20. Januar 2004

"Wenn ich bete, spreche ich zum Universum ..."

Interview geführt von

Obwohl es in der Maimarkthalle ein absolut geniales Catering gibt, schlappt Sänger Sully mit einem Campingkocher in den kleinen Interview-Raum und setzt erst einmal einen Topf Wasser auf.

Sully: Lasst euch von mir nicht stören, ich mach mir hier nur was zu essen.

Äh, und warum holst du dir nicht einfach was vom hervorragenden Catering?

Sully: Ich trau dem Essen auf Tour nie so ganz. Wenn es dumm läuft, bekomme ich davon Sodbrennen und muss auf der Bühne dann die ganze Zeit rülpsen. Das kommt als Sänger nie so gut.

Verstehe, und deswegen machst du dir jetzt eine Dose Bohnen auf und lässt die Gase alle durch die Hose filtern.

Sully: Genau, das ist wesentlich gesünder! (lacht)

Shannon: Ja, für dich vielleicht, aber wir müssen's im Tourbus ertragen.

Genug über Abgase diskutiert, kommen wir zum Wesentlichen. Auf eurer Webseite heißt es, dass du auch Schlagzeug spielst. Seit wann das denn? (Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass später während der Show ein zweites Drumset für Sully auf die Bühne gefahren werden sollte, auf dem er dann mit Shannon zusammen eine beeindruckende Show bieten würde, d.Verf.)

Sully: Ich habe ursprünglich als Drummer angefangen. Außer bei Godsmack hab ich in jeder Band, in der ich je war, immer Schlagzeug gespielt. Das war auch einer der Gründe, warum es mit Tommy nicht immer so recht geklappt hat. Es war nicht so, dass ich ihm in irgendeiner Art und Weise hätte vorschreiben wollen, was er zu spielen hat, aber wenn ich meine Songs schreibe, dann habe ich einfach immer einen bestimmten Beat im Ohr, der sich für mich perfekt in den Song einfügt, und ich hatte Probleme Tommy diese Vibes rüberzubringen. Mit Shannon ist das was komplett anderes, wir ticken genau gleich und ergänzen uns dadurch prima.

Wie seid ihr eigentlich auf ihn gekommen?

Shannon: Wir kennen uns schon eine ganze Weile, und ich wollte eigentlich schon früher bei Godsmack einsteigen, das hat sich dann aber irgendwie nicht ergeben. Als ich dann hörte, dass Tommy bei den Jungs raus ist, hab ich mir sofort ein Telefon geschnappt und Sully angerufen, da ich zu dem Zeitpunkt auch gerade nichts zu tun hatte.

Sully: Wir haben dann auch nicht lange überlegt, sondern ihn sofort in den Proberaum geholt, und nach den ersten Proben war sofort klar, das Shannon der neue Mann ist. Das haben wir vor allem bei den Aufnahmen zu "Faceless" sehr deutlich gemerkt. Die liefen relaxt ab, und ich finde, man hört dieses blinde Verständnis innerhalb der Band auch auf der CD.

Apropos CD. Ihr habt ja ne Akustik-Scheibe aufgenommen, noch dazu auf Hawaii, wie kam es denn dazu?

Sully: Oh, das war ganz witzig. Wir wollten nach den Aufnahmen zu Faceless und der Tour in den Staaten erst mal ein wenig Urlaub mit den Familien machen. Als dann unser Label ankam und meinte, wir sollen eine Akustik-CD aufnehmen, sagten wir einfach: "Ok, wenn wir das auf Hawaii machen können und ihr uns den Urlaub zahlt, ist das kein Problem." Die haben das tatsächlich gemacht, und so kam es zu dem Album. Das Erscheinungsdatum ist aber noch nicht ganz klar, und für welchen Preis das Teil dann in den Läden steht, weiß ich leider auch noch nicht.

Eine andere Sache, die mir auf eurer Homepage aufgefallen ist, war, dass ihr ein Konzert für die Leadership And Literacy Foundation gespielt habt. Was steckt denn da dahinter?

