laut.de-Kritik

Immer eigen, niemals langweilig.

Review von

Gerade einmal drei Jahre liegt es zurück, da jazzten sie Muso allüberall zum neuen Reimmessias hoch. In gewisser Weise hat sich der Hype sogar bewahrheitet. Zumindest, was Musos Zuarbeiter betrifft: Die Produzenten hinter "Stracciatella Now" bestellten wenig später auch den Boden im "Hinterland".

Bloß Muso selbst konnte die Welle irgendwie nicht mitreiten. Oder er wollte nicht, wer weiß das schon so genau? Leicht vorstellbar jedenfalls, dass es einem, der sich als derart sperriger Texter unter Beweis gestellt hat, vielleicht nicht genügt, sich als "der neue Dings" oder "die Antithese zu Bums" vermarkten zu lassen.

Diese Gefahr besteht inzwischen kaum noch. Muso veröffentlicht sein neues Album ohne großen Rummel und ohne große Label- oder Produzentennamen im Rücken. Offenbar haben weder er noch Chimperator dringende Notwendigkeit gesehen, aneinander festzuhalten. Statt Konstantin Gropper und Markus Ganter liefern mittlerweile fast ausschließlich die weit weniger präsenten LO und Gianni Brezzo die Beats. Es schadet weder das eine noch das andere.

Muso packt diesmal "Amarena" statt Stracciatella in die Eiswaffel, auch wenn das Cover farblich eher auf Pistazie oder Minze hindeutet. Sehr viel Zeit kann die Gestaltung des Artworks ohnehin nicht in Anspruch genommen haben, aber letztens kommt es ja auf den Inhalt an. Der verströmt vertraute, durchaus nicht unangenehme Aromen.

Wen bei "Stracciatella Now" Musos etwas quakige, leicht näselnde Stimme störte: Obacht. Daran hat sich naturgemäß wenig geändert. Fast ebenso naturgemäß wirken die Texte inzwischen gereifter. "Zu alt für den Welpenschutz" fühlt er sich zwar, zugleich "viel zu jung, um selbstbewusst zu sein". Statt sich, wie einst auch schon, in jugendlicher Sinnsuche aufzureiben, erscheint Muso inzwischen trotzdem weit stabiler positioniert, sich selbst und seiner Sache lange nicht mehr so unsicher.

Siehe: Die Rap-Welt dreht sich sogar weiter, wenn jemand keine Lust auf Pushups und Schusswaffen hat. Den Spagat zwischen träger Lakonie und atemloser Getriebenheit legt Muso allerdings immer noch hin, manchmal, Beispiel "0815", sogar innerhalb eines Tracks.

Niemand will sich wirklich im Hamsterrad des Alltags abkaspern oder sich widerstandslos dem beugen, das man eben so tut. Keiner ist besonders scharf drauf, die erste Verliebtheit, sobald das Strohfeuer niedergebrannt ist, in Langeweile umschlagen zu sehen. Jeder fürchtet sich irgendwie vor zu viel Nähe, weil das Angriffsflächen schafft. Dass ein Drahtseilakt ein Spaziergang gegen komplizierte Gespräche mit der oder dem Verflossenen darstellt, hat vermutlich auch der eine oder andere schon festgestellt, genau wie sich schon mancher der Flüchtigkeit des Moments und der Endlichkeit seiner Existenz bewusst geworden sein dürfte.

"Meine Aussage: vage. Immer nur vielleicht." In Musos Zeilen, auch wenn sie gelegentlich ins Assoziative hinübergleiten statt sich stets stur am Thema entlangzuhangeln, erkennen sich vermutlich gar nicht einmal so wenige wieder. Bei seinen Beziehungsstudien beschleicht mich trotzdem hin und wieder das Gefühl, da versuche jemand, Curse als Ex-Freundinrapper-König zu beerben. Allerdings wirft Muso in "Two Steps Further" oder "Über Wunden" deutlich weniger leidende, irgendwie mildere Blicke zurück. An der Kalenderspruchlyrik schrappt er zuweilen zwar knapp, aber trotzdem konsequent vorbei.

Musikalisch gelingt diese Gratwanderung nicht überall. Die eine oder andere Hook kriegt die Kurve nicht mehr und schlittert vom Pop in den Kitsch. Erstaunlicherweise gehört der Auftritt von Xavier Naidoo, bei dem ich genau das erwartet hätte, nicht dazu: Mannheims Sohn, der dieser Tage ja mindestens bei jeder zweiten Veröffentlichung offenbar zwingend mit von der Partie sein muss, präsentiert sich in "Egofilm" erfreulich unaufdringlich.

Auch der andere Featuregast wirkt unaufdringlich, und das gleich bis hin zur völligen Bedeutungslosigkeit: "Ultimatum" hätte ohne Ali As' Part rein gar nichts gefehlt. "Lass' den DeLorean nehmen / Allen unsere Story erzählen / Für immer jung als wären wir Dorian Gray ... Die Zeit schmilzt wie bei dem Dalí-Gemälde." Bitte! Wie abgegriffen müssen Bilder noch sein, bis ihre weitere Ausnudelung endlich unter Strafe gestellt wird?

Muso selbst nutzt zwar auch die eine oder andere Secondhand-Metapher (Der Superheldenumhang gehört immer noch Rockstah!), textet aber so, wie er vorträgt: immer eigen, niemals langweilig. Die musikalische Umsetzung trifft überall den Ton der Stimmung. Trotzdem gellen mir die Synthies oft zu grell in den Ohren, und trotzdem hab' ich die Drumsounds zu oft schon anderswo gehört. Insbesondere diese hibbelig-nervösen Hi-Hats hat wohl irgendjemand zur Pflichtübung erklärt ... Geschmackssache, was soll man machen? Cheesy Pop-Schlagseite in allen Ehren, meinetwegen hätte es insgesamt dennoch gerne ein entschiedenes Stück dreckiger zugehen dürfen.

Wie in "Regen": Der Dadada-Singsang vom Einstieg währt zum Glück nicht lange und stört auch zwischendurch nur kurz. Abgesehen davon machen alle Beteiligten einfach alles richtig. Im trägen Grundrhythmus blitzen die Ideen halbdutzendweise auf, und Muso schickt dazu akustische Schwarzweiß-Postkarten aus dem Ameisenstaat. "Sag' mir, wo der Boden unter unseren Füßen hin ist, und grüß' ihn von mir. Auf Nimmerwiedersehen." Mit Irrsinn in der Stimme. Doch, Obacht: "Wenn du sagst: 'Ich fühle nichts', weil du wieder kalte Füße kriegst, ja, DANN grüßt ER dich." Brrr. Killer.

Trackliste

  1. 1. Acid Trips Auf Esspapier
  2. 2. Therapie
  3. 3. Two Steps Further
  4. 4. Denn Sie Wissen, Was Wir Tun
  5. 5. Regen
  6. 6. Kopf Oder Zahl
  7. 7. 1001 Morgen
  8. 8. Egofilm
  9. 9. Ultimatum
  10. 10. Über Wunden
  11. 11. 0815
  12. 12. Kein Zurück

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