27. August 2014

"Wir wollen keine teutonischen Klischeeerfüller sein"

Interview geführt von

Zur Veröffentlichung des zehnten Die Sterne-Albums "Flucht In Die Flucht" nimmt sich Sänger Frank Spilker Zeit, um uns einige Fragen zu beantworten.

Der Sänger der Sterne spricht über den neuen Longplayer und dessen Texte und erklärt seine Veröffentlichungspolitik. Eine Reise nach China liefert Gesprächsstoff, ebenso die musikalischen Nachkommen - und notfalls auch Pecorino.

Seit "24/7" und dem Abschied von Richard von der Schulenburg arbeitet ihr nur noch zu dritt. Habt ihr für euer neues Album "Flucht in die Flucht" darüber nachgedacht, die leere Stelle an den Keyboards neu zu besetzten, beispielsweise mit eurer Live-Unterstützung Dyan Valdes von "The Blood Arm"?

Frank: Wir haben bei der Arbeit am letzten Album gemerkt, dass wir zu dritt sehr gut und effektiv zu Entscheidungen kommen. Deshalb wollten wir zunächst alles so lassen. Dyan ist erst mal sozusagen eine feste Freie Mitarbeiterin.

Bei einigen Interviews zu eurer letzten Platte klang es fast so, als habt ihr von der Gitarrenmusik endgültig genug und würdet nur noch Musik im Discokugelformat veröffentlichen. Mit "Flucht In Die Flucht" folgt nun eine Kehrtwende. Ihr habt die alte Die Sterne-Formel um viele, teilweise sehr psychedelische Facetten erweitert. Wie kam es zu diesem Umdenken und der neuen Herangehensweise?

Zunächst einmal: Das mit der Disco ist für uns keine andere Welt. Wir hatten schon auf unserer ersten LP "Wichtig" eine Disco-Nummer. Das Thema wird immer wieder aufgegriffen, ebenso wie auch die Elektronik immer mal wieder ins Spiel kommt. Wir sind eben einfach keine Puristen. Abgesehen davon finde ich es wichtig, ab und zu auch mal zu überraschen. Von einem Umdenken kann also keine Rede sein, wir haben uns lediglich eine andere Spielwiese gesucht. Aber das war uns natürlich auch klar, dass wir mit diesem Sound die Erwartungen unseres Stammpublikums eher erfüllen.

Auch die Texte fallen wieder länger und deutlicher aus. Fast scheinen sie eine direkte Reaktion auf den Vorgänger darzustellen. War dir das wichtig, hattest du da ein Ziel, einen Plan, oder hat sich das mit der Musik zusammen entwickelt?

Ich finde in diesem Zusammenhang die Begriffe Tempo und Dichte sehr wichtig. Wir haben auf "24/7" sehr bewusst das Tempo rausgenommen. Ich glaube gar nicht, dass auf "Flucht In Die Flucht" sehr viel mehr Text ist, aber er ist in einer höheren Dichte vorhanden. Letztlich geht es dann auch beim Text immer um Musikalität.

In den "24/7"-Texten ging es mehrfach um das Thema Würde. Was würdest du als Grundtenor für "Flucht In Die Flucht" ausmachen?

Würde und Haltung sind definitiv immer ein Thema bei den Sternen. Musikalisch ästhetisch und auch textlich geht es um diese Grenze zwischen der äußeren und inneren Welt. Und auch um Transzendenz. Wenn also das lyrische Ich die Frage stellt: "Wo soll ich hingehen?", bekommt es innerhalb des Stückes die musikalische Antwort: Es gibt keinen Ausweg außer der Flucht.

"Flucht In Die Flucht" erscheint auch in einer wirklich schicken Vinyl-Ausgabe, mit CD, 7" und einer Kassette. Was befindet sich denn auf der 7" und der Kassette? Und rechnet sich die Veröffentlichung einer solchen prunkvollen Edition eigentlich?

Die Kassette enthält unsere Vorproduktion, speziell die Stücke, die sich deutlich von den dann aufgenommenen Versionen unterscheiden. Die Special-Edition ist ein tolles Produkt für Leute, die sich das leisten mögen. So wie man sich vielleicht ein Band-T-Shirt leistet. Das Label behauptet, dass sich das rechnet.

Die Plattenfirmen streuen ihre Produkte ja mittlerweile möglichst weit, um jeden Geschmack zu erreichen. Die Möglichkeiten scheinen sich quasi halbjährlich zu vergrößern, und man muss den für 4,99 Euro im Stream hörenden Menschen genau wie den sammelwütigen Fans etwas bieten.

