30. Januar 2014

"Ich hätte es mir einfacher machen können"

Interview geführt von

Vor gut zwei Jahren machten Smoke Blow den Deckel drauf. Alles war gesagt, nichts ging mehr. Lediglich die Aussicht auf zukünftige Live-Partys der Kieler versüßte den zahlreichen Anhängern der Band den Studio-Abschied. Im Winter 2012 dann die frohe Kund: Frontmann Jack Letten versucht's jetzt solo. Mit im Gepäck: Ein neuer Name und ein komplett neues musikalisches Betätigungsfeld.

Jack Letten ist jetzt Erik Cohen. Statt Rabauken-Punk gibt's erdigen Deutschrock mit Singer/Songwriter-Anleihen auf die Ohren. Bereits im Sommer 2013 konnte sich die immer noch schluchzende Smoke Blow-Fangemeinde ein erstes akustisches Bild von der neuen Ausrichtung Lettens machen und staunte nicht schlecht, als sich der kratzbürstige Kieler plötzlich im sogenannten "Hitrock"-Gewand präsentierte ("Kapitän").

Die Angst, dass sich die schroffe Szene-Ikone in kantenlosen Klangwelten verlieren würde, erwies sich jedoch als völlig unbegründet, denn mit der markanten Melange aus Kyuss-, Black Sabbath- und Depeche Mode-Erinnerungen traf der Sänger genau ins Schwarze. Wir verabredeten uns mit dem "neuen" Jack Letten und plauderten über die Geburt von Erik Cohen, Orientierungshilfen und das Dilemma deutschsprachiger Rock- und Popmusik.

Hi Erik, du befindest dich seit der Veröffentlichung deines ersten Songs unter neuem Namen ("Chrom") im November 2012 in einem Präsentier-Prozess. Ein halbes Jahr nach dem Song-Debüt kam die EP "Kapitän" auf den Markt, gefolgt von einer ersten Tour. Im Januar kommt es jetzt mit der Veröffentlichung deines Debütalbums zum krönenden Abschluss der Vorstellungsphase von Erik Cohen. Wie zufrieden bist du mit dem bisherigen Verlauf deiner musikalischen Metamorphose?

Erik: Ich bin sehr zufrieden. Wir haben zwei Jahre lang echt hart gearbeitet. Die Platte ist jetzt endlich fertig, die Tour lief gut und ich habe in den letzten Monaten jede Menge neue Leute kennengelernt. Ich bin wirklich happy. Ich meine, das Ganze hätte ja auch in der Masse der Neuveröffentlichungen komplett untergehen können. Irgendwie haben wir auch Schwein gehabt (lacht).

Wann hast du denn gemerkt, dass die richtige Spur gefunden wurde?

Eigentlich erst nach der Veröffentlichung der EP. Als ich die ersten Reviews las, war ich mir sicher, dass alles passt. Nicht, dass ich zwingend Lobgesänge von außen gebraucht habe, aber es war schon schön zu merken, dass die Leute scheinbar verstanden, um was es mir bei der Sache ging.

Viele neue Künstler halten diesen ganzen Entstehungsprozess erst einmal unter Verschluss und warten lieber ab, bis das komplette Startpaket geschnürt ist. Warum hast du dich für diesen Peu à peu-Weg entschieden?

Zum einen wollte ich überhaupt erst einmal gucken, wie sich das so anfühlt, wenn man was komplett Eigenes an den Start bringt. Das ist ja eine ganz andere Baustelle. Dieser ganze Schutzwall, den man hat und hinter dem man sich so wunderbar verstecken kann, wenn man Teil einer Band ist; der ist nicht mehr da. Das kostet natürlich auch ein bisschen Überwindung. Deswegen habe ich mir gedacht, dass ich erst einmal ganz vorsichtig gucke, wie das alles so abläuft.

Auf der anderen Seite waren da die Leute draußen, die ich auch nicht gleich überfallen wollte (lacht). Auch hier war mir wichtig, erst einmal die Lage zu checken und zu gucken, wie die Reaktionen ausfallen. Das baut sich dann halt so auf. Man wächst ja dann in diesem Prozess. Man wird selbstbewusster und traut sich immer mehr nach draußen. So kam dann eins zum anderen.

"Es gab keinerlei Grauzonen"

Gab es denn während dieser Phase auch Momente, in denen dir Zweifel kamen?

Nein, gar nicht. Ich glaube, das Schönste an dieser ganzen Zeit war, dass es keine Grauzone gab. Es gab entweder Leute, die es total geil fanden, oder eben welche, die richtig böse ausgeteilt haben.

Das Ziel war also: Polarisierung?

