laut.de-Kritik

Geradliniger Acoustic Style mit viel Wärme, Anmut und Gefühl.

Review von

Als Sänger trat Stephen Marley sehr lange weder auf Platten noch europäischen Bühnen in Erscheinung. Hauptsächlich war er als Produzent auf dem Label busy, das er mit seinem Bruder Damian gegründet hat, Ghetto Youths International. Die beiden haben Third World unter Vertrag. Damian arbeitet regelmäßig mit Kabaka Pyramid, Newcomer wie Black Am I werden dort aufgebaut, Stephen kuratierte und produzierte ein Tribute von Reggae-Frauen an Nina Simone. Gelegentlich wird das Archiv des Papas neu aufpoliert, der jüngere Bruder Julian veröffentlicht von Zeit zu Zeit EPs, und viele weiteren Aktivitäten gehen vom Familienunternehmen Studios in den USA aus.

Um so schöner, dass Stephen jetzt doch Zeit fand, sich wieder auf den Kern des väterlichen Erbes besinnt: emotionale Geschichten stringent und easy zu erzählen und über das Leben und das System zu sinnieren. Mit einer intensiven, gefühlsmäßig wie auch quantitativ reichhaltigen Akustik-Platte von anmutiger Schönheit und selbstbewusster Schlichtheit wartet "Old Soul" auf.

Alle Bob-Fans dürften mindestens beim Mento-getränkten "Thanks We Got (Do Fi Dem)" glänzende Augen und Ohren bekommen. Stephen inszeniert das Feeling des Very Early Reggae der Phase 1968-72 täuschend echt, findet genau den rhythmischen Vibe und die Stimmlage seines Vaters. Gleichzeitig sorgt er für einen Überraschungseffekt, wenn genau hier Buju Banton als Gast in heutigem Ragga-Style prägnant dazwischen toastet. Und so ist das Konzept des "Old Soul"-Albums: gefühlt eine alte Platte mit nostalgischer Doppel-Rolle rückwärts, andererseits aus dem Blickwinkel von heute. Ob es dafür ein "Don't Let Me Down"-Cover von den Beatles braucht? Nicht wirklich. Dafür gelingen die Jazz-Cover "Georgia On My Mind" (gut) und "These Foolish Things" (sehr gut). Aber es ist auch genügend epochales Neues auf der Platte drauf.

"Let The Children Play" betört mit Wärme und Gemächlichkeit, gebettet in ein rein akustisch und doch üppiges, dicht ineinander verwobenes Arrangement mit Endlos-Schleifen inklusive Querflöte. Das lockere "Cool As The Breeze", mehr Americana-Softrock-Soul statt Roots Reggae, zeigt Stephen nach leichtem Nuscheln zum Track-Ende hin in engagiertem Falsett. Den Song kann man auf vieles beziehen.

Am plausibelsten wäre, dass der überaus poetische und feinfühlige Text Tote lebendig sieht. Stephen beschreibt, wie er sich immer wieder über die Schultern schauen lässt, von ganz oben - ob von seinem Vater oder seinem Sohn, Jo Mersa, der am 27. Dezember 2022 überraschend im Alter von 31 starb. Und seinen Papa Bob verlor Stephen, als er neun war, worauf er in "Old Soul" anspielt: "I'm an old soul / Living in the body of a 9-year-old". Die Verstorbenen bleiben präsent: "Und ich weiß, dass wir uns eines Tages wieder treffen / irgendwie grüßen werden. / Bis dahin ist es gut zu wissen, dass ich deine Stimme hören kann / wenn der Wind bläst / und sie durch die Wolken dringt."

Noch eine Spur persönlicher und ein Lied, das zu Tränen rühren kann, ist der Titeltrack. Weil "Old Soul" so unverfälscht die Vergangenheit anspricht, ohne Musikgeschichtsklitterung zu betreiben, Schmerz verarbeitet und nebenbei mit ruhigen Worten Biographisches und Musikhistorie so beschreibt, wie sie aus Zeitzeugen-Sicht waren, nicht, wie irgendwelche Buch-, Blog- oder Presse-Autor*innen sie sehen wollen. "It was 1972 / My mom and papa brought me through / Back then I was the favorite / So they say", vor 51 Jahren kam Stephen als 'Lieblings'-Kind von Rita und Bob auf die Welt.

