laut.de-Kritik

Wenn Schulhof-Mobber Kollegah nur das sensible Umfeld stört.

Review von

"Sah dabei zu, wie alles nach und nach zerfällt. Ich war außer mir, doch genau dann fand ich zu mir selbst", rappt Silla einleitend, "Also drück' die Reset-Taste und lösche die Festplatte. Du kannst es sowieso nicht allen recht machen." Die Probleme scheinen überwunden zu sein, doch das von Johnny Illstrument wie ein Requiem produzierte Instrumental offenbart zugleich, dass der Berliner keineswegs so "Krisenfest" ist, wie der herrlich deutsch betitelte Song suggeriert. "Ich hab' die Wahl zu kämpfen und Dinge in die richtigen Bahn' zu lenken, anstatt über Versagensängste nachzudenken."

Wer eine Wordmap mit den häufigsten Begriffen auf "Silla Instinkt 3" erstellte, erhielte im Zentrum die "Angst". Er sei "geplagt von Verlustängsten", klagt er in "Narcotics". Rhetorisch fragt er, "Wie viel Mut hat mir die Angst geraubt?" ("Wüste Aus Beton") und "Wie oft sind wir abgelenkt von Ängsten und Problemen?" ("Herbst 22"). "Ich bin nur ein Mensch aus Fleisch und Blut und werd' von Ängsten heimgesucht", heißt es kleinlaut in "Depressionen". Zugleich habe er seine "Ängste besiegt" ("Alle Meine Fans"), "empfinde keine Spur von Angst" ("Gangshit") oder sei von der Liebsten von ihnen "befreit" worden ("Du Bleibst").

Sein offener Umgang mit Schwächen zieht sich durch das Album. Das bleibt nicht immer ohne Kitsch aus, wie etwa die klagenden Streicher und stereotypen Sprachbilder von "Träumer 24" beweisen, doch vor dem Hintergrund seines angestammten Milieus überrascht es in seiner Deutlichkeit. Folgerichtig wendet er sich gegen Abwertungen durch Online-Kommentare, unter denen er nach gesundheitsbedingtem Verlust von Muskelmasse auch selbst zu leiden hatte. "Bewertet Menschen nicht nach Marken oder Kilogramm", appelliert er in "Vom Schrank Zum Junk", "Alles, was zählt, sind deine Taten und Persönlichkeit."

In diesem sensiblen Umfeld hat ein Schulhof-Mobber wie Kollegah eigentlich nichts verloren. Und doch prügelt der Mann mit dem freien Geist in "Air Max" verbal auf T-Low und Ufo361 ein. Auch der sechsfach vertretene Karma030 bekleckert sich nicht mit Ruhm. In "Wild West Berlin" übt sich der "Nichtskönner" in Western-Referenzen, obwohl sich Semibeatz' Instrumental eher Richtung Osten wendet. "Was weißt du reicher Bengel schon vom Essen klauen?", klagt er vorwurfsvoll in "Get Money", um direkt im nächsten Vers zu erzählen, seinen "Lebensunterhalt" auf Fußball-Wetten zu setzen.

Noch grausiger fallen die Gesangshooks aus. Auf einem ernsthaften Song wie "Herbst 22" schlägt es dank RXON fünf vor Giesinger. Kalkulierend und damit für Silla ungewöhnlich unehrlich singt Ambre Vallet den Chorus von "So Schön Traurig" für den Handylicht schwingenden Part des Konzerts. In "Würdest Du?!" darf Jennifer Lopez übernehmen. Glücklicherweise verfremdet Johnny Illstrument "If You Had My Love" so weit, dass es die Qualifikation für die 'Sample-Hits' verfehlt. "Liebe Ist" wiederum bedient sich erbarmungslos an der Melodie von Tina Turners "What's Love Got To Do With It".

"Heute hab’ ich eine reflektierte Sichtweise", versichert der Berliner in "Wenn Du Denkst", was solche Fehlentscheidungen noch rätselhafter erscheinen lässt. Silla verfügt fraglos über Stärken, die klar auf dem Tisch liegen, doch allzu oft nimmt er Abzweigungen, durch die er wirkt, als sei er frisch auf dem Markt und probiere sich erstmal aus. In "Narcotis" verspricht er die "Memoiren eines Suchtkranken". Damit haben schon andere große Literatur hervorgebracht. Zehn konzentrierte Songs in diesem Sinne - ohne Pop-Hooks und ablenkende Rap-Partner - dürften für ein mehr als ordentliches Album sorgen.

Trackliste

  1. 1. Krisenfest
  2. 2. Alle Meine Fans
  3. 3. SBM Flow
  4. 4. Air Max (mit Kollegah)
  5. 5. The Rock
  6. 6. Kugelsicher (mit Karma030)
  7. 7. Wenn Du Denkst
  8. 8. Culture
  9. 9. Gangshit (mit Eko Fresh)
  10. 10. Träumer 24
  11. 11. Du Bleibst
  12. 12. Filme (mit Karma030)
  13. 13. Get Money (mit Karma030)
  14. 14. Kein Superstar
  15. 15. 90 BPM (mit Eko Fresh)
  16. 16. So Schön Traurig (mit Ambre Vallet)
  17. 17. Würdest Du!?!
  18. 18. Wild West Berlin (mit Karma030)
  19. 19. Regen (mit Malin)
  20. 20. Herbst 22 (mit RXON)
  21. 21. Back Am Block 24
  22. 22. Wüste Aus Beton (mit Karma030)
  23. 23. Vom Schrank Zum Junk
  24. 24. Narcotics (mit Karma030)
  25. 25. Liebe Ist
  26. 26. Depressionen (mit Jonesmann)

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2 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor einem Monat

    Ich kann ja verstehen das es Rapper gibt die es nochmal wissen wollen, aber die Frage, die sich stellt, ist halt immer wieder ob der jeweilige Künstler echt dran glaubt das es Konsumenten gibt die darauf gewartet haben das sie mal wieder was releasen. Ungehört 1/5

    • Vor einem Monat

      und woher willst du wissen dass es keine konsumenten gibt, die darauf warten?

    • Vor einem Monat

      Für alle will ich da sicher nicht sprechen, aber glaubst du ernsthaft das er wirklich noch eine große Zuhörerschaft abholt die genau auf ihn gewartet haben?

    • Vor einem Monat

      eine große zuhörerschaft sicher nicht, aber der bewegt sich doch in diesem orgy/bogy kosmos, wo es immernoch eddls gibt, die das diggen und die teils auch noch bundles, boxen etc. kaufen. hatte mich ja auch im rako faden geirrt, was ht angeht. die scheinen nach neuesten erkenntnissen, wenn man mal das social media gebahren betrachtet, auch weiterhin ne stabile base zu haben.

  • Vor einem Monat

    Die Musik ist actually okay. Das Album krankt eher an seine Länge und der Reihenfolge der Tracks. Interessant wird es erst nach Track 4, danach hat man etwas mehr Varianz in den Beats. Die Punchlines sind manchmal ganz lustig, oftmals kennt man die aber schon aus anderen Songs, weil die schon sehr alt sind.

    Hätte man es bei max. 16-18 Tracks belassen und die Reihenfolge ein bisschen angepasst, wäre das Ding stabiler geworden. Aber ja, man verpasst nicht wirklich was, wenn man es nicht hört. Wer den 2000er-Rapstil abfeiert, wird sicher seine Freude dran haben.