laut.de-Kritik

Herrlich kaputte Cover: Nick Cave meets Morricone.

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Nach zwei bereits sehr guten Alben markiert "Under The Cover" nunmehr die dritte Zusammenarbeit des Duos Lydia Lunch und Cypress Grove. Es schlägt ein weiteres Kapitel im ohnehin beeindruckenden Spätwerk der Underground-Königin auf. Diesmal covert sie Tracks von Bon Jovi bis Gun Club in unnachahmlich kaputtem Morricone-Stil. Etliche Nummern klingen besser als die Originale.

Ein wirklich gelungenes Coveralbum zu machen, stellt keine leichte Aufgabe dar. Nicht selten verlieren sich die Interpreten in sklavischer Kopie oder übertriebener Dekonstruktion. Bei der Mutter aller Rrrriot Grrrlz sieht das seit über 30 Jahren ganz anders aus: Live und auf etlichen Studioalben stehen oft ein oder zwei Fremdkompositionen auf ihrem Zettel.

Den meisten Lorbeer erhielt sie bislang für ihre Version von Lee Hazlewoods "Some Velvet Morning" (im Duett mit dem brillanten Rowland S. Howard) und für ihre herrlich heruntergekommene "Hotel California"-Variante (Eagles).

Die Lieder anderer sind gut in der Lunchbox aufgehoben. Schon die Auswahl der Songkandidaten erscheint bemerkenswert. Sicher ist es keine Überraschung, dass ihr "The Spy" (The Doors), "Midnight Rider" (Allman Brothers) oder Hank Williams Jrs "Red White Pink Slip Blues" sitzen wie Maßanzüge. Staubig, mit Whiskeyfahne und sehr eigen ringt sie all diesen originalen Gassenhauern neue Facetten ab.

Als besonderen Gag covert Lunch sich gleich auch selbst und verwandelt das eigene "Won't Leave You Alone" in eine wunderbar abgewrackte Romanze, so dunkel wie Nick Cave, so spröde wie die Swans und all die anderen Düsterpaten, mit denen sie so eng befreundet ist.

Ein Highlight reiht sich entsprechend ans nächste. Besonderes Augenmerk verdienen dennoch zwei Lieder. Aus "Ode To Billy Jean", in Bobby Gentrys Urversion von 1967 ein recht schönes, aber ebenso konventionelles Folk-Country-Gemisch, macht Lunch eine Wüstendepression in Moll, die jeden Kaktus verzweifeln ließe. Als unheilvolle Storytellerin erzählt sie diese berührende Geschichte von Selbstmord, Gleichgültigkeit und familiärer Entfremdung.

Ultimativer Höhepunkt des Reigens ist, man glaubt es kaum, das Jon Bon Jovi-Stück "Blaze Of Glory". Sein Original ist zugestandenerweise recht schön komponiert und mit toller Hook ausgestattet. Es leidet seit über einem Vierteljahrhundert jedoch an der unpassend blitzsauberen Inszenierung Bon Jovis, so kantenlos wie Doris Day.

Bei Lydia und Cypress hingegen besteht das Stück ausschließlich aus Ecken und Kanten, ohne die Prägnanz des eingängigen Riffs zu vernachlässigen. Das Ganze krönt die dreckkrustige Mundharmonika, der man in jeder Note förmlich anhört, wie Sandklumpen aus ihm herausrieseln. "I'm a colt in your stable. I'm what Cain was to Abel. Mister catch me if you can!"

Trackliste

  1. 1. Ode To Billie Joe
  2. 2. Breakdown
  3. 3. A Thousand Miles Of Bad Road
  4. 4. Blaze Of Glory
  5. 5. Red, White And Pink Slip Blues
  6. 6. Midnight Rider
  7. 7. The Spy
  8. 8. I Want You
  9. 9. Won't Leave You Alone
  10. 10. Do It Again

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2 Kommentare

  • Vor 6 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 6 Jahren

    Eine der Platten des Jahres. Überhaupt sind die Lunch/Grove Platten durchwegs zu empfehlen. Grove ist so ein Ausnahmekönner auf der Gitarre. Einer der nicht mit Highspeed-Wichssolos, sondern durch delikate Intonation beeindruckt. Das muss man halt auch hören (können).