Genau. Alles andere ist doch langweilig. Ich bin ein Mensch, der große Schwierigkeiten mit halbgaren Dingen hat. Entweder es zündet und knallt, oder ab in die Tonne damit. Dieses ganze Wischiwaschi-Zeugs hält doch nur auf und raubt uns Zeit und Platz für wirklich fokussierte Arbeiten.

Wer hat denn in deinem Fall richtig böse ausgeteilt? Die ganzen Smoke Blow-Hardliner?

Nicht nur. Da gab es natürlich auch viele, die ein großes Problem mit meiner neuen Ausrichtung hatten. Aber die richtig dicken Keulen schwangen die Ur-Punks. Da war dann halt gleich von "Ausverkauf" und so die Rede.

Hat dich das überrascht?

Nein. Ich bin ja nun auch schon eine ganze Weile dabei. Mir war schon klar, dass es klar definierte Strukturen geben wird, die vor allem die Oberfläche des Projekts angreifen werden. Damit habe ich schon gerechnet. Ich fand es aber schön, dass sich die meisten von denen letztlich dann doch primär über die Musik an sich ausgekotzt haben. Dieses "Ausverkauf"-Geschreie diente oftmals nur als plakative Headline. Das war dann auch völlig in Ordnung.

Wurdest du mit diesen Leuten auch auf Tour konfrontiert?

Ja, teilweise. Aber das war auch völlig ok. Es gab keinerlei mit hochrotem Kopf und geballten Fäusten geführte Streitgespräche. Gelegentlich kam es nach den Gigs zum emotionalen Austausch verschiedener musikalischer Ansichten. Das gehört aber dazu. Dafür bin ich mir auch nicht zu schade, ganz im Gegenteil. Oftmals nimmt man aus solchen Begegnungen ja auch eine Menge für sich mit.

Im Großen und Ganzen war es aber eine sehr harmonische Tour mit vielen neuen Gesichtern aus allen Bereichen. Das hat mir dann auch gezeigt, dass ich mit Erik Cohen auf dem richtigen Weg bin. Ich will nicht nur einen elitären Zirkel ansprechen sondern genreübergreifend Aufmerksamkeit erwecken.

Dafür hast du dich mit der Variante Deutschrock für den mitunter wohl am kritischsten beäugten Ausdruckspfad entschieden.

Ja, absolut (lacht). Ich hätte es mir auch wesentlich einfacher machen können. Aber, wie gesagt: Polarisierung ist mir halt wichtig. Wobei ich gestehen muss, dass ich zunächst versucht habe, englischsprachige Songs zu schreiben (lacht).

"Ich will eine klare Sprache"

Aber?

Ich hatte irgendwann einfach das Gefühl, dass die Platte auf Englisch zu beliebig werden würde. Ich hatte Angst, dass sie zwar gut wird, aber eben nicht spaltet. Genau das wollte ich aber. Also habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was ich gerade hierzulande am meisten vermisse. Und da fiel mir dann ein, dass ich eigentlich total auf deutsche Rockmusik stehe, die von Herzen kommt und sich nicht irgendeiner bestimmten Szene unterwirft. Genau das ist nämlich das große Problem.

Meiner Meinung nach gibt es drei prägende Sparten in Deutschland. Es gibt die weichgespülte Rock-Pop-Sparte, die ausschließlich nur fürs Radio schreibt und möglichst kantenlos und glatt daherkommt. Dann gibt es diese Intelligenz-Brüderschaft, die ebenfalls nur in einem gewissen Umfeld funktioniert. Die können auch nicht so richtig aus ihrer Haut raus, sonst würden die von ihrer Szene zerrissen werden. Und dann gibt's natürlich noch diese ganzen Straßen-Rock'n'Roller, die mit pathetischen Texten und reichlich Distortion auf dicke Hose machen und sich als Botschafter des niederen Volkes präsentieren.

Da kommt aber überall nur selten wirklich authentisches Zeugs bei rum. Ich habe halt kein Interesse daran, irgendwelchen Formaten zu entsprechen. Deswegen habe ich mir einen ganz eigenen Weg geschaufelt, auf dem Leute aus allen Bereichen spazieren gehen können. Das war so mein Hauptziel, als ich mich dazu entschloss, deutschsprachige Musik zu machen.

In einem Interview hast du deutschsprachige Rock- und Pop-Musik letztens als "hölzern", "stumpf" und "klischeebeladen" beschrieben. Warum fällt es vielen deutschen Künstlern so schwer, die richtigen Worte zu finden?

