23. Dezember 2016

"Wir sind die realste Crew Deutschlands!"

Interview geführt von

Spätestens seit sich Kollegah von Selfmade losgesagt hat, gehört die maskierte Crew aus dem Saarland zu den stärksten Zugpferden des Independent-Labels. Nach zuletzt zwei Nummer-eins-Alben in Folge verpassten Karuzo und Sikk zwar den Hattrick, ihr neues Album "Fukk Genetikk" sorgte aber allein schon mit dem Cover wieder für ordentlich Diskussionsstoff.

Nachdem uns erst Karuzos gesundheitliche Verfassung einen Strich durch die Rechnung machte, erreiche ich den Kopf der Genetikk-Bande beim nächsten Anlauf im Tourbus. Genetikk spielen im Zuge eines Werbedeals mit Snipes deutschlandweit für umme in den Shops des Streetwear-Branchenprimus'. Im Interview spricht ein äußerst redseliger Karuzo über innere Konflikte, geheuchelte Integrität und den Außenseiter-Status seiner Crew. Außerdem verrät er, wieso Genetikk nicht auf der Echo-Verleihung auftreten durften, und ob er wirklich vorhat, Donald Trump umzubringen.

Das Interview wurde jetzt gefühlt zum x-ten Mal verschoben. Schön, dass wir es endlich geschafft haben. Bist du mittlerweile wieder gesund?

Ich bin immer noch ein bisschen angeschlagen, aber ich habe ja noch ein paar Auftritte zu absolvieren. Von daher spielen meine Befindlichkeiten da nicht so eine große Rolle.

Ihr habt kürzlich die Albumveröffentlichung mit einem großen Releasekonzert zelebriert. Wie wars?

Die Show war super. Wir haben beim Album sehr viel Wert darauf gelegt, dass wir live eine gute Show abliefern können. Erklärtes Ziel ist es, große Festivals zu spielen. Das haben wir uns in den letzten Jahren auch erarbeitet. Wir spielen dieses Jahr auch Rock am Ring. Da kannst du dann halt nicht mehr nur mit DJ, Rapper und Backup rumturnen, sondern musst ein bisschen was auffahren.

Also legt ihr viel Wert drauf?

Es gibt wenige deutsche Acts, die da richtig Lust haben, sich aus dem Fenster zu lehnen. K.I.Z. machen das gut. Die sind, was Hip Hop angeht, eigentlich die Einzigen. Deichkind vielleicht noch, wenn man das zu Hip Hop dazuzählen mag. Rammstein muss man in dem Zusammenhang einfach immer nennen. Ziel ist auf jeden Fall, mit denen in einer Reihe zu stehen.

Was habt ihr euch dafür ausgedacht?

Momentan sind ja alle auf LEDs, große Screens und Beamer. Wir haben uns gedacht, das kann jeder und ist schnell gemacht. Im Grunde genommen haben wir einen Schritt zurück gemacht und richtigen Bühnenbau betrieben. Wir haben eine mehrstöckige Favela aufbauen lassen, die begehbar ist. Am höchsten Punkt ist das im Moment fünf Meter hoch. Für die Festivals werden wir das wahrscheinlich nochmal ausbauen.

Du sprichst das Thema Favela an: Warst du im Zuge der Albumaufnahme vor Ort?

Nee, ich war in meiner Jugend ein paar Mal dort. Insgesamt knapp ein halbes Jahr. Da habe ich auch die Sprache gelernt und natürlich viel mit Leuten vor Ort zu tun gehabt. Da gelebt zu haben, wäre zu viel gesagt, aber es ist auch nicht spurlos an mir vorüber gegangen.

Es waren also keine frischen Eindrücke, die dazu geführt haben, dass du auf dem Album auf Portugiesisch rappst?

Nein, aber das hat mich Zeit meines Lebens begleitet. Vielleicht wurde es durch die ganze Sache mit Olympia und der WM nochmal aktuell ins Gedächtnis gerufen.

