laut.de-Kritik
Ungebrochen auf Kurs.
Review von Steffen EggertBereits zum zehnten Mal geht die Chicagoer Institution mit einem neuen Album an den Start und zementiert erneut ihren Status als eine der relevantesten, politisch motivierten Bands im Großraum Punk. Dabei scheint es Tim McIlrath und Kollegen schlicht unmöglich zu sein, langweilige Songs zu schreiben.
Seit dem großartigen, überwiegend finsteren "Nowhere Generation" sind vier Jahre ins Land gegangen und die Welt hat sich mitnichten zum Besseren verändert. Natürlich geht es in den gewohnt sehr persönlichen Songs auch thematisch sozialkritisch und bezüglich der hoffnungsvollen Töne eher verhalten zu.
Nach dem recht typischen, kraftvollen "Nod", einer quecksilbrigen Hymne voller Melodien, Energie und altersangemessener Wut, wird bereits während der ersten Töne von "I Want It All" klar, dass sich am geläufigen Sound der Band etwas verändert hat. Obwohl insgesamt unverkennbar, schleichen sich modernere und dem klassischen Rock zuzuordnende Töne zum Geschehen und könnten anfangs noch für Skepsis sorgen. Sobald McIlrath den Chorus fertig geplärrt hat und die rhythmische Energie in Mark und Bein angekommen ist, muss man sich eingestehen, dass dieser andere Schwung hervorragend funktioniert.
Kein einziger der folgenden Songs erreicht die hohen Geschwindigkeiten der Anfangstage, aber auch im Midtempo erzeugt das einen derart lebendigen, drängelnden Druck, der einen bewegungsarmen Hördurchlauf unmöglich macht. Das garstige "Damage Is Done" zeigt leicht metallische Züge und eine weitere, angenehme Eigenheit der Truppe. Auch wenn die Songs mit Melodien, Akzenten und Chören überladen sind, wirkt nichts im Zusammenspiel aufdringlich oder gar platt. "Forty Days" spielt gekonnt mit Americana und Wüstenrockfeeling, bis breitbeiniger Stadionrock die Oberhand gewinnt. Nach einem unfassbar griffigen Chorus laufen alle Elemente zusammen und schaffen damit einen der besten Songs des Albums.
Bei dem psychedelisch angehauchten, ebenfalls äußerst hymnischen "Black Crown" gibt sich Andy Hull vom Manchester Orchestra die Ehre und steuert nicht nur seine kräftige Stimme, sondern offenbar auch Teile des Songwritings bei. Erinnerungen an die 1990er in und um Seattle werden wach und McIlraths Gesang zeigt sich im Duett von ihrer allerbesten Seite. Die Fähigkeit, mit einer Akustikgitarre groovige Wucht zu erzeugen, ist längst nicht jedem gegeben. Beim Titeltrack "Ricochet" gelingt die Kür dermaßen nachhaltig und gepaart mit einem munteren Spiel mit der Lautstärke gerät das Stück zum absoluten Highlight des Albums.
Laut McIlrath handelt das aktuelle Werk von einer kollektiven Verbundenheit untereinander. "Alles was man tut, wirkt sich auf jemanden aus; alles, was man wirft, wirkt sich auf den Nächsten aus. Wir sind mit anderen Ländern, anderen Volkswirtschaften verbunden; wir sind mit Einwander*innen ohne Papiere verbunden. Es ist alles ein großer Abpralleffekt. Diese Idee bildet das Rückgrat des Albums".
Philosophisch-politisch wie eh und je geht es also zu, aber auch hier fehlt es zum Glück an zu einfachen, platten Aussagen. Im Gegenteil, man findet einfach immer die richtigen Worte und verwandelt sie in reine Poesie. Die folkige Akustikballade "Gold Long Gone", nebst berührenden Klavier- und Streichersprenkeln sei hier als Beispiel genannt: "Tell me what the hell is going on, we’re digging in the mines, for gold long gone. Everything we thought we always knew, turns out wrong." Einfach und doch auf so viele Bereiche anwendbar.
"Ricochet" geht als weiteres, wunderbares, zeitgemäßes, experimentierfreudiges und doch typisches Album in die Annalen der Bandgeschichte und sicherlich in die Bestenlisten des Jahres ein. Wer nicht müde ist, sollte auch nicht an Schlaf denken. Gerne mehr davon.
6 Kommentare mit 5 Antworten
Rise Against volbringen das Kunststück dass jedes weitere Album das vorherige in Qualität unterbietet. Deswegen muss man sie loben. Eine solche Entwicklung können die wenigstens Bands aufweisen. Dieses Album kann fast nur der Tiefpunkt sein (ist es aber warscheinlich nicht), weil Rise Against in 2 Jahren ein noch schlechteres Album rausbringen. Und ich bezeichne mich durchaus als Fan der Band.
„Durchaus als Fan der Band“ = Alles was nicht wie der drölfte Abklatsch von Revolutions Per Minute klingt ist natürlich per se scheiße.
Rein musikalisch ne Wundertüte. Manche Songs sind großartig (gerade manche die eher untypisch für die Band sind), andere wiederum extrem langweilig.
Allein für die grauenvolle Produktion insb. was den Gesang angeht muss n Punkt abgezogen werden.
Nod klingt im Stream so, als wäre die Band bei der Aufnahme vorsätzlich eine Kellertreppe heruntergefallen. Kann absolut nicht nachvollziehen, warum das so produziert ist. Schlechter klang nur die letzte Gaslight Anthem, das Album ist aufgrund der kraftlosen Produktion quasi unhörbar langweilig.
Das ist aber jetzt nichts was einen vom Hocker haut.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Tagen durch den Autor entfernt.
Bad Religion für Dutt-Träger*innen mit Drei Tage-Bart
Die waren mal für Renn- und Skatespiele auf der PS2 gut. Keine Ahnung wer heute die Zielgruppe ist. Ist so Gitarrenmusik für Leute, die eigentlich keine leiden können. Merkt man auch an der Produktion.
Frage mich bei der Band immer, wie deren Mucke anders klingen könnte. Bisher habe ich keine Antwort auf meine Frage gefunden.
Die Antwort auf deine Frage befindet sich genau hier:
https://laut.de/Thomas-Anders/Alben/...Sin…
"The sufferer and the witness" zählt noch immer zu meinen Lieblingsalben, aber das hier ist echt Grütze. Das kann man drehen wie man will, und ich verstehe nicht wie die Journaille (auch Visions) dies als ein gutes Album bezeichnen kann. Für einen Song wie "I want it all" würden sich sogar die Foo Fighters schämen...