Brauch" bleibt zwar im zelebrierten Ghettodrama-Kontext, bietet in Story und Stimmung doch endlich einmal einen Ausbruch aus dem schon hundertmal Gehörten. Schade, dass derartige Originalität nicht auf Albumlänge durchgehalten wird.

Statt dessen setzt Fler wie erwartet auf die für die Ichfickdeinemutter-Stadt üblichen Gangsterklischees, zu denen mittlerweile, wenn schon nicht Frau Mama gehuldigt wird, ein unerträglich kitschiges Liebeslied untrennbar dazu zu gehören scheint. "Mein Mädchen" tönt mit Teenie-Phrasen der Kampfklasse "Ich lass dich nicht mehr los, du bist meine Prinzessin" ("für immer", versteht sich) wie die Vertonung der Bravo-Foto-Lovestory - falls es die überhaupt noch gibt.

Auf tadellosen bis prächtig finsteren Beats von Djorkaeff, Desue und Shuko errichtet Fler ansonsten die bekannten düsteren Fassaden aus Prollgehabe und Gewalttätigkeit. Garniert wird dies mit willigen Schlampen, dicken Schlitten und mehr oder weniger uninteressanten Featuregästen, von denen erstaunlicherweise ausgerechnet ein völlig durchgeknallter Massiv in "Clubbanger" den einzigen bleibenden Eindruck hinterlässt. Sorry, außer "laaangweilig" fällt mir dazu wirklich nichts mehr ein.

Oh, halt! MC Bogy war auch mit von der Partie. Sollte der Brüller "Ich scheißte (!) auf die Schule" in "Wie Wir Sind" kalkuliert gewesen sein: Hut ab. Ich tippe allerdings doch eher auf unfreiwillige Komik, und She-Raw gefällt mir rappend einfach besser als singend.

Offenbar um wieder an die verkaufsfördernde Kontroverse der "Neuen Deutschen Welle" anzuknüpfen, wird in "Deutscha Bad Boy" und "Ich Bin Deutscha" wieder blauäugig ein wenig mit hellhäutigem, breitschultrigen Ariertum kokettiert. Wie sich aus ein paar derart unreflektierten Luftblasen allerdings ein Fascho- oder Nazi-Rapper-Image konstruieren ließ, bleibt mir heute so verborgen, wie es mir bereits 2005 schleierhaft war.

Schizophren wird es, wenn im abschließenden "Ich Kann Dich Sehen" plötzlich nach all dem hart und härteren Gepose die christliche Nächstenliebe ausgepackt wird. "Friede ist viel besser als Krieg." Bitte? Hab' ich was verpasst? Gemeinsam mit Shizoe legt Fler, "heute Gottes Sohn, früher nur ein Kind der Stadt", eine Nummer hin, die ich so eher den Bubis von Rapsoul zugetraut hätte. Junge Christen unterwegs - warum nur spukt mir plötzlich Funny van Dannen durch den Kopf?

Das war's von mir. Und jetzt? Jetzt richten wir uns auf Besuch ein, der uns Provinznasen endlich zeigt, wie man die Dinge in Berlin regelt. Wenn man uns rechtzeitig vorher anruft, stellen wir zu den Schnittchen Fanta und Butterkeks bereit. Wort drauf!

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Berlin
  3. 3. Deutscha Bad Boy
  4. 4. Mein Jahr ft. Nadja Benaissa
  5. 5. Fler Vs. Frank White ft. Patrice
  6. 6. Alles Was Ich Brauch
  7. 7. Warum Bist Du So?
  8. 8. Chefsache ft. Sido
  9. 9. Hurensohn Skit 1
  10. 10. Pass Auf ft. Godsilla & She-Raw
  11. 11. Ich Bin Deutscha
  12. 12. Wie Wir Sind ft. MC Bogy
  13. 13. Mein Mädchen
  14. 14. Hurensohn Skit 2
  15. 15. Nacht Und Nebel Aktion ft. Godsilla
  16. 16. Roll Auf Chrome ft. B-Tight
  17. 17. Ghettodrama
  18. 18. Clubbanger ft. Massiv
  19. 19. Ich Kann Dich Sehen ft. Shizoe

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LAUT.DE-PORTRÄT Fler

Es herrscht Krieg in Berlin. Hartes Gangstertum ist angesagt, das Ghetto feiert sich selbst, die besten Verkaufszahlen erzielt derjenige, der noch unterprivilegierter, …

