laut.de-Kritik

Zwischen Queen, Peter Gabriel und souligem Neubeginn.

Review von

Silje Nergaard zog es als junges Mädchen häufig zum Bahnhof ihrer Heimatstadt Hamar. Sie verspürte die Sehnsucht, die Welt zu bereisen, während sie beobachtete, wie die Züge durch den Bahnhof fuhren. Als man sie mit sechzehn Jahren beim Molde Jazz Festival gemeinsam mit der Jaco Pastorius Band erstmalig auf der Bühne sah, rückte dieser Traum näher, denn schon am nächsten Tag erklärten Journalisten sie zur großen Hoffnungsträgerin des norwegischen Jazz. Mittlerweile hat die 53-Jährige sechzehn Studiowerke aufgenommen, die Welt bereist und präsentiert nun ein Doppelalbum.

Die erste CD namens "Japanese Blue" versammelt Akustikversionen ihrer größten Hits, ergänzt um neue Stücke und drei Coverversionen. Die zweite CD enthält neu geschriebene Songs für Band und Gesang und versetzt uns in jene Zeit zurück, in der sie ihre Freizeit am Bahnhof der Heimat verbrachte. Die Lieder sind sowohl auf englisch als auch auf norwegisch eingespielt worden. Ein Rundum-Wohlfühl-Paket also.

Darin liegt aber auch die große Schwäche dieses Doppelpaketes. Gerade die erste Hälfte zeigt auf, wie sehr sich die Norwegerin über die Jahrzehnte selbst in die musikalische Sackgasse manövriert hat, denn ihre Mischung aus jazzigen Arrangements und poppigen Melodien erreichte irgendwann eine gewisse Gleichförmigkeit, gefolgt von Übersättigung, trotz Hochkarätern wie Nils Petter Molvaer als Gast.

Insgesamt rückt Siljes Stimme gegenüber den Studio-Versionen noch mehr in den Vordergrund. Jedoch fügt Espen Berg am Piano den Melodien nichts Substanzielles hinzu. Und falls mal doch ganz kurz eine etwas virtuosere Passage auftaucht, bewegt er sich im nächsten Moment wieder auf sicherem Easy Listening-Terrain, so dass die Neueinspielungen harmloser und gefälliger kaum sein könnten. Spielerisch agiert er zwar jederzeit auf handwerklich sauberem Niveau, leider aber ohne emotionale Folgen - trotz Nergaards makellosem Gesang.

Zumindest erweisen sich die Coverversionen als interessant. Die gefühlt tausendste Neuinterpretation des Louis Armstrong-Evergreens "What A Wonderful World" braucht man zwar nicht wirklich, aber Queens "Love Of My Life" und Peter Gabriels "Mercy Street" verleiht die Skandinavierin doch ein recht gefühlvolles Eigenleben. Gerade Gabriels Song behandelt sie mit ihrer zaghaften Stimmführung so behutsam wie nur möglich und unterstreicht den sensiblen, erzählerischen Aspekt des Songs.

Dabei hört man in den Strophen eine erdige Akustikgitarre und im Refrain verträumte Piano-Arrangements. Ansonsten versteift sich Nergaard bei ihren Neuinterpretationen zu sehr darauf, den Erwartungen ihrer Fans gerecht zu werden. Dabei kann sie auch Soul. Auch wenn eine Nummer wie "The Train Now Standing" melodisch nichts Bahnbrechendes aufweist, bekommt sie dank des angenehm warmen Piano-Vibes und ihrer hauchenden Stimmführung so etwas wie Seele. In "Never Happier Than This" gesellen sich anschließend noch rhythmisch funkige Akzente hinzu, über die sich herrliche Call-and-Response-Gesänge legen. Märchenhafter fällt dagegen "Departure Times" aus, wenn der Gesang der Skandinavierin zu harfenähnlichen Tönen eine kindliche Klangfarbe annimmt.

"The Railway Girl", das ein vages Gefühl von Aufbruch vermittelt, und "Waiting Room", das einzig aus Piano und Stimme besteht, halten die Dramaturgie zwar aufrecht, wären aber auf den Vorgänger-Platten kaum aufgefallen. Erst wenn in "Train Of Fragile Hearts" locker aus der Hüfte geschüttelte Bedroom-Grooves auf kraftvoll emotionale Gesänge treffen, kommt wieder mehr Bewegung ins Spiel. Deutlich reduzierter gestaltet sich das abschließende "The Night Traveller", das mit verwunschener Instrumentation und ätherischer Stimmführung zu einem Streifzug durch die nächtliche Idylle entführt - ein traumhaft schönes Stück.

Vielleicht hätte Silje Nergaard die rund 40 Minuten von "Hamar Railway Station" einfach für sich stehen lassen sollen, ohne sich all zu viele Gedanken darüber zu machen, wie sich ihr Material unter die Fans bringen lässt, zumal sich die norwegischen Versionen der Songs bis auf die Sprachbarriere von den englischen nicht auseinanderhalten lassen. Dafür befreit sie sich endlich von ihrem viel zu eng gewordenen Pop-meets-Jazz-Korsett.

Trackliste

  1. 1. Be Still My Heart
  2. 2. Based On A Thousand True Stories
  3. 3. The Waltz
  4. 4. I Don't Wanna See You Cry
  5. 5. Mercy Street
  6. 6. Lullaby To Erle
  7. 7. Love Of My Life
  8. 8. Japanese Blue
  9. 9. En Og En
  10. 10. What A Wonderful World
  11. 11. Jeg Vil Takke Livet
  12. 12. Next Stop Hamar
  13. 13. The Train Now Standing
  14. 14. Never Happier Than This
  15. 15. Departure Times
  16. 16. The Railway Girl
  17. 17. Waiting Room
  18. 18. Train Of Fragile Hearts
  19. 19. The Night Traveller
  20. 20. Neste Stopp Hamar
  21. 21. Perrong
  22. 22. Ennå Underveis
  23. 23. Avgang
  24. 24. Togjenta
  25. 25. Tiden Det Tar
  26. 26. Et Lite Rykk
  27. 27. Nattoget

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