laut.de-Kritik

Die Frida Kahlo des Hip Hop.

Review von

Bereits zwei Jahre vor "The Miseducation Of Lauryn Hill" hat Lauryn Hill mit ihrer gefeierten Crew, den Fugees, einen Klassiker der Hip Hop-Geschichte geschaffen. Es gibt wohl kaum jemanden in der Altersklasse 20 bis 40, der bei der Erwähnung des Titels "Killing Me Softly" nicht sofort die Stimme der Fugees-MC im Ohr hat (statt der der eigentlichen Interpretin Roberta Flack). Man kann nur den Hut vor ihr ziehen, wenn man bedenkt, dass es sich mit ihren beiden Solo-Nummern "Lost Ones" und "Doo Wop (Dat Thing)" ebenso verhält.

"The Miseducation Of Lauryn Hill" verbreitet von der ersten bis zur letzten Sekunde eine ganz spezielle, dem Album eigene Atmosphäre. Harte Gegensätze treffen sich auf der Platte zum harmonischen Gruppenkuscheln. Sphärische Gospel-Momente schmiegen sich an eiskalte Punches direkt aus der Cypher und klebrigen R'n'B. Überhaupt spielt Religion eine große Rolle. Bevor sich Lauryn Hill allerdings dem Schöpfer zuwendet, muss sie erst einmal ihre Wut loswerden.

Was passiert, wenn eine unfassbar talentierte MC, die noch dazu mit einem breitgefächterten Wortschatz ausgestattet ist, ihre Enttäuschung über den Verflossenen ausdrückt, zeigt der Über-Hit "Lost Ones" so: "A groupie call, you fall from temptation / now you wanna bawl over separation / tarnish my image in the conversation / who you gon' scrimmage, like you the champion? / you might win some, but you just lost one." Oder so: "Now don't you understand man, universal law? / What you throw out comes back to you, star / never underestimate those who you scar / 'cause Karma, Karma, Karma comes back to you hard."

Ob mit Lines wie "Drop it, your whole crew's microscopic / like particles while I make international articles, and on the cover / don't discuss the baby mother" in "Final Hour" auf einem schweren, melancholischen Boombap-Beat oder dem R'n'B-lastigen "Everything Is Everything" mit weltweiten Referenzen, das auf vier Zeilen zwei Ägyptische Königinnen, eine afrikanische Savanne und Malcom X' Frau Betty Shabazz unterbringt: Es scheint unmöglich, sich an diesen ausgefeilten und versierten Reimen sattzuhören. Jede neu angesetzte Spieldauer offenbart einen neuen Verweis, eine neue Lenkflugrakete, die irgendwo einen MC in den sicheren Cypher-Tod schickt.

Gleichzeitig setzt Lauryn Hill mit ihrer kraftvollen, rau-zarten Stimme dem harten Rap eine nicht zu unterschätzende Pop-Note entgegen. Das bekannteste Beispiel dürfte wohl das bereits genannte "Doo Wop (Dat Thing)" liefern. Einmal gehört, verlässt die mitreißende Melodie nie wieder den Kopf. Dabei wissen viele (deutsche) Hörer vermutlich noch nicht einmal von der ermutigenden Botschaft des Songs, seine Selbstachtung nicht für sexuelle Aufmerksamkeit über Bord zu werfen.

Die MC wartet mit noch mehreren solchen Momenten auf. Das smoothe "Ex-Factor" beispielsweise, in dem Lauryn ihre Gefühle für ihrem Ex differenzierter betrachtet. "No matter how I think we grow you always seem to let me know / it ain't workin, no it ain't workin' / and when I try to walk away you'd hurt yourself to make me stay / This is crazy." Oder das Mary J. Blige-Feature "I Used To Love Him", das es sich zwischen den Genres Soul und R'n'B gemütlich macht. Der emotionale Höhepunkt von "The Miseducation Of Lauryn Hill" findet sich jedoch in der Ode an ihren Sohn, "To Zion". Die langgezogenen Töne und der gospelartige Background-Gesang erzeugen eine kirchliche Atmosphäre.

Die kommt nicht von ungefähr: Über alle fünfzehn Tracks verteilen sich mal mehr, mal weniger offensichtliche religiöse Verweise. "Forgive Them Father" warnt vor falschen Freunden, der letzte Song des Albums "Tell Him" baut sich auf wie eine Beziehungsgeschichte zu einem Mann, entpuppt sich jedoch als Liebeserklärung an Jesus: "Now I may have wisdom and knowledge on Earth / but if we speak wrong then what is it worth / see what we now know is nothing compared / to the love that was shown when oure lives were spared." Auch das Duett mit Neo-Soul-Legende D'Angelo "Nothing Even Matters", das im ersten Moment nach einer klassischen Schmachterei zwischen Liebenden klingt, interpretieren eifrige Hörer immer wieder als Hingabe an Gott: "These buildings could drift out to sea / some natural catastrophe / still there's no place I'd rather be / cause nothing even matters to me."