245 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    Nach den zurückgehenden Verkaufszahlen von "Trendsetter" gegenüber dem Debüt-Album "Neue Deutsche Welle" sah man bei Aggro Berlin offenbar die erneute Notwendigkeit einer Profilschärfung, was eine erneute Betonung der deutschen Identität Flers mit sich bringt. Und wieder einmal scheint Deutschland - trotz scharz, rot, goldenen Fahnenmeeren während der WM im eigenen Land - nicht bereit für diesen Schritt. Übereifrig werden Schubladen geöffnet und Fler wird in die rechte Ecke gedrängt. Vorweg sei betont, dass ich während all meiner Hördurchläufe keine derartigen Tendenzen ausmachen konnte.
    Natürlich stellt Fler auf der passablen Single "Deutscha Bad Boy" seine deutsche Herkunft in den Vordergrund und auch auf dem unfassbar fließenden "Ich bin Deutscha" betont Fler mit grandiosem Atemlos-Flow seine Identität, wobei auch seine Heimatstadt "Berlin" eine zentrale Rolle einnimmt.
    Den Rest des Albums gestaltet Fler recht vielfältig. Er gedenkt der Berliner HipHop-Legende Maxim mit dem Gänsehaut-Track "Warum bist du so?", arbeitet auf "Wie wir sind" mit überraschend solidem MC Bogy-Beitrag, seine Vergangenheit inklusive Psychiatrie-Aufenthalte auf, geht auf "Mein Jahr" mit No Angel-Nadja fließend von Vergangenheitsbarbeitung in Zukunftsvision über, schreibt einen berührenden Track für "M(S)ein Mädchen" und setzt sich auf "Alles was ich brauch" bedrückend authentisch mit dem Thema "Alkoholabhängigkeit" auseinander, wobei er in allen genannten Tracks stets souverän die Beats von Produzenten wie Shuko, Djorkaeff oder Desue zähmt.
    Neben den bereits erwähnten Themen-Tracks sorgt Fler wie gewohnt für Krawall und Remmi Demmi. Auf "Fler vs. Frank White" trägt er den ewigen Kampf zwischen Mainstream und Underground aus und bedenkt seine Alter Egos dabei jeweils mit grandiosen Diss-Tracks. Zusammen mit sido erklärt er die deutsche HipHop-Szene kurzerhand zur "Chefsache". Ein wahrlich großartiger Track, in dem Fler mit sido einen würdigen Gegenpart findet. Von "Clubbanger" kann man dies leider nicht gerade behaupten, da hier sein Gegenpart massiv abkackt. Dennoch ein gelungener Track für die Clubs, würden die DJs in Deutschland deutscher Musik eine Chance geben. Daher wird sich der Konsum eher auf die Autos vor den Clubs verlegen. In weiser Voraussicht liefert Fler mit "Roll auf Chrome" zusammen mit B-Tight eine der besten Autofahr-Hymnen des Landes. Weitere Features kommen von Shizoe und Godsilla, der gleich auf mehreren Tracks vertreten ist und eine ganz gute Figur macht.
    Für Fans, die etwas tiefer in die Tasche greifen wollen bzw. können gibt es auf der Bonus CD sieben weitere Tracks, darunter das bereits bekannte "Mein Sound" auf die Ohren. Dabei ist vor allem die sido-Kollabo "Therapie" mit KKS-Referenz, "Geld oder tot" mit Godsilla und das hervorragende "Was weisst du schon", welches einen späten Höhepunkt des Albums darstellt.
    Überblickt man das Album als Ganzes, so bleibt abzüglich der beiden Skits, ein durchweg positiver Eindruck. Fler geht weiterhin seinen Weg, der von stetiger Verbesserung auf technischer und inhaltlicher Ebene geprägt ist. Über das hervorragende Soundbild braucht man bei Aggro-Veröffentlichungen sowieso kein Wort mehr zu verlieren.

    Quelle (http://herrmerkt.blogspot.com/2008/01/fler…)

  • Vor 16 Jahren

    sorry, aber du hast doch nich mehr alle latten im zaun

  • Vor 16 Jahren

    dies review ist jawohl ein witz, eines der lächerlisten alben der letzten 5 jahren, eine solche wertung zu verpassen zeugt von enormer inkompetenz.