laut.de-Kritik

Das 'Schnulzenalbum' der Britpop-Legende.

Review von

Vergangenen Sonntag wurde Paul Weller, seines Zeichens "Father Of Britpop" und Mod-Häuptling, 66 Lenze jung. Passend heißt sein neues Werk "66". Dafür nahm er sich nach einem zuletzt immer schnelleren Veröffentlichungsrhythmus drei Jahre Zeit. Wie immer bei Weller gilt: Der Wiedererkennungswert ist hoch, aber im Rahmen Blues-Pop-Rock-Soul-Post-Irgendwas ist eigentlich alles möglich. Nach eigener Aussage ist "66" das fehlende Schnulzenalbum im Katalog des Sängers; das ist so nicht richtig, alleine schon, weil "66" so heterogen in Qualität und Ansatz ausfällt.

Mit "Ship Of Fools" startet eine gemütliche Seefahrt in Wellers Blue-Eyed Soul-Vergangenheit, ohne den Wellengang damaliger Zeiten vorzuweisen. Ein eher fades Stück. "Flying Fish" dagegen gewinnt früh an Fahrt, Weller gibt nicht ganz überzeugend den Sinatra. Anschließend kann man vier Minuten aufs Wasser starren, denn der im negativen Sinne gefällige Song plätschert stets gleich vor sich hin.

Den Tiefpunkt erreicht "66" aber erst mit "Jumble Queen", im Kern ein ganz fader Blues-Rocker mit Dekor-Bläsern. Handwerk, Konsequenz und der persönliche Charme des Sängers retten den Track noch in den unteren Durchschnitt, aber zum einen ist unverständlich, warum Weller so ein blutleeres Zeug schreibt, zum anderen ist noch viel weniger zu greifen, was Noel Gallagher hier an den Lyrics mitgewirkt haben soll. Die gehen nämlich so: "Just like a bullet / Now I'm flying free". Das hätte Liam auch noch hinbekommen, Noel ...

Das gilt bei den Text-Co-Autoren nicht minder für Suggs von Madness auf "Ship Of Fools". Dr. Robert von The Blow Monkeys mag auf "Rise Up Singing" noch im Hintergrund mitgeträllert haben, aber Bobby Gillespies Nicht-Leistung als Texter auf "Soul Wandering" lässt fast schon an einen gemeinen Gruppengag auf Wellers Kosten schließen. Oder wie Bobby sagen würde: "And I want to believe / In something greater than me". Mindestens der Warwick Prize for Writing müsste damit doch drin sein.

"Nothing" kann sich nicht recht entscheiden, ob es nun entspannt sein will oder doch mal ein Dröhnen gebrauchen kann, ist aber der erste Song, der zu Weller - sei es Stimme oder Persönlichkeit - passt, so souverän, klar und doch neblig-verraucht wabert das Stück. In dieselbe Kerbe, wenn es auch mit seiner Gitarre erst ganz anders wirkt, schlägt das exzellente "My Best Friend's Coat". Mit seinen sprachgewaltigen, tieftraurigen und verlorenen Lyrics fühlt man das Schwanken zwischen Verzweiflung und Hoffnung förmlich: "Into pockets I go / Of my best friend's coat / Looking for what / I don't know".

Damit steht das Lied ganz im Gegensatz zur senilen Single "Rise Up Singing", in der Weller singt wie ein Casino-Onkel, aufgedreht und fehl am Platz. "You just carry on believing / Don't let that feeling die" - wie kann der selbe Mann auf der einen Seite so stümperhaftes, abstraktes Gestammel verantworten und auf der anderen Seite das charmante "Sleepy Hollow" scheinbar mühelos herauspressen? Der Track funktioniert übrigens auch deshalb, weil er mit einer viel sanfteren Begleitung auftritt als viele andere Lieder auf "66". Xylophon und Saxofon versetzen den Hörer halb in The Style Council zurück, während die Arrangeurin Hannah Peel zu zu vielen Streichern neigt, die dann wie im okayen "A Glimpse of You" keinen Gleichschritt mit Weller finden.

So bleibt "66" eine arg gemischte Tüte mit vielen harten Nüssen, was aber keineswegs an der Konzeption des Albums liegt; wenn überhaupt am Fehlen eines Konzepts. Weller watscht sich selbst mit "I Woke Up" und zeigt keine Meisterleistung, aber eine Idee davon, wo "66" vielleicht eigentlich hinsollte. Dabei sind wunderschöne Songs bei Weller weiterhin immer nur Millimeter entfernt. "In Full Flight" hängt Weller anfangs zu gemütlich in der Bar ab, bis er den Aufzug gleich bis zum Dach nimmt und eine wunderschöne, an Lou ReedLou Reed erinnernde Sternenhymne daraus macht.

Trackliste

  1. 1. Ship of Fools
  2. 2. Flying Fish
  3. 3. Jumble Queen
  4. 4. Nothing
  5. 5. My Best Friend's Coat
  6. 6. Rise Up Singing
  7. 7. I Woke Up
  8. 8. A Glimpse of You
  9. 9. Sleepy Hollow
  10. 10. In Full Flight
  11. 11. Soul Wandering
  12. 12. Burn Out

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Paul Weller

Als Paul Weller 1975 die britische Pop-Sensation The Jam gründet, ist er gerade mal 17 Jahre alt. Geboren am 25. Mai 1958 in Woking/Surrey, feiert der …

1 Kommentar mit einer Antwort

  • Vor 20 Tagen

    Bin mit Weller, egal ob Solo oder mit The Jam bzw. Style Council nie recht warm geworden. Kann auch nicht wirklich sagen, warum. Für mich ein ewiger 3/5-Kandidat.

    • Vor 20 Tagen

      Kann ich voll verstehen. Der hat einige richtig gute Sachen gemacht, aber irgendwie sind sie nie zu was Herausragendem geworden. Gefühlt 9 von 10 seiner Songs sind durchschnittliche Füller, selbst wenn er auf einer Platte mal öfter die Genres wechselt.