laut.de-Kritik

Die Melancholie des Bruce Soord bleibt eine kontrollierte.

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"This haven fades out", säuselt Bruce Soord traurig zu sanften Pianoklängen. "There's no one here / To help, to figure it out. / Do all roads lead to here?" Dann setzt Gavin Harrison an den Percussions ein und beweist sogleich, warum er zur Drummer-Elite gehört. Nach 50 Sekunden greift Soord erstmals in die Saiten und sorgt für eine angenehm trippige Atmosphäre. Eine wohlige Melancholie umhüllt den Hörer, nicht nur im Opener "Put It Right", sondern über die gesamten 40 Minuten von "It Leads To This" hinweg.

Allzu inflationär wurden The Pineapple Thief seit ihren Anfangstagen mit einer anderen melancholisch-rockigen Band verglichen, mit der sie die Initialen teilen. Lange handelte es sich um einen recht unpassenden Vergleich, da die Musik der Bands kaum mehr als die klassische Bandbesetzung und die Atmosphäre gemein hatte. Instrumentelle Ausbrüche im Allgemeinen und Gitarrensoli im Speziellen waren stets das Salz in der Porcupine Treeschen Suppe, Salz, das man in der oft repetitiven und allzu kontrollierten Musik von Bruce Soords Band oft vermisste. Daher überrascht der instrumentelle Mittelteil des "It Leads To This"-Openers mit treibenden Drums, heulender Gitarre und sphärischen Soundscapes umso positiver. Hier klingen die Ananasdiebe (nicht zum letzten Mal auf der neuen LP) nicht nur aufgrund des Drummers, den sich die Bands seit "Your Wilderness" teilen, tatsächlich einmal wie die großen Stachelschweinbäume – wenn auch in einer Light-Version, da der großartige Instrumentalpart relativ rasch und keineswegs in einem Metalgitarrengewitter endet. Die Melancholie des Bruce Soord bleibt auch diesmal eine kontrollierte.

Auch im Titeltrack, der einen sehr schönen Refrain auffährt, überzeugt der instrumentale Part, in diesem Fall das Outro, am stärksten. "All That's Left" und "Every Trace Of Us" überraschen zudem mit recht harten Gitarrenriffs, die man von der Band bis dato selten hörte. Überhaupt legen The Pineapple Thief mit "It Leads To This" ihr bis dato mindestens zweitrockigstes Album vor. Anders als auf ihrem 2010er-Album "Someone Here Is Missing" driftet die Band – abgesehen von Strophe und Refrain in "Rubicon" – diesmal aber glücklicherweise nicht in Formatradiorock ab.

"The Frost", stärkster Song des Albums, hält die Spannung über mehr als fünf Minuten aufrecht und verdeutlicht alle Stärken der Band: schöne Soundscapes, Harrisons delikates Drumming und der Kontrast zwischen Soords sanfter Stimme und Gitarrenriffs. Hier passiert genug, um die vergleichsweise lange Spielzeit zu rechtfertigen. Früher steckten viele Musikjournalisten The Pineapple Thief nicht zuletzt wegen deren damals nicht seltenen Longtracks in die Prog-Rock-Schublade – und übersahen dabei, dass Songs wie "The Final Thing On My Mind" trotz ihrer weit überdurchschnittlichen Länge relativ konventionellen Songstrukturen folgten und weitgehend vor sich hin mäanderten. Der bandinterne Trend geht weiter in Richtung kürzerer Songs, in denen aber in instrumentaler Hinsicht mehr passiert als in früheren spannungsarmen Longtracks. Ein Vierminüter wie "All That's Left" ist somit mehr Prog im eigentlichen Sinne als der Zehnminüter "The Final Thing On My Mind".