"Even though he was way before his time / I knew every Nesta Marley line", ja, Robert Nesta Marley hatte mäßige Verkaufszahlen in den 70ern, und seine politischen Zeilen waren miles ahead. Hätte Produzent Chris Blackwell nicht alles auf diese eine Karte gesetzt, die Alben ab "Catch A Fire" mit enormen Promo-Budgets in den USA zu pushen, sich in Magazine wie den 'Rolling Stone' mit Anzeigen rein zu kaufen, dann wäre der Kult lange nicht so groß geworden, aber der wirkliche Kommerz setzte lange nach Bobs Tod ein, er war seiner Zeit voraus. Peter auch. "You knew that Peter Tosh was fly / In diamond socks and corduroy". Mit feinem Cord und Karo-Socken war Peter Tosh smart und cool.

"It's now 1991 / This was the year after graduation", erinnert sich Stephen an den Sommer, als er die Schule abschloss, um in die Studio- und Bühnenwelt raus zu gehen und dort zunächst seine Mama zu begleiten. Sein authentischer Rückblick ist bezeichnend: "Shabba Ranks was on the radio station (...) UB40 was on replay." Eine Schlüsselzeile des Albums: Shabba holte mit seinem "Ladies"-Album etliche Frauen an die Front des Ragga-Dancehall, später geriet er in Verruf, als er in einem Interview zur Tötung Schwuler aufrief. Trotzdem ist er einer, der Reggae in die Charts pushte und relevant machte. Wie auch UB40, die von den Reggae-Gatekeepers kaum ernst genommen wurden, aber viele Menschen zu dieser Art Musik führten. Mutig, dass Stephen gerade diese beiden Artists heraushebt - aber geschichtlich eben sehr korrekt.

Surf-Gitarrist und Teilzeit-Reggae-Artist Jack Johnson mischt neben den innerfamiliären Gästen Ziggy im edlen perkussiven Unplugged "There's A Reward ft. Ziggy Marley" mit, ebenso wie Damian mit ("Cast The First Stone ft. Damian 'Jr Gong' Marley"). Von Jack war im Frühjahr 2023 ein Dub-Album erschienen, er ist wieder Rasta-aktiv. Auf "Winding Roads ft. Jack Johnson + Bob Weir" biegt Marley Richtung Folk ab, und: Bob Weir, 75, Gründer der Grateful Dead, singt hier. Der Gitarrist performte die Vocals für "France" und "Sugar Magnolia" bei den Dead, für die "Weather Report Suite", "Money Money", "The Music Never Stopped", "Samson & Delilah", weitere. Die Zusammenarbeit des Kaliforniers mit dem Jamaikaner und dem Hawaiianer könnte charismatischer kaum klingen - ein herzliches Stück Hippie-Wohlklang. Roots Reggae hatte vor Urzeiten einen Hang zu solcher Lagerfeuer-Atmosphäre, höre man etwa den frühen Jimmy Cliff. Diese Wurzeln leben also wieder auf. Zugleich referiert der Song über den Struggle des Lebens, in dem man immer wieder auf Widerstände stößt: "You struggle so hard, oh good people / I'll help you carry your load (...) I hear your voice, when you say: 'None of them are coming my way.'"

Man hat Stephen schon früh den Vorwurf gemacht, er höre sich an wie sein Vater. Ja, und?! Was soll daran schlecht sein? Außerdem weiß er das selbst, wie er hier klar stellt: "Inside me your legacy lives on." Schön, dass es so ist. Außerdem ist er ein famoser unter die Haut gehender Neo-Soul-Artist. Das wunderschöne "This Time" beweist es.

Trackliste

  1. 1. Don't You Believe
  2. 2. Cool As The Breeze
  3. 3. Cast The First Stone ft. Damian 'Jr Gong' Marley
  4. 4. Thanks We Get (Do Fi Dem) ft. Buju Banton
  5. 5. Don't Let Me Down
  6. 6. Georgia On My Mind
  7. 7. Let The Children Play
  8. 8. Old Soul
  9. 9. There's A Reward ft. Ziggy Marley
  10. 10. This Time
  11. 11. These Foolish Things (Reminds Me of You)
  12. 12. I Shot The Sheriff ft. Eric Clapton
  13. 13. Standing In Love ft. Slightly Stoopid
  14. 14. Winding Roads ft. Jack Johnson + Bob Weir
  15. 15. Old Soul (Single Version) 

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