laut.de-Kritik

Ehrliche Einblicke mit minutiöser Marktanalyse.

Review von

War es je einfacher, jemandem Erfolg zu gönnen als Lil Nas X? Der Junge ist nach dem "Old Town Road"-Viralerfolg mühelos als offen schwuler, schwarzer Pop- und Rap-Star durchgestartet, das muss ihm erst einmal jemand nachmachen. So sehr virales Marketing und das mystische Verständnis der Gen Z eine Rolle gespielt haben: Er hat aber auch einfach die Songs nachgeliefert. "Panini", "Holiday", "Montero": Lil Nas hat Mal um Mal Pop-Rap mit Laserfokus veröffentlicht. Auch, wenn sein nun erschienenes Debütalbum "Montero" ehrliche Einblicke in sein Seelenleben beinhaltet: Das Gefühl von minutiöser Marktanalyse fällt nicht ganz vom Projekt ab.

Es hat aber nichts mit Labelarbeit oder Hintermännern zu tun. Lil Nas macht schnell auf seinem eigenen Album klar, dass er derjenige ist, der den Popstar-Status will. "Dead Right Now" geht mit all denen ins Gericht, die früher nicht an ihn geglaubt haben. Klingt wie ein etwas staubiges Thema, aber er macht es sofort lebendig. "You know you never used to call / keep it that way now": Diesen brutalen Tell-off richtet er schließlich sogar an die eigene Mutter, die ebenfalls seine Fähigkeiten und sogar seine Attraktivität in Frage gestellt hat. Wenn man diesen Kontext hat, versteht man, warum so viel an diesem Album obsessiv damit beschäftigt scheint, sich mit numerischem Erfolg zu beweisen.

"Even if your album okay, it's floppin', that's a promise, oh", rappt er auf "One Of Me" und illustriert Druck aus der Industrie. Auf "Dont Want It" spielt er sogar einen ganzen Interlude ein, in dem ihm Preise verliehen werden. "Montero" ist als Album seiner eigenen Produkthaftigkeit bewusst. Das ist ein seltenes Phänomen, aber statt daraus eine Hyperpop-eske Freude zu ziehen, ist es von subtilen Unsicherheiten und Paranoia zerfurcht.

Viele Songs sind präzise konstruiert, sie schlagen sofort in eine bestimmt ausgeguckte TikTok-Kerbe oder erinnern deutlich an andere Erfolgsnummern der letzten Jahre. "Dolla Sign Slime" klingt wie mehrere der Viralerfolge von Megans letztem Album. "Scoop" mit Doja Cat wirkt wie ein Choreo-fertiges Update von Post Malones "Spoil My Night". "Tales Of Dominica" oder "That's What I Want" schlagen recht schamlos in den aktuell grassierenden Pop-Punk-Trend. Nichts davon funktioniert schlecht, manchmal erscheinen die Songs aber etwas chaotisch angeordnet und fühlen sich im Kontext deshalb konstruierter an. Man kann sich im Album-Pacing nicht kohärent auf eine Stimmung einlassen, weil alles kreuz und quer durcheinander feuert.

Die besten Momente des Albums finden sich immer dann, wenn Lil Nas wirklich in die Details seiner Erfahrungen greift. Im luziden Moment "Sun Goes Down", einem einfühlsamen Storyteller, spricht er zu einem jüngeren Selbst und dessen Suizidgedanken. Mit simplen Formulierungen fühlt es sich an, als trete er tief an die Wurzel der Marginalisierung, die jemanden einholt, der jung, schwarz und schwul ist. Ausgrenzung, die wenigen Freunde machen trotzdem beim Mobbing mit, Anschluss bei Nicki Minaj-Stans im Internet finden: Er erzählt diese Geschichte mit einem so starkem Gefühl für Detail und Kontrast, dass seine Authentizität keine Sekunde in Frage steht.