Das Albumcover mit den bewaffneten Kindern in der Favela hat für einen kleinen Shitstorm gesorgt. Kannst du den nachvollziehen?

Also, ich freue mich darüber, dass es diesen Shitstorm gab, weil wir die Leute dann endlich mal zu etwas provoziert haben. In der Sache kann ich es aber absolut gar nicht verstehen. Ich kann mich mit einer kritischen Meinung, sofern sie fundiert ist, immer auseinandersetzen. Die Art und Weise, wie es mir dann aber letztendlich entgegen kam, fand ich einfach lahm und eigentlich auch voll schade, weil es komplett am Thema vorbei ging. Sich einfach so darauf zu stürzen und zu sagen, wir machen jetzt auf Favela, indem wir da zwei Kids mit Waffen aufs Cover packen, ist in meiner Welt komplett absurd. Das komplette Bild ist surreal, mit violettem Wasser und eigentlich sieht es in Wirklichkeit nirgends so aus. Wir haben nur mit Bildern rumgespielt und was zusammengebastelt.

Was die Leute dann da reininterpretieren, ist deren Sache. Für uns ist es eine Vision von etwas. Ich habe als Künstler immer und zu jedem Zeitpunkt das Recht, zu machen, was ich will. Außerdem habe ich nicht mal ansatzweise das Gefühl gehabt, eine Grenze zu überschreiten oder etwas Anstößiges zu machen. Man muss das Ganze ja auch im Kontext des Albums sehen, was die meisten, die dazu was geschrieben haben, nicht gemacht haben. Alles, was man entkontextualisiert, kann man sehr schnell in anderem Licht sehen.

Meiner Meinung nach ist man es als Kritiker seinem journalistischen Berufsethos gegenüber schuldig, sich damit fundiert auseinander zu setzen. Dann muss man eben auch tiefer gehen und solche Sachen sehen wie das brennende Flüchtlingsboot im Hintergrund auf dem Cover. Dann muss man sehen, dass eine Favela nicht so weit weg sein muss von einem Flüchtlingsheim. Wenn man es dann immer noch nicht rafft - was mir schwer fällt, nachzuvollziehen - kann man sich damit von mir aus in die Öffentlichkeit wagen und meinungsbildend sein. Das darf natürlich jeder immer, wir leben in einem freien Land. Aber ich finde die Diskussion ein wenig schwach auf der Brust. Ich hätte mir eine fundierte Gegenmeinung gewünscht. Mit der hätte ich mich auseinandersetzen können.

Wie frustrierend ist es, wenn man sich Gedanken zu etwas macht, und dann trotzdem Leute per Kurzschlussreaktion haten?

Der Punkt ist: Einerseits ist es natürlich fiktiv, andererseits aber auch die Realität. Es sieht so aus, es gibt diese Bilder, die sind echt. Die Kids mit den Waffen sind ein Teil Realität. Dann kommen die Leute eben auf die Realität nicht klar. Und es ist für uns nicht frustrierend, dass sich darüber jemand aufregt, das ist sogar eher motivierend. Aber frustrierend ist, dass diese Pseudo-Intellektualität auf Seiten derer, die meinen, den moralischen Zeigefinger heben zu müssen, einfach so kurzsichtig ist. Frustrierend ist, dass die, die dazu beitragen könnten, die Diskussion auf einer vernünftigen Ebene zu führen, nicht in der Lage sind, das so zu verstoffwechseln, was man ihnen da zum Fressen vorwirft. Dann wäre ich auch bereit, mich mehr zu erklären. Aber so sehe ich da keinen Anlass für.

In vielen Reviews ist der Tenor, dass das Album von Widersprüchen geprägt ist. Im einen Moment übst du Kapitalismuskritik, im nächsten zählst du die Geldscheine. Kannst du das nachvollziehen oder hältst du diese Meinungen auch für fehlinterpretiert?

