laut.de-Kritik

Ein trostloser Slasher-Film in den Straßen von Baton Rouge.

Review von

Erst vor zwei Jahren feierte Lil Wayne mit dem großartigen fünften Teil seiner "Tha Carter"-Reihe das Ende seines Streits mit Cash Money Records. Die Befreiung aus diesem Knebelvertrag gab seiner damals leicht eingerosteten Karriere frischen Aufschwung und warf ihn wieder mitten hinein in die Barbershops dieser Welt, wo er einmal mehr im Mittelpunkt der nie endenden All Time Greatest-Diskussion stand.

Ebenso wie sein Vorgänger, steckte auch sein neustes Werk, dass er bereits 2016 namentlich erwähnte, jahrelang in der Produktionshölle und verschwand zwischenzeitlich vollends von der Bildfläche. Gegenteilig zu "Tha Carter V" merkt man "Funeral" die damit einhergehenden Altersschwächen aber kaum an, im Gegenteil: Schon lange hat man Wayne nicht mehr so hungrig, animiert und experimentierfreudig gesehen. Das bringt neben zahlreichen memorablen Momenten jedoch auch seine ganz eigenen Probleme mit sich.

Dazu zählt zum Beispiel die fast schon satirische Länge der LP. Wo man die knapp 90-minütige Laufzeit des Vorgängers mit zwei zugedrückten Augen noch irgendwie auf den Stellenwert der "Carter"-Reihe zurückführen konnte, führt Waynes neu gefundene kreative Freiheit bei "Funeral" dazu, dass er jegliches Maß aus den Augen verliert.

Der Mann bräuchte gerade an seinem Karriere-Abend einen fähigen Produzenten, der ihm sagt, wann Schluss ist, und der ihm hilft, das Fett ein wenig zu trimmen. Davon hat "Funeral" leider Gottes wahrlich genug. So viel sogar, dass ein Pfund Kerrygold ein angemessenes kulinarisches Äquivalent darstellt: in kleinen Mengen Allzweck-Geschmacksträger, im Ganzen Grund für reichlich Magenschmerzen.

Kurz gesagt: Das Album enthält zahlreiche Highlights, die jedoch inmitten eines Dutzends Schlaftabletten unterzugehen drohen. Die Anordnung der Tracklist erschwert das Ganze zusätzlich: Die Höhepunkte finden sich wild über die Spielfilmlänge des Albums verteilt, was es fast unvermeidbar macht, längere Passagen zu hören, ohne Songs zu skippen.

Thematisch lässt sich "Funeral" nicht wirklich auf den Punkt bringen. Der Titel verspricht eine Beerdigung, wer jedoch beigesetzt wird, bleibt schwammig. Bezüge zum Titel finden sich neben zahlreichen Tributen an die verstorbenen XXXTentacion und Kobe Bryant nur vereinzelt. Wayne spricht hier und da über seine eigene Grabesfeier, an anderer Stelle über die seiner Feinde. Wirklich konkret wird er dabei aber nie.

Muss er auch nicht, die Platte macht ihren Mangel an Inhalten mit Waynes unvergleichlicher Art, mit Worten umzugehen, wieder wett. In dieser Hinsicht ähnelt "Funeral" Waynes Mixtapes, deren formloser Charakter schon immer dazu diente, impulsive Recording-Sessions mit der Welt zu teilen und Reimkunst scheinen zu lassen.

Auch wenn Tracks wie "Mahagony" oder "Piano Trap" lyrisch so ziemlich jeden aktiven Rapper in den Schatten stellen, gehört aber eben ein wenig mehr dazu als zwei gelungene 16er, um aus grandiosen Rhymes einen grandiosen Song zu machen. Darin liegt die Krux, die vielen grundlegend ordentlichen Liedern das Kreuz bricht. "I Do It" beispielsweise reiht eine grauenhafte Big Sean-Hook zwischen zwei überdurchschnittliche Verses von Lil Baby und Tunechi ein. Das Endergebnis bleibt dann eben, trotz Bars wie "You a ref my nigga, you blew it. I don't sketch, but the pistol I drew it" leider eher mittelmäßig.

Dass schlimmer aber wahrlich immer geht, veranschaulicht anschließend der Mittelteil. Dort streiten sich "Trust Nobody", ein Duett mit dem menschgewordenen Valium Adam Levine, und "Sights And Silencers", ein erschreckend ernst gemeinter Versuch eines ätherischen Dream-Pop-Songs, um den Titel "schlechtester Song des Albums".

Dabei wäre Wayne durchaus fähig, kompetente Hooks zu schreiben, wie er mit "Bing James" beweist. Die Mischung aus verdrogtem Autotune-Crooner und kaltblütigem Killer, die er zusammen mit Jay Rock hier zu Papier bringt, wirkt ebenso aufputschend wie eingängig. "Ball Hard", folgt mit seinem Assoziatonsketten-Ansatz auf dem Fuß.