Diese Authentizität verleiht den Balladen auf "Montero" am Ende auch den Nachdruck. "Void", "Life After Salem" oder "Lost In The Citadel" beinhalten respektables Pathos und ein paar verdammt griffige Hooks, aber musikalisch merkt man seiner Stimme die Limitationen doch deutlich an. Manche Soundidee wäre, stammte sie von einem anderen Pop-Rap-Artist, geschlachtet worden, gerade, wenn das Melodrama etwas weniger spezifisch gerät und der Track nicht so viele Details verrät.

Wenn es an seine Rap-Banger geht, dann drängt sich Post Malone als Vergleichspunkt mehrmals auf. Der schwimmt auch dank einer angenehmen, aber limitierten Singstimme in melodischen Rapflows obenauf. Genau wie seine Produzenten bauen auch Take A Daytrip als Grundarchtitekten dieser Platte einen perfekt kontemporären Pop-Rap-Sound, der sich jeder Playlist bis zum Extrem anschmiegt.

Was auf den beiden Singles "Montero" und "Industry Baby" zu fantastisch eingängigen Resultaten geführt hat, geht bei anderen Songs aber ein bisschen ins arg Kalkulierte. So erfrischend auch die erstgenannten beiden Songs gerieten, so schön es ist, dass da ein junger Mann ohne Euphemismen und Herumgeeier über schwule Erfahrungen spricht. Musikalisch fallen sie dennoch einhundertprozentig in den weniger inspirierten Teil des amerikanischen Rap-Metas.

Aber das ist eben die Aufgabe, die "Montero" sich selbst gestellt hat: Dieses Album will den Popstar-Status, und dafür macht es die Musik, die statistisch am wahrscheinlichsten dahin führt. Ein paar der Songs, die entstehen, sind dementsprechend Highlights des tagesatkuellen Pop-Raps. Aber wenn sich Lil Nas mit diesem Album völlig ikonisch macht, dann vor allem als Figur. Er ist der bestmögliche Repräsentant einer viel zu lange missachteten Demographie, die wir hätten kriegen können. Er ist der liebenswerteste Typ da draußen, und in manchen Deep Cuts dieses Albums zeigt er auch das Potential eines beeindruckenden Storytellers.

Trotzdem hat "Montero" ein paar arg unverhohlene Trend-Sucher und ein paar Momente in petto, in denen seine Stimme noch nicht ganz ausgereift erscheint. Es ist ein beeindruckend vorgelegtes Erstlingswerk, aber so viel Raum zum Wachstum, wie er noch hat, wird sein nächstes Projekt dieses hier bestimmt deutlich in den Schatten stellen.

Trackliste

  1. 1. Montero (Call Me By Your Name)
  2. 2. Dead Right Now
  3. 3. Industry Baby (feat. Jack Harlow)
  4. 4. That's What I Want
  5. 5. The Art Of Realization
  6. 6. Scoop (feat. Doja Cat)
  7. 7. One Of Me (feat. Elton John)
  8. 8. Lost In The Citadel
  9. 9. Dolla Sign Slime (feat. Megan Thee Stallion)
  10. 10. Tales Of Dominica
  11. 11. Sun Goes Down
  12. 12. Void
  13. 13. Dont Want It
  14. 14. Life After Salem
  15. 15. Am I Dreaming (feat. Miley Cyrus)

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7 Kommentare mit 9 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Kann mit seiner Musik bis auf 2,3 Tracks nicht viel anfangen aber der Erfolg ist ihn absolut gegönnt und kommt auch sehr sympathisch und authentisch rüber.

    • Vor 2 Jahren

      Sehe ich auch so, cooler Typ und einer der unterhaltsamsten seit laaanger Zeit im Musikbiz.
      Ich kann mir nur vorstellen, wie sehr der vor allem in den USA viele Leute triggert und das mit einer wichtigen Message.