Mancher Kritiker empfand vor zwanzig Jahren die The Doors-Adaption von "Light My Fire", "Superstar", als "völlig missraten". Man kann jedoch auch argumentieren, dass Hill den Song in eine völlig eigene Version verwandelt hat, die weit genug vom Original entfernt bleibt, um eine eigene Stimmung zu entwickeln. Das einzige, das man dem Album ankreiden könnte ist, dass die Produktionen sich schon stark an den Standards der Neunziger orientiert haben.

Dieses Argument wird jedoch unwichtig, wenn man sich noch einmal vor Augen führt, was für ein Ausnahmetalent hinter diesen Aufnahmen steht. Eine extrem versierte MC, die unter männlichen und weiblichen Kollegen ihresgleichen sucht, eine begnadete Sängerin mit einem Händchen für intelligente Texte. Es bricht einem das Herz, zu wissen, dass "The Miseducation" das erste und einzige Album von Lauryn Hill ist, bedenkt man, wie viele Künstler diese Frau aus New Jersey beeinflusst hat, von Kanye West über Amy Winehouse, Talib Kweli und Nicki Minaj bis hin zu Adele.

Lauryn Hill ist für Hip Hop, was Frida Kahlo für die Kunstszene war. Auch wenn man die Schicksale der beiden Künstlerinnen nicht unbedingt miteinander vergleichen kann, da die MC aus New Jersey nicht wie die mexikanische Malerin Zeit ihres Lebens unter körperlichen (und seelischen) Schmerzen litt. Zudem zeichnete Kahlo weit über hundert Werke, während Hill der Welt (bisher) nur dieses einzige Solowerk hinterließ.

Dennoch sind die Ähnlichkeiten unübersehbar. Sowohl die Malerin als auch die Rapperin, beide setzten sich in einer fast ausschließlich von Männern bevölkerten Sparte durch und stellten ihre männliche Konkurrenz in einen sehr, sehr langen Schatten. Ihr unbändiges Temperament, ihr absoluter Drang nach Selbstbestimmtheit und ihre Liebe zur Sache sind in jedem Pinselstrich, in jedem Reim greifbar.

Dass Lauryn Hill einen derartigen Legendenstatus erreicht hat, obwohl sie in ihrer mittlerweile 20-jährigen Solokarriere nur auf einen einzigen Langspieler zurückblickt, zeugt davon: Sie ist im musikalischen Bereich eine der komplettesten Künstlerinnen, die die Welt je zu Gesicht bekommen hat.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Lost Ones
  3. 3. Ex-Factor
  4. 4. To Zion (Feat. Santana)
  5. 5. Doo Wop (That Thing)
  6. 6. Superstar
  7. 7. Final Hour
  8. 8. When It Hurts So Bad
  9. 9. I Used To Love Him (Feat. Mary J. Blidge)
  10. 10. Forgive Them Father
  11. 11. Every Ghetto, Every City
  12. 12. Nothing Even Matters
  13. 13. Everything Is Everything
  14. 14. The Miseducation Of Lauryn Hill
  15. 15. Tell Him

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Lauryn Hill

Eine amerikanische Karriere: In wenigen Jahren bringt es Lauryn Hill von der Tellerwäscherin beim Schnellimbiss zur Plattenmillionärin: Über 17 Millionen …

19 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.

  • Vor 5 Jahren

    Der Willi wurde von seiner Mutter sicherlich zu häufig auf den Kopf fallen gelassen. Aber warum seinen Kommentar löschen?
    Las sich zwar wie eine Trumprede die per Googletranslate von englisch ins chinesische danach ins russische und dann ins deutsche übersetzt wurde, war doch aber harmlos.
    Why, laut?
    WHY? :cruxy:

  • Vor 5 Jahren

    Das eine Hügelpredigt für die Zeit Genosen schwer verdaulig sein kann ist Nichts neues aber muss man den gleich zensiren da sollte man doch andere alterniven haben liebe lautler sucht doch bitte erst mal ein gespräch? Zu der Ananastacia habe ich wohl schon bereits alles sage ich nichts mehr besser, wenn es mich richtig entsinnt war sie ja mal selbst eine soulische sängerin ob recht schlecht oder recht liegt wohl an jedem einzelnen. Somit kennt sie sich ja in der eigenen Maisbreischüssel mit dem hart gewordenen Brotleib aus aber das es hinter den sieben Tellerrendern noch music gibt wo tausend mal schöner ist das kann sie ja nicht kennen kein vorwurf da her!

    Und die Gogo soll erst mal weiter auf dem japanesichen Schulhof ihre Yoyos & Cocos weiter hüpfen lassen und ihren Kopf in Bücher fallen reinlassen bevor sie sich hier in den Anlegenheit von den Erwaschenen reinmischen tut :P