5. August 2013

"Es gibt keine Nightwish-Reunion"

Interview geführt von

Wer sich mit der bisherigen Solokarriere von Ex-Nightwish-Frontfrau Tarja Turunen beschäftigte, dürfte bereits beim Anblick des Coverartworks ihres neuen Albums "Colours In The Dark" die Augenbrauen hochziehen. In dunkler Garderobe posiert die Verantwortliche in einem kunterbunten Farbenmeer. Derart Erhellendes weckt natürlich Neugierde.Seit acht Jahren wandelt Tarja Turunen nun schon erfolgreich auf Solopfaden. Ende August 2013 erscheint ihr drittes Studioalbum nach der Trennung von Nightwish. Der Titel ist Programm, denn noch nie wurde das melancholisch düstere Schaffen der Sängerin mit derart vielen musikalischen Farbtupfern aufgepeppt wie bei "Colours In The Dark". Wo kommen all die Farben her? Hat etwa die Geburt ihres ersten Kindes mit der neuerlichen Ausrichtung zu tun? Wir trafen die Sopranistin in Berlin.

Hallo Tarja, du bist im vergangenen Jahr Mutter geworden. Herzlichen Glückwunsch!

Tarja: Oh, vielen Dank. Das ist nett von dir. Bisher ging es nur um Musik. Du bist der erste, der mich heute darauf anspricht. Und schon habe ich das Lächeln meiner kleinen Tochter vor Augen. Danke!

Gern geschehen. Würdest du dich momentan lieber mit Leuten über Windeln, Schonkost und Kindererziehung austauschen, statt über dein neues Album zu reden?

Das hängt ganz davon ab, wer mir gegenüber sitzt (lacht).

Ich habe auch ein Kind.

Oh, das ist toll. Du gibst die Richtung vor (grinst).

Wir könnten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen ...

Klingt gut.

Es gibt Stimmen, die behaupten: Ein Kind gehört nicht mit auf eine Tour. Du vertrittst eine andere Meinung, richtig?

Das würde ich so nicht sagen. Es kommt immer auf die jeweiligen Umstände an. Bei uns ist es einfach so, dass wir auf Tour zuhause sind. Wenn ich unterwegs bin, dann ist ein Teil meiner Familie immer mit dabei. Auf jeden Fall ist mein Mann immer bei mir. Das war schon immer so. Daher gehört das Reisen zu unserem Leben dazu. Es ist Teil unseres Alltags.

Ich fühle mich heute hier in Berlin genauso zuhause, wie in meinen eigenen vier Wänden. Daher ist es für mich völlig normal, dass meine Tochter auch dabei ist. Es wäre etwas Anderes, wenn ich mit ihr reisen würde, während ihr Vater und der Rest der Familie tausende Kilometer entfernt vor dem heimischen Kamin sitzen. In diesem Fall würde ich Leuten, die behaupten, dass ein Kind keinesfalls mit auf eine Tour gehört, ohne Wenn und Aber Recht geben.

"Ich wollte unbedingt ein neues Kapitel aufschlagen"

Aber ist es nicht schwierig, Abend für Abend auf der Bühne zu stehen, während im Backstagebereich ein Baby wartet?

Nein, gar nicht. Es gibt mir eher zusätzlich Kraft und Energie. Es ist schön, seinem Beruf nachgehen zu können, ohne das Gefühl zu haben, dass ein wichtiger Teil der Familie dafür Abstriche machen muss.

Naomi ist jetzt knapp ein Jahr alt. Ist sie ein ruhiges Kind?

Oh ja. Und das ist wirklich sehr, sehr hilfreich (lacht). Sie ist total ausgeglichen. Es gibt nur wenige Dinge, die sie aus der Ruhe bringen können. Das einzige Problem, was wir gerade haben, ist, dass sie jetzt anfängt, ihre ersten Schritte zu machen. Ich denke mir dann immer: Bitte warte noch ein paar Wochen, bis wir wieder zuhause sind und wieder etwas Ruhe einkehrt (lacht). Ihr ist das natürlich egal. Sie macht einfach was sie will, wann sie will. So soll es ja auch sein.

Ich habe gehört, dass deine Tochter sogar in die Produktion deines neuen Albums involviert gewesen sein soll. Stimmt das?

(lacht) Ja, es gibt einige Stellen auf dem Album, auf denen sie zu hören ist.

Das Artwork, der Titel, viel ungewohnt Leuchtendes in Sachen Songs: Es scheint so, als hätte die Geburt deiner Tochter eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Albums gespielt ...

Das haben mich schon viele Leute gefragt (grinst).

Und?

Eigentlich nicht, denn der Großteil des Songwritings war zu der Zeit, als ich erfuhr, dass ich schwanger war, bereits abgeschlossen. Die Songs sind allesamt in den letzten zweieinhalb Jahren entstanden.