  • Vor 2 Jahren

    wenn ich das banner von montero bei spotify sehe, habe ich bock, mal wieder overwatch zu zocken

  • Vor 2 Jahren

    "Schwuler Rap" ist an sich gesehen nix neues - Anfang der 2000er gab's Leute aus dem good life cafe und project blowed Umfeld, die sowas starten wollten. Leider war das nicht der talentierte Teil dieser Szene. Es gab auch Leute wie Cazwell, der glaube ich auch mit Lady Gaga gearbeitet hat aber nur ein größerer Nischenhit in der Dance-Musik wurde.
    Das ist immer ein zweischneidiges Schwert - es kann interessant sein, was über seine Identität zu erzählen aber man kann es auch als Gimmick benutzen, weil man sonst keine besonders interessante Person ist. Ich habe bei Lil Nas X immer das Gefühl, dass letzteres der Fall ist. Die beats sind sowieso nicht mein Fall, allerdings fehlt einfach irgendein interessanter Blickwinkel auf das Thema seiner schwulen Identität, das über "hey, ich bin schwul" hinausreicht und das kompensieren könnte. Auch die in der Review gelobten Tracks mit ein bisschen Lebensgeschichte werfen kein besonders interessantes Licht darauf, sondern wirken wie ein Posting auf Facebook, auf dem sich ein Teenager auskotzt (das könnte die Intention sein, allerdings holt mich das als Zuhörer nicht unbedingt ab). Über sein Können als MC sage ich mal nichts, weil ich nicht denke, dass es sein Anspruch ist, ein technisch sauberes Rapalbum zu produzieren.
    Von mir also eher 1/5.

    • Vor 2 Jahren

      Korrekt. Erfolg ist ihm zu gönnen, nur ist er halt erst ungefähr an fünfter Stelle Musiker. Es ist im zugute zu halten, daß er seine rauen, nicht besonders gut klingenden Tracks nicht aus der Hand gibt. Ein Industrie-Muppet-Produzententeam hätte sie wahrscheinlich komplett auf slick gestaltet. Würde zwar besser klingen, aber eben auch alles Sympathische auslöschen.

    • Vor 2 Jahren

      Klingt vielleicht dumm aber ich finde jetzt auch nicht dass er die Musik macht in der man große inhaltliche Statements setzt bzw. Würde dass nicht gut funktionieren. Finde eher es würde der Musik sogar noch schaden. Dazu kommt dass es eventuell auch nicht mehr als diese paar Einblicke die er auf diesen Album gibt zu diesem Thema zu sagen gibt. Am Ende ist es nur eine Sexualität, damit kannst du kein ganzes Album füllen. Klar macht man als schwuler mehr unangenehme Erfahrungen aber soll er jetzt jede davon schildern? Meiner Meinung nach ist er ausreichend und tiefgründig genug auf dass Thema eingegangen.

  • Vor 2 Jahren

    "...ist als Album seiner eigenen Produkthaftigkeit bewusst. Das ist ein seltenes Phänomen"
    Genau dasselbe schreibt ihr bei fast jedem K-Pop Release (zB Blackpink), da wird es als positiv angesehen und hier als negativ. Interessant...

  • Vor 2 Jahren

    Sein Marketing-Tool ist seine Sexualität! Das ist schade, wirkt für mich alles zu gewollt! Wirkt nicht authentisch und die Musik hat solide Ansätze, da ist aber nichts mit Substanz oder gar etwas, dass einen vom Hocker hauen würde.

    • Vor 2 Jahren

      Authentisch soll bei dieser minajigen Melange aus Tiktok, Hyperpop und Hip-Hop-Auswüchsen auch gar nix sein. Völlig verkehrtes Bewertungskriterium!

  • Vor 2 Jahren

    Die Kommentare sind laut.de-typisch zu kurz gedacht. Es wird kritisiert, dass Lil Nas X nur rumposaunt, schwul zu sein und das schwul-sein recht Oberflächlich thematisiert. Es wird behauptet, dass seine Sexualität so zum Gimmick wird.
    Jedoch würde ich bahaupten, dass genau dieser offene und stumpfe Umgang mit dem schwul-sein auf diesem Level der Popularität eine gewisse Neuerung ist. Er geht mit seiner Homosexualität genau so stumpf um, wie alle heterosexuellen Popstars mit ihrer Heterosexualität. Damit Normalisiert er seine Sexualität, das ist sehr gut so.

    Oder würde das Publikum hier sagen, dass Dua Lipas *mehr als einmal präsentierte* Heterosexualität auf Future Nostalgia zu stumpf präsentiert und somit zum Gimmick wurde?