Ebenso wie die Qualität der Hooks schwankt auch das Niveau der Produktion. Wayne tobt sich auf so vielen grundverschiedenen Beats aus, dass es mit andauernder Laufzeit schwer fällt, nicht ein wenig den Überblick zu verlieren. Grundsätzlich sticht nur wenig wirklich heraus, sowohl negativ als auch positiv. Ein Highlight, die Stripclub-Hymne "Clap For Em", begeistert mit Preacher-Sample und Windspiel-Keys, während bei "Not Me" das Instrumental den Hauptgrund dafür liefert, wieso man den Song bereits fünf Minuten nach dem ersten Hören schon wieder vergessen hat.

Die wirklichen Standouts sind neben den bereits erwähnten lyrischen Fingerübungen vor allem die Tracks, auf denen sich Wayne in neue Gefilde wagt. "Mama Mia", "Bastard (Satan's Kid)" "Get Outta My Head", "Darkside", sie alle bestätigen das Bild, das der Titel des Albums evoziert: ein Lil Wayne am Rande des Wahnsinns, der sich mit suizidaler Aggression und lebensmüdem Enthusiasmus in dementen Gewaltphantasien austobt und über sein Leben reflektiert. Vom Klangbild bis zum Inhalt sind diese Songs düster und verstörend, sie liefern den Soundtrack für einen trostlosen Slasher-Film inmitten der vernebelten Straßen von Baton Rouge und sind es deshalb auch wert, aus dem musikalischen Mittelmaß, das sie umgibt, herausgepickt zu werden.

Man kann sich ausmalen, was "Funeral" für ein außergewöhnliches Album hätte sein können. Die fehlende Selbstdisziplin des selbsternannt besten Rappers der Welt verwässert dieses Bild jedoch oftmals fast bis zur Unkenntlichkeit. Lil Waynes Talent strahlt aber selbst auf den schwächsten Tracks des Albums so unverkennbar, dass er zu Recht nicht so schnell aus den Barbershops dieser Welt und allen darin ausgetragenen Debatten verschwinden wird.

Trackliste

  1. 1. Funeral
  2. 2. Mahagony
  3. 3. Mama Mia
  4. 4. I Do It (feat. Big Sean & Lil Baby)
  5. 5. Dreams
  6. 6. Stop Playin Wit Me
  7. 7. Clap For Em
  8. 8. Bing James (feat. Jay Rock)
  9. 9. Not Me
  10. 10. Trust Nobody (feat. Adam Levine)
  11. 11. Know You Know (feat. 2Chainz)
  12. 12. Wild Dogs
  13. 13. Harden
  14. 14. I Don't Sleep (feat. Takeoff)
  15. 15. Sights And Silencers (feat. The Dream)
  16. 16. Ball Hard (feat. Lil Twist)
  17. 17. Bastard (Satan's Kid)
  18. 18. Get Outta My Head (feat. XXXTentacion)
  19. 19. Piano Trap
  20. 20. Line Em Up
  21. 21. Darkside
  22. 22. Never Mind
  23. 23. T.O. (feat. O.T. Genasis)
  24. 24. Wayne's World

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5 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 4 Jahren

    Puh, 24 Tracks... Hat schon jemand reingehört? "Tha Carter V" hatte einiges zu bieten, aber bei über 20 Songs fehlt mir oft die Motivation, mir die Highlights rauszupicken.

  • Vor 4 Jahren

    Album ist klassische Mischung aus Killer und Filler. Meine persönlichen Highlights wurden in Review bereits genannt:
    Mahagony, Piano Trap, Bing James, Ball Hard, I Do it.

    Verhält sich ähnlich wie das Em Album, ein paar Lichtblicke aber im Grunde genommen einfach viel zu viele Tracks. Aber diese Lichtblicke sind besser als gar keine Lebenszeichen vom guten Weezy.

    3/5

  • Vor 4 Jahren

    Paar gute Tracks dabei, aber deutlich zu lang und irgendwie ist für mich Weezy auch over. Zu redundant und mittlerweile auch etwas creepy. Interessant fand ich nur, dass bei Drink Champ rauskam, dass er gar keine neuen Sachen kennt.

  • Vor 4 Jahren

    Musikalisch erinnert das Album stellenweise an Future, nur besser. Nicht das mir Future missfällt, aber man versteht ihn schwer und auf Albumlänge wird es oft monoton. Gelegentlich ist das auch hier der Fall. Aber Lil Wayne beschreitet neue Pfade.

    So gut ich dieses Album auch finde, haben heute 2 Platten das Licht der Welt erblickt, die neue Maßstäbe in Sachen Hip Hop setzen. Das erste ist Unlocked von Denzel Curry. In der Form habe ich HipHop noch nie gehört. Mit 17 Minuten leider viel zu kurz, auch für eine EP. Nummer 2 ist Black Habits von D Smoke. Ein mir bis heute unbekannter Rapper aus Kalifornien. Er klingt stellenweise wie Kendrick Lamar. Wie ich finde, ein Album der Superlative. Wer auf gute Rapmusik steht, sollte sich die 2 Platten mal anhören.

    • Vor 4 Jahren

      D Smoke ist wirklich top, hätte es mir so nicht angehört, da mich die Teilnahme an der Castingshow irgendwie abgeschreckt hat.
      Ist übrigens der Bruder von Sir und das Album klingt auch wie ein TDE Release. Inglewood High lohnt sich auch.