Oberflächlich kann man das vielleicht so sehen. Aber: Die Welt ist voller Widersprüche. Warum sollten wir auf unserer Platte so tun, als gäbe es diese Widersprüche nicht? Und leugnen, dass sie auch in uns vorhanden sind? Die sind in jedem vorhanden. Diese ganze pseudo-moralistische Scheiße kann ich mir deshalb nicht geben, weil ich finde, dass das auch da viel zu kurz greift. Zum Beispiel der Song "Tote Präsidenten" bei dem das Thema angeblich nur Geld sein soll: Am Anfang des zweiten Parts gibt es diese Line, wo ich sage: "Eingesperrt in diesem Hamsterrad / Also renn' ich bis zum Herzinfarkt / Kappa ist mein Avatar." Das einzige, was ich mir hier vorwerfen lasse, ist, dass ich zugunsten der Spur, die ich in dem Moment lege, um dem Hörer den Schlüssel dafür zu geben, zu verstehen, dass dieser Text einen doppelten Boden hat, die Poesie aufgebe. Und dann auf allerbanalste Weise im Grunde genommen jedem ins Gesicht schlage und ihm sage: Hör' bitte genau hin. Es gibt eine weitere Ebene. "Schmeiß' das Geld, lass' es Paper regnen, lang lebe Genetikk." Viel übertriebener geht es ja nicht mehr. Wenn man das hören will, wenn man sich darauf einlassen will, wenn man das ernsthaft betreibt, dann muss man das hören. Dann muss man verstehen, dass das der Kontrapunkt in diesem ganzen Ding ist. Dann merkt man, dass es im Endeffekt doch nicht nur ein Song über Geld ist.

Und auch im Video: Die ganze Art und Weise, wie das Video arrangiert ist, zum Beispiel mit den Haien, die in den Pool projiziert worden sind. Da ist ein Model das auf Geldscheinen liegt, und unten drunter schwimmen die Haie. Das ist im Grunde genommen fast schon eine Plattitüde. Die Kredithaie, die um sie herumschwimmen. Immer wieder bieten wir diese Schlüssel an, damit die Leute verstehen: Es gibt noch etwas dahinter. Wenn das nicht jeder versteht, ist das kein Problem, das ist ganz normal. Das ist ja auch interessant für uns zu sehen, wie am anderen Ende der Kette beim Konsumenten manche Sachen ankommen. Das man nichts macht, was jeder begreift und jedem gefällt, ist auch in Ordnung. Ich spreche ja nicht jedermanns Sprache.

Damit habe ich kein Problem und ich will auch in dieser Beziehung nicht so arrogant sein, zu sagen, es muss jeder checken. Aber die Leute, die dann meinungsbildend sind und die Reviews schreiben und sich damit auseinander setzen und dann einer Verantwortung gerecht werden sollten und den Anspruch reklamieren, da in irgendeiner Weise fundiert zu schreiben, die müssen das schon sehen. Aber wenn diese Leute dann auch wieder zu kurz greifen, denke ich mir schon: Alter, mach' einfach mal die Augen auf, beschäftige dich richtig damit, dann kannst du mich auch auf jeden Fall damit konfrontieren und ich quatsch' mit dir darüber, auch wenn ich eigentlich nur Mucke machen will. Aber es ist immer das Gleiche, wir werden dann beim Echo ausgeladen, weil wir "Wünsch Dir Was" performen wollen. Und dazu Flüchtlingskinder mit Rettungswesten in die Crowd holen wollen. Dürfen wir dann aber nicht und werden nach Hause geschickt.

"Es geht nur darum, wer den längsten moralischen Zeigefinger hat."

Das ist wirklich vorgefallen?

Bei uns war es damals im Gespräch, dass wir diesen Auftritt machen. Und nachdem wir gesagt haben, was wir machen wollen, wurde sich umentschieden. Ob das damit in direktem Zusammenhang steht, weiß ich nicht, aber es würde auf jeden Fall zu dem passen, das jetzt hier auch gerade wieder passiert.

