12. Februar 2020

"Demnächst werde ich Cowboy wie Lil Nas X"

Interview geführt von

Im Schutze der Nacht bittet der Graf zum Gespräch. Das dreht sich um die hysterische Umweltsau-Debatte, zertretene Küken, nach innen wachsende Penisse, Polenböller und Likör.

"Ist 18:30 Uhr für dich okay?" Es war zu erwarten: Graf Grim104 zieht einen Interview-Termin im Schutz der Dunkelheit einem am helllichten Nachmittag vor. Wer schon auf seinem Album-Cover bleich und ungesund aussieht, kann grellem Tageslicht sicherlich wenig abgewinnen. Auch das Kellergewölbe im Club Bahnhof Ehrenfeld mutet eher wie eine Gruft an und hat mit den Industrie-Chic anderer Locations wenig zu tun. Das Setting erscheint also perfekt für das Interview mit einem Vampir.

Die Untoten erleben gerade ein Revival in der Popkultur und sind dank Grim104 auch Thema im Hip Hop. Wo Serien wie aktuell "Dracula" einen humoristischen Ansatz wählen, betrachtet der Wahl-Berliner die Realität und den Geisteszustand des Menschen als das wahrhaftige Grauen. So düster "Das Grauen, Das Grauen" auch sein mag: Als Interviewpartner wirkt Grim104 äußerst einfallsreich und innerlich aufgeräumt.

Hey, Grim. Bist du gut in Köln angekommen?

Ja, alles super. Ich habe sehr gut bei McDonalds gegessen, den Code von diesem Terminal geknackt und ein wirklich tolles Verhältnis zu den Mitarbeitern dort aufgebaut, so dass mir sämtliche Wünsche erfüllt wurden. Was mir gerade überhaupt nicht so aus dem Kopf geht, ist dieses "Jeder Jeck ist anders" und "Et kütt wie et kütt".

Deinen Jahresanfang stelle ich mir ja wie folgt vor: Du mit Mantel oben auf dem Berg, verächtlich auf die Menschheit schauend.

Dieses Bild kommt sehr gut hin. Ich habe auch so einen heftigen Polenböller von meinem Schloss runtergeworfen. Das hallt einfach so wunderschön im Schlosshof.

Noch mit NVA-Restbeständen dazu?

Nee, das nicht. Aber wenn man rüber nach Slubice [polnische Stadt in der Nähe von Franfurt an der Oder] fährt, gibt es da erstens tollen Haselnusslikör, und vor allem vietnamesisches Feuerwerk. Tonnen an vietnamesischen Feuerwerk und ein schöner Likör: Das sind die Dinge, mit denen ich mir persönlich Silvester versüße.

Klingt großartig. Darf ich das nächste Mal mitmachen?

Nee, dann bin ich nicht mehr allein.

"Deutschland ist bekannt für seine Vorliebe für düstere und schwere Musik"

Wie bist du mit der Rezeption deines Albums zufrieden?

Ich bin da sehr zufrieden. Überall gut besprochen, und vor allem auch gut losgeworden. Wenn man das alles in Eigenregie macht, sind eben auch die wirtschaftlichen Faktoren wichtiger und bedrohlicher, als wenn man bei einem großen Label unter Vertrag steht. Eigentlich überraschen mich die guten Verkäufe sogar, weil ich meine Musik ja eher als sperrig und weird ansehe.

Ist eine weitere EP geplant, oder ein Album?

Hmmm, nicht zu Grim104. (Grinst wissend)

Aha! Also kommt da ein neues Zugezogen Maskulin-Album?

Das habe ich nicht gesagt. (Grinst noch breiter)

Also ist es total ausgeschlossen?

Na, das habe ich nun auch nicht gesagt. (Lacht)

Mit diesem düsteren Soundbild von "Das Grauen, Das Grauen" bist du in guter Gesellschaft. Lance Butters mit "Angst" und OG Keemos "Geist" ...

