16. Dezember 2009

"Fürs Berghain bin ich zu populär"

Interview geführt von

Mit "The Sound Of The 10th Season" erscheint dieser Tage die zehnte Auflage von Sven Väths sommerlichem Ibiza Party-Sampler. Wir sprachen mit dem Frankfurter über seinen DJ-Status, Auftritte in China und den "Gude Laune"-Hype.Neun Jahre ist es her, seit wir zuletzt mit Sven Väth ein Interview führten. Damals sprach man im Zusammenhang mit seiner balearischen Partyreihe noch von einem "Ibiza-Experiment". Heute ist die Party-Saison längst eine Techno-Institution. Auch im zehnten Jahr ist Väth noch die große Nummer auf der Insel.

Unser Telefongespräch verzögert sich um zwanzig Minuten, denn Väth ist ein ausgiebiger Erzähler und schwer zu unterbrechen. Im Falle meines schön herausgearbeiteten Eintracht Frankfurt-Fragenkatalogs wird mir das später leider nichts nützen, denn: "Ich bin gar kein Fußball-Fan". Und ins Stadion gehe er auch nicht. Also weg mit den Maik Franz- und Bruchhagen-Fragen.

Wir haben uns vor fast genau neun Jahren das letzte Mal gesprochen, damals anlässlich deiner "Retrospective 1990-1997"-Platte. Auf die Frage, welche Kollaborationen du dir in der Zukunft vorstellen könntest, nanntest du drei Dinge: Eine Zusammenarbeit mit dem Aktionstheater La Fura Dels Baus, eine Dokumentation über die Trommel und Schamenentum in Südamerika und eine Kooperation mit Brian Eno. Warst du an einem dieser drei Ziele sehr nah dran?

Also, ich habe über alle drei Sachen lange sinniert, bin dann aber doch meiner Cocoon-Vision gefolgt. Das eine oder andere könnte also noch passieren. Ich weiß noch, dass ich in der Zeit-Magazinrubrik "Ich habe einen Traum" einmal über die Dokumentation gesprochen habe. Das wäre aber natürlich ein sehr zeitintensives Projekt geworden, wofür in den letzten neun Jahren keine Zeit war, da ich mit Vollgas in meine Cocoon-Vision hier in Frankfurt-Fechenheim investiert habe.

Zeitgleich habe ich mir meinen Ibiza-Traum erfüllt, für den ich damals mit der ersten Saison ja gerade die Saat gesät hatte. Und die ist aufgegangen, wir sind in Ibiza etabliert. Wir haben auf der Insel bestimmt the hottest nights mit den interessantesten Künstlern.

Hast du auch einmal mit der Schauspielerei geliebäugelt, ähnlich wie dein Kollege Paul Kalkbrenner jüngst in "Berlin Calling"?

(stöhnt) Ach, ich habe den Film noch nicht mal gesehen, muss ich gestehen. Aber Schauspielerei ... Sicher, ich habe immer gerne Videos gemacht und vor der Kamera performt und mir wurde auch oft gesagt, ich wäre vom Typ her für die Bühne geeignet, aber meine Leidenschaft bleibt halt die Musik. Dieses Feld zu beackern, ist eigentlich Arbeit genug.

Auf deinem neuen In The Mix-Sampler "The Sound Of The 10th Season" sind wieder ziemlich viele eher unbekannte Acts vertreten. Gehört es zu deiner Philosophie, diese Künstler einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen? Schließlich bedeutet es für viele einen Karrierekick, von dir gefeaturet zu werden.

Vorsätzlich pushe ich die sicher nicht. Nach der Saison ist für mich einfach völlig klar, welche Tracks auf ihre Art die markantesten waren. Das müssen nicht immer die lautesten gewesen sein. Es war für mich auch interessant zu sehen, dass es diesmal auf den zwei CDs die internationalste Zusammenstellung seit Anbeginn der Serie geworden ist. Gerade auf der ersten CD, da steht England neben Argentinien, der Schweiz, Türkei, Holland, Slowenien oder Spanien, da ist ja nicht mal ein deutscher Künstler dabei.

Das zeigt, dass unser Sound gerade international ziemlich wahrgenommen wird und viele Leute Ibiza doch als Referenz sehen. Ich denke, Ibiza besitzt musiktechnisch noch immer die größte Strahlkraft. Ob in Südamerika oder Australien: Für Fans, Musikliebhaber und Feierköpfe ist eine Ibiza-Saison immer noch ein Reiseziel. Umso schöner, wenn man dann auch Sachen aus solchen Ländern spielen kann.

Spürt man auf Ibiza denn nichts von der Krise?