Sully: Wir haben was getan? Ich bin mir keiner Schuld bewusst. (lacht)

Shannon: Wie soll das Ding heißen?

Leadership And Literacy Foundation. Ich glaube, das war eine Idee von eurem Bassisten Robbie.

Shannon: Ach ja, jetzt komm ich wieder drauf, das war das Ding im Bostoner Theater, fällt's dir wieder ein?

Sully: Ja klar, das war dieses Benefiz-Konzert. Um was ging es da genau?

Hör mal, hab ich da gespielt oder ihr? So wie ich das verstanden habe, ging es da um irgendwas mit Büchern ...

Sully: Kann schon sein, ist aber im Endeffekt auch egal. Mir wurde nur gesagt, dass es irgendeine Art Charity-Veranstaltung wäre, und von daher war es für mich keine Frage, dort zu spielen. Stimmt, das war das, wo wir Robbie mit einem Fan zum Essen geschickt und davon nichts abbekommen haben.

Du hättest ihn wahrscheinlich zu einer Dose Bohnen eingeladen ...

Sully: Jahaha, genau so wär's gelaufen!

Dann lass uns mal noch ein wenig über "Faceless" sprechen. Du hast da wieder eine sehr eindeutige Ausdrucksweise, und Titel wie "Faceless", "I Stand Alone" oder "I Fucking Hate You" sprechen, was das angeht, auch eine deutliche Sprache. Wirst du so leicht wütend, oder würdest du dich einfach als eines von Gottes bevorzugten Opfern ansehen.

Sully: "One of God's favourite victims", das klingt cool. Kann ich das mal in einem Song verwenden?

Klar, aber ich will royalities, hahaha.

Sully: Also, ganz so leicht aus der Ruhe zu bringen bin ich eigentlich nicht, und ich denke auch nicht, dass mir mehr Scheiße widerfährt als den meisten anderen Menschen. Trotzdem gehen mit natürlich verschiedene Dinge auf den Sack, und wenn ich das in meiner Musik umsetzen kann, dann frisst es mich nicht innerlich auf, und ich laufe nicht Gefahr, eines Tages auf die Strasse zu gehen und irgendjemanden umzunieten. "I Stand Alone" ist der einzige Track, der nicht aus einer persönlichen Sicht geschrieben wurde. Das war ja für den Soundtrack zu "The Scorpion King" und entsprechend auch aus der Sicht des Charakters geschrieben, den The Rock gespielt hat. Das war übrigens erst der zweite Song, den ich jemals geschrieben habe, bei dem es sich nicht um meiner persönlichen Erfahrungen handelt. Der andere war "Voodoo". Bei "I Fucking Hate You" geht es einfach nur um den Kerl, der mich bei meinem Hausbau über den Tisch gezogen hat, der miese Drecksack. (lacht)

Der Track "Serenity" erinnert doch sehr stark an "Voodoo" vom Debüt-Album. Textlich handelt es sich dabei aber um eine Art Hommage an den Rush-Drummer Neil Peart. Was hat es damit auf sich?

Sully: Ich habe das Buch "The Ghostrider" von Neil gelesen, welches er 98 nach dem Tod seiner Frau und seiner Tochter geschrieben hatte, und war davon schwer beeindruckt. Diesen Schmerz und Verlust, den der Mann ertragen musste, daran wären viele andere einfach zerbrochen. Er ist dann für 14 Monate allein auf dem Motorrad durch die Welt gefahren und hat dabei 55.000 Meilen zurück gelegt. Er war auf der Suche nach einem Grund weiterzuleben, einem Grund, warum er sich nicht einfach an den nächsten Dachbalken hängen oder gegen den nächsten Baum brettern sollte. Nach seiner Rückkehr hat er dieses Buch geschrieben. Als Drummer war Neil schon immer ein Idol für mich, aber nachdem ich das Buch gelesen hatte, stieg mein Respekt für diesem Mann ins Unendliche. Wir haben also diesen Song geschrieben und ließen ihm eine Kopie davon zukommen, um uns erst mal das OK abzuholen, schließlich wollten wir mit so einem Song nicht anmaßend sein, und zweitens wollten wir ihn fragen, ob er nicht daran mitspielen wolle. Er fühlte sich sehr geehrt und bat uns, den Song auf jeden Fall zu veröffentlichen, aber zu einer Kooperation kam es aus zeitlichen Gründen leider nicht mehr.

