laut.de-Kritik

Der Anajo-Sänger meldet sich zurück.

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Deutscher Indie kommt heutzutage üblicherweise aus Berlin, aus Hamburg, seltener aus Köln und noch seltener aus Chemnitz. Anfang der 2000er Jahre schickte auch der Süden Deutschlands seine Indie-Pferde ins Rennen: Aus der Nähe von München kamen die Sportfreunde Stiller, die sich schnell in Richtung Formatradiopop verabschiedeten. Aus Augsburg meldeten sich Anajo, die mit ihrem Hang zum Geschrammel und dem quäkigen Gesang von Oliver Gottwald kaum eine Chance hatten, es den Sportfreunden gleich zu tun. 2014 kam die Auflösung nach drei Studio-Alben, weil sich wohl Teile der Band jenseits der 30 eine weniger unsichere finanzielle Situation wünschten.

Gottwald wollte aber weiter machen und sammelte sich für sein erstes Solo-Album "Zurück Als Tourist" eine neue Band um sich. Das charmante Album, das vom Anajo-Sound nicht allzu weit entfernt war, liegt nun knapp sieben Jahre zurück und war anscheinend auch kommerziell kein großer Wurf. 2019 folgte mit der gut aufgelegten Single "Zukunftsmusik" eine erneute Meldung Gottwalds, dann aber erst mal wieder Stille. Dank einer Förderung der Initiative Musik erscheint das zweite Album "2. OG" jetzt doch noch auf dem eigenen Label Lieblingslieder Records.

Für "Zurück als Tourist" hatte sich Gottwald 2015 einen sehr organischen Sound vorgenommen, was ihm auch durchaus gelungen war. Das Album versprühte sympathische Band-Energie, und man konnte sich vorstellen, wie die Stücke aus der gemeinsamen Probe heraus gewachsen waren. Den Songs auf "2. OG" geht dieses Organische nun ab, sie klingen stellenweise, als wären sie im Studio, das auf dem Cover zu sehen ist, zusammengestückelt worden. Das tut nicht allen Titeln gut, etwa dem zu poppig produzierten Opener "Weck Mich Aus Dem Winterschlaf" und dem von einer E-Drum verbauten "Jeannie". Am stärksten gerät Gottwalds Musik weiterhin, wenn sie sich dem Schrammeln hingibt, etwa im schunkeligen Refrain von "Spiegeltest". "Bin ich als Mensch nicht auch nur ein Tier? / Ich besteh' den Spiegeltest nicht mehr", heißt es da.

Mitunter vermisst man einen die Songs einenden Rahmen. Das rotzige "U", das mit den Anajo-Bandkollegen aufgenommen wurde, beispielsweise macht richtig Laune auf weitere Songs im selben Sound mit knarzenden Riffs; ebenso das an Bonaparte erinnernde, auf wabernden Synths aufbauende "Algorhythmus", in dem Gottwald sich am digitalen Zeitalter abarbeitet. Leider wird keiner dieser Soundstränge konsequent weiterverfolgt. In "U" beweist Gottwald auch sein gutes Gespür für frische, eingängige Texte: "Ich fühlte mich sicher / Und rundherum gut / Schon fast wie im Himmel / Doch dann begann der Spuk".

Auch in "Rosa Anemonenfisch", das entfernt an die Eels erinnert, hat Gottwald die deutsche Sprache bestens im Griff: "Ich bin so froh, dass du jetzt bei mir bist / Und du mir in die Augen schaust / Mir einen Kuss und ein Versprechen gibst / Alles ist erlaubt". Das dahingerotzte "Männer*" macht mit dem minimalistischen Text und dem energievollen Vortrag von Gottwald Laune, bleibt in seiner Kürze aber auch recht unauffällig. "2. OG" ist insgesamt ein kurzes und kurzweiliges Album, bei dem die schwächeren Songs nicht zu schwer ins Gewicht fallen und das zeigt, dass es aus dem Süden auch weiterhin spannende Indie-Musik gibt.

Trackliste

  1. 1. Weck Mich Aus Dem Winterschlaf
  2. 2. Spiegeltest
  3. 3. Jeannie
  4. 4. U (feat. Anajo)
  5. 5. Rosa Anemonenfisch
  6. 6. Männer*
  7. 7. Kalender
  8. 8. Sentimental
  9. 9. Algorhythmus
  10. 10. Zukunftsmusik

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