Wir hatten dieses Jahr eine Wahnsinns-Saison, das war aufgrund all der schlechten Nachrichten im Vorfeld so tatsächlich nicht zu erwarten. Wir wurden aber total positiv überrascht und unsere 10 Jahre-Ibiza-Geburtstagskerzen brannten lichterloh.

"Berlin ist das Mekka des Rave-Tourismus"

In Berlin hast du dieses Jahr nur einmal aufgelegt. Kann man denn noch von der Techno-Hauptstadt sprechen?

Gute Frage. Europaweit gesehen ist Berlin sicherlich gerade das Mekka des Rave-Tourismus. Berliner Freunde erzählen mir, dass sie in den Clubs gar niemanden mehr kennen, weil da nur noch Touristen rumrennen. Ich kann das nicht beurteilen, im Watergate habe ich jedenfalls viel Spaß gehabt. Aber bei mir reichts leider nur für einmal im Jahr (lacht).

Würdest du auch im Berghain auflegen?

Nee, würde ich nicht. Die sind mir dort zu underground-arrogant. Für die bin ich zu populär.

Du bist ja sehr viel in Asien unterwegs. Wie sind denn dort deine Eindrücke? Wie äußert sich dort die Stimmung?

Hauptsächlich bin ich ja ganz bewusst in Europa unterwegs. Einige Länder habe ich auch komplett gestrichen, die bereise ich nicht mehr. Bei einigen habe ich es aufgegeben.

Welche sind das?

Die USA zum Beispiel, auch China und die arabischen Länder. Interessante Beobachtungen gibt es dafür in Südamerika. Die Leute in Brasilien, Peru oder Kolumbien sind wild und frisch, die Nachfrage dort ist riesig. Diese Menschen haben natürlich eine ganz andere Beziehung zu Tanzmusik als wir. Gleichzeitig gibt es wahrscheinlich keine Fans, die einem so leidenschaftlich, aufmerksam und voller Hingabe zuhören wie die Japaner. Wenn man dort spielt, fegt einem ein regelrechter Liebesschwall entgegen.

Die Italiener kommen dagegen sofort mit ihren Foto-Handys an, da existiert überhaupt keine rote Linie mehr. Die fassen dich gleich an, knutschen und fotografieren. Neben Südamerika finde ich persönlich Rumänien und Bulgarien derzeit am spannendsten. In Osteuropa passiert auch gerade einiges.

Hast du die USA und China aufgrund ihrer geografischen Größe aufgegeben?

Also in China ist es natürlich schwer mitanzusehen, wie die Regierung das Volk unterjocht und die Menschenrechte mit Füßen tritt. Man wird da oft geblendet, was den chinesischen Wirtschaftsboom in diesen tollen Riesenstädten angeht. Wenn ich alleine an die Tibet-Sache im letzten Jahr denke, dann veranlasst mich das nicht, mit guter Laune nach China zu fliegen und dort Menschen zum Tanzen zu bringen.

Und wenn ich mal dort gewesen bin, treffe ich meistens auf Diplomaten-Kids oder Studenten aus dem Westen. Die Chinesen wiederum scheinen den Zugang zu dieser Musik nicht richtig zu finden, die sind um zwölf schon hackedicht, liegen in der Ecke und kotzen. Da gibts eine Art Missing Link.

Hast du schon mal in Südafrika aufgelegt?

Nein. Die sind ja traditionell sehr auf die englische Musikwelt fokussiert. Das geht da eher in die Mainstream-Trance- bzw. cheesy House-Richtung. Ich habe zwar mal Anfragen aus Johannesburg oder Capetown bekommen, aber das reizt mich im Augenblick nicht.

"In Mexiko kommen Kids mit 'Gude Laune'-T-Shirts zu mir"

Du bist jetzt 45 Jahre alt. Wie hält man es eigentlich so lange als Aktiver in diesem Techno-Zirkus aus?

Tja, 2011 feiere ich mein 30-jähriges DJ-Jubiläum (lacht). Es ist wohl die Leidenschaft, der Spaß und der Pioniergeist. Eine Vision zu leben, die andere Leute motiviert und ansteckt, an Plattformen mitzubauen, gerade für junge Künstler. Mir ging es schon immer darum, Brücken zu schlagen. 1988 habe ich das Omen eröffnet, das Mekka für Techno und House zeitgleich mit dem Tresor und dem Planet in Berlin. 1990 kam das Label Eye Q Records, dann Harthouse und Recycle Or Die.