Ich bin ja kein BWLer, aber das Wort Produkt-Diversifizierung habe ich schon vor zehn Jahren gehört, als potenzielle Strategie, um den Verlusten in Musikgeschäft etwas entgegenzusetzen. Statt nur einem Produkt gibt es jetzt immer mehrere.

"Wer ans Einkommen denkt, sollte eine Tanzband gründen"

Zuletzt habt ihr, wenn man die EP außen vor lässt, alle vier Jahre ein Album veröffentlicht. Reicht das bei den heutigen Plattenverkäufen eigentlich noch, um davon zu leben? Oder geht es so weit, dass man sich um andere Einkunftsquellen bemühen muss? Die nun folgende Tournee mit 14 Konzerten kann ja auch nicht unbedingt eine Lücke von vier Jahren füllen, oder?

Das hoffe ich doch wohl sehr, dass das so ist. 2013 war ich zum Beispiel gefühlt das ganze Jahr mit meinem Buch "Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen" auf Lesereise. Sowieso sollte man, wenn man an das Einkommen denkt, lieber eine Tanzband gründen. Mit der Kunst ist das immer so eine Sache.

Also gibt es da bei den momentanen Entwicklungen im Musikgeschäft nicht manchmal den Gedanken, einfach mit der professionellen Musik aufzuhören oder sich auf eine andere Art und Weise mit ihr zu beschäftigen? Einfach, weil die Hindernisse heute mehr und mehr zunehmen?

Gibt es da von deiner Seite aus konkrete Vorschläge? Die nehme ich gerne an. Aber das Problem ist doch nicht meine Versorgung, sondern die Frage, wie viel interessante Kulturproduktion die Lage des Musikgeschäfts überhaupt noch zulässt.

Mit deinem Buch hast du dich ja nun bereits in andere Bereiche vorgewagt. Wie waren deine Erfahrungen? Kommt da noch mehr, oder war das eher ein einmaliger Ausflug?

Das ist davon abhängig, was mir einfällt und wie lange ich dafür brauche. Ich habe jedenfalls viel gelernt und auch Lust, noch weiter zu schreiben.

Gut, dass es das Goethe Institut gibt. So kommt ihr immer mal wieder aus dem Alltag im deutschen Sprachraum heraus. 1998 brachten sie euch nach Nordamerika, dieses Jahr ging es nach China. Was für Eindrücke hast du da mitgebracht?

Tatsächlich gibt es in China einige Leute, die europäische Bands vermitteln und buchen. Man ist also nicht unbedingt abhängig vom Goethe-Institut, aber das ist für uns natürlich eine bequeme Sache. Da wir uns auf die deutsche Sprache beschränken, beschränken wir uns grundsätzlich erst mal auf den deutschen Sprachraum. Auch wenn man als deutschsprachige Band im Ausland akzeptiert wird, ist doch ein geschäftlicher Erfolg eher unwahrscheinlich. Das zeigt schon die Liste der Ausnahmen: Kraftwerk, Einstürzende Neubauten, Rammstein. Teutonische Klischeeerfüller, die wir nicht sind oder sein wollen. Mein wichtigster Eindruck ist, dass man auf jeden Fall selbst einmal in China gewesen sein muss, um die Berichterstattung über China in Europa zu verstehen.

In deinem Bericht in der taz hast du geschrieben, dass bei einem Auftritt von euch über der Bühne ein Banner hing, auf dem "The Voice Of Youth. The Voice Of Freedom" stand. Bei allem Respekt, die Zeit der Jugend haben wir nun alle schon hinter uns. Die gehört viel mehr den Bands, mit denen ihr auf "Flucht In Die Flucht" zusammen gearbeitet habt. Ihr habt Zucker, Der Bürgermeister der Nacht und Schnipo Schranke, die ja gerade mit ihrem "Pisse"-Video für Aufsehen gesorgt haben, mit an Bord. Quasi die nächste Generation. Wie war die Zusammenarbeit?

Das Banner ist das Motto eines Clubs in China. Das hat natürlich mit uns nicht viel zu tun und bekommt dadurch eine ganz andere Bedeutung. Ich kann die Frage nur aus Konsumentensicht beantworten: Ich habe nichts gegen alternde Musiker, ich habe nur etwas gegen langweilige Musik. Was die jungen Leute, mit denen wir zusammen gearbeitet haben, angeht, ist es so, dass die von alleine zu uns kommen. Es scheint da in der jetzigen Generation kein Abgrenzungsbedürfnis zu den alten Säcken der Hamburger Schule zu geben. Das hat sehr viel Spaß gemacht. Vor allem bringt es ja auch neue Sounds in die Band.