Hattest du, nachdem du das Buch gelesen hattest, denn das Gefühl, dass Neil wieder zu einer seelischen Ausgeglichenheit (serenity) zurück gefunden hat?

Sully: Oh ja, absolut. Wenn das nicht der Fall wäre, könnte er mit Rush nicht nach wie vor so großartige Musik machen. Auch im Gespräch mit ihm hatte ich stets den Eindruck, mich mit einem seelisch gefestigten Mann zu unterhalten.

Schön zu hören. Mein absoluter Lieblingstrack ist ja "Realign".

Sully: Cool, dann wird es dich ja freuen, dass das die nächste Single wird.

Auf jeden Fall. Der Text von dem Song ist für meine Begriffe schwer zu verstehen. Von was zur Hölle singst du da?

Sully: Das ist auch nicht so einfach zu erklären. Der Song ist in einer Zeit entstanden, wo es mir mental ziemlich dreckig ging. Ich hatte ständig das Gefühl einer tiefen Trauer in mir, was sogar so weit ging, dass ich oft den Tränen nahe war. Auch wenn ich in die Stadt ging, wo ich normalerweise immer viel Spaß hatte, hat sich an meinem Zustand nicht viel geändert, und das zog sich eine ganze Weile so hin. Eines Tages hatte ich dann plötzlich so eine Art Vision, wobei Drogen dabei absolut keine Rolle gespielt haben. So dämlich das klingen mag, aber es war so, als ob ich einen Film sehen würde, in dem ich selber ums Leben kam. Obwohl ich genau wusste, dass diese Person nicht ich war, war ich es doch irgendwie. So als ob ich eine andere, frühere Inkarnation von mir beobachten würde. Das war eine sehr spirituelle Erfahrung für mich, obwohl ich immer noch nicht genau sagen kann, was da eigentlich geschah. Ich denke, dass ich diese Traurigkeit verspürte, weil ein Teil von mir wusste, dass ich hier schon einmal gestorben bin, und ich musste diese Vision erleben, um damit klar zu kommen.

War das ein deja vu?

Sully: Nur bedingt. Ich wachte an diesem Tag schon total gerädert auf und konnte mich absolut nicht auf die Show konzentrieren, die wir am Abend spielen sollten. Als ich dann vor Ort ankam und eigentlich nur wie Falschgeld in der Gegend rumstand, erlebte ich diese Vision und das war schon verdammt strange. Ich stand mit offenen Augen da, zitterte am ganzen Körper, die Tränen liefen mir über's Gesicht, und keiner wusste, was mit mir los war. Ich war danach total fertig, konnte aber endlich damit umgehen. Das war definitiv das kraftvollste Erlebnis, das ich je hatte.

Sully, du bist ja schon seit einiger Zeit ein Mitglied bei WICCA (eine Art paganistische Religion, die sich viel mit Naturkräften befasst). Inwiefern beeinflusst das dein Leben?

Sully: Ganz einfach insofern, dass es mir über sehr schwere Zeiten hinweg geholfen hat. Auf die Band hat es eigentlich keinen Einfluss, aber es ist für mich persönlich eine sehr wichtige Sache. Es ist schon so eine Art Religion und dem Glauben der Ureinwohner von Amerika sehr ähnlich. Es basiert auf Naturheilkräften und solchen Dingen, mit Satanismus hat das überhaupt nichts zu tun. Ich bin durch ein paar Bücher auf dieses Thema gestoßen und bemerkte recht schnell, dass das meinem persönlichen Glauben sehr viel näher liegt, als das Christentum. Da geht es immer um Regeln und man soll seinen Gott fürchten und so etwas, das klingt für mich bescheuert. Bei WICCA geht es eher darum, sein Leben zu leben, ein guter Mensch zu sein und das zu tun, woran man glaubt. So lange andere dadurch nicht negativ beeinflusst werden, kann es nicht so schlecht sein, das zu tun. Das ist für mich einfach eine relativ neutrale Sache, so wie Karma.