Es muss ja nicht immer alles in den Mainstream abrutschen, um Erfolg zu haben. Das geht auch im so genannten Underground. Dieses Jahr war das erfolgreichste Jahr für Festivals in Deutschland. Ob Sonne Mond Sterne, Melt oder Nature One: Fast alle waren ausverkauft und wir sprechen hier von nichtkommerzieller Musik. Das ist toll.

DJ Tanith hat in seinem Blog kürzlich alle DJs aufgelistet, die in Scooters "Hyper Hyper" vorkommen und versucht, deren heutige Aktivitäten nachzuzeichnen. Du kommst da vergleichsweise ziemlich gut weg, denn viele dieser DJs sind ja längst vergessen. Woran könnte das abseits deiner Visionen liegen?

Also wenn du jetzt auf das Finanzielle zu sprechen kommst: Geld war für mich immer nur ein positiver Begleiteffekt. Es ging immer zuerst um die Lust, das voranzutreiben, was man selbst gut findet. Von all dem Geld, das ich verdient habe, habe ich immer einen Teil reinvestiert, in meinen Club oder in meine Eventagentur. Die interessante Frage dabei ist ja: Wo ist die Vision, in die man investieren kann?

Wir hatten dieses Jahr weltweit 80 Cocoon-Events. Man muss auch etwas zurückgeben. Was meine Kollegen betrifft, frage ich mich oft: Warum hat dieser oder jener DJ eigentlich keinen Club? Wieso ziehen die sich zurück anstatt selbst etwas zu gestalten?

Über Westbam schreibt Tanith: Er hat das Pech, dass jede authentische Techno-Doku ohne ihn auskommen will.

Auweia. Also Westbam ist auf jeden Fall eine Säule in unserer elektronischen Music Culture Germany und hat auch einiges dafür getan. Mit seinen Unternehmungen war Maximilian (Westbams richtiger Name, Anm. d. Red.) eine Zeitlang am Zahn der Zeit, hat aber dann irgendwann die Ausfahrt verpasst. Vielleicht hat ihn auch sein Beraterstamm zu Entscheidungen beeinflusst, die dazu geführt haben, dass er heute nicht mehr so präsent ist.

Hältst du generell Kontakt zu Musikern, die heute noch relevant sind? Es wurde ja mal geschrieben, dass dein Geländewagen oft neben dem von Stephan Weidner (Ex-Böhse Onkelz) parkt.

Wir sind umgezogen. (lacht) Meine Cocoon-Agentur ist jetzt im Ufo-Gebäude in der Carl-Benz-Straße. Generell kann ich sagen: Gerade vorgestern war ich mit Frank Lorber beim Abendessen, den sehe ich oft, genau wie den Roman Flügel. Ricardo Villalobos ist ja leider nach Berlin gezogen. Der ein oder andere Frankfurter Künstler schaut aber auch regelmäßig im Club vorbei, Anthony Rother und Johannes Heil zum Beispiel.

Und mit dem Freebase gibt es in Frankfurt einen richtig geilen Plattenladen, um den sich in den letzten Jahren eine große Musik-Posse gebildet hat. Ob nun Cécille Records oder Raum Musik mit Künstlern wie Reboot oder SIS oder Dorian Paic - Frankfurt und das Rhein-Main-Gebiet zeigt wieder Flagge. Leute setzen ihre Kreativität hier wieder um, anstatt sie nur zu verfeiern.

Lässt dich dein Status als arrivierter DJ auch über Dinge lächeln wie den "Gude Laune"-Internet-Hype, der entstanden ist, nachdem ein Clubber deine Show-Ansagen ins Netz gestellt hat?

Weißt du, ich liebe meine Performance und wenn ich auf die Bühne gehe, passieren eben Sachen, die aus Emotionen heraus entstehen. Das sind Momentaufnahmen. Wenn ich jetzt in Mexiko auflege und plötzlich fünf Mexikaner in T-Shirts zur mir kommen, auf denen "Gude Laune" steht, dann muss ich natürlich lachen.

Oder in Ungarn, wo Kiddies Fahnen tragen mit der Aufschrift "The Message is: Gude Laune". Man darf das alles nicht so ernst nehmen. Ich wollte das selbst auch nie ausschlachten. Damals kamen tatsächlich Majorlabels auf mich zu und fragten, ob man daraus nicht einen Song machen könnte. Ich meinte nur: Sagt mal, habt ihr sie noch alle?

Mit "Feierei" hast du in dem Zusammenhang ja quasi ein neues Wort kreiert oder wenigstens salonfähig gemacht.

Ach, ich weiß nicht, das ist natürlich in erster Linie hessisch. Wir Hessen haben für alles unsere Schlachtrufe.

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