Aber wenn offensichtlich der Großteil der Leute diese zweite Ebene in euren Songs nicht erkennt, muss man sich als Künstler dann nicht auch hinterfragen und vielleicht etwas ändern, damit die Message rüberkommt?

Auf gar keinen Fall! Ich mache auf gar keinen Fall irgendetwas anders, als ich es bisher mache. Kann ich auch gar nicht. Es ist ja nicht so, dass ich am Reißbrett Sachen entwerfe und sage: Okay, ich will jetzt politische Botschaft X senden und wende dafür Schlüssel Y an. Ich bin ja kein Ingenieur. Dann hätte ich Maschinenbau studiert. Das sind Eindrücke, Visionen, Ideen und Träume und all das, was uns alle in unseren Leben beschäftigt. Und das kommt bei uns dann eben als Musik, als Song oder Album raus. Ich werde den Teufel tun, das in irgendeiner Art und Weise in eine Form zu gießen, damit ich gesellschaftlich angepasst bin, damit ich weniger Gegenwind bekomme. Wir können nur das machen, was wir machen.

Mucke machen ist für mich ein bisschen wie verliebt sein. Erklär' das erst mal! Mach' das mal anders, verliebe dich mal in eine andere Person. Klar, es gibt oft diese zweite Ebene, aber auch einfach, weil sie von sich aus schon da ist. Also, ich mache jetzt keinen Song und sage dann am Ende: Ach fuck, da fehlt mir jetzt aber der doppelte Boden. Diese Widersprüche – oder viel mehr Reflexionen - in denen sich die Leute dann auf einmal wiedererkennen und sich erschrecken, entstehen ganz natürlich. Und wenn wir dadurch am Ende in Schönheit sterben sollten, dann ist das halt so.

Jetzt hast du die Chance, allen Leuten die es nicht verstanden haben die zweite Ebene zu erklären.

Zum Beispiel der Track "Jordan Belfort": Da finde ich es ziemlich offensichtlich. Da hab' ich zweimal ein ähnliches Ende der Parts. Einmal: "Lass' die Maschine das Geld zählen", und im zweiten Part: "Lass' in den Flammen das Geld brenn', bevor ich nicht mehr ich selbst bin". Es gibt immer diese Momente, wo einem doch klar wird, dass es immer zwei Seiten der Medaille gibt. Auch der Journalist, der mir in einer Review vorwerfen will: Ihr macht einen Song wie "Peng, Peng", und im nächsten Moment arbeitet ihr mit Red Bull oder mit Snipes zusammen. Alter, das schreibt der auf seinem Apple-Notebook und hat dabei seine Nike-Schuhe an und wahrscheinlich noch die Red Bull-Dose nebendran stehen. Und will uns dann dämonisieren, weil wir mit Red Bull zusammenarbeiten, die übrigens - falls das niemand mitbekommen hat - nicht im Irak einmarschiert sind.

Klar ist das Business, Alter. Aber das ist die normalste Sache der Welt. Wenn eine Marke kommt, mit der ich kein Problem habe, wo ich die Leute persönlich kenne und die sagen: Wir ermöglichen euch das mit der Liveshow, wir machen einen weltweiten Stream, und ihr könnt eine Show machen, so wie ihr Bock habt. Alter, wieso sollen wir das dann bitte nicht machen? Da schwebt dann in den Köpfen der Journalisten nur das Wort Großkonzern, und schon geht es los. Die sind in dem Moment dann nicht viel besser als irgendwelche Kids, die im Internet auf Illuminaten-Verschwörungen hereinfallen. Nur weil da eine Marke involviert ist?