Deutschland ist doch bekannt für seine Vorliebe für düstere und schwere Musik. Ich mag dieses Lance Butters- und OG Keemo-Soundbild sehr gerne, aber so wirklich haben wir dann doch nicht miteinander zu tun. Aber das ist aber sicherlich nicht das Schlimmste, mit dem man assoziiert werden könnte. Ich könnte noch ein paar Namen droppen! Ehrenmann, der ich bin, schweige ich aber natürlich und genieße.

"Dieses Themengebiet kann ich nicht ewig so weiter bespielen"

Gestern startete "Dracula" auf Netflix. Schon einen Eindruck bekommen?

Ja, schon von gehört. Aber: nein. Ich habe mit "The Witcher" angefangen!

Dann mach' sofort ein Cover von "Toss A Coin To The Witcher". Das geht gerade komplett durch die Decke.

Ah, stimmt! Das habe ich auch gesehen. Ich habe mich jedenfalls total in die Figur des Igelmenschen aus dem Erlenwald verliebt, aber bin noch gar nicht so großartig weitergekommen.

Wie findest du die Serie bisher? Ich fand die CGI-Effekte und die Story ziemlich dürftig.

Bisher würde ich sagen: unterhaltsamer Trash. Ich habe mir so in nach-weihnachtlicher Stimmung noch einmal "Herr der Ringe" gegeben. Ich möchte hier übrigens eine Information weitergeben, die quasi dieses Medium als erstes erfährt ...

Jetzt wird es spannend! Das Outing als wirklich existierender Vampir? Die große Sensation scheint nah, aber alles kommt doch ganz anders. Grim104 erklärt exklusiv, er könne den Wirt aus dem ersten "Herr der Ringe"-Teil perfekt imitieren:

Bezieht sich dein Song "Unter der Stadt" eigentlich auf den Film "Meat Night Train"? Da geht es auch um so einen Schlächter, der Menschen in einem Nachtzug auf eine eigene Bahnlinie führt und sie dann ermordet.

Nee, den kenne ich gar nicht. Der bezieht sich aber auf den Film "Creep", der praktisch die gleiche Handlung hat.

Wusstest du, dass es Köln eine Art Katakomben-System gibt?

Naja, das Stadtarchiv ist nicht ohne Grund eingestürzt. Also, ich finde: Rückt endlich raus mit der Wahrheit!

Später im Konzert beschreibt er noch einmal, wie sich Menschen von unten nach oben graben und so das System unterwandern. Tatsächlich wird ein paar Wochen später im U-Bahn-System der Berliner Verkehrsbetriebe ein Büro gefunden.

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Gibt es eine urbane Legende aus deinem Dorf? Irgendein gruseliger Onkel aus der Nachbarschaft, über den man sich komische Dinge erzählt?

Es gibt ein Haus, das man auch kurz im Zugezogen Maskulin-Video zu "Der müde Tod" sieht. Der Elissenhof, ein ehemaliges Müttergenesungsheim, worüber sich erzählt wird, dass dort Babys im Garten vergraben wurden. Ich bin auch mal in einen Bauernhof eingebrochen, wo plötzlich so ein creepy Onkel mit der Flinte vor uns stand und uns vom Hof jagte. Ich bin auch mal als Jugendlicher von einem Fremden in so einer Unterführung zur Seite gezogen worden, das war wirklich ein ekliges Gefühl. Totaler Albtraum, das war schon sehr real.

Ein Song, zumindest eine Songzeile, bezieht sich auf einen echten Mordfall in Varel?

Hm, ja, da möchte ich jetzt eigentlich gar nicht so Kapital rausschlagen. Da war ich gerade neun, und die Person war mit einem Klassenkameraden verwandt. Meine Religionslehrerin hat später die Beerdigung geleitet. Das war wirklich ganz dicht dran.