So nach dem Motto, dass man bekommt, was man verdient?

Sully: Im Prinzip, ja. Was immer du tust, fällt irgendwann auf dich zurück, und wenn du versuchst, Gutes zu tun, kann sich das nur bezahlt machen. Wenn du rumläufst und dich wie ein Arschloch verhältst, dann wird man sich irgendwann dir gegenüber genauso verhalten. Das sind einfach die grundlegenden Regeln im Leben. WICCA hilft mir einfach, meine Balance im Leben zu finden und zu halten.

Gibt es dabei denn irgendetwas, was du anbetest?

Sully: Nicht direkt, wenn ich bete, spreche ich eher zum Universum, einem Gott und einer Göttin. Wie lächerlich ist das denn, wenn du dir Gott als einen alten, bärtigen Mann im weißen Gewand vorstellst. Es gibt mindestens so viele Frauen wie Männer auf diesem Planeten, also was soll der Scheiß? Wenn es einen Gott gibt, dann muss es auch eine Göttin geben, das verlangt einfach das Gleichgewicht der Dinge, also bete ich zum Universum.

Shannon: Das ist das erst Mal, dass ich ihn so lange und ausführlich über dieses Thema vor Journalisten sprechen höre.

Verdammt, bin ich gut. Aber wir wollen das nicht weiter ausreizen - kommen wir auf diesen Code zu sprechen, den ihr ins Booklet gepackt hattet. Damit konnten sich die Fans einige Sachen aus dem Netz runterladen. Wessen Idee war das?

Sully: Ich hatte da einen gewissen Einfluss, aber das meiste stammt von unserem Webmaster. Er kam mit der Idee des Booklets an, und ich dachte, dass es bestimmt eine coole Idee wäre, wenn man durch unterschiedliches Zusammenlegen der Seiten immer neue Codes produzieren könnte, die dann auf unterschiedliche Seiten führen.

War das erfolgreich?

Sully: Ich glaub schon, obwohl ich es selber nie versucht habe. Es war natürlich auch ein Anreiz für die Leute, das Album zu kaufen, und nicht irgendwo aus dem Netz runterzuladen.

Apocalyptica haben auch so was ähnliches gemacht ...

Shannon: Ach ja? Die Jungs sind eh ziemlich cool.

Ich wundere mich etwas, warum ihr als Vorgruppe für Metallica auftretet. Immerhin verkauft ihr selbst ja auch schon einige CDs. Wäre da eine eigene Headlinertour nicht auch drin gewesen?

Shannon: Also hör mal, die sind die größte und beste Metal-Band, die je auf diesem Planeten aufgetreten ist. Das sind die Gods of Metal.

Meinst du wirklich?

Sully: Nenn mir eine, die größer ist!

Ja, hast ja recht, ich frage auch nur wegen der letzten Scheibe "St. Anger".

Sully: Ich muss gestehen, dass ich die Scheibe nach dem ersten Hören nicht ausstehen konnte. Dabei ging es aber weniger um die Musik, als vielmehr um die Produktion, die alles versaut hat. Aber seit ich die Jungs wieder auf der Bühne gesehen habe, werde ich mir diese Scheibe definitiv zulegen. Da sind ein paar absolute Killer auf dem Album, aber das hab ich beim ersten Durchlauf nicht erkannt. Ich hab der Scheibe auch keine wirklich faire Chance gegeben, das passiert mir aber öfters. Bisher habe ich noch nicht die ganze CD gehört, aber live gehen die Jungs dermaßen ab, dass ich das Teil unbedingt haben muss. Die sind jetzt beinahe 20 Jahre dabei, und das muss man verdammt noch mal respektieren. Nicht jeder mag diese Platte, und das ist auch ok. Selbst James hat mal zu mir gesagt: "An manchen Tagen liebe ich diese Scheibe, und an manchen hasse ich sie regelrecht." Ich denke, das macht ein großes Album aus.

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