Jeder ist eine Marke, Genetikk ist eine Marke, KC Rebell ist 'ne Marke, Bushido ist 'ne Marke. Jeder Mensch, der eine Persönlichkeit hat, ist eine Marke. Jeder Mensch trägt eine Maske. Auch du hast verschiedene Ausschnitte an Authentizität in deiner Persönlichkeit. Verschiedene Facetten, die du in einem sozialen Kontext präsentierst und in einem anderen nicht. Du redest mit deinem Chef anders als mit deiner Frau, anders als mit deinem Bruder, anders als mit deiner Mutter. Mit der redest du nicht übers Ficken und wie geil die Braut ist, die du letztes Wochenende unbedingt klar machen wolltest. Du erzählst ihr auch nicht von Analsex, den du dir mit dieser Frau wünschst. Aber mit deinem Kumpel redest du darüber. Bist du deswegen jetzt nicht mehr real? Heißt das, du bist unauthentisch? Nein! Aber genau diese Widersprüche sind in jedem von uns vorhanden. Und das einzige was wir machen, ist offen, offener als andere Künstler, damit umzugehen und uns nicht zu verstecken hinter irgendwelchen moralischen Zeigefingern und so zu tun, als ob das in uns nicht vorhanden wäre.

Ich bin doch moralisch nicht der integerste Mensch der Welt. Außerdem habe ich auch nicht ganz mitgekriegt, wann Genetikk eigentlich zum Polit-Rap-Monster mutiert ist. Wir machen immer noch Mucke, wir haben Spaß daran und spielen mit allen Klischees, mit allen Träumen und Wünschen, die in dieser Bling-Bling-Welt auch stattfinden, und trotzdem hat man natürlich gleichzeitig einen Intellekt und ein Herz und eine Seele und sieht Sachen, bei denen man denkt: Alter, fuck, es ist doch nicht alles so cool. Ich habe nie behauptet und in irgendeiner Form beansprucht, moralisches Vorbild zu sein. Wir machen einfach nur Mucke, an der wir mega Spaß haben, die in allererster Linie Unterhaltung ist.

In "König Der Lügner", dem ehrlichsten Deutschrap-Song aller Zeiten, wurde von Anfang an klargemacht, wie das hier läuft. Ich verstehe also gar nicht, wo auf einmal die Problematik herkommt. Weil jetzt mehr Erfolg da ist? Weil sowas da ist wie eine Snipes-Tour? Wo wir unterwegs sind und für die Leute Gratis-Konzerte spielen, die vielleicht nicht die Kohle haben, auf die Show zu kommen. Weil wir dort Auftritte machen und unser Album promoten? Check' ich nicht.

Macht dir der Sellout-Vorwurf zu schaffen?

Nein, überhaupt nicht. Warum hat uns bei "Achter Tag" keiner Sellout vorgeworfen, als wir die Maske in die Box gepackt haben? Warum soll das dann jetzt auf einmal mehr Sellout sein als vorher? Für uns fühlt es sich jedenfalls überhaupt nicht danach an, wir machen genau das, worauf wir Bock haben. Niemand hat uns gekauft. Wir machen Werbung für uns. Und es gibt Partner wie Snipes, die uns dabei helfen. Aber warum auch nicht? Wir sind Rapper geworden und haben uns vorgenommen: Alter, wir machen das ganz große Ding. So wie alle Künstler, die einen Traum haben. Dann kommt Snipes und sagt: Ey, pass' auf, ihr kriegt eure Fresse in 150 Läden in der Weihnachtszeit komplett in allen Fußgängerzonen. In Shops, in die die Kids, die eure Mucke feiern, sowieso kommen. Die kaufen die Klamotten, und eure Musik läuft. Und wir zahlen euch noch Kohle, damit ihr Konzerte spielen und auf eine kleine Promo-Tour für das Album gehen könnt, wo ihr in den Stores dann noch Autogramme gebt, Fotos macht und eure Fans treffen könnt. Und dann soll ich Nein sagen? Jetzt erklär' du mir bitte, warum. Sag' mir bitte, warum wir das ablehnen sollen. Erklär's mir aber schlüssig, sonst akzeptiere ich es nicht.

Ich kann es dir nicht erklären. Aus eurer Sicht macht das natürlich Sinn und ist vielleicht sogar noch weniger verwerflich als das, was andere Rapper zu Promozwecken machen.

Ja, sehe ich auch so.