Insgesamt stehen momentan viele neue deutsche Bands, die an die alte Hamburger Schule erinnern, bereit. Findest du bei Die Nerven, Trümmer und Messer die eigenen Anliegen und Herangehensweisen wieder oder siehst du Gemeinsamkeiten?

Das ist sehr unterschiedlich. Auch hier lässt sich der Begriff Hamburger Schule nicht einfach so übertragen. Im Grunde muss man die Bands selber fragen. Eine Band wie Trümmer erinnert soundmäßig sozusagen gar nicht an die Sterne, sondern eher an Blumfeld.

Zucker, Trümmer ... welcher eurer Songtitel wird als nächstes zu einem Bandnamen verarbeitet?

Das kann ich nicht wissen.

"Es geht grundsätzlich immer um die Beschreibung von Lebensrealität"

In "Ihr Wollt Mich töten" singst du Seite an Seite mit Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten. Vom Alter her seit ihr zwar nahe beieinander, musikalisch liegt da aber schon wieder eine Generation dazwischen. So gesehen ist "Flucht In Die Flucht" ja ein richtiges Generationentreffen geworden. Wie kam da die Zusammenarbeit zustande? Und wie hoch war Hackes Anteil an der Arbeit?

Wir sind seit ein paar Jahren befreundet. Er hat die Cowboystiefel mitgebracht. Er mochte das Stück von Anfang an und hat es dann auch gerne im Duett gesungen.

In dem Song bezieht ihr eine deutliche Gegenposition. Die anderen wollen euch töten, sind in der Überzahl, sollten aber schneller sein als ihr. "Legt jetzt los, macht keine Fehler. Zögert nicht und handelt rasch. Sonst bin ich schneller." Wie so oft lässt du offen, wer sich hinter diesem "Ihr" versteckt.

Schon allein, um eine größere Gültigkeit zu bekommen. Da kann sich dann jeder selbst aussuchen, ob er es auf die Bullen, die Eltern, die Lehrer, oder auf Neider und Konkurrenten bezieht.

"Drei Akkorde" erinnert mich von Akkordfolge, Melodie und Aufbau teilweise an einen zugedröhnten Bruder von "Wenn Dir St. Pauli Auf Den Geist Fällt". Der "Innenstadt Illusionen"-Hintergrundchor spielt mit Rheingolds "Dreiklangsdimensionen", und der deutliche Bruch in "Wo Soll Ich Hin Gehen" bringt "Risikobiographie" oder "Fickt Das System" in Erinnerung.

Da gibt es schon ein paar mehr Stellen auf dem Album, die man als Zitat bezeichnen könnte. Aber das ist doch der Spaß daran, dass man versucht, das selber zu entdecken. Beziehungsweise: Wenn man das Originalstück nicht kennt, ist es auch nicht wichtig.

Textzeilen wie "Bezahlbare Wohnungen in den gängigen Vierteln gesucht" oder "Was für eine Immobilienblase?" in "Innenstadt Illusionen" greifen schon die Diskussionen um die zunehmende Gentrifizierung in den Großstädten auf. Sieht man das als in Hamburg lebender Mensch besonderes deutlich und kritisch?

Es geht grundsätzlich eigentlich immer um die Beschreibung von Lebensrealität, als Gegenteil vielleicht von dem, das man unter Schlager versteht: Also die Flucht vor der Realität. Insofern ist "Innenstadt Illusionen" in ästhetischer Hinsicht ein Schlüsselstück, weil es ja gerade um die Distanz zur Realität geht. Also Angst und Flucht.

Zu guter Letzt: Wie üblich habe ich bei Facebook in die Runde gefragt, was ich dich fragen könnte. Wie erwartet, kam größtenteils nur Mumpitz dabei raus. Trotzdem würden sich die Fragensteller sicher über eine Antwort freuen. Als erstes fragt ein Kollege, was der Titel "merg.id" auf "Von Allen Gedanken Schätze Ich Doch Am Meisten Die Interessanten" bedeutet."

Das ist eine Abkürzung aus einem alten Computerprogramm. Wir haben das während der Produktion dauernd auf dem Bildschirm gesehen.

Bausparvertrag oder Lebensversicherung - welche Anlagemöglichkeit findest du hipper?

Ich hatte bisher noch keine Zeit, darüber nachzudenken.

Welche Sorte geriebener Käse wäre deine Wahl für die einsame Insel?

Pecorino.

Ich danke dir für das Interview, Frank.

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