Das ist eine gute Frage, auf die ich leider auch keine Antwort weiß. Ich denke einfach, dass sich viele Musiker zu sehr mit dem Klangbild des Gesangs beschäftigen, anstatt sich einfach auf eine klare Linie zu konzentrieren. Die Wenigsten gehen den geraden Weg. Mir war es deshalb wichtig, einfache Wörter zu finden. Ich will eine klare Sprache. Ich will, dass die Leute mich sofort verstehen und nicht erst sieben Durchgänge brauchen, um meinen Gedanken folgen zu können.

Hattest du Orientierungshilfen?

Naja, für mich war das ja schon alles Neuland. Ich hatte Anfangs auch Probleme damit, die richtigen Worte zu finden. Aber ich wollte mich auf keinen Fall verbiegen lassen, nur um des Klangbildes wegen. Ich wollte geradeaus texten. Das hat eine Weile gedauert. Ich habe mir dann eine Pinnwand zu Hilfe genommen und mir Stichwörter und Parabeln kenntlich gemacht. So entstand ein Netz an Wörtern, mit dem ich dann arbeiten konnte.

Als ich den Song "Dirigent" schrieb, habe ich beispielsweise viel an Grönemeyer gedacht, obwohl seine Musik mit meiner eigentlich kaum was zu tun hat. Grönemeyer hat aber dieses unverkennbare Gespür für Sprache, die berührt und einen emotional packt. Das haben nicht viele deutsche Künstler drauf. Ansonsten habe ich aber versucht, mich auf mein eigenes Gefühl zu verlassen. Das hat, denke ich, auch ganz gut geklappt.

Musikalisch schöpfst du nahezu aus allen Töpfen. Zwischen Depeche Mode, Kyuss und Danzig scheint alles möglich. Ist das ein Zeichen dafür, dass du dir in punkto Sound noch nicht so ganz darüber im Klaren bist, wohin die Reise mit Erik Cohen gehen soll? Oder ist es gerade diese Vielfalt, die Erik Cohen ausmachen soll?

Vielschichtigkeit ist mir extrem wichtig. Ich will mich hier austoben und den Leuten all das präsentieren, was mir am Herzen liegt. Das wird bei Erik Cohen auch definitiv so bleiben. Hier geht es nicht um die Suche, sondern um das grundsätzliche Spielen mit Gegensätzen. Das macht die Platte, meiner Meinung nach, auch so interessant. Für einen Musiker gibt es doch nichts geileres, als die komplette Bandbreite nutzen zu können, um daraus letztlich was Eigenes entstehen zu lassen.

Ich will nicht das Rad der Musik neu erfinden. Das hatten wir damals auch mit Smoke Blow nie im Sinn. Ich will mit Erik Cohen Altem zu neuem Glanz verhelfen. Das sagt ja auch schon der Albumtitel "Nostalgie Für Die Zukunft" aus. Darum geht es mir. Deswegen denke ich auch, dass die Platte den einen oder anderen Hörer auch in zehn Jahren noch begleiten wird.

Apropos Zukunft: Wo siehst du dich denn selbst in zehn Jahren? Irgendwo mit den Jungs von Smoke Blow in einem Studio, weil vielleicht doch noch nicht alles gesagt wurde? Oder eher unter dem Erik Cohen-Banner auf der Bühne der Columbiahalle stehend, mit dem siebten oder achten Soloalbum im Gepäck?

(lacht) Columbiahalle wär schon geil.

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1 Kommentar mit 4 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Wann kommt die Rezension von "Nostalgie für die Zukunft"? Dürfte Ulf Kubanke doch gefallen, Schon jetzt eins meiner Topalben des Jahres.

    • Vor 10 Jahren

      Am besten gleich als Meilenstein rezensieren, denn deutschsprachiger Rock mit Geschmack ist sehr selten und nach der Onkelzvereinigung wird er noch seltener werden. Ganze Armadas von Stümpercombos werden sich motiviert fühlen und ihre ehrliche Liebe zu speckigem Scheißrock durch miese Alben mit deutschtümelnder Romantik zum Ausdruck bringen.

    • Vor 10 Jahren

      gestern gehört, ist ganz gut geworden auch wenns mir persönlich ne spur zu "erwachsen" ausgefallen ist.bisserl mehr rumms aufm album hätte meiner meinung nach nicht geschadet.

    • Vor 10 Jahren

      Auf Vinyl rummst es ordentlich.

    • Vor 10 Jahren

      vinyl ist auch eigentlich das richtige format für so ein album, kann ich aber so schlecht im auto abspielen.gucken,sollten mir wider erwarten die neuen alben von pascow und die nerven net zusagen, werd ich da evt. noch mal nachinvestieren.