Es ist in der Geschichte sowieso noch nie vorgekommen, dass ein Künstler erfolgreich wurde, ohne sich Sellout-Vorwürfe gefallen lassen zu müssen.

Auch bei Michael Jackson, bei "They Don’t Really Care About Us", wo er in der Favela steht und wahrscheinlich schon Milliardär war, auf dem Höhepunkt seines Erfolgs. Da werden ihm wahrscheinlich genauso viele Vorwürfe um die Ohren geflogen sein, dass er sozusagen nicht real ist, weil er als Multi-Millionär in der Favela ist. Aber was haben die Leute vor Ort gemacht? Die habens gefeiert. Für mich ist das insgesamt so ein Trend in der deutschen Gesellschaft: Es geht nur darum, wer den längsten moralischen Zeigefinger hat. Und in Wirklichkeit sieht man all diese Idole und großen Moralisten wie zum Beispiel eine Alice Schwarzer, die dann selbst mit Steuerhinterziehung zu kämpfen hat. Klar, das ist jetzt ein Einzelfall, aber der steht für mich sinnbildlich für diesen Wettbewerb, sich gegenseitig in Integrität und Gutmenschentum übertreffen zu wollen. Das finde ich oft sehr verlogen. Das heißt nicht, dass ich nicht wichtig finde, dass Leute für ihre politische Überzeugung eintreten, sich sozial engagieren und auch politische Meinungen vertreten und sich auch mit uns in dem Fall auseinander setzen. Die dürfen da auch gerne eine andere Meinung als wir vertreten. Ich habe nur einfach das Gefühl, dass es dann meistens sehr oberflächlich bleibt. Das ist dann der Punkt, der mich frustriert.

"Ich habe nicht vor Donald Trump umzubringen!"

Das Bild der "Toten Präsidenten" steht natürlich vorrangig für Geldscheine. Aber in Zeiten der US-Wahl stellt sich mir die Frage, ob man es vielleicht auch als Anspielung auf den Wahlausgang verstehen kann?

Nicht bewusst, aber das sind natürlich auch Sachen, die einfach so hochkommen, weil das ja auch an keinem spurlos vorüber gegangen ist. Bevor mir jetzt aber vorgeworfen wird, ich plane Attentate auf Donald Trump, möchte ich Entwarnung geben: Ich habe nicht vor, Donald Trump umzubringen! Aber das sind dann genau so Momente, in denen sich alles miteinander vermischt, dieser ganze Wahnsinn, mit dem man medial ununterbrochen konfrontiert wird. Sowohl "MTV Cribs" und Rockstar-Hollywood-Lifestyle, Geld machen, American Dream, als auch ein Trump, der genau das verkörpert und zum Präsident und damit politischen Führer der westlichen Welt gewählt wird. Das kommt dann alles zusammen, und dann ist die Hook am Ende eben: "Lang leben Gentikk!" Ich renn' im Hamsterrad bis zum Herzinfarkt und Hauptsache, ich mach' Kohle. Wenn das jetzt Sellout-mäßig ist, mach' ich von mir aus auch das mit, ist eh alles egal. Und in anderen Momenten wird einem aber auch wieder klar, dass eben nicht alles egal ist und dass man auch Ideale hat und Dinge, für die man kämpft. Und wenn das am Ende bedeutet, dass wir eine sehr inkonsequente Bande sind, dann kann ich es auch nicht ändern.

Siehst du dich also selbst als Teil des Problems, das du eigentlich kritisierst?

