laut.de-Kritik
Gestochen scharf, greifbar und ultramodern.
Review von Ben SchiwekDie Zukunft ist hier. Pathetischer Satz, aber so ähnlich muss es sich angefühlt haben, vor einigen Jahren zum ersten Mal die Produktion von SOPHIE – oder ein noch größenwahnsinnigerer Vergleich – in den 90ern zum ersten Mal Aphex Twin zu hören. Das sind große Worte, aber auch "Wide Awake" gibt einem dieses Gefühl. Kopfhörer auf und schwupps ist man in einer ganz anderen, metallisch-klinischen Cyberwelt, in der man seinen Ohren kaum trauen mag.
Fangen wir mal gemäßigter an. Das hier ist Mechatoks Debüt, zumindest auf Albumlänge und als Solo-Künstler. Denn der Berliner Produzent ist schon länger dabei. Mechatok hat sich über die Jahre als eine Geheimtipp-Größe in der Szene etabliert, eine Art kreativer Fixstern der futuristisch klingenden Musikszene, der aber bisher eher im Hintergrund die Fäden zog.
2025 präsentiert er seine eigene große Vision: "Wide Awake", eine Reise ins Digitale. So klingt nicht nur die elektronische Produktion, es ist auch die Idee hinter dem Album. Die spärlichen Lyrics geben thematisch den Rahmen vor, in dem man die Sounds interpretieren kann. Eine Suche nach Authentizität im digitalen Zeitalter – ohne Antwort oder Ziel. Kann man ein Mensch im Internet sein, ohne ein Charakter, ein Avatar zu werden?
Der erste Track entführt mit nur einer Handvoll Wörter in dieses Konzept: "It's like you don't exist", singt eine Stimme, die halb mechanisch, halb menschlich klingt, immer und immer wieder. Meist benutzt Mechatok in Songs nur eine Gesangszeile, die sich wiederholt, in dessen musikalischem Rahmen aber stets neue Texturen erscheinen. Das vertont das Internet so gut: Man surft durch einen grenzenlosen Raum voller unterschiedlicher Möglichkeiten, in dem manche Sachen endlos wiederholt, kopiert und neu hochgeladen werden.
Natürlich klingen die Sounds alle gestochen scharf, unglaublich greifbar und ultramodern. Ästhetik kann er. Jeder Track entführt in eine faszinierende Klangwelt, die sich vorm inneren Auge eröffnet. Dabei liegen meist gar nicht so viele Instrumente übereinander. Die Arrangements sind im Grunde reduziert, der Mix dafür aber hochpräzise, so dass jedes Element hochaufgelöst in der weißen Cyber-Leere blitzt.
"House Of Glass" klingt tatsächlich glasig und luftig, "Everything" gelingt mit seinem "Everything now"-Mantra und einem gekonnten Spiel aus Pausen und Überraschung das, was Arcade Fire mit ""Everything Now"" nur halb so gut vertont haben: das Willkommenheißen in der Welt der Zukunft. Und als letzter Track besteht "Sunkiss" zwar nur aus einem einzelnen Synth-Arpeggio und ein paar Gewittergeräuschen, was aber über vier Minuten ein perfektes Outro zur Reise bildet.
Diese Beschreibungen klingen bisher vielleicht faszinierend, aber verkopft und unzugänglich, mag man denken. Dance- und Popmusik sind dennoch treibende Kräfte in Mechatoks Werkzeugkasten. Die Melodien sind simpel, doch man fühlt sich trotz aller Ambient-Tendenzen stets unterhalten. Ein paar Songs folgen sogar klareren Strophe-Refrain-Strukturen, die die Gäste richtig scheinen lassen: "Expression On Your Face" mit Bladee und Ecco2k ist einer der größten Banger des Jahres, der sowohl Produktionsnerds, Drain-Gang-Kids, Hyperpopper:innen als auch Club-Mäuse auf der Tanzfläche vereinen dürfte. Und "She's A Director" mit Isabella Lovestory ist ein runder Pop-Song samt Gitarrensolo – es klingt eher, als hätte man einen Synth aus allen möglichen Gitarren-Störgeräusch-Samples gebaut und damit ein Solo gespielt.
"Wide Awake" ist damit nicht nur eine umwerfende Präsentation davon, wie präzise die Musikproduktion der Zukunft klingen kann und welch immersive Welten man damit bauen kann. Es wandert genau den schmalen Grat zwischen wundersamer klanglicher Reise und tanzbaren Songs.
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Mechatok zeichnet sich auch für den exzellenten Soundtrack des einzigartigen "Defective Holiday" verantwortlich, das es kostenlos auf Steam gibt!