Dass "It Leads To This" mit einer hervorragenden Produktion aufwartet, sollte spätestens seit dem nunmehr vor 14 Jahren erfolgten Labelwechsel der Band zu Kscope niemanden mehr überraschen, verdient aber dennoch eine lobende Erwähnung. Einzig "Rubicon" wartet nicht mit dem wunderbar räumlichen Klang auf, der alle anderen Songs veredelt.

Ein bisschen mehr Härte und ein paar Instrumentalparts mehr – so lassen sich die wenigen Veränderungen im Haus der Ananasdiebe zusammenfassen. Ansonsten verlässt man sich auf seine altbekannten Stärken. Die wenigen Schwächen lassen sich indes auch auf "It Leads To This" leider nicht überhören: So angenehm die Musik auch ist, reißt sie einen emotional allzu selten mit. Die diesmal stark introspektiven Lyrics sind zu allgemein gehalten, um viel Identifikation zuzulassen. Allerdings überschreiten die Texte diesmal den schmalen Grat von der Melancholie zur Depression ein ums andere Mal und wären somit geradezu prädestiniert für Bruce Soord, einmal in einem dunkleren Timbre zu singen, und für die gesamte Band, wildere Instrumentalpassagen in die Songs einzubauen. Doch diese Chance wird nicht genutzt. Der einmal mehr starke instrumentale Mittelteil von "Now It's Yours" kann Schwächen im Songwriting nicht überdecken, da er sich nicht logisch aus dem Songaufbau und den Lyrics ergibt, und hinterlässt den Eindruck eines Instrumentalparts um seiner selbst willen.

Während Promotionphasen sonst häufig mit realitätsfernen, selbstbeweihräuchernden Floskeln aufwarten, zeugt das Promomaterial zu "It Leads To This" von einer sympathisch-realistischen Selbsteinschätzung: "The Pineapple Thief schwelgen in widerstreitenden Kräften. Stärke und Zerbrechlichkeit. Chaos und Präzision. Verzerrter Selbstbeobachtung und warmen, traumhaften Weiten." Alles korrekt – bis auf die Sache mit dem Chaos. Das existiert trotz des zum Glück erhöhten Anteils an Instrumentalpassagen und heavy Gitarren weiterhin nicht in der Welt der Ananasdiebe. Wohldosierte emotionale Ausbrüche vermisst man mitunter, Ausbrüche wie jenen in "Bending Hectic" auf dem zweiten Album von The Smile. Daher gebührt Thom Yorke und Co. der derzeitige Thron des angeproggten Art Rock, auch wenn sich Bruce Soord und Co. diesem mit ihrem besten Album seit "Your Wilderness" wieder annähern.

Mit "It Leads To This" legen The Pineapple Thief ein schönes, hervorragend eingespieltes und produziertes Album vor, auf dem sie den Härtegrad und den Instrumentalpartanteil im Vergleich zu den vorherigen Alben leicht anheben. In Hinblick auf den oben zitierten Satz aus dem Promomaterial möchte man den Ananasdieben jedoch eines zurufen: Lasst endlich ein bisschen Chaos in eurer Musik zu!

Trackliste

  1. 1. Put It Right
  2. 2. Rubicon
  3. 3. It Leads To This
  4. 4. The Frost
  5. 5. All That's Left
  6. 6. Now It's Yours
  7. 7. Every Trace Of Us
  8. 8. To Forget

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1 Kommentar

  • Vor 2 Monaten

    Kann mich der obigen Kritik größtenteils anschließen. Gut produziert, Gavin Harrison veredelt wie auch bei Porcupine Tree jeden Song. Den gestiegenen Härtegrad kann ich jetzt nicht so bestätigen. Was mir fehlt im Gegensatz zu Dissolution oder Versions of Truth sind die eingängigeren Stücke, die im Ohr bleiben. White Mist fand ich episch, Demons oder Versions of Truth blieben bei mir hängen - das fehlt mir beim aktuellen Album. Aber: vielleicht fehlen mir noch ein paar Rotationen. Ich geb ihm gern noch die Chance. (4/5)