Auf jeden Fall. Natürlich bin ich Teil des Problems. Wir hätten uns im "Peng Peng"-Video auch ohne Probleme auf die Seite des Indianers schlagen können. Wir sitzen stattdessen aber in dem Panzer. In dem Moment bieten wir den Leuten an, uns als Projektionsfläche für das personifizierte Böse zu nehmen. Wenn dann aber Leute mit so einer Gehässigkeit ankommen und sagen, obwohl wir Teil des Problems sind, kritisieren wir noch, sage ich: Alter, wir haben längst eingesehen, dass wir Teil des Problems sind. Und damit sind wir vielen anderen Künstlern, insbesondere Rappern, meilenweit voraus. Aber anstatt dass das dann reflektiert und wahrgenommen wird, versuchen die Leute, uns auf den Sack zu gehen. Anstatt zu verstehen, dass wir diese Widersprüche erkannt haben, dass wir sie aufgreifen, thematisieren, und den Leuten und uns selbst damit einen Spiegel vorhalten. Die moralisch einfachere Position wäre in diesem Clip gewesen, sich auf die Seite der Indianer zu schlagen und gegen den Panzer zu kämpfen. Genetikk als die großen Helden zu inszenieren, die gegen Amerika sind. Ist aber nicht so. Wir rollen in diesem Popkultur-Monstrum rum und sind mit daran schuld, dass denen ihr Land weggenommen wird. So ist es, und das ist die Scheiße. Gleichzeitig wäre man vielleicht auch lieber auf der anderen Seite, aber so ist es halt, das ist die Realität. Und natürlich sind wir vom Herz her immer den Unterdrückten und Schwachen näher als den Eroberern. Aber die Wahrheit ist: Wir leben alle in dieser Welt, du auch, ich auch, und wir versuchen alle, am Ende des Tages unseren Platz im Warmen zu finden.

Das "Cowboy und Indianer"-Bild durchzieht ja das ganze Album. Was hat euch dazu inspiriert?

Ich kann nicht so richtig beantworten, wieso das so eine Faszination hat. Die ist auf jeden Fall da, schon seit frühster Kindheit. Ich war immer Indianer und nicht Cowboy. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die Europäer ihre Vorstellung vom Wilden Westen schon seit Zeiten der Aufklärung so sehr lieben. Das Bild, das man von der indigenen Bevölkerung, vom Naturvolk hat, also eine gewisse Naturverbundenheit, Spiritualität, eine ganzheitliche Weltsicht und diesem Beschränkt-Sein auf die sehr elementaren und scheinbar wesentlicheren Dinge des Lebens, das ist natürlich einfach eine Faszination. Vielleicht auch gerade in einer Zeit, in der wir uns alle extrem weit davon entfernt haben. Wir haben auf der letzten Platte diese Dinge ja auch schon in einem anderen Kontext thematisiert. Wir machen echt Ausflüge. Bei "D.N.A." waren wir auf einem anderen Planeten, bei "Achter Tag" waren wir in der asiatischen Mythologie, und jetzt sind wir bei den indigenen Völkern angelangt. Vielleicht spürt man da eine Verbundenheit zu etwas, das einen erdet. Was man in sich vielleicht auch spürt, etwas Wilderes, Ursprünglicheres.

All diese Bilder durchzieht ein gewisser Außenseiter-Status. Sehr ihr euch als Außenseiter?

Das ist halt immer das Ding. Wenn man sich selbst als Außenseiter sehen möchte, tut man das meist für die Identitätsfindung, weil man das braucht, um sich abzugrenzen. Ich kann nur so viel sagen: In meiner Jugend hat es sich oft so angefühlt. Ich habe es aber auch selbst provoziert, weil ich mich darin wohlgefühlt habe. Es hat natürlich auch was Attraktives, gegen etwas zu rebellieren und anders zu sein. Heutzutage bin ich damit nicht mehr so krampfhaft. Es müssen aber andere bewerten, ob wir eine Außenseiter-Rolle einnehmen. Wir sind aber immer noch eine verdammt reale Kombo. Das ist vielleicht auch das, was uns zu Außenseitern macht, gerade weil wir uns als Projektionsfläche anbieten, gerade weil wir diese Widersprüche, die wir alle in uns tragen, aufgreifen und damit spielen, gerade weil wir uns selbst nicht so ernst nehmen. Da gab es ja anfangs auch wegen den Masken den Vorwurf, dass das nicht real sei. Alter, wir sind die realste Crew in ganz Deutschland!

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