Gibt es eine Urban Legend, die du gerne über dich lesen würdest?

Ja, dass ich Küken zertrete.

Oh, wirklich sehr schön! Hängt das mit einem traumatischen Erlebnis aus deiner Kindheit zusammen?

Ja, das hängt auf jeden Fall mit dem Dorfleben zusammen. Das ist bei uns ein archaischer Karnevalsbrauch, kleine Babyküken zu zertreten. Bei uns nennt sich das "Kükenstempel", das ist zumindest in Norddeutschland ein sehr weit verbreitetes Brauchtum.

Veedel Kaztro kommt herein und bringt tatsächlich einen Umhang mit. Grim probiert ihn an und begutachtet sich im Spiegel. Er empfindet sich als dick und fragt seine Crew, ob das wirklich so passe und cool aussehe. Die Kölner Gefolgschaft des Grafen, bestehend aus Producer Gentz und Instagram-Rap-Quizmaster Yelm, verneint dies.

Kennst du das Cotard-Syndrom? Menschen halten sich für untot, selbst wenn man ihnen den Puls misst und man ihnen rational erklärt, dass ihr Herz schlägt.

Uh, das stelle mich aber wirklich eklig vor. Ich beschäftigte mich auch mit solchen Sachen. Ich habe letztens was auf Wiki gelesen, da gibt es so eine psychische Erkrankung namens "Koro". Da haben asiatische Männer Angst, dass ihnen der Penis nach innen wächst. Aber ist schon wahnsinnig, wie das Gehirn so etwas aufbaut und was das mit einem macht. Ich bin mir selber auch nicht zu schade, um professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, aber die Details dazu lasse ich mal nun bewusst nebulös ...

Wir befinden uns aber auch gerade unmittelbar in der Nähe des WDR, der gerade mit der Umweltsau-Debatte unrühmliche Schlagzeilen macht.

Ja, total geistesgestört. Ich habe das vor allem bei Twitter stark mitbekommen. Furchtbar, wie sich das alles gegenseitig hochschaukelt. Aber auch dieser WDR-Intendant, der da öffentlich Abbitte leistet ... Ich fand das alles so eine extrem hysterische Phantom-Debatte.

Siehst du die Gefahr, deine Rolle irgendwann zu überspielen?

Ja, absolut. Deswegen werde ich demnächst auch ein Cowboy-Grim wie Lil Nas X werden. Nee, aber schon klar: Dieses Themengebiet kann ich nicht auf ewig so weiter bespielen. Mit der Platte ist es auch erst einmal ausgereizt. Mal sehen, wie es nun weiter geht … Oh, Scheiße! Tut mir leid. Ich muss dich leider abwürgen. Ich muss noch was wegen dem Konzert besprechen und bin eh schon sehr spät dran …

***

Schade, zwischen all dem hektischem Gewusel und der Ablenkung im Backstage hätte ich wirklich gern noch mehr Details erfahren. Etwas später steigt Rauch im Gewölbe des CBE auf. Hier im Zirkel, umgeben von Freunden, blüht Grim104 richtig auf. Wie besessen und wild mit den Armen fuchtelnd, rappt er die Songs von seinem aktuellen Album, aber auch viele ältere Tracks.

Unterbrochen wird das muntere Treiben nur vom Tourmanager, der auf die Bühne kommt und Grim104 mit ernster Miene etwas ins Ohr flüstert. Wie er kurz danach bekannt gibt, soll sich "ein Undercover-Polizist mit weißen Yakuza-Outfit" unter die Konzertbesucher gemischt haben. Die Vampir-Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, wäre nun ein Vorteil, aber auch ohne geht das Konzert planmäßig zu Ende. Was immer auch der Staatsschutz auf einem Konzert als Bedrohung betrachtet hat: Ein paar Wochen später wirken das Wahlchaos und der Triumph der Rechten in Thüringen eindeutig beängstigender.

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