Wo kommt dann der neue, eher ungewohnt positive Ansatz her?

Nun, ich wollte mit diesem Album unbedingt ein neues Kapitel aufschlagen. Ich wusste zu Beginn allerdings noch nicht, wohin die Reise genau gehen soll. Ich habe in den vergangenen Jahren so viele unterschiedliche Menschen kennengelernt. Jeder hatte eine andere Geschichte zu erzählen. Ich habe alles gesammelt und ein großes Gebilde daraus geschaffen. Je mehr ich mich mit den Skizzen beschäftigte, desto mehr wurde mir bewusst, dass auf dieser Platte eine noch intensivere Balance zwischen Licht und Schatten entstehen würde als auf den Vorgängern. Das Ganze entwickelte dann eine Eigendynamik.

Als wir uns im Frühling an die Orchesterparts und die Gesangsspuren machten, schloss sich der Kreis. Ich hatte bis dato noch keine Vorstellung vom Albumtitel, auch nicht von der Gestaltung des Artworks. Die Idee mit den Farben kam mir erst, als das Gesamtpaket fertig war. Dann bin ich nach Indien geflogen, wo wir die Fotos für das Album machten. Ich finde, dass Artwork und Albumtitel wunderbar zum musikalischen Inhalt passen. Denn neben der gewohnt düsteren Melancholie gibt es auch unheimlich viele neue Dinge zu entdecken. Dieses Album spiegelt mein innerstes Ich wider. Ich glaube, meine Musik war noch nie so eng mit meinem Seelenleben verbunden.

"Das muss ich mir nicht noch mal geben"

Klingt so, als seist du momentan wunschlos glücklich.

Absolut. Ich habe mich als Mensch und als Künstlerin noch nie wohler gefühlt. Es passt einfach alles. Ich habe ein wunderbares Team hinter mir, das mich jetzt schon seit vielen Jahren begleitet. Vor allem musikalisch fühle ich mich stärker und präsenter als je zuvor. Diesen Zustand habe ich mir immer gewünscht. Meine Band weiß mittlerweile genau was ich will und was ich nicht will. Dieser Prozess hat viel Zeit in Anspruch genommen, doch jetzt sind wir endlich an einem Punkt angekommen, wo jeder dem anderen blind vertrauen kann. Das ist schon ein tolles Gefühl. Ich bin auch offener denn je – gerade in Bezug auf Musik. Ich arbeite jetzt schon seit einiger Zeit mit dem Produzenten Torsten Stenzel an einem Easy Listening-Elektro-Projekt namens Outlanders. Etwas Derartiges hätte ich mir vor vier oder fünf Jahren kaum vorstellen können.

Wie weit wird diese Zusammenarbeit gehen?

Das wird man sehen. Aber ich hoffe schon, dass wir irgendwann mal ein komplettes Album veröffentlichen können. Ich würde mit diesem Projekt auch gerne auf Tour gehen. Es sprudelt momentan einfach alles über, verstehst du? Die Kreativität kennt keine Grenzen. Es gibt Tage, da denke ich schon an mein nächstes Studioalbum (lacht). Darauf möchte ich mich noch mehr öffnen. Ich möchte die durchgeknallten Parts auf "Colours In The Dark" noch ausweiten.

Die Fans deines Soloschaffens werden nun sicherlich begeistert in die Hände klatschen, während Nightwish-Anhänger, die sich nichts sehnlicher als deine Rückkehr wünschen, wohl eher die Köpfe gen Boden sinken lassen.

(lacht) Man sollte im Leben immer nach vorne blicken, nie zurück.

Nightwishs Tuomas Holopainen schaut scheinbar ab und zu gerne mal zurück. Als ich ihn letztes Jahr zum Interview traf, sagte er mir, dass nichts unmöglich sei.

Wirklich?

Ja. Du wirkst überrascht?

Nun, für mich ist die Sache erledigt.

Dein letztes Wort?

Ja, definitiv. Es wird keine Nightwish-Reunion geben. Punkt.

Liegt es an den übergroßen Schatten der Vergangenheit? Oder eher am Licht der Gegenwart?

Beides spielt dabei eine Rolle. Es ist damals so viel Unschönes passiert. Das muss ich mir nicht noch mal geben. Vielleicht steige ich irgendwann noch mal in ein anderes Bandprojekt ein, aber ich werde nicht zu Nightwish zurückkehren. Seither ist viel Zeit vergangenen, und ich bin überglücklich, so wie jetzt gerade alles läuft. Warum sollte ich also einen Schritt zurückgehen?

Gute Frage.

Eben. Alles ist gut, so wie es ist. Und so wird es auch bleiben. Over and out (lacht).

Ich werde die Kunde verbreiten.

Ich danke dir (grinst).

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