laut.de-Kritik

Unter der Klassik-Perücke: moderne Electronica.

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Wien kann sich in kultureller Hinsicht vieles auf die Fahne schreiben: Weltkulturerbe, Kaffeehäuser, Schnitzel und auch Superstars der klassischen Musik wie Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven. Hier ging es schon immer fresh zu - der Schmäh, das älteste und erste Hipstertum Europas.

Pünktlich zum 200. Todestag von Haydn huldigt die deutsche Grammophon diesem nun ohne übertriebene Ehrfurcht und startet mit "Re:Haydn" eine Remixreihe - unter der Perücke Klassik, im Korsett moderner Electronica.

"Re:Haydn" setzt statt simplem Compilation-Namedropping voll und ganz auf Qualität und hochwertigen Nachwuchs aus den eigenen Reihen. Aus den lokalen Ballsälen walzern sich beispielsweise Patrick Pulsinger, Stereotyp, Dorian Concept, Clara Moto oder Leitstrahl - diesen sei auch zu Lebzeiten etwas Fame gegönnt.

Ed Banger Krazy Baldhead öffnet den Vorhang zur Opernbühne und stellt vor, was das folgende Experiment versprechen soll. Dies lässt vorerst stark experimentelle Kost erwarten. Unrhythmische Stakkati, leicht verstörend, gepaart mit "Figaro" ähnlichen Tenor-Fetzen auf dem imperialen Marsch Darth Vaders. Als Intro interessant, als Song untanzbar wie von Termiten besetzte Holzschuhe. Klingt die Zusammenkunft klassischer und elektronischer Musik etwa derart schwer zugänglich?

Absolut nicht! "Re:Haydn Remix" zieht mit geradem süßen Techno im Stile einer Chloe oder DJ Kozes die Sinfonie dezent in den Hintergrund der Drummachines, Violinen setzen Akzente. Ogris Debris, die sich auch auf Compost wohl fühlen, nehmen sich einer housigen Interpretation der Mission an, leider von R'n'B-Gesang der Marke schnulzig getragen: "My vision of you, you've got to be. Your vision of me, you got to see". Wo sich Haydn in diesem Klangkleid versteckt, lässt sich nicht mehr genau feststellen.

Was hätten die Großmeister der Wiener Klassik wohl zu Disco gesagt? Giorgio Moroder- oder Cazals-Remixer Moulinex schwingt mit peitschender Snare, electrofunkigem Bass und Fortepiano-Melodien den Disco-House-Fächer, während der italienische Überproduzent Alexander Robotnick, für Gomma oder Fool's Gold, etwas mehr Härte zu Hof trägt: Er ruft den Groove aus.

Shir Khan, Exploited Chef und Deutschlands Cordoba-Diplomat rührt den Schmäh mit afrikanischen Drums und druckvollem Bass an, führt ihn in eine electrohousige, eklektische Tanzfläche des Barocks. Violinen-Breaks in Dramaturgie und Einsatz so stimmig gesetzt, dass eine Kollaboration mit Joseph - the man himself - denkbar gewesen wäre. Zurück in die Zukunft, der Roland 303 als De Lorean.

Mit dem Leitsatz "optimal ist the new minimal" klickert sich Leitstrahl funky durch die dramatischen Geigen der Sinfonie. Wolfram Amadeus Pulsinger, der schon für seine Adaption des Ballettstücks "Schwanensee" den Österreichischen Förderpreis für Musik erhielt, kehrt die Prämisse danach minimal um. AGF/Delay aka Antye Greie (AGF) und Sasu Ripatti (Vladislav Delay) schließen in Bpitch-Manier an.

Das unvollendete Finale verbirgt sich unter einer Dub-Maske. Man Recordings und G-Stone Beauftragter Stereotyp versorgt den guten Haydn mit Sirenen, Baile Funk und schweren Bässen. Für die gemütliche Kutschfahrt nach Hause steht CEEs Trip Hop-Wanderung. Dorian Concept klingelt danach experimenteller zur Nachtruhe.

Klassische Musik dringt heuer in das elektronische Reich ein wie die Türken damals in Wien. Würde die Compilation nicht explizit den Namen Haydn führen, würde die klassischen Instrumente nicht mal groß auffallen, derart integriert sind sie heutzutage in die moderne Clubproduktion.

Einzelne, nicht zur Unkenntlichkeit transformierte Haydn-Passagen wie Shir Khans "Do It Like A Kaiser", Leitstrahls "Nymphony 1985 In A-Major Mess" oder CEEs "One Night Remix" stehen für das Konzept erfolgreich Pate. Die Idee zu Gedenken des Künstlers bleibt toll, die Umsetzung nicht immer ganz so frisch wie der Output der damaligen Zeitgenossen.

Dass für eine elektronische Adaption Violinen das anscheinend musikalisch geeignetste Mittel darstellen, ist nicht als Problem der beauftragten Künstler anzusehen. Vielleicht aber als Schwachpunkt der Compilation. Als gebührende Huldigung geht das aber in Ordnung.

Trackliste

  1. 1. Straight Opening Her Fertile Womb (Krazy Baldhead)
  2. 2. Re:Haydn Remix (Clara Moto)
  3. 3. Hayday Vision (Ogris Debris)
  4. 4. Hidin' (Moulinex)
  5. 5. Re:Haydn Remix (Alexander Robotnick)
  6. 6. Nymphony 1985 In A-Mayor Mess (Leitstrahl)
  7. 7. Sonate 59 Remix (Wolfram Amadeus Pulsinger)
  8. 8. Do It Like A Kaiser Remix (Shir Khan)
  9. 9. Chaos (AGF/Delay)
  10. 10. One Night Remix (Stereotyp)
  11. 11. Come And Go Remix (CEE)
  12. 12. Re:Haydn Remix (Dorian Concept)

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